Nummer 16 Deutsches Familienblatt.
Wochenschrift für Geist und Gemüth.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Old Firehand.

von Karl May.
18. Dezember 1875


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In diesem Augenblicke kam es von der Seite heraufgedonnert wie eine Heerde wilder Büffel. Sofort sprangen wir in's Gesträuch und machten uns schußfertig. Wie groß aber war unser Erstaunen, als wir eine Anzahl aufgezäumter Pferde erblickten, auf deren vorderstem ein Mann in Jägertracht saß, dessen Züge vor dem aus einer Kopfwunde rinnenden Blute nicht zu erkennen waren. Auch am Körper trug er mehrere Verletzungen, und es war ihm anzusehen, daß er sich in einer nicht beneidenswerthen Lage befunden hatte.

Grad vor dem Orte, an welchem sich gewöhnlich der Posten befand, hielt er an und schien sich nach dem Letzteren umzusehen. Als er ihn nicht bemerkte, ritt er kopfschüttelnd weiter und sprang beim Wasserthore vom Pferde. Da ließ sich neben mir im Busche eine laute Stimme vernehmen:

»Jetzt lasse ich mich schinden und ausnehmen wie einen Dickschwanz, wenn das nicht Will Parker ist. So sauber fällt kein Anderer vom Pferde wie dieser Mann, meine ich!«

»Sollst Recht haben, altes Coon! Will Parker ist's, das Greenhorn - weißts noch, Sam Hawkens? Will Parker und ein Greenhorn, hahaha!« Und als wir Andern nun auch hervortraten, rief er:

»Segne meine Augen. Da sind sie ja alle, die Springfüße, die mit meiner Mutter Sohne so tapfer vor den Rothhäuten herliefen! Na, Sir, nehmts nicht übel, aber zuweilen ist das Laufen besser, als irgend etwas Anderes.«

»Weiß es, Mann; doch sag', was wills mit den Pferden?« frug Old Firehand.

»Hm! Hatte so meine Ansicht, daß die Braunen den alten Will Parker überall eher suchen würden, als in ihrem eigenen Lager. Bin deßhalb erst hinüber nach dem Gutter; war aber Nichts mehr da zu finden. Darum machte sich das Greenhorn - hörst Du, Sam Hawkens, hahaha - das Greenhorn nach dem 'couch', wo sie die Pferde hatten. Waren ausgeflogen, die Vögel und hatten Zwei bei den Thieren gelassen, damit sie mir ihre Felle geben sollten; ist ihnen auch nach Willen geschehen!«

Er zeigte dabei auf die Scalpe, welche in seinem Gürtel hingen.

»Hab' sie mir selber geholt und nicht dem - dem - dem jungen Scalper da zu verdanken, Sam Hawkens. War böse Arbeit, sage ich, und hat mir einige Löcher eingetragen; aber Will Parker dachte, den Indsmen eine Freude zu machen, wenn er ihnen von ihren Pferden helfe. Habe die schlechten hinaus in die Prairie gejagt und die guten mitgebracht; da sind sie!«

»Hm, das muß so sein!« rief Dik Stone vor Erstaunen über die Heldenthat des Sprechers.

»Freilich muß das so sein,« antwortete Parker; »denn wenn wir den Pfeilmännern ihre Pferde nehmen, so kommt 'ihr Holz ins Schwimmen' und sie müssen elend untergehen. Aber da liegen ja drei von ihnen! Aha, hier gewesen, und drum war es im couch so leer. Seht Euch doch den Braunen an, Sir; ein Pferd wie 'Tabak'. Muß dem Häuptling, gehören!«

»Den wir so schön an die Luft geführt haben, wenn ich mich nicht irre,« grollte Sam der Kleine. »War ein heilloser Streich, meine ich.«

Old Firehand hörte den Vorwurf nicht. Er war zu dem Braunen getreten und betrachtete das Thier mit bewundernden Blicken.

»Ein Kapitalroß,« wandte er sich zu mir; »wenn mir die Wahl gelassen würde, so wüßte ich nicht, ob ich Swallow nähme oder diesen da.«

»Winnetou spricht mit der Seele des Rosses und hört den Puls seiner Adern. Er nimmt Swallow,« entschied der Apache.

