Nummer 27 Der Beobachter an der Elbe.
Unterhaltungsblätter für Jedermann.
Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden.
2. Jahrg.


Wanda.

Novelle von Karl May.
2. Juni 1875


// 430 //

»Ach was da,« hörte sie vorn an der Thür den Auctionator rufen. »Erst heeme loofen und Toilette machen. Dazu is es nachher ooch noch Zeit, Emil. Es würde doch die reene Unhöflichkeet sein, wenn Du Deine Dame so lange off die Geduldsprobe stellen wolltest. Du mußt ihr von allen Dingen jetzt das schuldige Compliment machen und nachher um den nothwendigen Urlaub bitten. Komm!«

»Ja, Emil,« unterstützte ihn der Schmied mit nachdrucksvollem Basse. »Ich sehe ackurat so unappetitlich aus, wie Du und doch bin ich meiner Gouvernante, die ich erstanden habe, willkommen gewesen. Deine Dame is jedenfalls nich weniger verständiger als die meinige. Wir kommen eben von der Arbeit, und die hat noch Niemand geschändet. Geh nur, geh!«

Sie sah die Versammlung sich theilen und Thomas auf sich zukommen. Hinter ihm ging ein Anderer.

War es möglich? Deutlich fühlte sie das zornige Klopfen ihres Herzens; das Auge öffnete sich weit bei dem Anblicke des rußgeschwärzten Mannes, und über ihre weichen Züge legte sich jene strenge Kälte, hinter deren Schild die gekränkte Weiblichkeit sich so gern und erfolgreich flüchtet. Ein rascher Blick in das Angesicht des Barons zeigte ihr ein schadenfrohes, höhnisches Lächeln, welches ihr die in diesem Augenblicke so nothwendige Fassung zu rauben drohte und ihr es schwer, ja fast unmöglich machte, das Richtige zu treffen.

»Gnädiges Fräulein, leider habe ich nich off Zeremonienmeester studirt und bin also ooch nich im Stande, so hohe Herrschaften mit hofmäßigem Aplomb eenander vorzustellen. Beglücken Sie deshalb Ihren unterthänigsten Diener mit königlicher Nachsicht. Herr Schornsteinfeger Emil Winter - Fräulein Wanda von Chlowicki.«

»Herr König aus dem Mohrenlande, kehren Sie nach Dahomey zurück!«

Mit einer zurückweisenden, stolzen Handbewegung trat sie zur Seite und wehrte den penetranten Brandgeruch, welcher der versengten Kleidung des Essenkehrers entströmte, mit dem duftgetränkten Taschentuche von sich gab.

Ein leises Lächeln in dem von Schweiß und Schmutz entstellten Angesichte, wollte Winter ihr antworten; da aber trat ihm der Baron hastig und mit gebieterischer Handbewegung entgegen.

»Sie sehen, daß die Dame nichts von Ihnen wissen will; gehen Sie. Ein Mensch Ihres Gleichen sollte nothwendiger Weise hier gar nicht Zutritt finden dürfen.«

»Wer sind Sie, mein Lieber?«

»Ich will die Lächerlichkeit begehen und Ihnen meinen Namen nennen. Ich bin der Baron Eginhardt von Säumen.«

Winter's Auge, dessen Weiße von der Schwärze seines Antlitzes hervorgehoben wurde, maß den Baron langsam und forschend von dem Kopfe bis zur Fußspitze herab, und dann klang es mit eigenthümlichem Ausdrucke:

»Ich kenne Sie nicht!«

»Ist mir eine Ehre. Gehen Sie.«

»Nur keine lächerliche Anmaßung, mein Herr Baron!« Und auf dem Worte Baron lag wieder jener eigenthümliche, zweifelhafte Ausdruck. »In Ihrem Tone spricht selbst ein Eskimo nur mit seinen Hunden.«

Und sich zu Wanda wendend, fuhr er fort:

»Ich ließ mich in Ihre Nähe zwingen, Fräulein, um unter zwei Fehlern den kleineren zu begehen. Verzeihen Sie einem Manne, dem die Aufmerksamkeit gegen eine Dame in der ersten, die Seife aber erst in der zweiten Reihe stand, weil er gewohnt ist, den Menschen nicht nach dem äußeren Scheine, sondern nach dem inneren Gehalte zu taxiren. Adieu!«

Mit einer gewandten Verbeugung entfernte er sich und verließ nach einer kurzen Unterredung mit Thomas den Saal.

