Nummer 29 Der Beobachter an der Elbe.
Unterhaltungsblätter für Jedermann.
Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden.
2. Jahrg.

Wanda.
Novelle von Karl May.
9. Juni 1875


// 462 //


II.

Im Felsenbruch.

 
Hingerissen von der begeisternden Gewalt der herrlichen Dichtung hatte Wanda vorgelesen. Jetzt schlug sie das Buch zu und blickte hinüber zur Mutter, um zu erforschen, welchen Eindruck die Vorlesung auf dieselbe gemacht habe.

Auf den kalten, starren, empfindungslosen Zügen der Frau von Chlowicki lag eine leise, kaum bemerkbare Röthe als einziges Zeichen ihres Ergriffenseins; doch war bei der streng abweisenden Unempfindlichkeit der alten Dame diese Röthe ein größeres Zugeständniß für den Dichter als es der Applaus eines der Bewunderung des wahrhaft edlen und schönen zugänglicheren Publikums hätte sein können.

»Ich habe nie einem Menschenkinde gestattet,« sprach sie mit heiserer, vom Husten oft unterbrochener Stimme, »sich irgend welchen Einflusses auf die Gefühle meines Herzens zu rühmen. Wer die hohe Aufgabe zu lösen hat, für die von so vielen Seiten angefochtenen Traditionen eines bevorzugten Standes einzustehen, der muß auch die kleinste Anlage zu idealistischer Schwärmerei ersticken und vernichten; denn die nackte Realität des Lebens tritt an die Angehörigen dieses Standes mit Anforderungen, denen nur ein in Drachenblut getauchter und so gegen alle Anfeindung gefeiter Charakter gerecht werden kann.«

»So bin ich aller schwärmerischen Empfindelei fremd geblieben und kann nur aus diesem Grunde mich rühmen, stets und in allen Lagen Herr meiner selbst und auch meiner Verhältnisse gewesen zu sein. Dieser unbekannte Autor, dessen gewandte und aristokratisch feine Schreibweise ihn hoch über den Schwarm unserer heutigen Dichterlinge stellt, ist der Erste, dem ich meine Aufmerksamkeit und geistige Hingebung widme, und ich kann das in der beruhigenden Ueberzeugung thun, daß er sich in einer seiner nächsten Nummern als der Träger eines der höheren Sphären angehörigen Namens demaskiren wird.«

»Aristokratisch fein und gewandt, Mama? Dieser Eine scheint mir, da er sich doch nur auf die Form bezieht, unter seinen vielen Vorzügen und Wissenschaften der kleinste und unbedeutendste zu sein. Ich beurtheile den Mann nicht nach dieser Außenseite und hege in Folge dessen eine der Deinigen vollständig entgegengesetzte Meinung über die Sphäre, welche ihm als Heimath dient. Seine urwüchsige Natürlichkeit, die so kraft- und effectvoll unter säuselnden Blättern und duftigen Blüthen zum Himmel strebt, kann unmöglich in der künstlich gemischten Blumenerde des Salons ihre Wurzel geschlagen haben. Sein gegen den Druck niederbeugender Verhältnisse kämpfender, in die Zügel knirschender und muthig sich aufbäumender Geist durchbricht, himmelanstrebend, die von socialer Anmaßung gezogenen Schranken und steigt, Asche und Schlacken von sich schleudernd, in stolze Höhe wie der Lichtstrom, welcher dem Krater entfluthet, um zu verkünden, daß der Boden unterhöhlt und den ewigen Gesetzen der Natur kein dauernder und siegreicher Widerstand zu leisten sei. Ich könnte Alles, Alles was ich bin und habe, von mir werfen, um zu seinen Füßen sitzen und dem Fluge seines Genius folgen zu dürfen. Ich frage nicht nach seinem Namen, nicht nach seinen Ahnen; ich empfinde nur den Wohllaut und die unwiderstehliche Macht seiner Rede und fühle, daß meine Seele ihm bei jedem seiner Worte zurufen möchte: ›Du bist so groß, und ich bin so klein, klein, klein!‹«

»Einem so excentrischen und dabei unlenkbaren Wesen wie Du muß man selbst eine Ueberspanntheit wie die gegenwärtige verzeihen!«

