Nummer 15 Deutsches Familienblatt.
Wochenschrift für Geist und Gemüth.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Old Firehand.

von Karl May.
11. Dezember 1875


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»Wie lange ich dagelegen, ich wußte es nicht. Es wurde Tag und Abend und wieder Tag; da hörte ich leise Schritte in der Nähe. Ich richtete mich empor und - o der Wonne - ich sah den Vater und Winnetou, beide in zerfetzten Kleidern und mit Wunden bedeckt. Sie waren der Uebermacht erlegen und gefesselt fortgeschleppt worden, hatten sich aber loszumachen gewußt und waren entflohen.«

Tief Athem holend hielt sie inne und richtete ihr Auge mit starrem Ausdrucke in die Weite. Dann sich rasch zu mir wendend, fragte sie:

»Ihr habt noch Eure Mutter, Sir?«

»Ja.«

»Was würdet Ihr thun, wenn Jemand sie Euch tödtete?«

»Ich würde den Arm des Gesetzes walten lassen.«

»Gut. Und wenn derselbe zu schwach oder zu kurz ist, wie hier im Westen, so leiht man dem Gesetze den eigenen Arm.«

»Es ist ein Unterschied zwischen Strafe und Rache, Miß! Die Erstere ist eine nothwendige Folge der Sünde und eng verbunden mit dem Begriffe göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit; die Zweite aber ist häßlich und betrügt den Menschen um die hohen Vorzüge, welche ihm vor dem Thiere verliehen sind.«

»Ihr könnt nur deßhalb so sprechen, weil Euch kein Indianerblut durch die kalten Adern rinnt. Wenn der Mensch aber sich freiwillig dieser Vorzüge entäußert und zur lebensgefährlichen Bestie wird, so darf er auch nur als eine solche behandelt und muß verfolgt werden, bis ihn die tödtende Kugel ereilt hat. Als wir an jenem Tage die beiden Todten in die Erde gescharrt und so den Angriffen der Aasgeier entzogen hatten, da gab es in den Herzen von uns Dreien kein anderes Gefühl als das des glühendsten Hasses gegen die Mörder unsres Glückes,« und es war unser eigenes Gelübde, welches Winnetou aussprach, als er mit tiefgrollender Stimme schwur:

»Der Häuptling der Apachen hat in der Erde gewühlt und den Pfeil der Rache gefunden. Seine Hand ist geballt, sein Fuß ist leicht und sein Tomahawk hat die Schärfe des Blitzes. Er wird suchen und finden Tim Finnetey, den Mörder der Rose vom Quicourt und seinen Scalp nehmen für das Leben Ribanna's, der Tochter der Assineboins.«

»War Finnetey der Mörder, Miß?«

»Er war's. In den ersten Augenblicken des Kampfes, als es schien, daß die überraschten Schwarzfüße unterliegen würden, schoß er sie nieder. Winnetou sah es, stürzte sich auf ihn, entriß ihm die Waffe und würde ihn getödtet haben, wenn er nicht von Andern gepackt und nach verzweifelter Gegenwehr gefangen genommen worden wäre. Zur Verspottung ließ man ihm die ungeladene Pistole; sie kam später als sein Geschenk in meine Hand und hat mich nie verlassen, mochte ich meinen Fuß auf die Trottoirs der Städte oder den Grasboden der Prairie setzen.«

»Ich muß Euch sagen, daß -«

Sie schnitt mir die Rede durch eine hastige Handbewegung ab.

»Was Ihr mir sagen wollt, weiß ich und habe es mir tausendmal schon selbst gesagt. Aber habt Ihr noch nie die Sage vom 'flats-ghost' vernommen, welcher in wilden Stürmen über die Ebene braußt und Alles vernichtet, was ihm zu wiederstehen wagt? Es liegt ein tiefer Sinn in ihr, welcher uns sagen will, daß der ungezügelte Wille sich wie ein brandendes Meer über die Ebene ergießen müsse, bevor die Ordnung civilisirter Staaten hier festen Fuß fassen kann. Auch durch meine Adern pulsirt eine Woge jenes Meeres, und ich muß ihrem Drange folgen, obgleich ich weiß, daß ich in der Fluth versinken werde.«

Es waren ahnungsvolle Worte, welche sie hiermit aussprach, und es folgte ihnen eine tiefe, gedankenreiche Stille, welche ich endlich mit einer leisen Vorstellung zu unterbrechen wagte. Sie hörte mich ruhig an und schüttelte dann den Kopf. Mit beredtem Munde gab sie eine Schilderung des Eindruckes, welchen jene Schreckensnacht auf ihr Gemüth hervorgebracht hatte, eine Beschreibung ihres spätern Lebens, welches sie zwischen den Extremen der Wildniß und Gesittung hin- und hergeworfen hatte, und ich lag vor ihr, dem Klange ihrer tiefen, sonoren Stimme lauschend und jedes ihrer Worte trinkend, welche, ohne mich zu überzeugen, doch offenen Eingang in mein Inneres fanden.

