Nummer 39 Der Beobachter an der Elbe.
Unterhaltungsblätter für Jedermann.
Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden.
2. Jahrg.


Wanda.

Novelle von Karl May.
14. Juli 1875


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IV.

Ueber den Wolken.

 
Es war noch früh am Morgen, wenigstens nach der Zeitrechnung derjenigen Leute, welche nach englischem Modus leben und den Tag beginnen, wenn die Sonne schon hoch am Himmel steht. Zu dieser Classe von Menschenkindern gehörte der Polizeirath nicht. Von Jugend auf an ernstes, aufmerksames Schaffen und anstrengende Thätigkeit gewöhnt, war es ihm zur Gewohnheit geworden, mit dem Tagesgrauen zu erwachen und diesem Erwachen die Arbeit augenblicklich folgen zu lassen.

So treffen wir ihn auch heute schon bei Zeiten wach und über den Zeitungen sitzend, welche gestern spät noch angekommen sind. Die Aufmerksamkeit für diese Art von Lecture ist Pflicht eines jeden Polizeibeamten und war ihm zu seinem Wohlbefinden unumgänglich nothwendig geworden, obgleich er längst schon seine Pension genoß.

Da hörte er rasche Schritte auf der Treppe, und kaum hatte er sich horchend aufgerichtet, so öffnete sich auch schon die Thür und Hagen trat ein.

»Guten Morgen, Onkel. Verzeihe mir die allzufrühe Störung; aber ich bringe wirklich eine Nachricht, welche Deine ganze Theilnahme in Anspruch nehmen wird.«

»Nun? Du bist mir allerdings jederzeit willkommen.«

»Es ist Verschiedenes. Zunächst wirst Du erstaunen, daß die Baronin von Chlowicki die Tante des hiesigen Essenkehrers Winter ist.«

»Ich bin gewohnt, über Nichts zu erstaunen. Der Polizist darf diesen demüthigenden Gefühlsaffect nicht kennen. Freilich muß ich gestehen daß Deine Neuigkeit sehr nach dem Unwahrscheinlichen klingt.«

»Und doch ist es so. Wenn Du die Art und Weise eines guten Polizisten so genau kennst, so wirst Du ihm auch zuweilen eine kleine Neugierde gestatten, welche Andern nicht erlaubt ist.«

»Gewiß. Bist Du vielleicht neugierig gewesen?«

»Meine Absichten auf Wanda von Chlowicki zwingen mich dazu. Ich habe gestern Abend die Runde um ihre Wohnung gemacht und dabei das Gespräch zweier Personen belauscht, deren eine die Kammerzofe der Baronesse war, während ich nach Erkundigungen, welche ich heut sofort eingezogen habe, in der andern den Buchbinder Thomas vermuthe. Beide haben ein Verhältniß mit einander und gaben sich gestern ein Rendez-vous, dessen Zeuge ich glücklicher Weise war. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich die Neuigkeit, welche ich Dir mittheilte. Das Kammerkätzchen hat nach Art und Weise dieser wißbegierigen dienstbaren Geister die betreffende Unterredung belauscht und wäre natürlich am Herzdrücken gestorben, wenn sie dem Allerliebsten keine Mittheilung davon gemacht hätte. Was sagt Du dazu?«

»Es giebt keine Unmöglichkeit unter der Sonne. Nun sind hierbei zwei Fälle anzunehmen. Entweder nämlich ist Winter adelig, was ich nicht vermuthe, trotzdem ich ihn sehr achte, oder die Baronin ist eine Bürgerliche, und es bestätigt sich also die Wahrheit Dessen, was ich Dir vor kurzer Zeit zu Gehör brachte.«

»Das letztere ist der Fall. Doch ist diese Sache wenigstens für den Augenblick von keinem bedeutenden Interesse für mich; vielmehr wird das Letztere ganz und gar in Anspruch genommen durch einen Brief, welchen der hiesige Postsekretär mir vorhin übergab.«

»Was für Wichtigkeiten enthält er?«

»Ich weiß es selbst noch nicht und muß ihn erst öffnen.«

»Von wem ist er?«

»Von Einem meiner Untergebenen, dem Bruder des vorhin erwähnten Schornsteinfegers.«