»Hat man je so Etwas erlebt!« rief der Baron. »Diese Schmach hast Du Dir selbst zuzuschreiben, und ich hoffe, daß Du jetzt nicht zögerst, mir zu folgen.«

Sie schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. Ihr Auge hing noch an der Thür, welche sich hinter dem Essenkehrer geschlossen hatte. Die Härte in ihren Zügen war gewichen und hatte einem sinnenden Ausdrucke Platz gemacht. Wie kam dieser Mann zu der noblen Tournüre und behenden Sprachfertigkeit, die er während des ganzen für sie so beleidigenden Vorganges gezeigt hatte? Woher kam ihm die Geschicklichkeit, diese Beleidigung zu pariren und auf die Gegner zurückzuwerfen? War diese sonore, metallreiche Stimme nicht schon einmal an ihr Ohr geklungen und warum hatte dieselbe bei den Worten: »ich kenne Sie nicht« einen so merkwürdigen Klang gehabt?

Er wurde ihr klar, daß der faux pas, den sie begangen, größer war, als der seinige, wenn bei ihm überhaupt von einem solchen die Rede war. Sie war nicht nur unhöflich, sondern sogar undankbar und rücksichtslos gewesen. Während die Andern sich in ihrem Vergnügen nicht hatten stören lassen, war er dem Rufe der Pflicht gefolgt und derselben gewiß im vollsten Maße nachgekommen. Sein Habit war verbrannt und zerrissen, und grad' der unausstehliche Geruch desselben führte den deutlichsten Beweis, daß er sich sogar mitten in die Flammen hineingewagt habe. Und diesem braven, vielleicht sogar kühnen Manne, der obendrein ihretwegen eine so bedeutende Ausgabe gemacht hatte, war für alles Das nur bittere Kränkung geworden. O, wie haßte sie den Baron, dessen Blick sie getrieben hatte, Worte zu sprechen, die sie jetzt bereuen mußte.

Und was nun? Die Freude war gestört, und wenn auch Viele der Anwesenden ihr Verhalten gerechtfertigt fanden, so war doch bei den Anderen die Unzufriedenheit mit demselben desto deutlicher zu erkennen, und sie selbst konnte sich bei dem Nachdenken über ihre Lage einer kleinen Verlegenheit nicht erwehren.

Da trat in Begleitung einiger Vereinsmitglieder der Buchbinder Thomas wieder zu ihr und bat sie, für den heutigen Abend das Scepter allein zu führen, da Winter


// 431 //

sich in Folge der bei dem Brande gehabten Anstrengung außer Stande fühle, den Anforderungen der ihm übertragenen Würde gerecht zu werden.

»Ist diese Anstrengung so groß gewesen?« fragte sie.

»Gewiß; er hat drei Menschenleben gerettet.«

»Drei Menschenleben« wiederholte sie, und ihr schönes Auge füllte sich mit leuchtendem Glanze. »War Gefahr dabei?«

»Sehr. Der Zutritt von unten war unmöglich, so mußte er von dem Nachbarhause auf das Dach hinabspringen, mitten durch Rauch und Flammen über die Firste hinklettern und sich durch die Feueresse eenen Weg in die Kammer bahnen, in der die Leute staken. Dann hat er das Dach zerschlagen und Eeenen nach dem Andern in die mitgenommenen Decken gewickelt und über die Firste zurückgetragen.«

»Das ist eine Heldenthat, welche den größten Dank verdient.«

»Der mag keenen Dank. Er is sogar fortgegangen, als er gemerkt hat, daß sie nach ihm suchten; 's is een Kerl, der mehr werth is als zehn Barone!«

Diese Worte waren laut genug gesprochen, daß Säumen sie vernehmen konnte, und auch Wanda mußte den Vorwurf, welcher in ihnen lag, umsomehr als einen gerechten anerkennen, als sie überzeugt war, daß sie nur Wintern die Schonung zu verdanken habe, mit welcher diese guten Menschen ihr feindliches Benehmen ignorirten.

