Nummer 41 Der Beobachter an der Elbe.
Unterhaltungsblätter für Jedermann.
Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden.
2. Jahrg.


Wanda.

Novelle von Karl May.
21. Juli 1875


// 654 //

Ich weiß nämlich, daß er gewisse Intentionen auf Wanda verfolgt. Und kurze Zeit nachher kam Säumen zu meinem jetzigen Prinzipal, mit welchem er längere Zeit verhandelt hat. Die Unterredung wurde leise geführt, und es waren mir nur die etwas lauter gesprochenen Schlußworte ›Sei ohne Sorge; wir kämen Beide in die Tinte, wenn ich unehrlich sein wollte‹, verständlich. Aus ihnen aber läßt sich schließen, daß sie irgend ein Uebereinkommen getroffen haben, und es liegt die Sache so: Säumen hat nach Deiner Ansicht jene Sprengung im Felsenbruche hervorgebracht; es ist ihm also leicht etwas Aehnliches zuzutrauen. Er ist ja der Erbe Wanda's. Hagen hat ihn dummer Weise gesagt daß er er ihn kennt; sein Verschwinden muß dem Baron also erwünscht sein. Beide, Hagen und Wanda, fahren mit dem Professor, der ein entsprungener Züchtling ist und früher Helfershelfer Säumens war, mit dem er jetzt geheime Zusammkünfte pflegt, - folglich -?«

»Es will mir schwer werden, so schwarz zu sehen wie Du; denn ich kann auch den schlechtesten Menschen einer That, wie Du sie andeutest, nicht für fähig halten. Sie ist nicht nur fürchterlich, sondern auch über alle Maßen verwegen, da sie in der Oeffentlichkeit vorgenommen werden müßte. Glücklicher Weise ist das, was Du denkst, nur eine Folge Deiner Combination, und ich hoffe sehr, daß Du Dich irrst.«

»Auch ich wünsche es. Aber warnen mußte ich Dich.«

»Ich werde mein Möglichstes thun, Wanda von ihrem Vorhaben zurück zu bringen. Freilich wird das, wie ich sie kenne, seine Schwierigkeiten haben. Lieber wird sie unerweichbar erscheinen, als sich vor Säumen eine Blöße geben wollen. Ist das der Fall, so werde ich zu dem Aeußersten schreiten müssen.«

»Wozu?«

»Ich werde die ganze Luftfahrt unmöglich machen.«

»Das wird schwerlich zu bewerkstelligen sein.«

»Nicht so sehr. Wenn der Professor verhaftet wird, so kann natürlich aus dem ganzen Unternehmen nichts werden.«

»Dieser Schritt würde sehr zu überlegen sein.«

»Die Beweise gegen den Mann sind so klar und unwiderleglich, daß wir die Arretur nicht nur recht gut verantworten könnten, sondern sogar eigentlich schon längst zu ihr verpflichtet gewesen wären.«

»In dieser Beziehung habe ich auch keine Sorge. Aber den Baron haben wir noch nicht fest, und dieser würde sofort nach der Kunde von dem Schicksale des Professors Maßregeln ergreifen, welche ihn unsern Händen entzögen.«

»Dann verhaftet man alle Beide zugleich. Der Eine wird den Andern verrathen.«

»Darauf darf ein vorsichtiger Polizist nicht seine Rechnung setzen. Und selbst dann, wenn man es riskiren wollte, müßte doch die nöthige Rücksicht auf die Tante und Wanda genommen werden. Denke, in welche Lage sie gebracht würden, wenn die Angelegenheit nicht so discret wie möglich beigelegt würde!«

»Das ist allerdings ein Punkt, welcher mir im Augenblicke entgangen ist. Doch werde ich sehen, was sich thun läßt und Dich dann von dem Erfolge meiner Bemühung benachrichtigen.«

Er reichte dem Bruder die Hand und setzte den unterbrochenen Gang weiter fort. Als er in das Local trat, in welchem die Mitglieder des Vereins um die Tafel versammelt saßen, erhob sich Gräßler von seinem Stuhle und rief mit komischem Pathos:

»Lupus in fabula! das heeßt nämlich off Deutsch, so viel ich von meinen Studentenjahren her noch weeß: ›Da is der Kerl!‹ Mach, daß Du herkommst. Ohne unsern Vorsteher können wir doch keenen gültigen Beschluß fassen. Oder willste etwa nich mitmachen?«

»Mitmachen jedenfalls. Ich darf die Erheiterung doch nicht im Stich lassen. Ob ich aber schon Vormittags mit Euch abfahren kann, das ist noch nicht zu bestimmen.«

»Wieso? Warum?« fragte es im Kreise. »Ohne Dich gehen wir nicht fort!«

Er nahm Platz, wehrte die drängenden Fragen von sich ab und brachte bald die geordnete Verhandlung in Gang. Nach derselben winkte er Gräßler und Thomas zu sich.