Da ließ ein scharf zischender Laut sich hören; ein Pfeil flog Hawkens an den Arm, fiel aber, von dem bretsteifen, eisenharten Leder des Aermels abgleitend, zur Erde und in demselben Augenblicke erscholl betäubendes »Ho - ho - hi« aus dem Dickicht hervor. Trotz dieser kriegerischen Demonstration aber ließ sich keiner der Wilden sehen, und Sam meinte, den Pfeil vom Boden nehmend und betrachtend:

»Hahaha, Sam Hawkens' Rock und so ein dummes Gewächs durchgehen, meine ich! Habe dreißig Jahre lang einen Flicken auf den andern gesetzt und stecke nun drin wie San Jago in Abrahams Schooß, wenn ich mich nicht irre.«

Weiter hörte ich von seiner an das alte Kleidungsstück gerichteten Ode Nichts; denn wir sprangen natürlich sofort in den Busch, um den unfreundlichen Gruß gehörig zu beantworten. Hätten wir uns in die »Burg« flüchten wollen, so wäre das wegen der Enge des Einganges so langsam vor sich gegangen, daß, da wir ohne alle Deckung waren, Einer nach dem Andern weggeschossen werden konnte. Auch mußten wir dann die erbeuteten Pferde im Stiche lassen, da ihr Transport durch die schmale Felsenwindung uns ungemein aufgehalten hätte, und vor Allem war aus dem Umstande, das der Feind zu keinem Angriffe vorging, mit ziemlicher Sicherheit zu schließen, daß er nicht zahlreich genug sei und ihm die von mir und Sam hinweggenommenen oder doch wenigstens unbrauchbar gemachten Waffen fehlten.

Der ganze Lärm war Nichts weiter gewesen, als eine Kundgebung des kriegerischen Muthes der Indianer; denn trotzdem wir weit in das Gebüsch eindrangen, bekamen wir doch Keinen von ihnen zu Gesichte. Sie hatten sich schleunigst zurückgezogen, um auf Verstärkung zu warten, und wir waren durch das unschädliche Ereigniß nun doch so weit gewitzigt worden, daß wir nicht länger halten blieben, sondern uns in den sichern Thalkessel begaben.

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Einer der vorher zurückgebliebenen und also nicht ermüdeten Jäger ward als Wache aufgestellt, während die Andern nach ihren Wunden sahen und dann sich um das Mahl versammelten oder der Ruhe pflegten.

Am Feuer, welches den Versammlungsort aller Derer bildete, welche das Bedürfniß, sich auszusprechen, fühlten, ging es lebhaft her. Jeder der um dasselbe Herumsitzenden hatte nothwendig seine Thaten zu erzählen und seine Ansicht auszusprechen. Alle waren der freudigen Meinung, daß von den Wilden Nichts zu befürchten sei. Die Zahl der erbeuteten Scalpe war eine ansehnliche, das Abenteuer siegreich bestanden und keine der Wunden zeigte eine gefährliche Beschaffenheit. Zudem schien unser Aufenthaltsort ein vollständig sicherer zu sein; für Proviant und Munition war reichlich gesorgt, und so konnten die Feinde den Eingang belagern, so lange es ihnen gefiel oder sich die Köpfe an den ringsum starrenden Felsen einrennen.

Auch Old Firehand theilte diese Ansicht, und nur Winnetou schien ihr nicht beizustimmen. Er lag abseits von den Andern in der Nähe seines Pferdes und schien in tiefe, ernste Gedanken versunken.

»Das Auge meines rothen Freundes blickt finster, und seine Stirne trägt die Falten der Sorge. Welche Gedanken wohnen in seinem Herzen?« fragte ich, zu ihm tretend.

