Nummer 15 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
11. Dezember 1875 |
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»Wie lange ich dagelegen, ich wußte es nicht. Es wurde Tag und Abend und wieder Tag; da hörte ich leise Schritte in der Nähe. Ich richtete mich empor und - o der Wonne - ich sah den Vater und Winnetou, beide in zerfetzten Kleidern und mit Wunden bedeckt. Sie waren der Uebermacht erlegen und gefesselt fortgeschleppt worden, hatten sich aber loszumachen gewußt und waren entflohen.«// 237 //
höheren Zielen zu streben, als dasjenige ist, welches Ihr
Euch vorgesteckt habt, und das Menschenherz ist eines heiligeren und
größeren Glückes fähig, als die Befriedigung auch des glühendsten
Rachegefühles bietet. Euch ist Alles, Alles gegeben, um glücklich zu sein
und glücklich zu machen; warum wollt Ihr auf dieses Glück verzichten,
indem Ihr die Hände in das Blut eines Elenden taucht und Das von Euch
werft, was allein den Werth des Weibes bestimmt - die Milde, die Liebe?«
»Die Liebe? Geht Sir! Ihr habt Romane gelesen; man hört es.«
Sie wandte sich um und schritt mir voran den Felsensteig hinab.
Eigenthümlich berührt von unsrer Unterhaltung, folgte ich ihr langsam
nach. Wie alle Frauen, so gehorchte auch sie fast stets nur den Drange
ihres Gefühles, und wie ihrer lückenhaften Schilderung des Vergangenen der
Zusammenhang mangelte und man sich grad das Bedeutungsvolle, die
Entwickelung ihres inneren, zwiespaltigen Wesens hinzudenken mußte, so war
auch dieses Wesen in seiner gegenwärtigen Erscheinung ein unklares und der
Vollendung mangelndes. Die Verhältnisse hatten die Erziehung des äußerlich
so herrlichen Mädchens übernommen, und da diese Verhältnisse so
verschiedenartige, so extreme waren, so durfte es mich nicht wundern, daß
ich mich von ihr zeitweilig ebenso sehr abgestoßen sah, wie ich mich
vorher von ihr angezogen gefühlt hatte.
Nachdem ich erst zu Swallow gegangen war, um dem braven Thiere meinen
Morgengruß zu bringen, trat ich zu der Versammlung, welche rund um den
jetzt an einen Stamm gebundenen Parranoh stand. Man berieth über die Art
seines Todes.
»Ausgelöscht muß er werden, der Hallunke, wenn ich mich nicht irre,«
meinte eben Sam Hawkens; »aber ich möchte meiner Liddy nicht das Herzeleid
anthun, dieses Urtheil auszuführen, meine ich.«
»Sterben muß er; das muß so sein,« stimmte Dik Stone, mit dem Kopfe
nickend, bei, »und es soll mir Freude machen, ihn am Aste hängen zu sehen;
denn ein Anderes hat er nicht verdient. Was meint Ihr, Sir?«
»Wohl,« antwortete Old Firehand. »Unser schöner Platz hier darf aber nicht
mit dem Blute dieses Scheusals verunreinigt werden. Da draußen am bee-fork
hat er die Meinen gemordet, und da draußen an derselben Stelle soll auch
seine Strafe finden. Der Ort, welcher meinen Schwur gehört, soll auch die
Erfüllung desselben sehen.«
»Erlaubt Sir,« fiel Stone ein; »warum soll ich den scalpirten Rothweißen
umsonst auf dem Schleifholze hierher transportirt haben? Glaubt Ihr, daß
ich ein Vergnügen daran finde, den Braunhäuten dafür nun meine
Schmachtlocken zu überlassen?«
»Was meint Winnetou, der Häuptling der Apachen?« fragte Old Firehand, die
Gründe dieses Einwurfes begreifend.
»Winnetou fürchtet nicht die Pfeile des Ogellalla; er trägt in seinem
Gürtel die Haut des Hundes von Athabaskah und schenkt den Leib des Feindes
seinem weißen Bruder.«
»Und Ihr?« wandte sich der Fragende jetzt auch zu mir.