»Kann mirs denken,« meinte der Letztere; »warum Du nich schon früh mitfahren wirst. Wirst Dich zur Tante setzen sollen.«

»Zur Tante?«

»Nu freilich. Oder hat Dir Wanda Nichts gesagt?«

»Nein.«

»Guk, da bin ich diesmal gescheidter wie Du. Es is doch gut, wenn mer so een unterrichtetes Kammerkätzchen zur Liebsten hat, mit der die Herrin vertrauter is als mit ihrem Cousin.«

»Laß hören, was Du hast!«

»Wanda fährt mit, da ziehen zehn Pferde keenen Strang. Se will ihrem Verlobten beweisen, daß se Herz hat. Weil se aber weeß, daß Ihr alle dergegen seid, hat se Euch gar nicht erst um Erloobniß gefragt, sondern eenfach bestimmt, daß ihre Mutter mit dem Barone und dem Kutschgeschirr unten off der festen Erde denselben Weg machen soll, den se im Ballon droben in der Luft einschlägt. Du weeßt doch, daß er gerad da wieder niedergehen soll, wo das Sängerfest is. Es is das so ne kleene Geldspeculation von dem Professor. Meine Herzallerliebste is natürlich ganz außer sich vor Freede, daß se mal alleene derheeme sein kann und hat mir gute Worte gegeben, dazubleiben.«

»So! Und was wirst Du thun?«

»Ich weeß es wirklich noch nich. Das Sängerfest möchte ich nicht versäumen; aber dem Mädel kann ich doch die Freede ooch nich verderben.«

»Vielleicht läßt sich die Sache arrangiren, wenn überhaupt etwas aus der Fahrt wird. Ich glaube nicht, daß die Baronin ohne weibliche Bedienung ihre Wohnung verlassen wird. Schließe Dich also nur immer den Andern an, und laß mich für das Uebrige sorgen Ich weiß noch nichts


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Gewisses: aber es ist leicht möglich, daß übermorgen Etwas passirt, wobei ich Eure Hilfe brauche. Haltet Euch also zu mir, sobald ich ankomme und gebt bis dahin mit Acht auf den Baron, den Professor und meinetwegen auch auf den Polizeicommissar Hagen, der bei seinem Onkel wohnt. Das wollte ich Euch noch sagen, ehe ich nach Hause gehe. Gute Nacht.« -

- Der Tag des Sängerfestes war gekommen und mit ihm eine ungewöhnliche Aufregung unter der Bevölkerung der Stadt. Wanda hatte die Vorstellungen der Ihrigen mit dem Bemerken von sich gewiesen, daß sie sich nur lächerlich machen würde, wenn sie noch in der letzen Stunde zurückträte.

Am Abend vorher war der Professor in einem öffentlichen Locale mit der Behauptung hervorgegangen, daß er es bei günstiger Luftströmung mit der Schnelligkeit eines Bahnzuges aufzunehmen gedenke. Trotz des allgemeinen Zweifels war er bei dieser Behauptung geblieben und hatte sogar mehrere Wetten angenommen, welche ihn von den Gegnern seiner Meinung angeboten wurden.

In Folge Dessen hatte man einen Extrazug bestellt, welcher bestimmt war, im Augenblick des Aufsteigens abzufahren und zugleich denjenigen Sängern, welche bis dahin zurückbleiben wollten, Gelegenheit zum Fortkommen zu bieten.

Noch Andere hatten gemeint, den Ballon mit einem schnellfüßigen Gespann schon ausstechen zu können und versprochen, mit ihrem Geschirr an der Wettfahrt Theil zu nehmen. Zu ihnen gehörte auch der Baron von Säumen, welcher an der Seite der Baronin von der Equipage derselben Gebrauch machen wollte.