»Der Häuptling der Apachen sieht den Tod durch die Pforte dringen und das Verderben von den Bergen steigen. Es flammt das Thal von der Gluth des Feuers, und das Wasser ist roth vom Blute der Erschlagenen. Winnetou spricht mit dem großen Geiste. Das Auge der Bleichgesichter ist blind geworden vom Hasse, und ihre Klugheit ist den Gefühlen der Rache gewichen. Parranoh wird kommen und nehmen die Scalpe der Jäger; aber Winnetou ist gegürtet zum Kampfe und wird anstimmen den Todtengesang auf den Leichen seiner Feinde.«

»Wie soll der Ogellalla betreten das Lager unserer Jäger? Er vermag nicht, durch das Thor zu dringen.«

»Mein weißer Bruder spricht Worte, aber er glaubt ihnen nicht. Vermag eine Büchse aufzuhalten die Zahl der rothen Männer, wenn sie durch die Enge brechen?«

Er hatte Recht. Gegen eine geringe Anzahl Feinde konnte es wohl einem Einzigen glücken, den Paß zu vertheidigen, nicht aber gegen eine so bedeutende Horde, wie sie uns gegenüber stand; denn wenn auch nur stets eine Person einzudringen vermochte, so stand ihr doch eben auch nur Einer entgegen, und wenn die Hindersten nachdrängten, so konnten wohl einige der Vorderen getödtet, nicht aber das Eindringen der Uebrigen verhütet werden.

Ich hatte das Old Firehand gesagt, er aber mir geantwortet:

»Und wenn sie es wagen, so wird es uns leicht sein, sie nach einander auszulöschen, so wie sie durch die Schlucht kommen.«

Das klang wahr, und ich mußte mich zufrieden geben, obgleich ich wußte, daß der kleinste Umstand hinreichend sein konnte, diese Wahrheit zu Schanden zu machen.

Als der Abend hereinbrach, wurde die Wachsamkeit natürlich verdoppelt, und trotzdem ich auf meinen ausdrücklichen Wunsch erst zur Zeit des Morgengrauens Posten zu stehen hatte, zu welcher Zeit die Indsmen am Liebsten ihre Ueberfälle vornehmen, so ließ es mir doch nirgens Ruhe, und ich hielt mich für alle Fälle bereit.

Die Nacht lag still und ruhig über dem Thale, in dessen Vordergrunde das Feuer brannte und sein zitterndes Licht über die Umgebung warf. Swallow, welcher sich in dem von Bergen umschlossenen Raume frei bewegen durfte, weidete im dunklen Hindergrunde des Kessels; ich ging, nach ihm zu sehen und fand ihn ganz am Rande der steilansteigenden Höhen. Nachdem ich mit ihm die gewöhnlichen Liebkosungen gewechselt, wollte ich mich eben wieder entfernen, als ein leises Gepolter mich lauschen machte.

Auch das Pferd hob den Kopf in die Höhe; aber da der kleinste Athemzug unsre Gegenwart verrathen konnte, so ergriff ich es beim Riemen und deckte die Hand auf die sich unter dem Verdachte schon erweiternden Nüstern. Während wir von obenherab nicht leicht bemerkt werden konnten, war es mir möglich, von unten hinauf gegen den lichten Himmel jeden Gegenstand zu erkennen; und mit angestrengtem Auge suchte ich nach der Ursache, welche den herabgefallenen Stein von seinem Orte gelöst hatte.

In den ersten Augenblicken nach dem Falle des Steines war nichts Auffallendes zu bemerken. Jedenfalls hatte man das von dem Steine verursachte Geräusch ebenso gut bemerkt, wie ich und wartete nun eine Weile, um sich zu überzeugen, daß dasselbe nicht gehört oder beachtet werde.

Diese Ansicht war eine richtige, denn nachdem ich mich einige Zeit lang ruhig verhalten hatte, sah ich zuerst mehrere Gestalten, welche sich von dem dunklen Felsen lösten, und nach unten stürzen; bald aber gewahrte ich eine ganze Reihe Indianer, welche Einer hinter dem Andern über den Kamm der Höhe kamen und mit langsamen, vorsichtigen Schritten dem Ersten folgten, welcher mit der Oertlichkeit außerordentlich vertraut zu sein schien und kaum noch zweier Minuten bedurfte, um die Thalsohle zu erreichen.