Da ertönte von unten herauf ein scharfer Pfiff. Sie unterbrach sich und meinte:

»Vater ruft die Leute zusammen. Kommt nach unten. Es wird Zeit, den Gefangenen vorzunehmen.«

Ich erhob mich und ergriff ihre Hand.

»Wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen, Miß?«

»Gern, wenn Ihr nichts Unmögliches von mir verlangt.«

»Ueberlaßt ihn den Männern!«

»Ihr bittet grad Das, was ich nicht gewähren kann. Tausend und abertausend Male hat es mich verlangt, ihm Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und den Tod entgegenschleudern zu können; tausend und abertausend Male habe ich mir diese Stunde ausgemalt mit allen Farben, welche der menschlichen Phantasie zu Gebote stehen; sie ist das Ziel meines Lebens, der Preis aller Leiden und Entbehrungen gewesen, die ich durchkämpft und durchkostet habe und nun - da ich so nahe an der Erfüllung meines größesten Wunsches stehe, soll ich auf die Erfüllung desselben verzichten? Nein, nein, und abermals nein!«

»Dieser Wunsch wird erfüllt werden, auch ohne Eure unmittelbare Betheiligung, Miß; der Menschengeist hat nach

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höheren Zielen zu streben, als dasjenige ist, welches Ihr Euch vorgesteckt habt, und das Menschenherz ist eines heiligeren und größeren Glückes fähig, als die Befriedigung auch des glühendsten Rachegefühles bietet. Euch ist Alles, Alles gegeben, um glücklich zu sein und glücklich zu machen; warum wollt Ihr auf dieses Glück verzichten, indem Ihr die Hände in das Blut eines Elenden taucht und Das von Euch werft, was allein den Werth des Weibes bestimmt - die Milde, die Liebe?«

»Die Liebe? Geht Sir! Ihr habt Romane gelesen; man hört es.«

Sie wandte sich um und schritt mir voran den Felsensteig hinab.

Eigenthümlich berührt von unsrer Unterhaltung, folgte ich ihr langsam nach. Wie alle Frauen, so gehorchte auch sie fast stets nur den Drange ihres Gefühles, und wie ihrer lückenhaften Schilderung des Vergangenen der Zusammenhang mangelte und man sich grad das Bedeutungsvolle, die Entwickelung ihres inneren, zwiespaltigen Wesens hinzudenken mußte, so war auch dieses Wesen in seiner gegenwärtigen Erscheinung ein unklares und der Vollendung mangelndes. Die Verhältnisse hatten die Erziehung des äußerlich so herrlichen Mädchens übernommen, und da diese Verhältnisse so verschiedenartige, so extreme waren, so durfte es mich nicht wundern, daß ich mich von ihr zeitweilig ebenso sehr abgestoßen sah, wie ich mich vorher von ihr angezogen gefühlt hatte.

Nachdem ich erst zu Swallow gegangen war, um dem braven Thiere meinen Morgengruß zu bringen, trat ich zu der Versammlung, welche rund um den jetzt an einen Stamm gebundenen Parranoh stand. Man berieth über die Art seines Todes.

»Ausgelöscht muß er werden, der Hallunke, wenn ich mich nicht irre,« meinte eben Sam Hawkens; »aber ich möchte meiner Liddy nicht das Herzeleid anthun, dieses Urtheil auszuführen, meine ich.«

»Sterben muß er; das muß so sein,« stimmte Dik Stone, mit dem Kopfe nickend, bei, »und es soll mir Freude machen, ihn am Aste hängen zu sehen; denn ein Anderes hat er nicht verdient. Was meint Ihr, Sir?«

»Wohl,« antwortete Old Firehand. »Unser schöner Platz hier darf aber nicht mit dem Blute dieses Scheusals verunreinigt werden. Da draußen am bee-fork hat er die Meinen gemordet, und da draußen an derselben Stelle soll auch seine Strafe finden. Der Ort, welcher meinen Schwur gehört, soll auch die Erfüllung desselben sehen.«

»Erlaubt Sir,« fiel Stone ein; »warum soll ich den scalpirten Rothweißen umsonst auf dem Schleifholze hierher transportirt haben? Glaubt Ihr, daß ich ein Vergnügen daran finde, den Braunhäuten dafür nun meine Schmachtlocken zu überlassen?«

»Was meint Winnetou, der Häuptling der Apachen?« fragte Old Firehand, die Gründe dieses Einwurfes begreifend.