»Ah! Von dem Manne, welchen wir kürzlich als Gehülfen des Professors antrafen? Die Sache beginnt interessant zu werden. Was hat er Dir zu schreiben?«

»Mir Nichts. Sein Brief ist vielmehr an einen unserer routinirtesten Staatsanwälte gerichtet. Die Sache ist nämlich so. Winter ist ein kluger Kopf, vielleicht der klügste, intelligenteste, welcher uns zur Verfügung steht; nur macht er in Folge seiner akademischen Laufbahn Ansprüche auf eine gesellschaftliche Gleichberechtigung, welche unsere Anciennitätsverhältnisse vollständig über den Haufen wirft. Er hat Urlaub wegen seiner angeblich bedrohten Gesundheit genommen; aber bei einem Manne von seinem Diensteifer ist eine Reise nur zum Zwecke der Erholung nicht gut anzunehmen. Er ist noch jung, und wenn seine Kräfte auch Etwas in Anspruch genommen worden sind, so ist das Uebelbefinden doch nicht von der Art, daß er in Folge einer längeren Dispensation mehrere Wochen lang jede Gelegenheit zur Auszeichnung versäumen möchte. Deßhalb vermuthete ich bei unserem Zusammentreffen hier sofort irgend eine Diplomatik von seiner Seite und scheine mich auch nicht getäuscht zu haben.«

»Er will den Professor aushorchen, wie Du mir sagtest.«

»Bewahre! Zwar habe ich das Mährchen geglaubt, aber jetzt bin ich überzeugt, daß er mich mit dieser Erklärung blos dupiren wollte. Er ist nur des Barons wegen hier und hat das zufällige Zusammentreffen mit dem Aeronauten blos benutzt, seinem Aufenthalte hier einen einigermaßen stichhaltigen Grund zu geben.«

»Des Barones? Du meinst Säumen?«

»Ja. Ich darf natürlich nicht weniger Scharfsinn besitzen, als mein Untergebener und habe mich also über Alles, was ihn hierher geführt haben kann, zu orientiren gesucht. Da fiel mir zunächst der Verdacht auf, welchen sein Bruder in der Felsenbruchaffaire geäußert hat, und sodann bemerkte ich bei unserer kürzlichen Begegnung das Interesse, welches Beide für den Stock des Barons an den Tag legten. Da


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ich mir nun zudem denken konnte, daß die geheimnißvolle Thätigkeit Winters sich auch nach Außen hin äußern werde, so gab ich bei dem hiesigen Postamte meine Legitimation ab und bat um Aushändigung aller Briefe, welche von den beiden Winter zur Beförderung aufgegeben würden.«

»Du wagst viel und das Postamt nicht weniger.«

»Pah; man wird es zu verantworten wissen, wenn es überhaupt dazu kommen sollte.«

»Und heute ist Dir ein solches Schreiben zugestellt worden?«

»Ich wurde von dem Sekretär im Vorübergehen angerufen Hier ist es. Ich kann die Unvorsichtigkeit Winters nicht begreifen, seine Einlage mit einem gewöhnlichen Gummicouvert zu umschließen!«

Er befeuchtete bei diesen Worten das Couvert mit der Lippe und öffnete es dann vorsichtig. Der inliegende Briefbogen war vollständig beschrieben, und während Hagen den Inhalt überflog, legte sich seine Stirn in die Falten tiefster Spannung.

»Wahrhaftig; es ist ganz so, wie ich dachte. Mit seiner Stellung zu dem Professor maskirt er seine eigentliche Absicht, und diese ist allerdings eine ganz außerordentliche.«

»Nun?«

»Hier, lies!«

»Ich bin nicht, wie Du, im Amte und habe also kein Recht, ihn zu lesen. Also, welche Absicht hat er?«

»Du erinnerst Dich wohl jenes Mordes, von welchem er zu mir gesprochen hat?«

»Ja.«

»Nun, er beantragt bei der Staatsanwaltschaft das sofortige Ausgraben der Leiche und eine genaue Untersuchung des Stirnbeines. Befindet sich an demselben die Spur einer Vernarbung, welche von einem Schlägerhiebe herrührt, so behauptet er, im Stande zu sein nicht allein die Identität des Ermordeten nachzuweisen, sondern auch sofort den Mörder fassen zu können. Sodann bittet er um vorläufige Discretion und, seiner eigenen Ueberzeugung wegen, um Zusendung des betreffenden Körpertheiles, wenn dieselbe möglich sei.«