»Wird er wiederkommen?«

»Ja; er is Vorsteher und kann nicht gut entbehrt werden.«

»Ich bin bereit, den Thron, welchen Sie mir bieten, zu besteigen und werde mich sehr bestreben, meine Unterthanen während der Dauer meiner Regierung froh und glücklich zu sehen. Bitte, Herr Thomas, rufen Sie die Herren zu einer Berathung zusammen.«

Sie trat in die Mitte des Saales, und bald herrschte in der Versammlung die heiterste Regsamkeit, von welcher nur der Baron, als der Einzige, welcher keine Dame hatte, ausgeschlossen war. In vornehmer Nonchalance lag er auf dem Stuhle und würdigte das fröhlich um ihn herwogende Treiben keines Blickes. Aber trotz seiner anscheinenden Theilnahmlosigkeit zuckte ein gewaltsam zurückgehaltener Aerger um seine Lippen und unter den halbgeschlossenen Lidern flog zuweilen ein zorniger Blick hinüber zu der Verlobten, die seine Anwesenheit gänzlich vergessen zu haben schien.

Als Jeder seine Anstellung erhalten hatte, wurde das Programm entworfen. Krönung, Huldigung, Paraden, Concerte, Manövres, Kammer- und Reichstagsversammlungen fanden auf demselben ihren Platz, und nur kurze Zeit war vergangen, so erkannten die entzückten Unterthanen, daß es unmöglich sei, eine schönere und liebenswürdigere Königin zu wünschen. Wanda selbst fühlte sich amusirt wie noch nie, und hätte die Gegenwart des Barons und der Gedanke an den zurückgewiesenen König nicht einen Schatten über ihr von Freude geröthetes Angesicht geworfen, so wäre der heutige Abend der froheste und ungetrübteste ihres bisherigen Lebens gewesen.

Da bemerkte sie einen jungen Mann, welcher in nachlässiger Haltung an dem Buffet lehnte und mit halbem Lächeln die heiter beschäftigte Versammlung beobachtet. Wieder und immer wieder mußte sie den Blick zu ihm hinlenken, und ebenso bemerkte sie, daß auch sein Auge immer von Neuem zu ihr zurückkehrte.

Wer war dieser Fremde, den sie nicht kannte, und den sie gleichwohl schon irgendwo gesehen zu haben glaubte? Sie mußte sich gestehen, daß das Aeußere dieses Mannes ein ungewöhnliches sei und ihr ein ebenso ungewöhnliches Interesse abnöthigte. Ein wehmüthiger Ernst schien nicht blos für den gegenwärtigen Augenblick, sondern für immer seinen Sitz in den blaßfeinen, geistreichen Zügen aufgeschlagen zu haben. Die hohe, freie Stirn gab dem männlich schönen Angesichte etwas ungemein Dominirendes; das Auge blickte so selbstbewußt und sicher in die buntbewegte, kleine Welt hinein, als hinge jede dieser Bewegungen nur von seinem Blicke ab; seine Haltung trug das Gepräge strengster Eigenthümlichkeit, und als er jetzt quer über den Saal schritt, um sich dem isolirt sitzenden Baron zu nähern, zeigte jede seiner Bewegungen eine Eleganz und Rundung, welche selbst in dem feinsten Zirkel Lob gefunden hätte.

Er nahm neben dem Baron Platz, und es war augenscheinlich, daß dieser der angeknüpften Unterhaltung das wärmste Interesse widmete. Sie wußte, daß ein wirklich nicht unbedeutendes Talent erforderlich sei, dem blasirten und dünkelhaften Säumen Achtung für eine Persönlichkeit einzuflößen und ihn zur Theilnahme an einer so lebhaften Conversation zu bewegen, und doch waren die Erfolge hier in so kurzer Zeit erreicht, daß Wanda den Wunsch fühlte, diesen Mann nicht blos von Weitem beobachten zu dürfen.

Als habe er diesen Wunsch in ihrem Auge gelesen, erhob er sich und schien dem Baron eine Bitte vorzutragen. Dieser nickte zustimmend, nahm seinen Arm und führte ihn vor den reich mit Blumen und Guirlanden geschmückten Thron, auf welchem die Königin saß. Das augenfälligste Wunder hätte sie nicht mehr überraschen können, als die Bereitwilligkeit ihres Verlobten, ihr nach Allem, was vorgefallen war, hier mitten in einer ihm doch so sehr verhaßten Umgebung nahe zu treten, und mit Spannung sah sie seinen Worten entgegen, die ihr wenigstens einige Aufklärung über den Fremden bringen mußten.