Der Platz, auf welchem der Ballon zum Füllen bereit lag, war von einer Barrière umgeben, und der Gehülfe des Aeronauten hatte alle Mühe, die Menschenmenge, welche sich schon am Vormittage hier versammelt hatte, in der nöthigen Entfernung zu halten. Nicht blos das noch nie gesehene Aufsteigen eines wirklichen Luftschiffes von bedeutender Größe war es, was die Schaulustigen herbei zog, sondern vor allen Dingen der Umstand, daß die wilde Polin ihren Ungewöhnlichkeiten heut die Krone aufsetzen und mitfahren wollte.

Deshalb fiel es auch gar nicht auf, daß ihr Verlobter zugegen war und im lebhaften Gespräche mit dem Professor innerhalb des freien Platzes auf und ab prominirte. Jedenfalls erwartete er die Prüfungscommission, welche im polizeilichen Auftrage die Sicherheit des Ballons zu untersuchen hatte.

»Also die Hälfte der Summe hast Du und den gefährlichen Revers auch. In welcher Weise wirst Du die Sache nun ausführen?«

»Erst hatte ich die Absicht, den Balast auf einmal fallen zu lassen und so ein plötzliches und rapides Auffliegen des Ballons in jene Regionen zu veranlassen, wo der Tod des Menschen unvermeidlich ist.«

»Und der Deinige mit.«

»Doch nicht. Ich hätte mich natürlich des Fallschirmes bedient.«

»Eine gefährliche Sache!« sprach Säumen; aber im Herzen wünschte er Nichts mehr, als daß diese gefährliche Sache versucht werde. Freilich war der Professor in dem Besitze jenes Papieres, welches nicht in fremde Hände kommen durfte. Es lag also sehr im Interesse des Barons, daß der Luftschiffer ohne Unfall wieder niederkomme. Er fuhr also fort:

»Du hast Dich anders besonnen?«

»Jawohl. Ich werde die beiden Leute einfach fallen lassen.«

»In welcher Weise?«

»Ich habe die letzte Nacht durch an einer Vorrichtung gearbeitet, welche mir das Experiment sehr leicht macht. Ich steige, um nicht Theil an dem Schicksale der Andern zu nehmen, in das Netzwerk und habe dann nur an einem Seile zu ziehen, um die Gondel zu einer raschen, einseitlicher Senkung zu bringen, auf welche die Darinsitzenden nicht vorbereitet sind und durch sie mithin ausgeschüttet werden.«

»Dann aber fliegst Du in jene Regionen, von dener Du vorhin sprachst; denn der Palast wird mit ausgeschüttet werden.«

»Das ich dumm wäre! Der ist in der unteren Abtheilung der Gondel so wohl befestigt, daß er mir nicht verloren geht.«

»Und dann? Was wird aus den Wetten?«

»Du begreifst wohl, daß ich dieselben nur eingegangen bin, um allen Verdacht zu vermeiden. Will ich sie gewinnen, so muß ich noch vor den Andern am Rendezvous eintreffen. Werde ich aber durch den Unfall in eine andere Richtung verschlagen, so wird man denselben nicht mir zur Last legen. Auf die dabei statthabenden Vorfälle wird es ankommen, ob auch ich verschwinden muß.«

»Ich muß das Deiner eigenen Klugheit überlassen. Wo wir uns treffen, weißt Du. Die andere Hälfte der Summe wirst Du gegen die Rückgabe des Reverses erhalten. Verwahre ihn gut. Wo hast Du ihn?«

»Natürlich bei mir.«

»Aber wenn Dir ein Unglück begegnet!«

»Habe keine Sorge; ich bin meiner Sache gewiß. Zurücklassen durfte ich ihn nicht, da ich vielleicht in die Nothwendigkeit versetzt bin, meine hierbleibenden Effecten aufzugeben. Auf diese Weise werde ich zugleich meinen Gehülfen los, der mir mit seiner Kenntniß meiner früheren Verhältnisse höchst lästig geworden ist.«