»In mancher Beziehung mag ich vielleicht etwas ungewöhnlich und schwer zu lenken sein, Mama; doch ist das wohl nicht meine eigene Schuld. Den Ausdruck ›Ueberspanntheit‹ aber darf ich selbst Dir nicht gestatten.«

»Ach so?« fragte die alte Dame mit scharfer Betonung. »Du beabsichtigest, mich zu hofmeistern. Liegt hierin nicht etwas der Ueberspannung Aehnliches?«

»Es kann nicht meine Absicht sein, Dich zu corrigiren; aber ebenso wenig dulde ich ein Urtheil, welches ich aus dem Munde der Mutter am Allerwenigsten zu hören erwarte.«

»Und doch hast Du keine Berechtigung, Dich in Deiner Würde verletzt zu fühlen; denn Du selbst beleidigst ja diese Würde durch Unziemlichkeiten, welche haarsträubend wirken möchten. Denke nur an gestern. Ich nehme natürlich daraus Veranlassung, Dich so bald wie möglich unter die strenge Vormundschaft eines Mannes zu stellen, dessen ernste Festigkeit Dir mehr imponiren wird als meine leider allzuschwache und schonende Nachsicht.«

»Bitte, Mama, laß das! Du hast diesen Verweis heute schon so oft wiederholt, daß er nothwendig seine Schärfe verlieren muß. Wie man das Bäumchen zieht, so wird es wachsen, und mit Vorwürfen sind die Fehler der Erziehung nicht wieder gut zu machen.«

»Mädchen! Das wagst Du?«

»Bei dieser Art von erzwungener Vertheidigung kann von einem Wagnisse keine Rede sein.«

»Vertheidigung? Sprich weiter! Die zweite Frau Deines Vaters hat wohl das Recht, diesen Befehl auszusprechen!«

»Wiederhole Dir meine Worte und Du wirst Alles haben, was Dir zu wissen nöthig ist. Das Opfer der vor nehmen Tradition verschmäht es, ein weiteres Wort zu verlieren. Adieu!«

»Halt; bleib! Du bist kurz; ich will es auch sein. Bist Du vielleicht gewillt, dieses sogenannte Opfer rückgängig zu machen.«

»Nein; ich gab mein Wort und werde es halten.«

»So wirst Du Deinen faux pas durch verdoppelte Aufmerksamkeit gegen den Baron gut zu machen wissen. Er wird in kurzer Zeit hier sein, um Dich auf Deinem gewöhnlichen Spaziergange zu begleiten.«


// 463 //

»Die größte Aufmerksamkeit, welche ich ihm erzeigen kann, besteht in der vollständigen Verzichtleistung auf seine Gesellschaft. Ich bin ihm unbehaglich.«

Sie wandte sich zur Thür und verließ kurze Zeit darauf das Haus. -

________
 

Winter saß in seiner Stube und blätterte in den Kehrlisten; aber seine Gedanken schienen nicht bei den Namen und Hausnummern zu sein, welche auf dem Papiere standen. Sie verweilten vielmehr bei jenem Tage, an welchem der »selbstbewußte Knabe« mit dem wilden, reizenden Mädchen durch den Wald gestrichen und in ihrer Nähe so glücklich gewesen war.

Er gedachte der Enttäuschung, die ihn dann am Abend erwartet hatte, als er den Pathen krank und sterbend fand und also hilflos und verlassen zurückkehren mußte in die große Stadt, in welcher Niemand sich seiner annehmen wollte.

Sein Vater war ein wohlangesehener Schornsteinfegermeister gewesen. Emil hatte als Knabe öfter die Gesellen begleitet und war mit ihnen in den Essen und auf den Dächern herumgestiegen. Er besaß einen gewandten, kräftigen Körper und ein schwindelfreies Auge, genug, um ihn jetzt zu einem raschen Entschluß zu bestimmen.

Weder von der Mutter und den Schwestern noch von dem Bruder, welcher auf Jahre hinaus mit der eigenen Noth und Sorge zu kämpfen hatte, durfte er Unterstützung erwarten, und so ging er zu einem Collegen des verstorbenen Vaters, um bei ihm als Geselle einzutreten.