Hätte ich meinen Stutzen bei mir gehabt, so wäre es mir leicht gewesen, ihn durch einen Schuß herunter zu holen und damit zugleich das nothwendige Alarmsignal zu geben. Er war der Führer, und die Andern durften bei dem Gefahr drohenden Terrain sich keinen Schritt weiter wagen, wenn er ihnen weggeschossen wurde. Aber leider hatte ich nur die Revolver im Gürtel, welche für einen Fernschuß untauglich waren.

Gab ich mit ihnen das Lärmzeichen, so waren die Feinde doch unten, ehe Hülfe herbeikommen konnte und ich befand mich dann in der gefährlichsten Lage; denn selbst wenn ich mich zurückziehen wollte, so mußte ich meinen von mehreren Sträuchern gedeckten Standort verlassen und mich den Schießgewehren der Rothhäute blosgeben. Deßhalb befolgte ich eine andere Taktik.

Parranoh, - denn dieser war jedenfalls der Vordere - welcher allem Anscheine nach seinen jetzigen Weg nicht zum ersten Male zurücklegte, befand sich soeben in der Nähe einer Felsenklippe, welche er umklettern mußte. Konnte ich dieselbe vor ihm erreichen, so mußte er mir grad in die Kugel laufen, und ich stieg deßhalb kurz entschlossen nach oben. Hinter dem Felsblocke verborgen und von ihm gedeckt, konnte ich ihnen allen Trotz bieten und sie einzeln, wie sie kamen, auslöschen.

Kaum hatte ich den ersten Schritt gethan, so fiel vorn am Wasserthore ein Schuß, welchem bald mehrere folgten. Ich begriff sofort die Klugheit der Indianer, welche einen Scheinangriff auf den Eingang vornahmen, um unsre Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Punkte der uns drohenden Gefahr abzulenken. Mit verdoppelter Eile und Anstrengung kletterte ich deßwegen empor und war der Klippe schon so


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nahe, daß ich sie fast mit der Hand erreichen konnte, als die lockere Steinmasse unter mir nachgab und ich kopfüber von Stein zu Stein, von Riff zu Riff den zurückgelegten Weg wieder hinunterstürzte und, unten angekommen, für einige Momente die Besinnung verlor.

Als ich wieder zu denken vermochte und die Augen öffnete, sah ich die ersten der Indsmen nur noch wenige Schritte von mir entfernt und sprang, obgleich furchtbar zerschlagen und zerquetscht, in die Höhe, feuerte alle Schüsse des einen Revolvers rasch hinter einander auf die dunklen Gestalten ab, warf mich auf Swallow und galoppirte dem Feuer zu; - ich durfte das brave Pferd nicht irgend einer Gefahr aussetzen, indem ich es zurück ließ.

Die Ogellalla's, welche sich nun doch bemerkt sahen, stießen ihren schon wiederholt vernommenen Schlachtruf aus und stürmten, wie sie Einer nach dem Andern den Boden des Kessels erreichten, mir nach.

Am Lagerplatze vom Pferde springend, fand ich ihn von den Jägern verlassen; sie hatten sich am Eingange zusammengeschaart und waren auf meine Schüsse hin eben nach der Richtung unterwegs, aus welcher sie dieselben gehört hatten. Ich wurde von ihnen mit hastigen Fragen empfangen.

»Die Indianer kommen,« rief ich; »rasch in die Höhlen!«

Es war dies das einzige Mittel, uns vom Untergange zu retten, mit welchem wir von der Uebermacht bedroht waren. In den Höhlen waren wir sicher und konnten von ihnen aus nicht nur den Indsmen Stand halten, sondern sie bis auf den letzten Mann niederschießen. Deßhalb eilte ich schon noch während meines Rufes nach dem »Boudoir«, welches mir zur Schlafstelle gedient hatte; aber es war zu spät.

Die Rothhäute waren mir auf dem Fuße gefolgt und ganz gegen ihre gewöhnliche Art und Weise, obgleich sie sich noch nicht gesammelt hatten, sofort auf die Jäger eingedrungen, welchen die unerklärliche Anwesenheit des Feindes so überrascht kam, daß sie erst an Abwehr dachten, als die feindlichen Waffen unter ihnen zu arbeiten begannen.

