Nummer 16 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
18. Dezember 1875 |
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In diesem Augenblicke kam es von der Seite heraufgedonnert wie eine Heerde wilder Büffel. Sofort sprangen wir in's Gesträuch und machten uns schußfertig. Wie groß aber war unser Erstaunen, als wir eine Anzahl aufgezäumter Pferde erblickten, auf deren vorderstem ein Mann in Jägertracht saß, dessen Züge vor dem aus einer Kopfwunde rinnenden Blute nicht zu erkennen waren. Auch am Körper trug er mehrere Verletzungen, und es war ihm anzusehen, daß er sich in einer nicht beneidenswerthen Lage befunden hatte.// 254 //
Einer der vorher zurückgebliebenen und also nicht ermüdeten
Jäger ward als Wache aufgestellt, während die Andern nach ihren Wunden
sahen und dann sich um das Mahl versammelten oder der Ruhe pflegten.
Am Feuer, welches den Versammlungsort aller Derer bildete, welche das
Bedürfniß, sich auszusprechen, fühlten, ging es lebhaft her. Jeder der um
dasselbe Herumsitzenden hatte nothwendig seine Thaten zu erzählen und
seine Ansicht auszusprechen. Alle waren der freudigen Meinung, daß von den
Wilden Nichts zu befürchten sei. Die Zahl der erbeuteten Scalpe war eine
ansehnliche, das Abenteuer siegreich bestanden und keine der Wunden zeigte
eine gefährliche Beschaffenheit. Zudem schien unser Aufenthaltsort ein
vollständig sicherer zu sein; für Proviant und Munition war reichlich
gesorgt, und so konnten die Feinde den Eingang belagern, so lange es ihnen
gefiel oder sich die Köpfe an den ringsum starrenden Felsen einrennen.
Auch Old Firehand theilte diese Ansicht, und nur Winnetou schien ihr nicht
beizustimmen. Er lag abseits von den Andern in der Nähe seines Pferdes und
schien in tiefe, ernste Gedanken versunken.
»Das Auge meines rothen Freundes blickt finster, und seine Stirne trägt
die Falten der Sorge. Welche Gedanken wohnen in seinem Herzen?« fragte
ich, zu ihm tretend.
»Der Häuptling der Apachen sieht den Tod durch die Pforte dringen und das
Verderben von den Bergen steigen. Es flammt das Thal von der Gluth des
Feuers, und das Wasser ist roth vom Blute der Erschlagenen. Winnetou
spricht mit dem großen Geiste. Das Auge der Bleichgesichter ist blind
geworden vom Hasse, und ihre Klugheit ist den Gefühlen der Rache gewichen.
Parranoh wird kommen und nehmen die Scalpe der Jäger; aber Winnetou ist
gegürtet zum Kampfe und wird anstimmen den Todtengesang auf den Leichen
seiner Feinde.«
»Wie soll der Ogellalla betreten das Lager unserer Jäger? Er vermag nicht,
durch das Thor zu dringen.«
»Mein weißer Bruder spricht Worte, aber er glaubt ihnen nicht. Vermag eine
Büchse aufzuhalten die Zahl der rothen Männer, wenn sie durch die Enge
brechen?«
Er hatte Recht. Gegen eine geringe Anzahl Feinde konnte es wohl einem
Einzigen glücken, den Paß zu vertheidigen, nicht aber gegen eine so
bedeutende Horde, wie sie uns gegenüber stand; denn wenn auch nur stets
eine Person einzudringen vermochte, so stand ihr doch eben auch nur Einer
entgegen, und wenn die Hindersten nachdrängten, so konnten wohl einige der
Vorderen getödtet, nicht aber das Eindringen der Uebrigen verhütet werden.
Ich hatte das Old Firehand gesagt, er aber mir geantwortet:
»Und wenn sie es wagen, so wird es uns leicht sein, sie nach einander
auszulöschen, so wie sie durch die Schlucht kommen.«
Das klang wahr, und ich mußte mich zufrieden geben, obgleich ich wußte,
daß der kleinste Umstand hinreichend sein konnte, diese Wahrheit zu
Schanden zu machen.