»Kennt er mich?«

»Nein. Er scheint sonst ein sehr beschränkter und gutmüthiger Kerl zu sein. Dort kommen die Herren der Commission. Sie untersuchen den Ballon zwei Male, jetzt und kurz vor dem Aufsteigen. Jetzt ist das Tauwerk zu sehr verwickelt, als daß sie Etwas bemerken könnten; aber bei der nächsten Besichtigung, während welcher Alles an seiner Stelle und stramm angezogen ist, dürfte es möglich sein, daß Ihnen meine Vorrichtung nicht ganz unentdeckt bleibt. Ich werde, ehe ich den Anker hebe, Dich durch ein Zeichen benachrichtigen, ob das Werk gelingen wird.«

»Ich traue den Leuten keinen großen Scharfblick zu. Sie sind nur ihre Vier: der Polizeirath ein alter Seilermeister, der jedenfalls die Festigkeit des Netzwerkes prüfen soll, der Bürgermeister und ein Korbmacher zur Besichtigung der Gondel. Es ist lächerlich und kann nur in solch einem Krähwinkel vorkommen! Aber wer kommt da noch?«

»Hagen, mein Passagier, und an seiner Seite ein Fremder, den ich nicht - doch halt, das ist ja ein Jude aus der Residenz, ein reicher Kauz, der gern in dunklen Geschäften macht! Ich habe ihn bei meinem Aufenthalte dort auch besuchen müssen. Was wird der hier wollen?«

»Wir werden ja sehen.«


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Die Herren begrüßten einander, und während die vier zuerst Angekommenen mit dem Professor an die Besichtigung gingen, trat Hagen mit seinem Begleiter zu Säumen.

»Der Herr Banquier Levi Blumenbach aus der Hauptstadt, dessen Besuch ich mir erbeten habe, um bei unserem Kaufunternehmen von seinem Credite Gebrauch zu machen.«

Die Stirn des Barons zog sich in tiefe Falten. Er hatte das Anerbieten ausgesprochen blos um Zeit zu gewinnen, und nun kam dieser Commissar grad in dem Augenblicke mit einem obscuren Menschen, dessen Mitwissenschaft von den übelsten Folgen sein konnte.

»Ich bin überrascht, zu sehen, daß Sie in dieser noch sehr fraglichen Angelegenheit ganz ohne meine Kenntniß entscheidende Schritte thun, Herr Commissar! Jedenfalls ist heute nicht der Tag zu geschäftlichen Verhandlungen; morgen aber werde ich ihnen zur Verfügung stehen.«

Die Vorsicht gebot ihm, diesem Verweise nicht auch noch eine Unhöflichkeit hinzuzufügen. Er blieb deßhalb bei den beiden Männern stehen, um zugleich dem Juden zu imponiren und so späteren Eventualitäten vorzubeugen. Da schritt der Bruder des Essenkehrers über den Platz und wurde von dem Handelsmanne erblickt.

»Wer soll sein dieser Mann, der da in Verkleidung geht vorüber? Ist mir doch, als kleide ihn besser die Uniform, weil er ist der gefürchteste Polizist in der Residenz und heißt Winter!«

Sofort trafen sich die Blicke der beiden Andern. Das Gesicht des Barons war erdfahl geworden; denn er brachte die Anwesenheit dieses »gefürchteten« Mannes sofort in Verbindung mit sich selbst. Jedenfalls mußte es ein wichtiger Grund sein, der ihn bestimmte, sich von dem Professor, dessen Vergangenheit er kannte, als Gehülfen engagiren zu lassen. Dieser Mensch, welchen noch kurz vorher der Aeronaut einen »beschränkten und gutmüthigen Kerl« genannt hatte, war mehr zu fürchten als die Andern zusammen. Hier galt es rasches und zugleich vorsichtiges Handeln.

Auch Hagen war von der unerwarteten Bemerkung seines Begleiters nicht sehr erbaut. Säumen mußte natürlich ein Einverständnis vermuthen, und in Folge davon konnte leicht der prachtvolle Handel verloren gehen. Er entgegnete also mit der möglichsten Gelassenheit:

»Sie irren sich. Winter ist mein Untergebener; ich weiß also bestimmt, daß hier nur eine kleine Aehnlichkeit vorliegt. Der Mann ist Gehülfe des Luftschiffers.«

Säumen aber ließ sich nicht täuschen. Es fiel ihm sofort die Familienähnlichkeit des Betreffenden mit dem verhaßten Schornsteinfeger auf, der damals die Anzeige in Beziehung des Felsenbruches gemacht hatte. Ferner erinnerte er sich der Begegnung am Bahnhofe und des erst jetzt ihm verständlichen Winkes, den der eine Bruder dem Andern gegeben hatte. Beide waren der Baronin verwandt - er wagte nicht, weiter zu schließen; aber rasch, sehr rasch mußte jetzt gehandelt werden.