Vielleicht hätte ich meinen Zufluchtsort noch zu erreichen vermocht; aber ich sah Ellen, Old Firehand und Will Parker vom Feinde bedroht und sprang ihnen zu Hülfe.

»Fort, fort, an die Felswand!« rief ich, mitten in den Knäuel hineinfahrend, so daß die Angreifer für einen Augenblick aus der Fassung gebracht wurden und wir Raum gewannen, das senkrecht aufsteigende Gestein zu erreichen, wo wir den Vortheil hatten, im Rücken gedeckt zu sein.

»Muß das sein, wenn ich mich nicht irre?« rief uns eine Stimme aus einem im Felsen befindlichen Risse entgegen, welcher grad so breit war, daß sich ein Mann hineinzwängen konnte. »Nun ist Sam Hawkens, der alte Trapper, verrathen!«

Das listige Männlein war der Einzige gewesen, der seine Geistesgegenwart bewahrt und die wenigen Sekunden benutzt hatte, sich zu salviren. Leider machten wir ihm diese Bemühung erfolglos, indem wir grad den Ort, an welchem sich sein Versteck befand, zum Ziele unsers Laufes wählten. Trotzdem aber streckte er schleunigst die Hand nach Ellen aus und faßte sie beim Arme.

»Die kleine Miß mag mit hereinkommen in das Nest, meine ich; ist grad noch Platz für sie, wie mir scheint.«

Natürlich waren die Rothhäute uns gefolgt und drangen mit wilder Energie auf uns ein, und ein Glück war es, daß in Folge des Scheinangriffs die Jäger alle ihre Waffen bei sich führten. Freilich waren im Nahekampf die Büchsen vollständig nutzlos, desto erfolgreicher aber wüthete das Schlachtbeil unter den Wilden.

Nur Hawkens und Ellen machten Gebrauch von ihren Schießgewehren. Ersterer lud und Letztere, welche vornan im Risse stak, gab die Schüsse ab, die zwischen Old Firehand und mir aus der Spalte hervorblitzten.

Es war ein wilder, grauenhafter Kampf, wie kaum die Phantasie ihn sich auszumalen vermag. Das halberloschene Feuer warf seinen flackernden, dunkelglühenden Schein über den Vordergrund des Thales, auf welchem sich die einzelnen kämpfenden Gruppen wie der Hölle entstiegene und einander zerfleischende Dämone abzeichneten. Durch das Geheul der Indianer drangen die einzelnen Rufe der Trapper und die scharfen, kurzen Laute der Revolverschüsse, und der Erdboden schien zu erzittern unter den schweren, stampfenden Tritten der mit einander ringenden Feinde.

Es blieb uns kein Zweifel darüber, daß wir verloren seien. Die Zahl der Ogellalla's war eine zu bedeutende, als daß wir hoffen durften, uns gegen sie zu halten. Eine zufällige Wendung zu unsern Gunsten war ebenso wenig zu erwarten als die Möglichkeit, uns durchzuschlagen, und deßhalb hegte ein Jeder die vollständige Ueberzeugung, daß er in kurzer Zeit aufgehört haben werde, zu den Lebenden zu gehören. Aber nicht umsonst wollten wir sterben, und wenn wir uns auch in das uns bestimmte Schicksal ergaben, so wehrten wir uns doch nach allen Kräften und mit derjenigen Kaltblütigkeit, welche dem Weißen ein so großes Uebergewicht über den rothen Bewohner der amerikanischen Steppen giebt.

Mitten in dem blutigen Ringen gedachte ich des alten Elternpaares, welches ich in der Heimath zurückgelassen hatte und dem nun keine Kunde mehr von dem in die Ferne gezogenen Sohne zukommen sollte, gedachte - doch nein, ich warf diese Gedanken alle von mir, denn der gegenwärtige Augenblick erforderte nicht nur die kräftigste körperliche Anstrengung, sondern auch die größeste geistige Aufmerksamkeit.

