Nummer 38 Der Beobachter an der Elbe.
Unterhaltungsblätter für Jedermann.
Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden.
2. Jahrg.


Wanda.

Novelle von Karl May.
10. Juli 1875


// 606 //

»Sie wollen sagen, Herr Winter, daß Sie mir den verlangten Rapport verweigern.«

»Gewiß. Es giebt Rücksichten, welche Einen zur Verschwiegenheit selbst gegen den Vorgesetzten zwingen können, und von dergleichen fühle ich mich leider augenblicklich beeinflußt. Uebrigens würde uns keine Zeit zu weiteren Expectarationen bleiben, da der Professor auf mich wartet, wie Sie sehen.«

»Wo wohnen Sie.«

»Bei meinem Chef natürlich; adieu!«

»Ich werde mit Ihnen zu sprechen haben. Steigen Sie mit auf?«

»Ich glaube nicht. Das Emporsteigen ist mir von jeher erschwert worden.«

Die Vorangehenden waren stehen geblieben, um sich von einander zu verabschieden. Als die beiden Zurückgeblieben hinzutraten, bemerkte der Polizist Winter, daß der Blick seines Bruders auf dem Spazierstöckchen des Barons mit ungewöhnlicher Schärfe hafte. Er folgte dieser Richtung und gewahrte, daß der Stock von Eisen war und an dem unteren Ende eine Form besaß, in Folge deren es recht gut als Bohreisen benutzt werden konnte.

Sofort trat er wie aus Versehen auf den Stock, so daß derselbe der Hand des Barons entfiel, hob ihn rasch auf und reichte ihn mit einer Bitte um Entschuldigung dem Besitzer zurück. So kurz der Augenblick war, an dem er das verdächtige Geräth in der Hand gehabt hatte, er war doch hinlänglich gewesen, um das Bemerkte zu bestätigen.

»Also ich wiederhole meine Bitte, Herr Professor,« sprach die Baronin; »dem Wunsche meiner Tochter noch keine endgültige Bedeutung zu geben. Wir werden Sie von unserer Entschließung erst noch benachrichtigen. Sie, Herr Winter,« wandte sie sich an Emil; »werden es sich noch einige Augenblicke bei uns gefallen lassen, ich habe den Wunsch Sie näher kennen zu lernen. Leben Sie wohl, meine Herren!«

Freudig überrascht von der Aufforderung der alten Dame trat der Eingeladene mit in das Haus, vor welchem sie jetzt gestanden und saß einige Minuten später den beiden Frauen gegenüber.

»Ich sehe mich veranlaßt, mein lieber Herr Winter,« begann die Baronin; »Ihnen eine recht ernste Strafpredigt zu halten.«

»In welche ich mit Erlaubniß meiner Mama mit einstimme!«

»Ich bin ganz unglücklich über diesen Beginn unserer Unterhaltung und bitte um die Mittheilung derjenigen Sünden, welche Ihren Zorn erregt haben.«

»Es ist eine einzige, aber auch recht große und schwere Unterlassungssünde, unter welcher wir gelitten haben. Ich habe kein Passion für die sogenannten geschäftlichen Vergnügungen und suche meinen größten und fast einzigen Genuß in der Lectüre meiner Bücher. Die Autoren derselben sind die einzigen Freunde, deren Unterhaltung ich mich hingebe, und Freunde dürfen einander nur mit offenem Angesicht gegenüberstehen. Jetzt werden Sie den Grund meines Zornes kennen.«

»Meine Vertheidigung kann mir, da ich als Schriftsteller dem Leser stets Aufrichtigkeit und furchtlose Wahrheitsliebe entgegenbringe, nicht schwer werden. Ich bitte nur, einen Unterschied zwischen Autor und Individuum zu machen.«

»Wer dem Leser seine ganze Seele bietet, darf demselben seine Person nicht entziehen. Besonders wir Frauen wollen nicht blos lesen, sondern auch sehen, zumal wenn wir von dem Herzen gedrungen werden, unsere Anerkennung auszusprechen. Wir interessiren uns selbst für die kleinsten Beziehungen eines Mannes, dem wir in Hinsicht auf unser Denken und Fühlen nahe stehen, und wenn zu dieser inneren sich auch noch eine äußere Verwandschaft gesellt, wie es zwischen den Familien der Chlowicki's und Winters der Fall ist, so ist ein gegenseitiges Fremdsein um so beklagenswerther.«

»Verwandschaft?« fragte Winter ganz erstaunt, und auch Wanda richtete das Köpfchen fragend in die Höhe.