»Winnetou fürchtet nicht die Pfeile des Ogellalla; er trägt in seinem Gürtel die Haut des Hundes von Athabaskah und schenkt den Leib des Feindes seinem weißen Bruder.«

»Und Ihr?« wandte sich der Fragende jetzt auch zu mir.

»Machts kurz mit ihm! Furcht vor den Indsmen wird wohl Keiner von uns haben; aber ich halte es nicht für nöthig, uns in unnöthige Gefahr zu begeben und dabei unsern Aufenthalt zu verrathen. Der Mensch ist ein solches Wagniß nicht werth.«

»Ihr könnt ja hier bleiben, Sir, um Euer Schlafkabinet zu bewachen,« rieth mir Ellen mit zweifelhaftem Achselzucken. »Was aber mich betrifft, so verlange ich unbedingt das Urtheil an demselben Orte vollstreckt, an welchem die Opfer des Mörders liegen. Das Schicksal bestätigt mein Verlangen dadurch, daß es ihn uns hier und nirgends anderswo in unsre Hände gab. Was ich verlange, bin ich Denen schuldig, an deren Grabe ich den Schwur gethan habe, nicht zu ruhen und zu rasten, bis sie gerächt seien.«

»Thut, was Ihr wollt, Miß!« erwiederte ich kalt und wandte mich ab. Das mehr als Unweibliche, das wahrhaft Dämonische, welches aus ihren Worten, aus jeder ihrer Mienen sprach, stieß mich heftig von ihr ab und brachte ein Schmerzgefühl in meinem Innern hervor, als bohre sich ein kalter, spitzer Stahl mir in das Herz.

Der Gefangene stand aufrecht an den Stamm gelehnt und verzog trotz der Schmerzen, welche die tief in sein Fleisch eindringenden Fesseln ihm verursachen mußten und trotz der ernsten Bedeutung, welche die Verhandlung für ihn hatte, keine Falte seines von Alter und Leidenschaft durchfurchten Angesichtes. In seinen abschreckenden Gesichtszügen stand die ganze Geschichte seines Lebens geschrieben, und der Anblick des nackten, in blutigen Farben spielenden Schädels erhöhte den schlimmen Eindruck, welchen der Mann selbst auf den unparteiischen Beschauer machen mußte.

Nach einer längeren Berathung, an welcher ich mich unbetheiligt hielt, löste sich der Kreis auf, und die Jäger rüsteten sich zum Aufbruche.

Der Wille des Mädchens war also doch durchgedrungen, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß uns daraus Unheil entstehen müsse. Old Firehand trat zu mir und legte die Hand auf meine Schulter.

»Laßt es ruhig gehen, wie es gehen will, Mann, und legt keinen falschen Maßstab an Dinge, welche nicht nach der Schablone Eurer sogenannten Bildung geschnitten sind.«

»Ich gestatte mir kein Urtheil über Eure Handlungsweise, Sir. Das Verbrechen muß seine Strafe finden; das ist einmal richtig; doch werdet Ihr mir nicht zürnen, wenn ich meine, daß ich mit der Execution Nichts zu thun habe. Ihr geht nach dem bee-fork

»Wir gehen, und da Ihr Euch nun doch mit der Sache nicht befassen wollt, so ist es mir lieb, Jemanden hier zu wissen, dem ich die Sicherheit unsers Lagerplatzes anvertrauen darf.«

»Wird nicht an mir liegen, wenn Etwas geschieht, was wir nicht wünschen, Sir. Wann kommt Ihr zurück?«

»Kann's nicht bestimmt sagen; richtet sich nach Dem, was wir draußen finden. Also lebt wohl und haltet die Augen offen!«

Er trat zu Denen, welche bestimmt waren, ihn mit dem Gefangenen zu begleiten. Dieser wurde vom Baume losgebunden, und als Winnetou, welcher gegangen war um sich von der Sicherheit der Passage zu überzeugen, zurückkehrte und die Meldung machte, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, schob man Finnetey einen Knebel in den Mund und schritt dem Ausgange zu.