Ich hatte vorhergesehen, wie es kommen werde, hatte gerathen und gewarnt und nun mußte ich die Fehler der Andern mitbüßen, und wie ich dem Tode geweiht war, so auch sie, der trotz Allem und Allem mein ganzes Sinnen und Trachten gehört hatte, die nun hart hinter mir mit unerschrockenem Mannesmuthe ihr Leben vertheidigte und doch dem Schicksale, welchem sie auf der falschen Richtung ihrer Lebensbahn früher oder später entgegen geführt werden mußte, unwiderruflich verfallen war. Es überkam mich ein noch nie gefühlter Ingrimm und eine Erbitterung, welche meine Kräfte verdoppelte, sodaß ich den Tomahawk mit solcher Nachdrücklichkeit handhabte, daß es anerkennend aus der Spalte scholl:

»Recht so, Sir, recht so! Sam Hawkens und Ihr, das paßt zusammen, meine ich. Schade, das wir ausgelöscht werden! Könnten noch manches Rattenfell mit einander holen, wenn ich mich nicht irre.«

Wir kämpften still und lautlos; es war eine ruhige, aber desto fürchterliche Arbeit, und die Worte des kleinen Fallenstellers wurden deßhalb deutlich gehört. Auch Will Parker hatte sie vernommen und rief, trotz der gestern erhaltenen Verletzungen mit der umgedrehten Büchse die wuchtigsten Hiebe austheilend:

»Sam Hawkens, blick' hierher, altes Coon, wenn Du


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sehen willst, wie es zu machen ist. 'raus aus dem Loche mit Dir und sage, ob das Greenhorn - hahaha, Will Parker ein Greenhorn, hörst Du es, Sam Hawkens? - ob das Greenhorn Etwas gelernt hat!«

Kaum zwei Schritte von meiner Rechten entfernt stand Old Firehand. Stets war es mir bisher vorgekommen, als ob der Leumund etwas zu schmeichelhaft von ihm erzähle, und es mochte wohl auch sein, daß das Alter ihn nach und nach immermehr beeinflusse; jetzt aber schien die volle, strotzende Jugendkraft in ihm zurückgekehrt zu sein, und die Art und Weise, wie er mit beiden Händen im Leben der ihn umdrängenden Gegner wühlte, flößte mir die größeste Bewunderung ein.

Ueber und über mit Blut bespritzt, lehnte er an der Felsenmauer. Die langen, grauen Haare hingen in zusammengeklebten Strähnen von seinem Kopfe; die ausgespreizten Beine schienen in der Erde zu wurzeln, und in der einen Faust das schwere Beil, in der andern das scharfe, leichtgekrümmte Messer, hielt er die mächtig an ihn Drängenden von sich ab. Noch mehr als ich war er von Wunden bedeckt; aber noch hatte keine derselben ihn zum Falle gebracht, und ich mußte immer wieder von Neuem meinen Blick auf seine hohe, reckenhafte Gestalt richten.

Da entstand eine Bewegung in dem Knäuel der Rothhäute, und Parranoh erschien, sich eine Bahn durch ihre dichte Menge brechend. Kaum erblickte er Firehand, so rief er:

»Endlich habe ich Dich; denk an Ribanna und stirb!«

Er wollte sich an mir vorüber auf ihn stürzen; da packte ich ihn bei der Schulter und holte zum tödtlichen Hiebe aus. Mich erkennend, sprang er zurück, sodaß mein Tomahawk die Luft durchsauste.

»Auch Du?« brüllte er. »Dich muß ich lebendig haben. Gebt ihn ein Lariat!« An mir vorbeispringend, noch ehe ich das Beil wieder schwingen konnte, erhob er die Pistole; der Schuß krachte los; der Getroffene schlug die Arme weit auseinander in die Luft, sprang mit einem mächtigen, krampfhaften Satze vorwärts mitten unter die Feinde und stürzte lautlos dann zusammen.

Es war mir, als sei die Kugel in meine Brust gefahren, so durchzuckte mich der Fall des Helden; ich schlug den Indianer, mit welchem ich es in diesem Augenblicke zu thun hatte, nieder und wollte auf Parranoh los, als ich eine dunkle Gestalt bemerkte, welche sich mit schlangenhafter Behendigkeit durch die Feinde wand und grad vor dem Mörder die geschmeidigen Glieder in die Höhe streckte.