»Freilich, und ich gestatte Euch Beiden, Euch als Cousin und Cousine zu begrüßen.«

»Aber gnädige Frau! -«

»Mama!«

»Ich sehe wohl, daß ich deutlicher sein muß. Ihr Vater war Schornsteinfeger in Leipzig?«

»Jawohl.«

»Er hieß Franz Winter?«

»Allerdings.«

»Hatte er nicht eine Stiefschwester, mit welcher er beklagenswerther Weise in so wenig gutem Einvernehmen stand, daß Beide sich fast gar nicht um einander kümmerten?«

»So ist es, mein Vater hatte in mancher Beziehung etwas eigenartige Ansichten und konnte zuweilen sogar ein Wenig hart sein. Der Großvater hatte sich zum zweiten Male vermählt und zwar ganz und gar gegen den Wunsch seines einzigen Sohnes, der eine persönliche Abneigung gegen die Stiefmutter hegte. Diese besaß aus erster Ehe eine Tochter, welche seit frühester Jugend Aufnahme und Erziehung in einem adeligen Hause gefunden hatte und in die bescheidene Häuslichkeit des Essenkehrers so wenig paßte, daß ihr die Besuche dort bald verleidet waren, zumal mein Vater ihr nichts weniger als brüderliche Gefühle entgegenbrachte. Als sie mit der Familie, in welcher sie lebte, den Aufenthalt gewechselt hatte, hörten wir nur höchst selten Etwas von ihr, da ihre Mutter keinen ihrer Briefe zur Kenntniß brachte. Später starb Letztere, und ihr Begräbniß hat die Tochter zum letzten Male nach Leipzig geführt. Seit jener Zeit haben uns alle Nachrichten von ihr gefehlt und mein Vater hat auch nie Veranlassung gefunden, Erkundigungen einzuziehen.«

»So befinden Sie sich also jetzt vollständig im Unklaren über sie und ihre Verhältnisse?«

»Vollständig.«


// 607 //

»Und doch haben Sie schon seit einiger Zeit ihre persönliche Bekanntschaft gemacht.«

»Gnädige Frau!«

»Wollen Sie nicht lieber ›Tante‹ sagen, Sie haben ein Recht dazu.«

Fast erschrocken sprang Winter von seinem Sitze empor; aber ehe er noch Zeit fand ein Wort des Erstaunens auszurufen, hatte Wanda schon seine beide Hände ergriffen, und ihm tief und innig in die Augen blickend, rief sie freudig:

»Vetter, sei mir tausendmal willkommen! Zwar befinde ich mich noch nicht ganz im Klaren über den Zusammenhang dieser Sache; aber ich weiß doch, daß ich nun nicht mehr allein und schutzlos dastehe.« Und ihm die Arme um den Nacken legend, küßte sie ihm auf die Wange und eilte dann zur Mutter.

»Mama, ich danke Dir für diese Freude; es ist die größte meines Lebens!«

»Hast Du wirklich so allein und schutzlos dagestanden, Wanda?« fragte die Baron mit leisem Vorwurfe.

»Verzeihe mir! Schutzlos bin ich oft gewesen, und so sehr sich meine ganze Seele sträubt, mich zu dem ›schwachen Geschlechte‹ zählen zu lassen, so habe ich doch schon oft empfunden, daß wir Frauen auf männlichen Beistand angewiesen sind. Und wenn ich mich einsam gefühlt habe, trotzdem ich eine Mutter besitze, so liegt die Schuld an mir allein. Ich bin nicht immer gut und gehorsam gewesen.«

Es war, als hätte seit dem Worte »Vetter« ihr Wesen eine vollständige Umwandlung erfahren. Die Hand Winters immer noch in der ihrigen haltend, stand sie mit demüthig gebeugtem Haupte vor der Stiefmutter, als erwarte sie aus dem Munde derselben ein strenges, nachsichtsloses Urtheil. Aber die Antwort war mild und freundlich, als die alte Dame mit zitternder Stimme und tiefer Rührung in den Zügen erwiederte:

»Ich kenne Dich und konnte Dir also nie zürnen. Du hast mich lieb gehabt zu aller Zeit, wenn das kleine Trotzköpfchen auch zuweilen gegen das Gefühl des Herzens ein wenig rebellirt hat. Aber wie es scheint, hast Du wohl einen Vetter gefunden, ich aber noch nicht einen Neffen!«

Wirklich hatte Winter noch kein Wort der Begrüßung zu ihr gesprochen und wurde erst durch diese Erinnerung aus seinem Schweigen aufgeweckt.

»Ihr beiden Leute laßt mich ja gar nicht zu Worte kommen, und dazu bin ich von dem so unerwarteten Glücke, eine mütterliche Freundin zu finden, so betäubt, daß es wirklich kein Wunder ist, wenn ich vor lauter Freude vergessen habe, höflich zu sein.«

Mit Herzlichkeit wurde das Versäumte nachgeholt, und es zeigte sich bald, daß die Baronin trotz der scheinbaren Härte ihres Charakters ein tiefes und reich begabtes Gemüth besaß, welches sich jetzt in Freundlichkeiten ergoß, die um so inniger waren, je weniger sie bisher Gelegenheit zu denselben gehabt hatte.

»Du wirst fragen, warum ich in der langen Zeit kein Lebenszeichen gegeben habe?«

»Nein; ich weiß die Gründe, welche Dich uns entfremdeten, zu würdigen. Die Schuld lag nicht an Dir, und ich bin Dir von ganzem Herzen dankbar für die Verzeihung, welche Du heute übst.«

»Ich trat einige Jahre nach dem Tode meiner Mutter als Erzieherin in die Familie meines späteren Gemahles, der seit kurzer Zeit Wittwer geworden war. Alles Uebrige kannst Du entweder errathen, oder werde ich es Dir später erzählen. Es darf kein Mensch hoffen, das Glück in vollen unausgesetzten Zügen genießen zu dürfen, und wenn auch ich keine Ausnahme gemacht habe, so ist mir für so manches Trübe doch reichliche Entschädigung in der Liebe meiner Tochter geworden.«

»Mama, Du beschämst mich!«

»Ich kenne Dich und habe nie an Deiner Zuneigung gezweifelt, obgleich dieselbe sich Deinem eigenartigen Charakter angemessen äußern mußte. Oder hast Du Dich vielleicht nicht allein aus Rücksicht für mich entschlossen, der letzten Bestimmung Deines Vaters gehorsam zu sein?«

»Ich bitte Dich in dieser Stunde, jene Angelegenheit unberührt zu lassen.«

»Und doch muß ich ihrer erwähnen, um Dir zu beweisen, daß ich mich in Dir nie geirrt habe. Aber ist eine Verbindung zwischen Dir und Säumen mein Wunsch gewesen, so war es nur in Rücksicht auf die Ehre unseres Namens. Nachdem, was ich früher über ihn gehört, mußte ich erwarten, daß kein Grund zu einer gegenseitigen Abneigung, wie ich sie seit Eurem persönlichem Zusammentreffen beobachte, vorhanden sei.«

»Ich werde trotz dieser Abneigung mein Wort doch halten.«

»Weil Du es nicht überwinden könntest, Deine Mutter Noth leiden zu sehen.«

»Oder weil der letzte Wille meines Vaters mir mehr gilt als mein Lebensglück.«

»Da ich,« schaltete jetzt Winter ein; »zu diesem letzten Willen in keinerlei Beziehung stehe, so wirst Du mir erlauben, Cousinchen, Dein Glück höher zu achten als ihn. Die Gründe, welche den Vater zu einer für Dich so harten Verfügung nöthigten, sind mir durchaus unbekannt; aber ich sehe eine Zeit kommen, in der sie ihre Macht verloren haben werden.«

»Diese Zeit wird nie kommen!«

»Und doch. Vielleicht ist sie schon sehr nahe; ich wenigstens werde nach Kräften ihren Gang beschleunigen und nimmermehr zugeben, daß meine Cousine ihr Schicksal an die Seite eines Mannes bindet, welchen sie nicht nur haßt, sondern sogar fürchtet. Ich bin,« setzte er scherzend hinzu; »Dein einziger männlicher Verwandter und Fräulein von Chlowicki ist also gezwungen, im Familienrathe meinen Willen zu respectiren, trotzdem es der Wille eines Essenkehrers ist.«