»Mein weißer Bruder bleibt zurück?« fragte der Apache, ehe er sich dem Zuge anschloß.


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»Der Häuptling der Apachen kennt meine Gedanken; mein Mund braucht nicht zu sprechen.«

»Mein Bruder ist vorsichtig wie der Fuß, ehe er in das Wasser der Krokodile tritt; aber Winnetou muß gehen und sein bei der Tochter Ribanna's, welche starb von der Hand des Athabaskah.«

Er ging; ich wußte, daß meine Ansicht auch die seinige sei und er nur aus Sorge für die Andern und ganz besonders für Ellen sich entschlossen habe, ihnen zu folgen.

Nur wenige der Jäger waren zurückgeblieben, unter ihnen Dik Stone. Ich rief sie zu mir und machte ihnen die Mittheilung, daß ich beabsichtige, einmal hinauszugehen, um mir die Büsche anzusehen.

»Wird wohl nicht nöthig sein, Sir,« meinte Stone. »Der Posten steht ja draußen und hält die Augen offen, das muß so sein, und außerdem ist ja auch der Apache auf Umschau ausgewesen. Bleibt hier und pflegt Euch. Werdet schon noch Arbeit bekommen!«

»In wiefern?«

»Na, haben ja Augen und Ohren, die Rothhäute, und werden schon merken, daß es da draußen 'was zu fangen giebt. Sind schlaue Kerls; das muß so sein.«

»Gebe Euch vollständig recht, Dik, und werde deßhalb 'mal zuschauen, ob sich irgend Etwas regen will. Nehmt Ihr indessen den Ort hier in Eure Obhut! Werde nicht sehr lange auf mich warten lassen.«

Ich holte die Büchse und begab mich hinaus. Der Wachtposten versicherte mir, nichts Verdächtiges bemerkt zu haben; aber ich hatte gelernt, nur meinen eigenen Augen zu trauen und durchbrach den Saum des Gebüsches, um dasselbe nach Indianerspuren abzusuchen.

Grad dem Eingange unsers Thalkessels gegenüber bemerkte ich einige abgeknickte Zweige und fand bei näherer Untersuchung des Bodens, daß hier ein Mensch gelegen und bei seiner Entfernung die Eindrücke, welche sein Körper auf das abgefallene Laub und den lockeren Humusboden hervorgebracht, mit Sorgfalt verwischt und möglichst unbemerkbar gemacht hatte.

Man hatte uns also belauscht, unsern Aufenthalt entdeckt, und jeder Augenblick konnte uns einen Angriff bringen. Da ich aber schloß, daß der Feind zunächst wohl sein Augenmerk auf Parranoh und seine Eskorte richten werde, so war es vor allen Dingen nothwendig, Old Firehand wo möglich noch rechtzeitig zu warnen, und ich beschloß, dem vorangegangen Zuge schleunigst zu folgen.

Nachdem ich der Wache die nöthigen Anweisungen gegeben, schritt in den Spuren unsrer Leute, welche längs des Flusses sich aufwärts begeben hatten, nach und kam auf diesem Wege an dem Schauplatze unsrer gestrigen Thaten vorüber. Wie ich geahnt, so war es geschehen; die Ogellalla's hatten die beiden Todten entdeckt, und aus der Menge des niedergetretenen Grases war zu schließen, daß sie sich in bedeutender Anzahl an dem Orte eingefunden hatten, um die Leichname ihrer Brüder zu holen.

Noch war ich nicht sehr weit über diesen Punkt hinausgekommen, als ich auf neue Spuren stieß. Sie kamen seitwärts aus dem Gebüsch und führten auf dem Wege weiter, welchen unsre Jäger eingeschlagen hatten. Ich folgte ihnen, wenn auch mit möglichster Vorsicht, so doch in größester Eile und legte so in verhältnißmäßig kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, sodaß ich bald die Stelle erreichte, an welcher sich die Wasser des bee-fork in die Fluthen des Mankizila ergossen.

Da ich den Platz nicht kannte, an welchem die Execution vor sich gehen sollte, so mußte ich meine Vorsicht jetzt verdoppeln und folgte, die Spuren nur von der Seite im Auge behaltend, ihrer Richtung durch das nebenanlaufende Gebüsch.