Aber damit hatte er nicht dem Ziele entsagt, nach welchem zu streben seine Aufgabe gewesen war. Er gehörte vielmehr zu jenen zähen, consequenten Naturen, welche durch momentanes Nachgeben selbst das feindlichste Schicksal zu besiegen wissen und die Ausführung eines einmal gefaßten Gedankens wohl für einige Zeit aufschieben, niemals aber aufgeben.

Zwar gab er sich dem neuerwählten Berufe mit dem nachhaltigsten Pflichteifer hin; aber dieser Beruf sollte ihm die Mittel bringen zum selbstständigen Vorwärtsschreiten auf dem Wege, welchen zu verlassen er gezwungen gewesen war. Und so kam es auch.

Schon nach einigen Jahren hatte er Leipzig, wo er Selbstständigkeit nie gefunden hätte, mit seinem jetzigen Aufenthaltsorte vertauscht, nach dem Tode seines Meisters dessen Geschäft übernommen und nun auch die Mutter mit den Schwestern zu sich gerufen, um sich einer geschlossenen Häuslichkeit erfreuen zu können.

Jetzt nun, da er sich in einer gesicherten Stellung sah, griff er wieder zu den alten Plänen und warf sich in seinen Mußestunden mit Eifer auf die Fortsetzung der unterbrochenen Studien.

Seine freie Lebensanschauung fand in dem schmutzigen Berufe eines Essenkehrers nichts Entwürdigendes und Ehrwidriges und so schritt er rastlos auf dem wiederbetretenen Wege vorwärts, ohne sich nach rechts oder links umzusehen und aus irgend einem Umstande Störung bereiten zu lassen.

Seiner einzigen Erholung waren diejenigen Stunden gewidmet, welche er in der »Erheiterung« zubrachte, deren Vorsteher er vermöge seines organisatorischen Talentes geworden war. Er war es eigentlich gewesen, der den Verein zu jener Beliebtheit gebracht hatte, welche seine Concerte und Bälle so besucht machte, und als in Folge einer mehrmonatlichen Abwesenheit sein Amt in die Hände eines Anderen übergegangen war, hatte man es ihm nach seiner Rückkehr sofort wieder übertragen, und im gestrigen Stiftungsfeste hatte er das erste neue Lebenszeichen von sich gegeben.

Das dabei gehabte Zusammentreffen mit Wanda war ihm heut Morgen Veranlassung geworden, sich an jenen Tag zurückzuversetzen, an welchem er sie zum ersten Male gesehen hatte.

Jene thaufrisch, kindlichreine Mädchenerscheinung hatte sich seinem poesievollen Sinne tief eingeprägt und war von dem Gedächtnisse auch in dem kleinsten und einzelsten ihrer Züge mit inniger Treue festgehalten worden. Mitten in der Ausübung seines unromantischen Berufes tauchte diese Erscheinung vor seinem Auge auf; die Bilder seiner früchtereichen Phantasie gruppirten sich um ihre feenhafte, anmuthige Gestalt und kehrten, so oft sie hinaus in die Weite schweiften, doch immer zurück zu dieser Einen, an die er immer denken mußte und die er nimmer, nimmer vergessen konnte.

Der Gedanke an sie hatte ihn begleitet in seine bescheidenen und anspruchslosen Verhältnisse hinein, hatte ihm Kraft gegeben zu fortgesetztem, unermüdlichem Ringen, ihn begeistert und gestählt im Kampfe mit dem widrigen Geschicke und war auf diese Weise zu einer Macht geworden, der er sich beugte in all' seinem Denken, Fühlen und Wollen.

Wie das so gekommen war, wie es möglich war, daß das Bild eines den Kinderschuhen noch nicht entwachsenen Mädchens sich seines Herzens, seiner ganzen Seele hatte bemächtigen können, so daß es ihm für die Ruhe und den Frieden seines Innern geradezu unentbehrlich geworden war, das konnte er nicht begreifen. Er hatte sich der lieben, freundlichen Erinnerung widerstandslos hingegeben und sich des anregenden und läuternden Einflusses dieser Erinnerung herzlich gefreut. Jetzt aber handelte es sich nicht mehr um ein bloßes Bild; jetzt hatte sie vor ihm gestanden voller Leben und sprudelnder Jugendlust, gerade so wie damals, aber unendlich schöner noch, unendlich bezaubernder, unendlich. -

Mitten aus diesem Sinnen wurde er aufgeschreckt durch den Eintritt der beiden Freunde, Thomas und Gräßler.