»Machts kurz mit ihm! Furcht vor den Indsmen wird wohl Keiner von uns
haben; aber ich halte es nicht für nöthig, uns in unnöthige Gefahr zu
begeben und dabei unsern Aufenthalt zu verrathen. Der Mensch ist ein
solches Wagniß nicht werth.«
»Ihr könnt ja hier bleiben, Sir, um Euer Schlafkabinet zu bewachen,« rieth
mir Ellen mit zweifelhaftem Achselzucken. »Was aber mich betrifft, so
verlange ich unbedingt das Urtheil an demselben Orte vollstreckt, an
welchem die Opfer des Mörders liegen. Das Schicksal bestätigt mein
Verlangen dadurch, daß es ihn uns hier und nirgends anderswo in unsre
Hände gab. Was ich verlange, bin ich Denen schuldig, an deren Grabe ich
den Schwur gethan habe, nicht zu ruhen und zu rasten, bis sie gerächt
seien.«
»Thut, was Ihr wollt, Miß!« erwiederte ich kalt und wandte mich ab. Das
mehr als Unweibliche, das wahrhaft Dämonische, welches aus ihren Worten,
aus jeder ihrer Mienen sprach, stieß mich heftig von ihr ab und brachte
ein Schmerzgefühl in meinem Innern hervor, als bohre sich ein kalter,
spitzer Stahl mir in das Herz.
Der Gefangene stand aufrecht an den Stamm gelehnt und verzog trotz der
Schmerzen, welche die tief in sein Fleisch eindringenden Fesseln ihm
verursachen mußten und trotz der ernsten Bedeutung, welche die Verhandlung
für ihn hatte, keine Falte seines von Alter und Leidenschaft durchfurchten
Angesichtes. In seinen abschreckenden Gesichtszügen stand die ganze
Geschichte seines Lebens geschrieben, und der Anblick des nackten, in
blutigen Farben spielenden Schädels erhöhte den schlimmen Eindruck,
welchen der Mann selbst auf den unparteiischen Beschauer machen mußte.
Nach einer längeren Berathung, an welcher ich mich unbetheiligt hielt,
löste sich der Kreis auf, und die Jäger rüsteten sich zum Aufbruche.
Der Wille des Mädchens war also doch durchgedrungen, und ich konnte mich
des Gedankens nicht erwehren, daß uns daraus Unheil entstehen müsse. Old
Firehand trat zu mir und legte die Hand auf meine Schulter.
»Laßt es ruhig gehen, wie es gehen will, Mann, und legt keinen falschen
Maßstab an Dinge, welche nicht nach der Schablone Eurer sogenannten
Bildung geschnitten sind.«
»Ich gestatte mir kein Urtheil über Eure Handlungsweise, Sir. Das
Verbrechen muß seine Strafe finden; das ist einmal richtig; doch werdet
Ihr mir nicht zürnen, wenn ich meine, daß ich mit der Execution Nichts zu
thun habe. Ihr geht nach dem bee-fork?«
»Wir gehen, und da Ihr Euch nun doch mit der Sache nicht befassen wollt,
so ist es mir lieb, Jemanden hier zu wissen, dem ich die Sicherheit unsers
Lagerplatzes anvertrauen darf.«
»Wird nicht an mir liegen, wenn Etwas geschieht, was wir nicht wünschen,
Sir. Wann kommt Ihr zurück?«
»Kann's nicht bestimmt sagen; richtet sich nach Dem, was wir draußen
finden. Also lebt wohl und haltet die Augen offen!«
Er trat zu Denen, welche bestimmt waren, ihn mit dem Gefangenen zu
begleiten. Dieser wurde vom Baume losgebunden, und als Winnetou, welcher
gegangen war um sich von der Sicherheit der Passage zu überzeugen,
zurückkehrte und die Meldung machte, daß er nichts Verdächtiges bemerkt
habe, schob man Finnetey einen Knebel in den Mund und schritt dem Ausgange
zu.
»Mein weißer Bruder bleibt zurück?« fragte der Apache, ehe er sich dem
Zuge anschloß.