»Das ist allerdings Erstaunen erregend. Um diesen Antrag zu stellen, muß er seiner Sache sehr sicher sein.«

»Das ist er auch, wie ich ihn kenne. So gewiß, wie ich seinen Brief in der Hand halte, so zweifellos hält er auch den Mörder fest, und dieser Letztere ist kein Anderer als der Baron.«

»Halt, das ist eine reine Unmöglichkeit!«

»Ich würde ebenso sagen, wenn ich diesen Winter nicht kennte. Aber kannst Du mir nicht vielleicht sagen, welche Universität Säumen besucht hat?«

»Mehrere, wie ich aus dem Munde der Baronin hörte; ich glaube auch Leipzig.«

»Dann ist er es. Es wird zwar vorsichtiger Weise hier kein Name genannt; aber es heißt, daß der Ermordete den Hieb in Leipzig erhalten habe. Sonach hätte der Mörder die That begangen, um sich in den Personal- und Vermögensstand des Getödteten zu setzen.«

»Eine kühne Annahme, in welche ich mich kaum hinein zu arbeiten vermag. Und wenn der Schreiber dieses Briefes Recht hat, so entstehen für Dich Bedenklichkeiten, denen Du Deine ganze Aufmerksamkeit schenken mußt.«

»Allerdings. Zunächst muß es mir unangenehm sein, wenn einer meiner Leute eine Entdeckung macht, welche mir nicht gelungen ist. Und die gegenwärtige ist ja von der größten Wichtigkeit. Die nächste Folge wäre ein Avancement, welches ihn wenigstens neben mich stellte. Unangenehm, sehr unangenehm!«

»Ich kann Dir hier keine Rathschläge geben; aber jetzt hältst Du die Chance noch in Deiner eigenen Hand.«

»Und werde sie jedenfalls auch nicht wieder fortgeben; ein allzu großes Zartgefühl ist hier keinesfalls am rechten Platze, und die Sache wird sich ja bei einiger Vorsicht recht gut arrangiren lassen. Es wäre ja Wahnsinn, eine Karte wegzuwerfen, welche mein Spiel mit den Damen zu einem gewonnenen machen kann.«

»Darauf wollte ich Dich hinweisen. Nur gilt es, sehr zu überlegen, wie der Trumpf zu gebrauchen ist. Ist die Annahme Winters die richtige, so entsteht bei der in Aussicht stehenden Criminaluntersuchung eine höchst demüthigende Blamage nicht nur für die Chlowicki's, welche in eine nähere Verbindung mit dem Mörder einzugehen beabsichtigten, sondern auch für mich, der ich ihn in meinem Hause aufgenommen und mit meiner nachdrücklichsten Empfehlung gedient habe. Hier kannst Du Dir also vielseitigen Dank erwerben.«

»Habe keine Sorge, Onkel! Selbst wenn ich andere Rücksichten nicht zu nehmen hätte, so würde ich doch nie einen Schritt thun, der Dein Ansehen schädigen könnte. Es ist das ein Opfer, welches ich Dir bringe, und Du wirst mich nun wohl nicht mehr der Unaufmerksamkeit gegen Dich zeihen.«

»Lassen wir das! Es gilt jetzt vor allen Dingen zu überlegen, in welcher Weise Du zu handeln hast. Was wirst Du mit dem Briefe vornehmen?«

»Der wird vernichtet. Er ist nicht persönlich übergeben, sondern in den Briefkasten gesteckt worden; die Postanstalt besitzt also keine Verantwortlichkeit für sein Schicksal. Hier ist mir Winter, der doch sonst höchst vorsichtig handelt, geradezu unbegreiflich.«

»Wenn er nicht vielleicht grade aus Vorsicht so gethan hat. Er konnte annehmen, daß Du ein großes Interesse haben mußt für Alles, was er hier vornimmt und hat vielleicht angenommen, daß ein gewöhnlich behandelter Brief Deinen Augen entgehen werde.«

