Nummer 17 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
24. Dezember 1875 |
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»Nicht möglich? Hm, klingt grad wie Will Parker! Sind gute Leute, die Braunen, gute Leute; haben dem alten Coon hier Alles genommen, Alles, die Pistole, die Pfeife - hihihi, werden sich wundern, wenn sie dran riechen; duftet ganz wie Stunk! Wird ihnen aber grad lieb sein - auch die Liddy ist zum Teufel - die arme Liddy; was für ein Schakal wird sie nun wohl nehmen! - und der Hut und die Haube - werden sich wundern über den Scalp, hihihi, kostet mich zwei dicke Bündel Dickschwanzfelle damals in Dekama; wißts ja schon, meine ich - aber das Messer haben sie ihm gelassen, dem Sam Hawkens; stickt im Aermel. Der alte, graue Bär da steckte es hinein, als er merkte, daß es mit dem Quartiere in der Ritze vorüber sei, wie mir scheint.«// 270 //
Wir traten an die Thür und zogen die beiden Felle, welche
als Portieren dienten, ein Wenig auseinander.
Eben brachten einige der Indianer die beiden Gefangenen aus der Nebenhöhle
gezogen, und vom Lagerplatze kam Parranoh herbeigeschritten. Es war jetzt
schon ziemlich hell geworden, so daß wir das Thal vollständig überblicken
konnten. Nicht weit vom Wasserthore entfernt war Swallow mit dem von dem
armen Will Parker erbeuteten Braunen in Zwist gerathen, und der Anblick
des mir an das Herz gewachsenen Thieres ließ mich auf eine Flucht zu Fuße,
die jedenfalls die gerathenste war, sofort verzichten. In nicht gar zu
großer Entfernung davon graste der starkknochige und ausdauernde Klepper
Winnetou's, ein Pferd, welchen sein Werth nur schwerlich anzusehen war,
und wenn es uns gelang, zu einigen Waffen zu kommen und die Thiere zu
erreichen, so war es vielleicht möglich, zu entkommen.
»Seht Ihr etwas, Sir?« fragte Hawkens kichernd.
»Was?«
»Hm, da drüben den alten Burschen, welcher sich so behaglich im Grase
wälzt.«
»Sehe ihn.«
»Und auch das Ding, was daneben am Steine lehnt?«
»Auch das.«
»Hihihi, legt dem alten Coon da das Schießholz so mundrecht in den Weg!
Wenn ich wirklich Sam Hawkens heiße, so muß das auch die Liddy sein, meine
ich, und einen Kugelbeutel wird der Mann wohl auch haben!«
Ich konnte nicht viel auf die Freude des kleinen Helden achten; denn
Parranoh nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Leider war es mir
nicht möglich, zu verstehen, was er zu den beiden Gefangenen sprach, und
es dauerte eine geraume Zeit, ehe er von ihnen ging; aber seine letzten
Worte, welche er mit erhobener Stimme sprach, vermochte ich deutlich zu
hören, und sie klärten mich auf über den Inhalt seiner ganzen Rede.
»Mach Dich gefaßt, Pimo! der Pfahl wird eben eingeschlagen, und Du« -
setzte er, sich mit einem eigenthümlichen Blicke zu Ellen wendend hinzu -
»hast lange genug den Mann gespielt und wirst für Ribanna die Squaw von
Finnetey!«
Er gab seinen Leuten einen Wink, die Gefesselten nach dem Platze zu
bringen, an welchem sich die Indsmen um das jetzt wieder helllodernde
Feuer gelagert hatten und schritt dann in hochaufgerichteter und
würdevoller Haltung davon.
Jetzt galt es, schleunigst zu handeln, denn waren die Beiden einmal in die
Mitte der Versammlung gebracht, so war keine Hoffnung mehr, zu ihnen zu
kommen.
»Sam, kann man sich auf Euch verlassen?«
»Hm, weiß es nicht, wenn Ihrs nicht wißt! Müßts 'mal probiren, wie mir
scheint.«
»Ihr nehmt den rechts und ich den Linken. Dann rasch die Riemen entzwei.«
»Und dann zu Liddy, Sir!«
»Seit Ihr fertig?«
Er nickte mit einem Ausdrucke im Gesichte, dem man deutlich das Vergnügen
an dem bevorstehenden Streiche anmerkte.