Jetzt machte das Flüßchen eine Biegung und grenzte an dieser Stelle eine Lichtung ab, von welcher sich der sogenannte »schwarze Wuchs« zurückgezogen und den Gräsern den nöthigen Raum zur ungehinderten Entwickelung gelassen hatte. Mitten auf dem freien Platze stand eine Gruppe von Balsamfichten, unter deren Zweigen die Jäger in lebhaftem Gespräche saßen, während der Gefangene an einen der Stämme gebunden war.

Grad vor mir, höchstens drei Mannslängen von meinem Standorte entfernt, lugten eine kleine Anzahl Indianer durch den Buschrand hinaus auf die Blöse, und es war mir augenblicklich klar, daß die Andern rechts und links abgegangen waren, um die Belauschten von drei Seiten einzuschließen und durch einen plötzlichen Ueberfall nieder zu machen oder in den Fluß zu treiben.

Es war keinen Augenblick Zeit zu verlieren. Ich nahm den Henrystutzen an die Wange und drückte ab. Für die ersten Secunden verursachten meine Schüsse das einzige Geräusch, welches zu hören war; denn sowohl Freunde wie Feinde befanden sich in lebhafter Ueberraschung über die unerwartete Durchkreuzung ihres Vorhabens. Sodann aber gellte ein markerschütterndes »Ho - ho - hi«, der Kampfesruf der Indianer, fast hinter jedem Strauche hervor, eine Wolke von Pfeilen drang von allen Seiten aus dem Gebüsche, und im Nu war der Platz von heulenden, keuchenden und schreienden Menschen bedeckt, welche im wüthendsten Handgemenge mit einander kämpften.

Fast zu gleicher Zeit mit den Indianern war auch ich vorgesprungen, um an der Seite von Ellen zu sein und kam grad recht, einen der Rothhäute niederzuschlagen, welcher auf sie eindrang. Das Mädchen war emporgeschnellt und hatte die Pistole erhoben, um Parranoh nieder zu schießen, war aber von dem Indianer, welcher die Absicht bemerkt hatte, daran verhindert worden. Mit den Rücken gegen einander oder die Baumstämme gelehnt, vertheidigten sich die Jäger mit allen ihnen zu Gebote stehenden Kräften gegen die sie umzingelnden Wilden. Es waren lauter wohlgeschulte Trapper, welche schon manchen harten Strauß ausgefochten hatten und keine Furcht kannten; aber es war klar, daß sie hier der Uebermacht erliegen mußten, zumal sie vorhin den Indianern ein offenes Ziel geboten hatten und in Folge Dessen fast alle verwundet waren.

Einige der Braunen hatten gleich im ersten Augenblicke sich auf Parranoh geworfen, um ihn seiner Bande zu entledigen, und so sehr dies auch Firehand und Winnetou, welche von ihm weggedrängt worden waren, zu hintertreiben suchten, so war ihnen diese Absicht doch endlich gelungen. Mit einem kräftigen Schlage schleuderte der muskulöse Mann die Arme in die Luft, um das stockende Blut wieder in Bewegung zu bringen, entriß der Hand eines seiner Leute den Tomahawk und knirrschte, auf Winnetou eindringend:

»Komm her, Du Hund von Pimo! Du sollst jetzt meine Haut bezahlen!«

Der Apache, welcher sich mit dem Schimpfnamen seines Stammes angeredet fühlte, drang sofort auf ihn ein; aber


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es war zu ersehen, daß er seinen Gegner, dessen Kräfte die Wuth verzehnfacht hatte, nur mit äußerster Mühe werde Stand halten können, zumal er schon verwundet war und in demselben Augenblicke auch von beiden Seiten angefallen wurde. Old Firehand war rund von Feinden umgeben, und wir Andern alle waren so in Anspruch genommen, daß wir an eine gegenseitige Hülfe gar nicht denken konnten.

Längerer Widerstand wäre hier die größte Thorheit und ein falsches Ehrgefühl am unrechten Platze gewesen. Deßhalb rief ich, Ellen am Arme durch den Kranz der Feinde, welcher uns umgab, reißend:

»In's Wasser, Männer, in's Wasser!« und fühlte dasselbe auch schon im nächsten Augenblicke über mich zusammenschlagen.