»Nicht sehr schmeichelhaft für mich! Wenn es so ist, so soll er sich verrechnet haben. Aber sagtest Du kürzlich nicht, daß der Ueberlebende in den Vermögensbesitz des Verstorbenen träte, wenn der Baron oder Wanda vom Tode betroffen werde?«

»So ist es.«

»Dann wäre die Polin ja jetzt eigentlich die Besitzerin des Chlowicki'schen Besitzes, und es handelt sich nur darum den Baron ohne öffentliche Sensation zu entlarven. Man würde sich auf diese Weise die Dankbarkeit der Damen doppelt verdienen.«

»Hier will überlegt aber auch schnell gehandelt sein sonst steht zu befürchten, daß die Karte Dir wieder genommen wird. Man kann nicht wissen, welche Schritte Winter noch weiter zu thun beabsichtigt.«

»Es ist klar, daß ich zunächst zu der Baronin zu gehen habe, um sie von dem Bevorstehenden zu benachrichtigen und mir Kenntniß ihrer Wünsche zu erbitten. Das Uebrige richtet sich nach dem Ergebnisse dieser Unterredung.«

»Halt, laß den Hut noch liegen! Mir scheint dies gerade der verkehrteste Weg zu sein.«

»Warum?«

»Du sagtest vorhin, die Baronin sei die Tante Winters?«


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»Allerdings.«

»So wird sie ihn von Deinen Mittheilungen sofort benachrichtigen, selbst wenn Du sie um die größte Diskretion bätest. Die Schlüsse, welche er dann ziehen würde, brauche ich nicht erst anzudeuten.«

»Du hast Recht. Aber ich kann doch unmöglich mit dem Baron verhandeln ohne vorher mit den Frauen gesprochen zu haben!«

»Warum nicht? Sie würden ganz gewiß Alles Deinem Ermessen anheimstellen und Dir Vollmacht zum selbstständigen Handeln geben.«

»Wenigstens läßt sich das annehmen. Also zum Barone jetzt!«

»Sei nur nicht unvorsichtig. Wenn er der ist, für den ihn Winter hält, so hast Du es nicht blos mit einem gewiegten Gauner, sondern mit einem Menschen zu thun, der zu Allem fähig ist.«

»Sei ohne Sorge, Onkel! Es wird der Erste nicht sein, den ich von dieser Sorte vor mir habe.«

Mit einem kurzen, selbstbewußten Nicken des Kopfes schritt er hinaus. Es waren sehr wohlthuende Gefühle denen er sich in diesem Augenblicke hingab. Wanda war der Gegenstand seiner Sehnsucht gewesen, seit er sie in der Residenz gesehen hatte; aber theils hatte ihm der Dienst nicht gestattet, sich die nöthigen Musestunden zu erlauben, theils auch war er, selbst wenn seine gesellschaftlichen Beziehungen eine Annäherung ermöglicht hätten, nie Herr eines dunklen Gefühles geworden, welches ihm sagte, daß er dem Gegenstande seiner Wünsche geistig nicht ebenbürtig sei. Die selbstbewußte, imponirende Erscheinung der schönen Polin hatte ihm Achtung eingeflößt und in der gehörigen Entfernung gehalten, und als sie fortgegangen war, hatte er sich die lebhaftesten Vorwürfe gemacht, daß er ganz gegen seine sonstige Gewohnheit diesem außerordentlichen Wesen gegenüber muthlos gewesen war.

Jetzt nun bot sich ihm die trefflichste Gelegenheit, sich die Dankbarkeit der Frauen zu erwerben, und der Umstand daß der Verlobte Wanda's als ein Verbrecher entlarvt werden sollte, nahm ihr einen guten Theil des Glorienscheines, in welchem er sie zu erblicken gewohnt war. Er konnte ihr heute in polizeilicher Eigenschaft entgegentreten, das gab ihm die früher vermißte Sicherheit wieder und rückte ihm sein Ziel in die erwünschte Nähe herbei.