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»Der Häuptling der Apachen kennt meine Gedanken; mein Mund
braucht nicht zu sprechen.«
»Mein Bruder ist vorsichtig wie der Fuß, ehe er in das Wasser der
Krokodile tritt; aber Winnetou muß gehen und sein bei der Tochter
Ribanna's, welche starb von der Hand des Athabaskah.«
Er ging; ich wußte, daß meine Ansicht auch die seinige sei und er nur aus
Sorge für die Andern und ganz besonders für Ellen sich entschlossen habe,
ihnen zu folgen.
Nur wenige der Jäger waren zurückgeblieben, unter ihnen Dik Stone. Ich
rief sie zu mir und machte ihnen die Mittheilung, daß ich beabsichtige,
einmal hinauszugehen, um mir die Büsche anzusehen.
»Wird wohl nicht nöthig sein, Sir,« meinte Stone. »Der Posten steht ja
draußen und hält die Augen offen, das muß so sein, und außerdem ist ja
auch der Apache auf Umschau ausgewesen. Bleibt hier und pflegt Euch.
Werdet schon noch Arbeit bekommen!«
»In wiefern?«
»Na, haben ja Augen und Ohren, die Rothhäute, und werden schon merken, daß
es da draußen 'was zu fangen giebt. Sind schlaue Kerls; das muß so sein.«
»Gebe Euch vollständig recht, Dik, und werde deßhalb 'mal zuschauen, ob
sich irgend Etwas regen will. Nehmt Ihr indessen den Ort hier in Eure
Obhut! Werde nicht sehr lange auf mich warten lassen.«
Ich holte die Büchse und begab mich hinaus. Der Wachtposten versicherte
mir, nichts Verdächtiges bemerkt zu haben; aber ich hatte gelernt, nur
meinen eigenen Augen zu trauen und durchbrach den Saum des Gebüsches, um
dasselbe nach Indianerspuren abzusuchen.
Grad dem Eingange unsers Thalkessels gegenüber bemerkte ich einige
abgeknickte Zweige und fand bei näherer Untersuchung des Bodens, daß hier
ein Mensch gelegen und bei seiner Entfernung die Eindrücke, welche sein
Körper auf das abgefallene Laub und den lockeren Humusboden
hervorgebracht, mit Sorgfalt verwischt und möglichst unbemerkbar gemacht
hatte.
Man hatte uns also belauscht, unsern Aufenthalt entdeckt, und jeder
Augenblick konnte uns einen Angriff bringen. Da ich aber schloß, daß der
Feind zunächst wohl sein Augenmerk auf Parranoh und seine Eskorte richten
werde, so war es vor allen Dingen nothwendig, Old Firehand wo möglich noch
rechtzeitig zu warnen, und ich beschloß, dem vorangegangen Zuge
schleunigst zu folgen.
Nachdem ich der Wache die nöthigen Anweisungen gegeben, schritt in den
Spuren unsrer Leute, welche längs des Flusses sich aufwärts begeben
hatten, nach und kam auf diesem Wege an dem Schauplatze unsrer gestrigen
Thaten vorüber. Wie ich geahnt, so war es geschehen; die Ogellalla's
hatten die beiden Todten entdeckt, und aus der Menge des niedergetretenen
Grases war zu schließen, daß sie sich in bedeutender Anzahl an dem Orte
eingefunden hatten, um die Leichname ihrer Brüder zu holen.
Noch war ich nicht sehr weit über diesen Punkt hinausgekommen, als ich auf
neue Spuren stieß. Sie kamen seitwärts aus dem Gebüsch und führten auf dem
Wege weiter, welchen unsre Jäger eingeschlagen hatten. Ich folgte ihnen,
wenn auch mit möglichster Vorsicht, so doch in größester Eile und legte so
in verhältnißmäßig kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, sodaß ich
bald die Stelle erreichte, an welcher sich die Wasser des bee-fork
in die Fluthen des Mankizila ergossen.
Da ich den Platz nicht kannte, an welchem die Execution vor sich gehen
sollte, so mußte ich meine Vorsicht jetzt verdoppeln und folgte, die
Spuren nur von der Seite im Auge behaltend, ihrer Richtung durch das
nebenanlaufende Gebüsch.