»Ich bitte um die huldvolle Genehmigung, Ew. Majestät einen Ritter mit geschlossenem Visire vorstellen zu dürfen.«

Sie neigte zustimmend den Kopf, und Säumen kehrte nach seinem Platze zurück, während der Unbekannte, eine Anrede erwartend, vor ihr stehen blieb.

»Wir wollen unsre Wißbegierde beherrschen und nicht mit Fragen das Visir zu öffnen versuchen. Noch haben wir einige Vacanzen zur Verfügung und werden Eure Bitte gern vernehmen und erfüllen. Sprecht!«

»Dir meine Huldigung zu bringen,
Nah' ich, ein armer Troubadour.
D'rum laß fortan mein Lied erklingen,
In Deiner Locken duft'ger Spur.«

Bei dem Klange dieser Stimme, an welcher sie sofort den Essenkehrer erkannte, zog tiefe Röthe über das Antlitz Wanda's; aber sie faßte sich schnell und erwiderte:

»Der Sänger ist uns hoch willkommen! Weilt bei uns, lieber Troubadour, und nehmt hier diese Rose als Zeichen Unserer königlichen Gunst.«

Das Knie beugend, nahm er die Rose in Empfang, drückte sie an seine Lippen und steckte sie an die Brust. Hernach erhob er sich.

»Doch ist die Rose einer Königin nicht ohne schwere Mühe zu erlangen. Es soll Uns Eure Gunst den Dank erstatten.«

// 432 //

»Ich harre des Befehls. Sprecht, Königin.«

»Die Flamme hat in Unsrer Nachbarschaft gewüthet, und kühne Heldenthat ist bei dem Brand geschehen. Uns war es nicht vergönnt, dabei zu sein; doch möchten gern Wir sichre Kunde hören. Dort ist die Bühne; zieht den Vorhang auf und laßt sofort Uns den Bericht vernehmen.«

Er verneigte sich und schritt nach dem Hintergrunde des Saales, wo die Bühne errichtet war, auf welcher der Verein zuweilen ein kleines dramatisches Stück zur Aufführung brachte. In seinen Mienen lag es wie süße Genugthuung und als er jetzt die Stufen hinter der Scene betrat, fühlte er sich stark genug, auch ungewöhnliche Ansprüche befriedigen zu können.

Wanda hatte, wie gesagt, den Schornsteinfeger wieder erkannt; sie sah sich tief beschämt durch die Delicatesse, welche er durch die Verschweigung seines Namen und die Verzichtleistung auf seine Ansprüche zeigte, und zugleich mußte sie die Feinheit bewundern, mit welcher er sich von dem Baron Satisfaction verschafft hatte, dadurch, daß er sich von keinem Andern vorstellen ließ, als von ihm, der ihn erst vor Kurzem auf eine so unmanierliche Weise fortgewiesen hatte. Die Aufgabe, welche sie ihm ertheilt, war sicher keine leichte; aber es war ihr gewesen, als müsse und werde sie ihn mit etwas Leichterem beleidigen. Er hatte sich einen Troubadour genannt, hatte in Reimen zu ihr gesprochen, und sein ganzes Wesen sprach dafür, daß er der Aufgabe gewachsen sei. Mit Spannung harrte sie deshalb der Lösung derselben.

Da ertönte die Klingel; der Vorhang stieg in die Höhe und zu gleicher Zeit trat Winter zwischen den Coulissen hervor, um nach einer respektvollen Verbeugung zu beginnen.

Er sprach in gebundener und gereimter Rede. Ohne das leiseste Stocken flossen die Worte von seinen Lippen. Laut und jede Modulation beherrschend, schallte seine klangvolle Stimme über die aufmerksam lauschende Zuhörerschaft hin, und reich an ergreifenden Bildern und frappanten Wendungen hob die meisterhafte Schilderung sich auf glanzvollen Versen aus dem verborgenen Winkel, wo die Flammen sich entwickelten, empor in die glühenden Wolken, um dann mit dem besiegten Elemente wieder zur Erde niedersteigen.