Freilich galt es vor allen Dingen, erst den Baron zu fassen, und zwar so, daß er sich gefangen geben mußte. Das war jedenfalls nicht leicht; aber gerade diese Schwierigkeit mußte ihm zur Empfehlung dienen und in jeder Beziehung um Vortheile gereichen. Und so begab er sich denn in etwas gehobener Stimmung nach der Wohnung des Barons, wo er denselben anwesend fand und sofort vorgelassen wurde.

»Es ist mir ein Vergnügen, zu sehen, daß Sie unsere kürzlich angeknüpfte Bekanntschaft zu erneuern und zu befestigen wünschen. Nehmen Sie Platz!« begrüßte ihn Säumen.

»Vielleicht ist der Zweck meines Kommens für Sie ein nicht ganz erfreulicher, und was unsere Bekanntschaft betrifft, so ist sie wenigstens meinerseits eine etwas längere, als Sie meinen.«

»Wieso? Ich erinnere mich wirklich nicht, jemals oder irgendwo Ihre Gegenwart genossen zu haben.«

»Darin treffen Sie das Richtige. Aber ich bin Polizist, und Sie wissen ja, daß diese Art Leute ihre Bekanntschaften oft sehr einseitig pflegen.«

»Ich habe also anzunehmen, daß Sie mich gekannt haben, noch ehe ich die Gelegenheit hatte, Sie zu sehen?«

»Ich glaube wenigstens.«

»Möglich. Ein Mann in höherer Stellung wird mehr bemerkt, als er selbst Zeit hat, aufmerksam zu sein. Wo bin ich Ihnen begegnet?«

»Zunächst auf dem Papiere.«

»Ach! Wie ist das möglich? Hier muß ein Irrthum vorliegen; ich bin nicht Literat.«

»Man kann von sich schreiben lassen, auch ohne Schriftsteller zu sein. Freilich ist der Betreffende selten sehr erbaut, wenn er auf die Beschreibung seines Wesens und Treibens stößt.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Baron, aufmerksam werdend.

»Ich wollte nur andeuten, in welcher Weise ich Kenntniß von dem Herrn Baron von Säumen bekam.«

»Ich ersuche Sie, deutlicher zu sein.«

»Sie waren in Paris?«

»Früher; vor längeren Jahren. Warum?«

»Haben Sie während Ihres dortigen Aufenthaltes vielleicht einmal in dem Magazin von Jules Ragellet, marchand tailleur vorgesprochen?«

Das an sich schon blasse Gesicht Säumens wurde bei dieser Frage noch um einen vollen Schatten bleicher. Er erwiederte:

»Persönlich habe ich da nicht verkehrt, obgleich ich bei dem Manne arbeiten ließ. Es befindet sich in meiner gegenwärtigen Garderobe vielleicht sogar noch Einiges von ihm.«

»Können Sie mir die betreffenden Stücke bezeichnen?«

»Dieser Aufgabe ist ein Baron wohl schwerlich gewachsen. Wenden Sie sich an meinen Diener. Im Uebrigen aber kann ich Ihnen versichern, daß Ragellet einer der ersten tailleurs ist, wenn Sie vielleicht die Absicht haben, sein Geschäft mit Aufträgen zu frequentiren.«

»Das liegt weniger in meiner Absicht; nur wurde mir der Name des Mannes zu einer Zeit bekannt, in welcher sich die gesammte Polizei des Landes bemühte, den Urheber eines höchst entsetzlichen Mordes zu entdecken.«

»Ach so! Hatte man vielleicht Verdacht auf den Pariser Schneider?« fragte Säumen, während es ihm nur mit Anstrengung gelang, ein ironisches Lächeln hervorzubringen.

»Sie scherzen. Es war bemerkt worden, daß der Thäter Kleidungsstücke von der erwähnten Firma trug. Man wandte sich also nach Paris, und es gelang in Folge dessen allerdings, das Gewünschte zu ermitteln, wenn es auch vor der Hand nicht sofort möglich war, der Person habhaft zu werden.«

Hagen sprach hier nicht die Wahrheit; man hatte jeden Vorschlag Winters, sich nach Paris zu wenden, ignorirt. Aber es kam jetzt darauf an, die möglichste Sicherheit zu zeigen, wobei allerdings jede Blöße zu vermeiden war.


Ende des zwölften Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Wanda