»Grüß Gott, Majestät! Haste ausgeschlafen?« fragte der Schmied.

»Dank schön, Herr Oberhofcourier. Unsere königliche Gnaden haben schon geruht, in einem halben Mandel Essen herumzuscharren. Wie hat sich das Gouvernantchen angestellt?«

»Prächtig, altes Haus! Der Herr corpus juris Heinemann hat meine Alte an die richtige Adresse gebracht, und so durfte se nich böse sein, daß ich meiner Dame den schuldigen Respect ooch erwiesen habe. Ich bin mein' Seel' erst halb Viere heeme gekommen.«

»Und Du, Heinrich?«

»Ich bin solid gewesen. Du weeßt doch, daß ich gar keene Dame gehabt habe, und da habe ich mich recht schön vernünftig in meiner eegenen Begleitung nach Bethlehem getrollt.«

»Na, alter Papierkleister, eene solche Solidität is mir bei Dir ooch nich ganz begreiflich. Ihr Buchbinder steckt Eure Nasen doch in so viel Liebes- und Mondscheinscharteken, daß Ihr gewöhnlich von eener wahren Wuth besessen seid,


// 464 //

Eure theoretischen Studien in's Praktische hinüber zu moduliren. Oder hats an der Anna gefehlt?«

»An welcher Anna?« fiel Winter ein.

»Weeste das noch nich?« rief Gräßler mit einer Geberde komischen Erstaunens. »Darf nur 's Fenster offmachen und 'naus horchen. Jeder Sperling pfeift davon, daß er in eenem arithartischen Verhältnisse zu der Kammerzofe der Wanda steht, und das is eben der Grund, daß er heut Nacht so ohne Sang und Klang seinen Hausschlüssel heeme getragen hat.«

»Ach so! Ich glaubte, Du hättest deshalb verzichten müssen, weil ich Dich überboten habe.«

»I bewahre, Emil! Ich habe off das Fräulein geboten, nich um se zu kriegen; denn diese Art Trauben hängen mir zu hoch, sondern aus reener Malice gegen den Baron, der mir im höchsten Grade zuwider is.«

»Ich habe an dem Kerl meinen Narren ooch gefressen, eben wegen des Ohrfeigengesichtes. Bei Dir aber muß es noch eenen andern Grund haben.«

»Den hat es ooch.«

»Welcher wäre das?« fragte Winter. »Du wolltest gestern nicht davon sprechen?«

»Weil een Saal nich der passende Ort is, über Dinge zu reden, die das Zuchthaus in Aussicht stellen.«

»Alle Wetter, Junge, biste toll! Wer soll denn so 'ne unbegreifliche Incbination zum Wollezupfen haben, Du oder der Säumling?«

»Ich natürlich nich.«

»So rede doch,« bat der Essenkehrer. »Du weißt nicht, wie wichtig mir Deine Mittheilung werden kann.«

»Na meinetwegen. Ihr sollts hören, obgleich ich mich ooch irren kann. Als ich vor ungefähr anderthalb Jahren in Paris arbeitete, trat eenes schönen Tages een Herr in den Laden und suchte für die Dame, die er bei sich hatte, so Etliches von unseren Galanteriewaaren aus. Er bezahlte in Banknoten, die sich später als falsch erwiesen. Trotz alles Suchens is der Mann von der Polizei nich offzufinden gewesen, obgleich es gelang, seine Helfershelfer zu entdecken.«

»Und Du denkst, daß es der Baron gewesen is?«

»Ich kann mich, wie gesagt irren, aber die Stimme is dieselbe, und obgleich er damals 'nen mächtigen, schwarzen Vollbart trug, scheint mir sein ganzes Wesen und Gebahren dasjenige zu sein, welches ich an dem Banknotenfälscher beobachtete.«