»Wo ist die Kröte von Athahaskah? Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen, zu rächen den Tod seines weißen Bruders!«

»Ha, der Hund von Pimo! Fahr' zum Teufel!«

Mehr hörte ich nicht. Der Vorgang hatte meine Aufmerksamkeit in so hohem Grade in Anspruch genommen, daß ich die Vertheidigung meiner selbst versäumte. Eine Schlinge legte sich mir um den Hals, ein Ruck - zu gleicher Zeit fühlte ich einen schmetternden Schlag auf den Kopf, und ich verlor das Bewußtsein. -

Als ich erwachte, war es vollständig dunkel und still um mich, und ich besann mich vergebens auf die Art und Weise, wie ich in diese Finsterniß gekommen sei. Ein brennender Schmerz, welchen ich im Kopfe fühlte, erinnerte mich endlich an den empfangenen Schlag und nun reihten sich die Einzelheiten des Vergangenen zu einem vollständigen Bilde des Geschehenen an einander. Zu dem erwähnten Schmerze kam noch die Qual, welche mir von den empfangenen Wunden und den Fesseln verursacht wurde, welche man mir mit raffinirter Festigkeit um Hände und Füsse gelegt hatte, so daß sie mir tief in das Fleisch einschnitten und ich kaum zu irgend welcher Bewegung fähig war.

Da hörte ich ein Geräusch neben mir, als ob ein Mensch sich räuspere.

»Ist noch Jemand hier?« fragte ich.

»Hm, freilich! Fragt der Mann grad so, als ob Sam Hawkens Niemand wäre, wenn ich mich nicht irre.«

»Ihr seid es, Sam? Sagt doch um aller Welt willen, wo wir sind!«

»So leidlich unter Dach und Fach, Mann. Haben uns in die Lederhöhle gesteckt; wißts schon, wo die Felle lagen, meine ich, die wir so schön vergraben haben. Sollen aber keines finden, sage ich, keines!«

»Und wie ists mit den Andern?«

»Passabel, Sir. Old Firehand ist ausgelöscht, Dik Stone ist ausgelöscht, Will Parker ist ausgelöscht - war doch ein Greenhorn, der Mann, hihihi, ein Greenhorn, sage ich, wollt's aber nicht glauben, wenn ich mich nicht irre - Bill Bulcher ist ausgelöscht, Harry Korner ist ausgelöscht, Alle, Alle sind ausgelöscht; nur Ihr brennt noch und der Apache; auch die kleine Miß lebt ein Wenig - ist aber doch einen ganzen 'Haufen' gewachsen, wie mir scheint - und Sam Hawkens, hm, vielleicht haben sie auch ihn noch nicht ganz ausgelöscht, hihihi!«

»Wißt Ihr es gewiß und wahrhaftig, daß Ellen wirklich noch lebt, Sam?« fragte ich angelegentlich.

»Denkt Ihr wohl, daß so ein alter Scalper nicht weiß, was er sieht, Mann? Haben sie da neben uns gesteckt in das andre Loch und Euren rothen Freund dazu. Wollte gern auch mit da hinein, habe aber keine Audienz bekommen, wie mir scheint.«

»Wie steht es mit Winnetou?«

»Loch an Loch, Sir! Wird, wenn er davonkommt, aussehen wie der alte Rock, in welchen sie Sam Hawkens so vorsichtig eingeschnallt haben: Flick an Flick und Fleck auf Fleck, meine ich.«

»An das Davonkommen ist wohl nicht zu denken. Aber wie kam er lebendig in ihre Hände?«

»Grad so wie Ihr und ich. Hat sich gewehrt wie ein Heide - hm, ist doch wohl auch einer, wenn ich mich nicht irre, hihihi - wollte lieber untergehen, als sich am Pfahle braten lassen; half aber Nichts; wurde doch niedergeschlagen und halb entzwei gerissen. Nicht davonkommen wollt Ihr? Sam Hawkens hat große Lust dazu, wie mir scheint.«

»Was thut man mit der Lust, wenn es nicht möglich ist.«


Ende des zehnten Teils – Schluss folgt.



Karl May: Old Firehand

Karl May – Leben und Werk