Als der Abend hereinbrach, wurde die Wachsamkeit natürlich verdoppelt, und
trotzdem ich auf meinen ausdrücklichen Wunsch erst zur Zeit des
Morgengrauens Posten zu stehen hatte, zu welcher Zeit die Indsmen am
Liebsten ihre Ueberfälle vornehmen, so ließ es mir doch nirgens Ruhe, und
ich hielt mich für alle Fälle bereit.
Die Nacht lag still und ruhig über dem Thale, in dessen Vordergrunde das
Feuer brannte und sein zitterndes Licht über die Umgebung warf. Swallow,
welcher sich in dem von Bergen umschlossenen Raume frei bewegen durfte,
weidete im dunklen Hindergrunde des Kessels; ich ging, nach ihm zu sehen
und fand ihn ganz am Rande der steilansteigenden Höhen. Nachdem ich mit
ihm die gewöhnlichen Liebkosungen gewechselt, wollte ich mich eben wieder
entfernen, als ein leises Gepolter mich lauschen machte.
Auch das Pferd hob den Kopf in die Höhe; aber da der kleinste Athemzug
unsre Gegenwart verrathen konnte, so ergriff ich es beim Riemen und deckte
die Hand auf die sich unter dem Verdachte schon erweiternden Nüstern.
Während wir von obenherab nicht leicht bemerkt werden konnten, war es mir
möglich, von unten hinauf gegen den lichten Himmel jeden Gegenstand zu
erkennen; und mit angestrengtem Auge suchte ich nach der Ursache, welche
den herabgefallenen Stein von seinem Orte gelöst hatte.
In den ersten Augenblicken nach dem Falle des Steines war nichts
Auffallendes zu bemerken. Jedenfalls hatte man das von dem Steine
verursachte Geräusch ebenso gut bemerkt, wie ich und wartete nun eine
Weile, um sich zu überzeugen, daß dasselbe nicht gehört oder beachtet
werde.
Diese Ansicht war eine richtige, denn nachdem ich mich einige Zeit lang
ruhig verhalten hatte, sah ich zuerst mehrere Gestalten, welche sich von
dem dunklen Felsen lösten, und nach unten stürzen; bald aber gewahrte ich
eine ganze Reihe Indianer, welche Einer hinter dem Andern über den Kamm
der Höhe kamen und mit langsamen, vorsichtigen Schritten dem Ersten
folgten, welcher mit der Oertlichkeit außerordentlich vertraut zu sein
schien und kaum noch zweier Minuten bedurfte, um die Thalsohle zu
erreichen.
Hätte ich meinen Stutzen bei mir gehabt, so wäre es mir leicht gewesen,
ihn durch einen Schuß herunter zu holen und damit zugleich das nothwendige
Alarmsignal zu geben. Er war der Führer, und die Andern durften bei dem
Gefahr drohenden Terrain sich keinen Schritt weiter wagen, wenn er ihnen
weggeschossen wurde. Aber leider hatte ich nur die Revolver im Gürtel,
welche für einen Fernschuß untauglich waren.
Gab ich mit ihnen das Lärmzeichen, so waren die Feinde doch unten, ehe
Hülfe herbeikommen konnte und ich befand mich dann in der gefährlichsten
Lage; denn selbst wenn ich mich zurückziehen wollte, so mußte ich meinen
von mehreren Sträuchern gedeckten Standort verlassen und mich den
Schießgewehren der Rothhäute blosgeben. Deßhalb befolgte ich eine andere
Taktik.
Parranoh, - denn dieser war jedenfalls der Vordere - welcher allem
Anscheine nach seinen jetzigen Weg nicht zum ersten Male zurücklegte,
befand sich soeben in der Nähe einer Felsenklippe, welche er umklettern
mußte. Konnte ich dieselbe vor ihm erreichen, so mußte er mir grad in die
Kugel laufen, und ich stieg deßhalb kurz entschlossen nach oben. Hinter
dem Felsblocke verborgen und von ihm gedeckt, konnte ich ihnen allen Trotz
bieten und sie einzeln, wie sie kamen, auslöschen.