»Allerdings räume ich Dir Einfluß auf meine Entschließungen ein; aber Du sagst mit Unrecht, daß ich den Baron fürchte.«

»Den Baron allerdings nicht, aber wohl den Besitzer eines gewissen Taschentuches, welches Du als Souvenir an dem Felsenbruche zurückbehalten hast.«

»Emil!« fuhr sie erschrocken auf.

»Ich sehe, daß Du mir Recht giebst, und so will ich dieses häßliche Thema wieder fallen lassen; aber dem Barone wird es nie gelingen, Dich seine Gemahlin zu nennen.«

»Welche Gedanken knüpfst Du an die Geschichte dieses Taschentuches? Ich bitte um Aufrichtigkeit; Du hast eine Abneigung gegen den Baron, welche ihre Gründe haben muß.« -

»Abneigung? Das ist jedenfalls noch zu wenig. Sie bezieht sich nur auf den gegenwärtigen Baron von Säumen, den früheren und ächten habe ich sogar sehr lieb gehabt.


// 608 //

Er logirte in unserem Hause, und seine Persönlichkeit hat sich in all ihren Einzelheiten in meinem Gedächtnisse so tief eingeprägt, daß ich ihn unter Tausenden herausfinden würde und wenn sie alle ihm noch so sehr ähnlich sähen.«

»Mein Gott, was willst Du damit sagen?« rief sie erschrocken.

»Etwas, was ich vielleicht in kurzer Zeit beweisen kann. Für heute magst Du es als eine Andeutung gelten lassen, welche Dich zur Vorsicht nöthigen soll.«

»Erlaube mir, lieber Neffe; mit Andeutungen dürfen wir uns in einem so eminenten Falle nicht begnügen. Ich getraue mir fast nicht, über den Sinn Deiner Worte nachzudenken und halte es für Deine Pflicht, uns strikte Aufklärung zu geben.«

Winter sah sich in einer schlimmen Lage. Allerdings wäre es seine Pflicht gewesen, offen zu sein, aber er konnte es nicht über sich gewinnen, den Frauen einen so empfindlichen Schlag zu versetzen. Das Bewußtsein, mit einem Menschen, der vielleicht noch etwas Schlimmeres als ein gemeiner Betrüger war, in so innigem Verhältnisse zu stehen, mußte sie tief verwunden. Er hatte gewarnt, mehr konnte er für heute nicht thun, und vielleicht war es möglich, der Sache später eine solche Wendung zu geben, daß ihre Entwickelung ohne Eclat möglich wäre. Er ließ sich also durch die an ihn gerichtete Bitte nicht zu Mittheilungen verleiten und lenkte das Gespräch in geschickter Weise auf seine Familie, über welche er ausführlich referiren mußte, so daß es schon spät am Abend war, als er aufbrach.

Wanda begleitete ihn bis hinunter an die Thür. Als er ihr zum Abschiede die Hand reichte, hielt sie dieselbe fest und sprach, ihm tief in die Augen blickend:

»Emil!«

»Wanda!« entgegnete er fragend.

»Hast Du mir Nichts zu sagen?«

»Du meinst, die Bitte um Verzeihung wegen meiner Zudringlichkeit in der Höhle des Felsenbruches. Der heutige Tag hat mich nachgiebiger gestimmt. Willst Du mir verzeihen, mein liebes Herzenscousinchen?«

»Gern. Aber Du mußt auch brav sein und aufrichtig gegen Deine Cousine, grad so, wie damals, als Du mit mir im Walde herumstrichst. Vorhin hast Du aus Rücksicht gegen Mama geschwiegen; jetzt aber sind wir allein, und Du darfst also sprechen. Sag, welche Gründe Du hast, dem Baron Säumen so ungünstig gesinnt zu sein!«

»Und welcher Lohn erwartet mich für meine Aufrichtigkeit?«

»Für die Erfüllung einer Pflicht darf man nicht Lohn beanspruchen, Emil. Bitt, beantworte meine Frage.«