»Nun, dann drauf!«
Mit leisen aber raschen Sprüngen schnellten wir hinter den die Gefangenen
nach sich schleppenden Indianern her, und obgleich sie gezwungen waren,
eine in Folge ihrer Last gegen uns gewendete Haltung einzunehmen, gelang
es uns doch, unbemerkt an sie zu kommen.
Sam stieß den Einen von hinten mit so gut geführtem Stiche nieder, daß der
Getroffene lautlos zusammenbrach; ich aber riß, da ich vollständig
waffenlos war, dem Andern zuerst das Messer aus dem Gürtel und zog es ihm
dann mit solchem Drucke durch die Kehle, daß der Schrei, welchen er
auszustoßen im Begriffe gestanden hatte, als ein pfeifendes Gurgeln sich
durch die Schnittwunde drängte und er ebenfalls niedersank.
Einige rasche Schnitte befreiten die Gebundenen von ihren Fesseln, sodaß
sie sich frei sahen, noch ehe bei der Raschheit des ganzen Vorganges
derselbe von irgend Einem der Feinde bemerkt worden war.
»Vorwärts, holt Euch Waffen!« rief ich, da ich wohl einsah, daß ohne
dieselben ein Entkommen nicht denkbar war, riß dem von mir Getödteten den
Schießbeutel vom Leibe und stürmte Winnetou nach, welcher in richtiger
Erfassung der Umstände nicht nach dem Thore zu, sondern mitten unter die
am Feuer Lagernden hineinsprang.
Wie in jedem Augenblicke, in dem es sich um Tod und Leben handelt, der
Mensch ein ganz Anderer ist als sonst, so gab auch uns die Erwägung
Dessen, was auf dem Spiele stand, die nothwendige Behendigkeit. Noch ehe
sich die Ueberfallenen besonnen hatten, waren wir schon, die ihnen
entrissenen Waffen in der Hand, zwischen ihnen hindurch.
»Swallow, Swallow!« rief ich dem Pferde zu, saß wenige Augenblicke später
auf seinem Rücken, sah Winnetou auf das Seinige springen und Hawkens den
ersten besten Spritzer besteigen.
»Herauf zu mir, um des Himmels willen rasch!« bedeutete ich Ellen, welche
vergebens versuchte, auf Finnetey's Braunen zu kommen, welcher wie rasend
um sich schlug. Ich ergriff sie beim Arme, riß sie zu mir empor und wandte
nach dem Ausgange um, durch welchen soeben Sam verschwand.
Es war ein Moment der höchsten Aufregung. Wüthendes Geheul erfüllte die
Luft; Schüsse krachten, Pfeile schwirrten um uns, und dazwischen tönte das
Getrappe und Schnauben der Pferde, auf welche sich die Wilden warfen, um
uns zu verfolgen.
Ich war der Hinterste von uns Dreien und kann unmöglich sagen, wie ich
durch den engen, gewundenen Paß hinaus in's Freie kam, ohne von dem Feinde
erreicht zu werden. Hawkens war nicht mehr zu sehen, Winnetou bog rechts
in das Thal hinab, welches wir vor einigen Tagen bei unserer Ankunft
heraufgeritten waren, und blickte sich dabei nach mir um, ob ich ihm auch
folgen werde.
Eben standen wir im Begriffe, die Biegung zurück zu legen, so fiel hinter
uns ein Schuß, und ich fühlte, wie Ellen zusammenzuckte. Sie war getroffen
worden.
»Swallow, mein Swallow, greif aus!« ermunterte ich in höchster Angst das
Thier, und in demselben rasenden Laufe wie damals nach der Explosion in
New- Venango schoß es vorwärts.
Als ich mich umblickte, sah ich Parranoh auf seinem Mustang dicht hinter
mir; die Andern wurden mir durch die Krümmungen des Weges versteckt.