Kaum hatte ich den ersten Schritt gethan, so fiel vorn am Wasserthore ein
Schuß, welchem bald mehrere folgten. Ich begriff sofort die Klugheit der
Indianer, welche einen Scheinangriff auf den Eingang vornahmen, um unsre
Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Punkte der uns drohenden Gefahr
abzulenken. Mit verdoppelter Eile und Anstrengung kletterte ich deßwegen
empor und war der Klippe schon so
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nahe, daß ich sie fast mit der Hand erreichen konnte, als
die lockere Steinmasse unter mir nachgab und ich kopfüber von Stein zu
Stein, von Riff zu Riff den zurückgelegten Weg wieder hinunterstürzte und,
unten angekommen, für einige Momente die Besinnung verlor.
Als ich wieder zu denken vermochte und die Augen öffnete, sah ich die
ersten der Indsmen nur noch wenige Schritte von mir entfernt und sprang,
obgleich furchtbar zerschlagen und zerquetscht, in die Höhe, feuerte alle
Schüsse des einen Revolvers rasch hinter einander auf die dunklen
Gestalten ab, warf mich auf Swallow und galoppirte dem Feuer zu; - ich
durfte das brave Pferd nicht irgend einer Gefahr aussetzen, indem ich es
zurück ließ.
Die Ogellalla's, welche sich nun doch bemerkt sahen, stießen ihren schon
wiederholt vernommenen Schlachtruf aus und stürmten, wie sie Einer nach
dem Andern den Boden des Kessels erreichten, mir nach.
Am Lagerplatze vom Pferde springend, fand ich ihn von den Jägern
verlassen; sie hatten sich am Eingange zusammengeschaart und waren auf
meine Schüsse hin eben nach der Richtung unterwegs, aus welcher sie
dieselben gehört hatten. Ich wurde von ihnen mit hastigen Fragen
empfangen.
»Die Indianer kommen,« rief ich; »rasch in die Höhlen!«
Es war dies das einzige Mittel, uns vom Untergange zu retten, mit welchem
wir von der Uebermacht bedroht waren. In den Höhlen waren wir sicher und
konnten von ihnen aus nicht nur den Indsmen Stand halten, sondern sie bis
auf den letzten Mann niederschießen. Deßhalb eilte ich schon noch während
meines Rufes nach dem »Boudoir«, welches mir zur Schlafstelle gedient
hatte; aber es war zu spät.
Die Rothhäute waren mir auf dem Fuße gefolgt und ganz gegen ihre
gewöhnliche Art und Weise, obgleich sie sich noch nicht gesammelt hatten,
sofort auf die Jäger eingedrungen, welchen die unerklärliche Anwesenheit
des Feindes so überrascht kam, daß sie erst an Abwehr dachten, als die
feindlichen Waffen unter ihnen zu arbeiten begannen.
Vielleicht hätte ich meinen Zufluchtsort noch zu erreichen vermocht; aber
ich sah Ellen, Old Firehand und Will Parker vom Feinde bedroht und sprang
ihnen zu Hülfe.
»Fort, fort, an die Felswand!« rief ich, mitten in den Knäuel
hineinfahrend, so daß die Angreifer für einen Augenblick aus der Fassung
gebracht wurden und wir Raum gewannen, das senkrecht aufsteigende Gestein
zu erreichen, wo wir den Vortheil hatten, im Rücken gedeckt zu sein.
»Muß das sein, wenn ich mich nicht irre?« rief uns eine Stimme aus einem
im Felsen befindlichen Risse entgegen, welcher grad so breit war, daß sich
ein Mann hineinzwängen konnte. »Nun ist Sam Hawkens, der alte Trapper,
verrathen!«
Das listige Männlein war der Einzige gewesen, der seine Geistesgegenwart
bewahrt und die wenigen Sekunden benutzt hatte, sich zu salviren. Leider
machten wir ihm diese Bemühung erfolglos, indem wir grad den Ort, an
welchem sich sein Versteck befand, zum Ziele unsers Laufes wählten.
Trotzdem aber streckte er schleunigst die Hand nach Ellen aus und faßte
sie beim Arme.
»Die kleine Miß mag mit hereinkommen in das Nest, meine ich; ist grad noch
Platz für sie, wie mir scheint.«
Natürlich waren die Rothhäute uns gefolgt und drangen mit wilder Energie
auf uns ein, und ein Glück war es, daß in Folge des Scheinangriffs die
Jäger alle ihre Waffen bei sich führten. Freilich waren im Nahekampf die
Büchsen vollständig nutzlos, desto erfolgreicher aber wüthete das
Schlachtbeil unter den Wilden.