»Wie Du vorhin hörtest, habe ich Säumen gekannt. Er wohnte in dem Hause meiner Eltern, und ich weiß sehr genau, daß er einen Schlägerhieb als Folge eines kleinen Rencontre's auf die Stirn erhielt. Die Narbe eines solchen Schlages ist unverwischbar, und ich habe bei Deinem Verlobten eine solche nicht bemerkt. Daher mein Mißtrauen.«

»Aber ich bitte Dich,« erwiederte sie; »Du erschreckst mich ja! Ich habe ihn nur für einen Ignoranten gehalten und die Einwilligung zu unserer Verbindung allerdings allein aus Rücksicht auf Mama gegeben. Aber trotzdem wären wir uns für die ganze Zeit unseres Lebens fremd geblieben. Und nun hälst Du ihn gar für einen gemeinen - ich muß sagen; Schwindler, der sich durch den Zufall in die Verhältnisse eines Andern eingedrängt hat. Du mußt Dich irren, Du mußt, es kann nicht möglich sein!«

»Ich gebe zu, daß ich irren kann; aber ich werde nicht eher ruhen, als bis ich Gewißheit habe. Denke an die Explosion, welche Dir beinahe das Leben gekostet hätte!«

»Seine Anwesenheit an dem Orte war vielleicht nur Zufall.«

»Vielleicht. Doch wird sich das aufklären. Es liegt hier allerdings eine außerordentliche Aehnlichkeit vor, die Einen sehr leicht irre machen kann.«

»Das ist es nicht allein. Er besitzt so genaue und eingehende Kenntniß über Alles, was die Verhältnisse der Säumens und der Chlowicki's betrifft, daß er unmöglich ein Fremder sein kann. Und wo sollte in diesem Falle der wirkliche Eginhardt sich befinden?«

»Hatte derselbe einen Bruder?«

»Nein. Kurz vor seiner Abreise aus Wien hat er uns von seiner Ankunft brieflich benachrichtig. Allerdings verzögerte sich dieselbe um einige Wochen über die angegebene Zeit hinaus, was der einzige Anhaltepunkt meines Mißtrauens sein könnte; aber er kennt den Wortlaut jenes Briefes sowohl als auch aller vorher geschriebenen so genau, daß er selbst der Schreiber sein muß.«

»Laß es für jetzt gut sein, Wanda. Die nächsten Tage werden uns Sicherheit bringen, und ich werde möglichst dafür sorgen, daß weder Du noch Mama eine Exposition erleidet. Lebe wohl!«

»Adieu, Emil. Du hast mir heute große Freude bereitet, aber auch schwere Sorge; ich weiß nicht, welcher von den beiden ich mich hingeben soll.«

»Der Freude natürlich; die Sorge überlässest Du am Besten mir. Ich bin sie gewöhnt und weiß also recht gut mit ihr umzugehen.«

Er ging. Der Umstand, daß der Baron so außerordentlich genau über das Kleinste unterrichtet war, wollte ihn fast irre machen. Der rechte Säumen mußte die Concepte seiner Briefe alle aufbewahrt und überhaupt ein sehr genaues Tagebuch geführt haben, nur so war es möglich, daß ein Anderer sich so specielle Kenntnisse aneignen konnte. Der ungewöhliche lange Zeitraum zwischen der Abreise von Wien und seiner Ankunft bei den Damen war jedenfalls zu einer Reise nach den Besitzungen der beiden Familien verwendet worden, um sich hinlänglich zu orientiren, und da kein Verwandter mehr existirte und der Baron seit vielen Jahren in Italien gelebt hatte, so war es bei einiger Aehnlichkeit allerdings leicht möglich, die Dienerschaft zu täuschen und in Folge dessen auch in anderen Kreisen anerkannt zu werden.

Vor allen Dingen mußte der Tod des wirklichen Säumen nachgewiesen werden. Wie das aber ermöglicht werden könne, das wollte er dem Bruder überlassen und beschloß deßhalb, ihn heut Abend noch aufzusuchen. Seit der Anwesenheit des Professors schien sich die Entwickelung zu beschleunigen, und es durfte also keine Zeit verloren werden. –

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Ende des elften Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Wanda