Obgleich ich nur einen flüchtigen Blick auf ihn werfen konnte, bemerkte
ich doch den wüthenden Ingrimm, mit welchem er uns zu ereilen
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und verdoppelte meine Zurufe an das brave Pferd, von dessen
Schnelligkeit und Ausdauer Alles abhing; denn wenn ich auch einen Kampf
mit dem wilden Manne nicht scheute, so wurde ich doch durch das Mädchen an
jeder freien Bewegung verhindert und konnte Nichts thun, als nur vorwärts
streben.
Wie im Sturme flogen wir dem Laufe des Wassers entlang. Winnetou's Fuchs
schleuderte die langen, knochenstarken Glieder von sich, daß die Funken
stoben und das lockere Geröll hinter ihm einen förmlichen Steinregen
bildete. Swallow hielt ihm gleichen Schritt, obgleich er doppelte Last zu
tragen hatte; aber, obwohl ich mich nicht mehr umblickte, wußte ich doch,
daß Parranoh uns hart auf den Fersen blieb; denn der Hufschlag seines
Braunen ließ sich in steter Nähe vernehmen.
»Ihr seid verwundet, Miß?« fragte ich in höchster Besorgniß.
»Rettet nur Euch!« hauchte sie statt einer directen Antwort. Das
lebenswarme Blut rann aus der Wunde über die Hand, mit welcher ich sie um
den Leib gefaßt hielt; ihr Kopf legte sich ermüdend an meine Schulter, und
die Röthe der Wangen wich mehr und mehr einer Blässe, welche mich
erschrecken machte.
»Ellen, seid aufrichtig! Ihr könnt nicht länger aushalten.«
»O doch!« erwiederte sie mit matter Stimme, indem sie das Auge mit einem
unbeschreiblichen Ausdrucke zu mir aufschlug. »Ich mag nicht fort von
diesem Platze und halte bei Euch aus, bis - bis -«
»Bis -?« fragte ich mit tiefem Beben.
»Bis ich den großen, großen Fehler meines Lebens gesühnt habe mit dem
Tode.«
»Nein,« rief ich, sie fester an mich drückend und das Pferd zu immer
rasenderem Laufe anfeuernd, »sterben sollst Du nicht und sterben darfst Du
nicht. Ich habe Dich unter zehnfacher Todesgefahr errungen und mag ohne
Dich nicht sein und leben!«
Da schlang sie die beiden Arme um meinen Hals, legte ihren Mund mir auf
die Lippen und nach einem langen, langen Kusse, während dessen die wilde
Jagd immer vorwärts tobte, klang es:
»Könnte ich leben, so wäre es nur und allein für Dich. O, welches Glück,
welche Seligkeit müßte es sein, der Liebe gehorchen zu dürfen!«
Die Ahnung des Todes ging durch ihr Herz und machte den künstlich
hineingepflanzten Muth erzittern. Es schwieg die Rache, die darin geglüht,
und Alles war vergessen, was einst bestimmend auf ihr Denken und Wollen
gewirkt hatte. Sie hielt es für ein Glück, zu sühnen, was sie an ihrer
Weiblichkeit verbrochen hatte, und diese Sühne mußte mir den Himmel geben,
nach welchem ich mit meinen heißesten Wünschen strebte. Sollte er mir mit
dem dahinfließenden Leben verloren gehen? Nein, tausendmal nein; das
durfte nicht geschehen!
Mit dem festen Vorsatze, Stich zu halten, blickte ich zurück.
Längst hatten wir den Lauf des Wassers verlassen und waren in die freie
Ebene eingebogen, über welche wir, parallel mit dem Saume des uns zur
Linken liegenden Waldes dahinflogen. Parranoh war jetzt eine ziemliche
Strecke zurückgeblieben, und Swallow bewieß sich also dem Braunen weit
überlegen. Hinter dem weißen Häuptling, einzeln oder in kleinen Gruppen,
folgten die Indianer, welche die Verfolgung nicht aufgeben wollten,
trotzdem wir immer größeren Vorsprung gewannen.