Mein Ruf war trotz des laut tobenden Kampfes gehört worden und wer sich loszumachen vermochte, folgte ihm. Der Fork war wenn auch tief, aber doch so schmal, daß es nur weniger Ruderschläge bedurfte, um das jenseitige Ufer zu erreichen; aber in Sicherheit waren wir natürlich damit noch lange nicht, vielmehr beabsichtigte ich, die zwischen ihm und dem Mankizila auslaufende Landspitze zu durchschneiden und dann den Letzteren zu überschwimmen, und schon winkte ich dem Mädchen nach der Richtung hin, welche wir auf diese Weise einzuschlagen hatten, als die kleine, krummbeinige Gestalt Sam's in triefendem Jagdrocke und schwappenden Moccassins an uns vorüberschoß und, die kleinen Aeuglein schlau auf die verfolgenden Feinde zurückwerfend, mit einem raschen Satze seitwärts im Weidengestrüpp verschwand.

Sofort waren wir hinter ihm her; denn die Zweckmäßigkeit seines Verfahrens war zu einleuchtend, als daß ich an meinem vorherigen Plane hätte festhalten mögen.

»Der Vater, der Vater!« rief Ellen angstvoll. »Ich muß zu ihm; ich darf ihn nicht verlassen!«

»Kommt nur, Miß,« drängte ich und zog sie immer vorwärts. »Wir vermögen nicht, ihn zu retten, wenn es nicht schon ihm selbst gelungen ist!«

Mit möglichster Raschheit uns durch das Dickicht windend, gelangten wir schließlich wieder an den bee-fork, und zwar oberhalb der Stelle, an welcher wir in das Wasser gesprungen waren. Sämmtliche Indianer hatten ihre Richtung auf den Mankizila zu genommen, und als wir drüben anlangten, konnten wir mit ziemlicher Sicherheit unsern Weg fortsetzen. Sam Hawkens aber schien zu zaudern.

»Seht Ihr dort die Büchsen liegen, wie mir scheint, Sir?«

»Die Indsmen haben sie abgeworfen, ehe sie in das Wasser gingen.«

»Hi hi, Sir, sind das dumme Männer, uns ihre Schießhölzer liegen zu lassen, wenn ich mich nicht irre!«

»Ihr wollt sie holen? Es ist Gefahr dabei.«

»Gefahr? Sam Hawkens und Gefahr!«

In raschen Sprüngen, welche ihm das Ansehen eines gejagten Känguru gaben, eilte er davon und las die Gewehre zusammen. Ich war ihm natürlich gefolgt und zerschnitt, die Bogen, welche zerstreut umherlagen, vom Boden nehmend, deren Sehnen, sodaß sie wenigstens für einige Zeit unbrauchbar wurden.

Niemand störte uns in dieser Beschäftung; denn die Rothhäute ahnten sicherlich nicht, daß Einige von den Verfolgten die Verwegenheit besitzen könnten, nach dem Kampfplatze zurück zu kehren. Hawkens hatte die Gewehre in den Händen, betrachtete sie mit mitleidigen Blicken und warf dann alle mit einander in das Wasser.

»Schönes Zeug, Sir, schönes Zeug! Können die Ratten hinein hecken in die Läufe, meine ich, ohne daß sie viel gestört werden. Aber kommt; es ist hier nicht geheuer, wenn ich mich nicht irre!«

Wir schlugen den gradesten Weg mitten durch Dick und Dünn ein, um so bald wie möglich das Lager zu erreichen. Nur ein Theil der Indianer war am bee-fork gewesen, und da ich gesehen hatte, daß man uns belauscht und also Kenntniß von unserm Aufenthaltsorte genommen hatte, so stand zu vermuthen, daß die Uebrigen die Abwesenheit der Jäger zu einem Ueberfalle der Zurückgeblieben benutzt hatten.

Noch hatten wir eine ziemliche Strecke zurück zu legen, als wir einen Schuß aus der Richtung des Thalkessels vernahmen.

»Vorwärts, Sir!« rief Hawkens und beschleunigte seine Bewegungen. »Da vorn wirds lebendig, scheint es mir, und wir können die armen Braunen doch nicht so allein beim Vergnügen stehen lassen, wenn ich mich nicht irre.«

Ellen hatte noch kein Wort wieder gesprochen, und mit angstvollen Zügen drängte sie in hastiger Eile vorwärts. Es war gekommen, wie ich vorhergesagt hatte, und wenn ich auch nicht unternehmen konnte, einen Vorwurf auszusprechen, so sah ich es ihr doch deutlich an, daß sie dieselbe Einsicht hegte.