Zunächst war es nothwendig, sich zu überzeugen, wie weit das Einverständniß der beiden Polizisten reiche, und sodann war die nöthige Summe zu gewinnen, sich der Gefahr entziehen und an einem unzugänglichen Orte angenehm situiren zu können. Jedenfalls hatte der Jude Geld bei sich, und wenn mit vorsichtiger Kühnheit verfahren wurde, so konnte auf die Besitzung zwei Mal, erst hier und dann am Orte selbst bei irgend einem Bankhause Geld gezogen werden. Er that also, als sei er vollständig beruhigt und lud, nachdem das günstige Resultat der Besichtigung abgewartet war, die Beiden ein, das Frühstück in seiner Wohnung einzunehmen.

Das Erbleichen Säumens war nicht unbemerkt geblieben, sondern der Gegenstand seines Schreckes selbst hatte es scharf beobachtet. Er wußte genau, daß er dem Juden bekannt sei und ahnte sofort den Inhalt der Mittheilung, die dieser gemacht hatte. Mit gewohnter Ruhe überlegte er die Folgen derselben nach allen Richtungen hin und kam zu dem Ergebnisse, daß für den Augenblick nichts zu fürchten sei. Aber als er unter den Anwesenden des Schmiedes ansichtig wurde, trat er zu ihm.

»Herr Gräßler, wollen Sie meinem Bruder eine dringende Botschaft bringen?«

»Warum denn nich? Her dermit!«

»Der Baron von Säumen ist jetzt mit zwei Herren in seine Wohnung gegangen. Von einem derselben wird er sich eine Summe Geldes leihen und damit die Flucht ergreifen.«

»Halt, da muß ich doch gleich - warten Se, ich will rasch loofen -!«

»Nur Geduld, mein Lieber; gar so eilig ist es noch nicht. Es ist das vielmehr nur der eine Fall, welchen ich setze, neben welchem noch andere möglich sind. Und selbst, wenn meine Vermuthung die richtige ist, wird sich der gnädige Herr vorher noch an der Wettfahrt betheiligen. Mein Bruder wird wahrscheinlich mit ihm im Wagen sitzen. Er soll ihn nicht aus den Augen lassen und sich für den Nothfall mit einer Waffe versehen. Kurz vor der Abfahrt werde ich unbemerkt nahe treten und auf dem Kofferbrete Platz nehmen. Sie fahren mit Thomas per Extrazug und halten sich nach dem Aussteigen immer in unserer Nähe. Es ist möglich, daß diese Vorsichten alle unnöthig sind; aber ich kann ihnen nicht entsagen, da ich Rücksicht zu nehmen habe auf die Unzulänglichkeit meiner Beweise und die Distinction der Baronin. Also gehen Sie.«

»Wird besorgt. Mir wärs am Liebsten, wenn er wirklich ausreißen wollte; daß wäre so een Spaß nach meinem Geschmacke!« -

Die Stunde des Aufsteigens war gekommen. Vor den Waggons des Extrazuges hielt die Locomotive und stieß mit schnaubenden Lauten die überflüssigen Dämpfe aus. Sämmtliche Fenster der Wagenreihe waren geöffnet, und in jeder Oeffnung hielten mehrere Köpfe erwartungsvollen Ausguck. Nur Einer saß in seiner Ecke und kümmerte sich nicht im Mindesten um die Dinge, welche draußen vor sich gehen sollten.

Es war der Jude Levi Blumenbach, welcher heut das glänzendste Geschäft seines Leben abgeschlossen hatte. Die Zahlen wirbelten ihm im Kopfe herum, und um sein Hirn nicht von der Schwere der Prozente erdrücken zu lassen, mußte er der überschwenglichen Freude seines Herzens Ausdruck geben.

»Darf ich fragen, ob der Herr ist hier aus dem Städtchen?« wandte er sich an dem Gegenübersitzenden. Es war Gräßler, welcher neben Thomas Platz genommen hatte.


Ende des vierzehnten Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Wanda