Aller Augen hafteten mit Bewunderung an dem so reich begabten Improvisator, ihre Ohren verschlangen jede seiner Silben; ihr Athem stockte unter der packenden Gewalt seiner Sprache, und als er geendet, wagte Niemand, den tiefen Eindruck seines Vortrages durch das übliche Händeklatschen zu entweihen Als er aber nach einer Pause, in welcher die Herzen in tiefen Athemzügen sich von der Beklemmung befreit hatten, den Vorschlag machte, die durch die Auction gewonnene Summe zur Unterstützung der Abgebrannten zu verwenden, da ertönte ein schallendes Bravo und fast jede Hand fuhr in die Tasche, um freiwillig noch ein Weiteres hinzuzufügen.

Als er durch die Portiere wieder in den Saal trat, stand Wanda vor ihm und streckte ihm beide Hände entgegen. An ihren Wimpern hingen helle Tropfen und die tiefste Rührung bebte um den kleinen, zitternden Mund.

»Können Sie mir verzeihen?«

»Gern, o so gern.«

»Und wollen Sie mein König sein?«

»Ich wage es nicht.«

»Aber wenn ich Sie bitte?«

»Dann gehorche ich; denn eine Bitte von Ihnen ist mir Befehl.«

»Kommen Sie schnell. Noch haben wir Blumen zu einer zweiten Krone, und ich werde bestrebt sein, Alles gut zu machen.«

Jetzt erkannte auch der Baron, wen er vorhin der Königin empfohlen habe, und der Grimm über diese Niederlage trieb ihn fort.

»Wanda, ich gehe, Deine Garderobe zu holen!«

»Das ist nicht nöthig, ich bleibe noch.«

»Du wirst diesen Ort sofort mit mir verlassen!«

Da trat Winter zwischen die Beiden.

»Herr Baron, ich bin Vorsteher unsrer Gesellschaft und habe als solcher innerhalb dieser Räume jede Störung des allgemeinen Wohlbefindens zu verhüten. Erlauben Sie mir eine Frage.«

»Welche?«

»Sie wollen sich entfernen?«

»Ja.«

»Und Sie wollen bleiben, mein Fräulein?«

»Ja.«

»Dann gehen Sie ohne Sorge, Herr Baron; denn Ihre Entfernung wird uns keine Störung bereiten, und Fräulein von Chlowicki befindet sich in unserem Schutze vielleicht wohler als in jedem andern. Wer sie nur mit einem Blicke zu beleidigen vermag, den lasse ich durch den Hausknecht auf die Straße bringen, gleichviel ob er Fürst oder Schusterjunge ist. Dies zu Ihrer Beruhigung, Herr Baron!«

Wieder lag auf dem Worte »Baron« jener auffallende Accent, und jeden weiteren Einspruch seines Gegners abschneidend, gab er Wanda den Arm und schritt nach einer unendlich geringschätzigen Bewegung seiner Achsel von dannen.

Als er später in eins der Nebenzimmer trat, fand er Gräßler und Thomas in demselben.

»Heut is es doch prächtig!« sprach der Erstere; »und Dein Einfall, Heinrich, is tausend Thaler unter Brüdern werth. Meine Alte bin ich Gott sei Dank 'mal los und habe an ihrer Stelle een Gouvernantchen gekriegt, wie ich sie mir nich hübscher und draller denken kann. Ich mache alle Tage mit!«

»Der Einfall stammt nicht von mir; ich habe ihn von meiner Wanderschaft aus der Rheingegend mitgebracht. Aber weeßte, wer von uns am Allerbesten weggekommen is?«

»Nu?«

»Unser Emil da! Potz Blitz, is das een Mädel, die Polin! Mein Lebtage habe ich noch keene solche Schönheet gesehen, und wenn unser Vorsteher statt seiner Rußkaputze eene Grafenkrone offzusetzen hätte, so wüßte ich, was ich ihm für eenen Vorschlag zu machen hätte.«

»Einverstanden, altes Haus! Ich gäb' mein' Seel' zehn Gouvernantchens hin für die eene Polin; aber wie gesagt, ich bleibe dabei, Du bist een tüchtiger Kerl, Emil. Warum, das brauche ich Dir nich erst zu erklären.«


Ende des zweiten Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Wanda