Die Schüsse wiederholten sich, und es blieb uns kein Zweifel, daß die zurückgebliebenen Jäger in einem Kampfe mit den Indianern sich befanden. Hier war Hülfe nothwendig, und trotz der Unwegsamkeit des Gehölzes gelang es uns doch in Kurzem, das Thal zu erreichen, in welches der Ausgang unseres »Schlosses« mündete. Wir hielten auf den Punkt zu, welcher diesem Ausgange gegenüber lag und wo ich die Spuren des Indianers entdeckt hatte. Jedenfalls lagen die Rothhäute im Saume des Waldes verborgen und blockirten von da aus das »Wasserthor«. Wir mußten ihnen also in den Rücken kommen, wenn wir einen Erfolg erzielen wollten.

Da hörte ich seitwärts hinter uns ein Geräusch, als dringe Jemand in aller Eile durch die Büsche. Auf ein Zeichen von mir traten die beiden Anderen ebenso wie ich hinter das dichte Blätterwerk eines Strauches und erwarteten das Erscheinen Desjenigen, welcher dieses Geräusch verursachte. Wie groß war unsre Freude, als wir Old Firehand erkannten, hinter welchem Winnetou und noch zwei Jäger folgten. Sie waren also der Verfolgung entkommen, und wenn Ellen ihre Freude über das Wiedersehen auch nicht in auffälliger Weise kund gab, so war ihr dieselbe doch in einer Weise anzumerken, welche mir die Ueberzeugung gab, daß ihr Herz gar wohl mächtiger Gefühle fähig sei und mich mit ihr vollständig aussöhnte.

»Habt Ihr die Schüsse gehört?« frug Old Firehand hastig.

»Ja.«

»So kommt! Wir müssen den Unsrigen Hülfe bringen. Denn wenn der Eingang auch so schmal ist, daß ein einzelner Mann ihn recht gut zu vertheidigen vermag, so wissen wir doch nicht, was geschehen ist.«

»Nichts ist geschehen, Sir, wenn ich mich nicht irre!« meinte Sam Hawkens. »Die Rothhäute haben unser Nest entdeckt und sich nun davor gelegt, um zu sehen, was wir

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darinnen ausbrüten wollen, meine ich. Bill Bulcher, welcher die Wache hat, wird ihnen ein Wenig Blei gegeben haben, und so hat der ganze Lärm also Nichts zu bedeuten, als daß wir uns noch einige Rattenfelle holen sollen.«

»Möglich, daß es so ist; aber wir müssen trotzdem vorwärts, um uns Gewißheit zu verschaffen. Auch ist zu bedenken, daß unsre Verfolger bald hier sein werden und wir es dann mit einer doppelten Anzahl Indianer zu thun haben.«

»Aber unsre versprengten Leute?« warf ich ein.

»Hm, ja; wir brauchen jeden Arm so nothwendig, daß wir Keinen von ihnen entbehren können. Der Einzelne wird sich den Eingang nicht erzwingen können; wir müssen also sehen, ob sich nicht vielleicht noch irgend Wer zu uns finden will.«

»Meine weißen Brüder mögen bleiben hier an diesem Orte. Winnetou wird gehen, um zu sehen, an welchem Baume die Scalpe der Ogellalla's hangen.«

Ohne eine Antwort auf diesen Vorschlag abzuwarten, ging der Apache von dannen, und wir konnten nichts Anderes thun, als ihm Folge leisten, indem wir uns niederließen, um seine Rückkehr zu erwarten. Während dieser Zeit gelang es uns wirklich, noch zwei von unsern zerstreuten Leuten an uns zu ziehen. Auch sie hatten das Schießen vernommen und waren herbeigeeilt, um die vielleicht nothwendige Hülfe zu bringen. Der Umstand, daß wir Alle den gradesten Weg mitten durch den Wald eingeschlagen hatten, war die alleinige Ursache unsers glücklichen Zusammentreffens, und wenn es auch Keinen gab, der ohne Wunde dem Ueberfalle entgangen war, so besaßen wir doch immer noch die gute Zuversicht, daß wir uns glücklich aus der Affaire ziehen würden. Wir waren ja neun Personen, eine Anzahl, die bei kräftigem Zusammengreifen schon Etwas auszurichten vermochte.

Es verging eine geraume Zeit, ehe Winnetou zurückkehrte; aber als er kam, sahen wir einen frischen Scalp in seinem Gürtel. Er hatte also einen der Indianer in aller Stille »ausgelöscht«, und unsers Bleibens konnte hier nun nicht länger sein; denn wenn der Tod eines der Ihrigen bemerkt wurde, so mußten die Indsmen sofort erkennen, daß wir hinter ihnen seien.