Nur Hawkens und Ellen machten Gebrauch von ihren Schießgewehren. Ersterer
lud und Letztere, welche vornan im Risse stak, gab die Schüsse ab, die
zwischen Old Firehand und mir aus der Spalte hervorblitzten.
Es war ein wilder, grauenhafter Kampf, wie kaum die Phantasie ihn sich
auszumalen vermag. Das halberloschene Feuer warf seinen flackernden,
dunkelglühenden Schein über den Vordergrund des Thales, auf welchem sich
die einzelnen kämpfenden Gruppen wie der Hölle entstiegene und einander
zerfleischende Dämone abzeichneten. Durch das Geheul der Indianer drangen
die einzelnen Rufe der Trapper und die scharfen, kurzen Laute der
Revolverschüsse, und der Erdboden schien zu erzittern unter den schweren,
stampfenden Tritten der mit einander ringenden Feinde.
Es blieb uns kein Zweifel darüber, daß wir verloren seien. Die Zahl der
Ogellalla's war eine zu bedeutende, als daß wir hoffen durften, uns gegen
sie zu halten. Eine zufällige Wendung zu unsern Gunsten war ebenso wenig
zu erwarten als die Möglichkeit, uns durchzuschlagen, und deßhalb hegte
ein Jeder die vollständige Ueberzeugung, daß er in kurzer Zeit aufgehört
haben werde, zu den Lebenden zu gehören. Aber nicht umsonst wollten wir
sterben, und wenn wir uns auch in das uns bestimmte Schicksal ergaben, so
wehrten wir uns doch nach allen Kräften und mit derjenigen Kaltblütigkeit,
welche dem Weißen ein so großes Uebergewicht über den rothen Bewohner der
amerikanischen Steppen giebt.
Mitten in dem blutigen Ringen gedachte ich des alten Elternpaares, welches
ich in der Heimath zurückgelassen hatte und dem nun keine Kunde mehr von
dem in die Ferne gezogenen Sohne zukommen sollte, gedachte - doch nein,
ich warf diese Gedanken alle von mir, denn der gegenwärtige Augenblick
erforderte nicht nur die kräftigste körperliche Anstrengung, sondern auch
die größeste geistige Aufmerksamkeit.
Ich hatte vorhergesehen, wie es kommen werde, hatte gerathen und gewarnt
und nun mußte ich die Fehler der Andern mitbüßen, und wie ich dem Tode
geweiht war, so auch sie, der trotz Allem und Allem mein ganzes Sinnen und
Trachten gehört hatte, die nun hart hinter mir mit unerschrockenem
Mannesmuthe ihr Leben vertheidigte und doch dem Schicksale, welchem sie
auf der falschen Richtung ihrer Lebensbahn früher oder später entgegen
geführt werden mußte, unwiderruflich verfallen war. Es überkam mich ein
noch nie gefühlter Ingrimm und eine Erbitterung, welche meine Kräfte
verdoppelte, sodaß ich den Tomahawk mit solcher Nachdrücklichkeit
handhabte, daß es anerkennend aus der Spalte scholl:
»Recht so, Sir, recht so! Sam Hawkens und Ihr, das paßt zusammen, meine
ich. Schade, das wir ausgelöscht werden! Könnten noch manches Rattenfell
mit einander holen, wenn ich mich nicht irre.«
Wir kämpften still und lautlos; es war eine ruhige, aber desto
fürchterliche Arbeit, und die Worte des kleinen Fallenstellers wurden
deßhalb deutlich gehört. Auch Will Parker hatte sie vernommen und rief,
trotz der gestern erhaltenen Verletzungen mit der umgedrehten Büchse die
wuchtigsten Hiebe austheilend:
»Sam Hawkens, blick' hierher, altes Coon, wenn Du
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sehen willst, wie es zu machen ist. 'raus aus dem Loche mit Dir und sage, ob das Greenhorn - hahaha, Will Parker ein Greenhorn, hörst Du es, Sam Hawkens? - ob das Greenhorn Etwas gelernt hat!«Ende des zehnten Teils – Schluss folgt.