Jetzt machte das Flüßchen eine Biegung und grenzte an dieser Stelle eine
Lichtung ab, von welcher sich der sogenannte »schwarze Wuchs«
zurückgezogen und den Gräsern den nöthigen Raum zur ungehinderten
Entwickelung gelassen hatte. Mitten auf dem freien Platze stand eine
Gruppe von Balsamfichten, unter deren Zweigen die Jäger in lebhaftem
Gespräche saßen, während der Gefangene an einen der Stämme gebunden war.
Grad vor mir, höchstens drei Mannslängen von meinem Standorte entfernt,
lugten eine kleine Anzahl Indianer durch den Buschrand hinaus auf die
Blöse, und es war mir augenblicklich klar, daß die Andern rechts und links
abgegangen waren, um die Belauschten von drei Seiten einzuschließen und
durch einen plötzlichen Ueberfall nieder zu machen oder in den Fluß zu
treiben.
Es war keinen Augenblick Zeit zu verlieren. Ich nahm den Henrystutzen an
die Wange und drückte ab. Für die ersten Secunden verursachten meine
Schüsse das einzige Geräusch, welches zu hören war; denn sowohl Freunde
wie Feinde befanden sich in lebhafter Ueberraschung über die unerwartete
Durchkreuzung ihres Vorhabens. Sodann aber gellte ein markerschütterndes
»Ho - ho - hi«, der Kampfesruf der Indianer, fast hinter jedem Strauche
hervor, eine Wolke von Pfeilen drang von allen Seiten aus dem Gebüsche,
und im Nu war der Platz von heulenden, keuchenden und schreienden Menschen
bedeckt, welche im wüthendsten Handgemenge mit einander kämpften.
Fast zu gleicher Zeit mit den Indianern war auch ich vorgesprungen, um an
der Seite von Ellen zu sein und kam grad recht, einen der Rothhäute
niederzuschlagen, welcher auf sie eindrang. Das Mädchen war
emporgeschnellt und hatte die Pistole erhoben, um Parranoh nieder zu
schießen, war aber von dem Indianer, welcher die Absicht bemerkt hatte,
daran verhindert worden. Mit den Rücken gegen einander oder die Baumstämme
gelehnt, vertheidigten sich die Jäger mit allen ihnen zu Gebote stehenden
Kräften gegen die sie umzingelnden Wilden. Es waren lauter wohlgeschulte
Trapper, welche schon manchen harten Strauß ausgefochten hatten und keine
Furcht kannten; aber es war klar, daß sie hier der Uebermacht erliegen
mußten, zumal sie vorhin den Indianern ein offenes Ziel geboten hatten und
in Folge Dessen fast alle verwundet waren.
Einige der Braunen hatten gleich im ersten Augenblicke sich auf Parranoh
geworfen, um ihn seiner Bande zu entledigen, und so sehr dies auch
Firehand und Winnetou, welche von ihm weggedrängt worden waren, zu
hintertreiben suchten, so war ihnen diese Absicht doch endlich gelungen.
Mit einem kräftigen Schlage schleuderte der muskulöse Mann die Arme in die
Luft, um das stockende Blut wieder in Bewegung zu bringen, entriß der Hand
eines seiner Leute den Tomahawk und knirrschte, auf Winnetou eindringend:
»Komm her, Du Hund von Pimo! Du sollst jetzt meine Haut bezahlen!«
Der Apache, welcher sich mit dem Schimpfnamen seines Stammes angeredet
fühlte, drang sofort auf ihn ein; aber
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es war zu ersehen, daß er seinen Gegner, dessen Kräfte die Wuth verzehnfacht hatte, nur mit äußerster Mühe werde Stand halten können, zumal er schon verwundet war und in demselben Augenblicke auch von beiden Seiten angefallen wurde. Old Firehand war rund von Feinden umgeben, und wir Andern alle waren so in Anspruch genommen, daß wir an eine gegenseitige Hülfe gar nicht denken konnten.// 240 //
darinnen ausbrüten wollen, meine ich. Bill Bulcher, welcher die Wache hat, wird ihnen ein Wenig Blei gegeben haben, und so hat der ganze Lärm also Nichts zu bedeuten, als daß wir uns noch einige Rattenfelle holen sollen.«Ende des neunten Teils – Fortsetzung folgt.