Auf Old Firehands Rath sollten wir eine dem Buschrande parallel laufende Linie bilden, dem Feinde in den Rücken fallen und ihn aus seinem Verstecke hinauswerfen. In Folge Dessen trennten wir uns, nachdem wir unsre vom Wasserbade naß gewordenen Gewehre wieder schußfähig gemacht hatten, und kaum waren einige Minuten vergangen, so krachte eine der neun Büchsen nach der andern. Jede Kugel forderte ihren Mann, und ein lautes Schreckensgeheul der Ueberraschten erfüllte die Luft.

Da unsre Linie eine ziemlich gedehnte war und unsre Schüsse immer von Neuem fielen, so hielten die Wilden unsre Zahl für größer, als sie war und nahmen die Flucht. Aber anstatt in den freien Thalraum hinaus zu gehen, wo ihre Körper uns ein sicheres Ziel geboten hätten, brachen sie zwischen uns durch und ließen die Gefallenen zurück, über welche die Jäger sofort herfielen, um ihnen die Kopfhaut zu nehmen.

Bill Bulcher, der Wachthabende, hatte das Nahen der Rothhäute bemerkt und sich zu rechter Zeit noch nach der »Festung« zurückgezogen. Sie waren ihm gefolgt, hatten aber nach einigen Schüssen, die er und der herbeieilende Dik Stone von dem engem Felsengange aus, in den sie ihm nicht folgen konnten, unter sie gefeuert, sich wieder zurückgezogen und im Gebüsche festgesetzt, aus welchem wir sie jetzt vertrieben hatten.

Die beiden Genannten staken noch immer im Wasserthore; denn da sie sich nicht blosgeben durften, so konnten sie nicht eher zum Vorschein kommen, als bis wir uns gezeigt hatten. Als dies geschehen war, standen sie und alle andern Zurückgebliebenen bei uns und hörten den Bericht über das Geschehene.

Der Letzte, der aus den Büschen kam, war Sam der Kleine, welcher allsogleich auf Dik Stone zusteuerte.

»Schau her, Mann, was für Arbeit mein Messer gemacht hat, meine ich!«

Unter dem Grinsen, mit welchem diese Worte gesprochen wurden, sträubte sich der Bartwald des alten Jägers wie der Borstenbesatz eines Stachelschweines, und mit stolzem Augenfunkeln reckte er dem Angeredeten die eben erst abgezogenen Scalpe vor die Nase.

»Hm, ja! Hast sie Dir wohl wieder von Dem da schießen lassen?«

»Keine Beleidigung, altes Stunck! Sam Hawkens weiß schon eine Kugel dahin zu schicken, wo sie hingehört, wenn ich mich nicht irre; bei Dik Stone freilich kann es anders sein.«

»Nimm Dein Mundwerk unter die Serape, Mann, sonst springe ich Dir in den Bart. Wenn Dik Stone Scalpe braucht, wird er sich schon welche holen; das muß so sein!«

Mit einigen raschen Schritten ging er seitwärts, wo am Rande des Wassers drei Indianer lagen, welche beim ersten Vordringen auf die Wasserpforte unter den Kugeln der Jäger gefallen waren. Er löste ihnen die Kopfhäute, hing sich zwei von denselben an seinen eigenen Gürtel und gab die Dritte an Bulcher.

»Hier, Bill, hast Du Dein Theil. Hat nicht viel Weisheit drunter gesteckt, sonst hätte sich der Braune nicht so weit an unsre Büchsen gemacht. Trag sie gesund und halte Die fest, welche Dir über die Ohren gewachsen ist, alter Bison, damit Du nicht auch eine Haube brauchst wie Sam Hawkens, der Goliath!«

»Laßts gut sein, Leute, und macht, daß wir in Sicherheit kommen,« meinte Old Firehand; »denn es wird wohl nicht lange dauern, so haben wir die Rothhäute wieder hier.«

»Wird mir lieb sein!« brummte Sam Hawkens. »Habe mit ihnen ein Wörtchen zu reden wegen des Wasserspringens, meine ich. Aus dem Rocke triefts wie ein Wolkenbruch, und in den Schuhen, na, da wate ich 'rum als stäken meine alten Beine im Schlamme des Mississippi, wenn ich mich nicht irre. Mögen immer kommen; meiner Liddy juckts im Rohre!«


Ende des neunten Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Old Firehand

Karl May – Leben und Werk