Mich wieder umdrehend, sah ich, daß Winnetou abgesprungen war und hinter
seinem Pferde stand. Er lud die erbeutete Büchse. Auch ich parirte meinen
Hengst. Sanft ließ ich Ellen niedergleiten, stieg nach und legte sie in
das Gras. Zum Laden blieb mir nicht mehr Zeit; denn Parranoh war schon zu
nahe. Ich sprang also wieder auf und griff zum Tomahawk.
Der Verfolger hatte unsre Bewegungen wohl bemerkt, ließ sich aber in der
Hitze der Verfolgung fortreißen und stürmte, das Schlachtbeil schwingend,
auf mich ein. Da krachte der Schuß des Apachen; der Feind zuckte zusammen
und stürzte, zu gleicher Zeit von meiner Waffe getroffen, mit tief
gespaltenem Haupte vom Pferde.
Winnetou wandte den leblosen Körper mit dem Fuße um und sprach:
»Die Schlange von Athabaskah wird nicht mehr zischen und den Häuptling der
Apachen nennen mit dem Namen eines Pimo. Mein Bruder nehme seine Waffen
zurück.«
Wirklich trug der Gefallene Messer, Beil, Revolver und Stutzen von mir;
ich nahm eiligst mein Eigenthum wieder an mich und sprang zu Ellen zurück,
während Winnetou den Braunen einfing.
Mit Entzücken bemerkte ich, daß die Verwundung, welche von einem
Streifschusse herrührte, nicht gefährlich sei. Zum Verbinden war keine
Zeit, denn während des gehabten Aufenthaltes waren uns die Indsmen fast so
nahe gekommen, daß sie uns mit ihren Kugeln erreichen konnten. Wir saßen
wieder auf, und fort ging es mit erneuter Schnelligkeit.
Da plötzlich blitzte es zu unsrer Linken hell und glänzend auf wie
Waffenschimmer, eine zahlreiche Truppe Reiter flog von dem Waldessaume her
zwischen uns und die Verfolger hinein, schwenkte gegen diese um und
stürmte in gestrecktem Galoppe ihn entgegen.
Es war ein Detachement Dragoner von Wilkes Fort, welche durch einen
Streifzug in die Gegend geführt worden waren.
Kaum hatte Winnetou die Helfer erblickt, so riß er seinen Gaul herum,
schoß an ihnen vorüber und mit hochgeschwungenem Tomahawk unter die
Ogellalla's hinein, welche kaum Zeit gehabt hatten, den Lauf ihrer Pferde
zu hemmen. Ich hingegen stieg ab, um nach der Wunde Ellen's zu sehen.
Mit dem tiefen Rothe der Scham ließ sie es geschehen, daß ich die
getroffene Stelle enthüllte und in aller Eile einen nothdürftigen Verband
auf dieselbe legte. Jetzt war sie ganz Weib, und mit Entzücken las ich in
ihrem Auge die Liebe, welche mir voll und innig aus demselben
entgegenleuchtete. Zwar war sie schwach, aber mehr aus Schreck und Angst
als in Folge des Blutverlustes, und als ich sie jetzt wieder auf das Pferd
heben wollte, trat sie kopfschüttelnd zu dem Braunen, dessen Zügel mir
Winnetou im Vorbeisprengen zugeworfen hatte, und saß im nächsten
Augenblicke auf seinem Rücken.
»Wirst Du Dich erhalten können?« fragte ich besorgt.
»Ich muß wohl stark bleiben, da Du ohne mich nicht leben kannst,«
antwortete sie mit einem Lächeln des Glückes, und den Arm erhebend, fügte
sie hinzu: »Dort fliehen die Rothen. Vorwärts!«
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Es war so, wie sie sagte. Ihres Anführers beraubt, dessen Zuruf sie zum Widerstande ermuthigt oder wenigstens ihre Flucht geregelt hätte, jagten sie, die Dragoner immer in ihren letzten Gliedern, denselben Weg zurück, welchen wir gekommen waren, und es war also zu vermuthen, daß sie in unserm Thalkessel ihre Zuflucht suchen wollten.Ende des elften und letzten Teils.