»Du machtest mich gestern auf sein Lorgnon und seine Kette aufmerksam.«

»Ja, das is eben, was mich in meinem Verdachte bestärkt. Dieselbe Nasenquetsche und dieselben Berloquen sind mir in Paris an ihm offgefallen. Der Mensch trug sich so in die Oogen fallend und benahm sich so widerwärtig vornehm, daß mir jede Eenzelheet an ihm im Gedächtnisse geblieben is.«

»Beabsichtigest Du, Anzeige zu machen?«

»Nee. Wenigstens werde ich so vorsichtig sein, den sogenannten Baron erst noch 'ne Weile zu beobachten, um vielleicht noch Mehreres zu finden, was mir Gewißheit giebt, daß er der wirklich is, für den ich ihn halte.«

»Du? Welche Gründe haste denn zu dieser Ueberzeugung?«

»Der wirkliche Baron von Säumen hat in Leipzig studiert und wohnte in dem Hanse meiner Eltern bei einer alten Dame, welche sich von der Vermiethuug möblirter Zimmer an die Wohlsituirten unter den Herren Studenten ernährte. Ich habe ihn täglich gesehen und finde es trotz einer höchst ungewöhnlichen Aehnlichkeit zwischen Beiden nicht schwer, ihn von dem Schwindler zu unterscheiden, welcher jetzt seinen Namen trägt.«

»Also sehr ähnlich is er ihm?«

»Sehr.«

»Dann sind se vielleicht Brüder, und unser Verdacht is voreilig!«

»Dieser Fall ist möglich. Ich werde genaue Erkundigung einziehen, und nach dem Ergebnisse derselben muß sich die Art und Weise unseres Handelns richten. Bis dahin aber müssen wir schweigen Du hast doch noch zu Niemandem über diese Angelegenheit gesprochen?«

»Is mir nich eingefallen.«

»Na, Brüder sind se 'mal nich,« nahm jetzt auch der Schmied, welcher dem Gespräche mit Spannung gefolgt war, das Wort. »Es is mir zwar sehr egal, ob im norddeutschen Gesetzbuche een Paragraph darüber steht; aber een Baron darf keen Ohrfeigengesicht haben; das versteht sich ganz von selber. Wer soll denn einem so hochgestellten Herrn die besagten Ohrfeigen vermitteln, und wenn er meinetwegen zehn Gesichter hätte, die derzu passen und berechtigen? Ich nich, so gern ich es sonst thäte; denn mit großen Leuten is nich gut Kirschen essen.«

»Du willst also sagen, daß -«

»Sagen?« fiel ihm Gräßler in das Wort. »Ich will mehr als sagen; ich will eenen logisch richtigen Beweis führen.«

»Du, Anton?« fragte Thomas. »Woher beziehst Du denn das Ding, welches Du Logik schimpfst?«

»Maltraitire mich nich, Heinrich! Ich sollte 'mal Schulmeester werden und habe es wirklich wegen Ueberflusses an Dummheit sogar bis zu einer vierteljährigen Tortur im Proseminar gebracht. Und von dieser selbigen Zeit her schreibt sich meine unübertreffliche Virtuosität in Schlüsse ziehen.«

»Na, so ziehe 'mal!«

»Gut. Der Obersatz heeßt: Een Baron darf keen Ohrfeigengesicht haben.«

»Weiter.«

»Der Baron hat aber een Ohrfeigengesicht.«

»Folglich Anton?«

»Folglich, folglich - ja zum Teufel, folglich darf een Baron doch keen Ohrfeigengesicht haben.«

»Seid doch so gut,« fuhr er, als die beiden Anderen über diesen sonderbaren Beweis lachten, fort; »seid doch so gut und macht Euch nich über mich lustig. Du hast mich mit Deinem ›Weiter‹ und ›Folglich‹ ganz aus dem Concepte gebracht. Machs besser, wenn Du's kannst. Beim Schlüsseziehen wird man ganz confus, wenn Andere d'rein reden!«

»Du wolltest sagen,« begütigte ihn Winter, »wer ein Ohrfeigengesicht hat, der ist kein Baron; der Säumen hat aber ein solches, folglich -«


Ende des vierten Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Wanda