Nummer 14 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
4. Dezember 1875 |
// 220 //
»Sam Hawkens, wirf den Lariat um Deine Zunge, sonst thue ich jetzt an Dir, was ich vorhin unterlassen habe! Will Parker ein Greenhorn! - Der Spaß wäre schon einige Körner Pulver werth, altes Coon. Aber Deiner Mutter Sohn ist wohl nicht klug genug, um einzusehen, daß man einen Kundschafter laufen läßt, um nicht die Uebrigen durch seinen Untergang aufmerksam zu machen?«// 221 //
Leib stak in einem enganliegenden Camisol, das mittelst
eines breiten Gürtels, in und an welchem neben Messer und Revolver die
verschiedensten kleinen Nothwendigkeiten staken und hingen,
zusammengehalten wurde; um die breiten, eckigen Schultern zog sich eine
wollene Decke, deren Fäden die ausgedehnteste Erlaubniß hatten, nach allen
Himmelsgegenden auseinander zu laufen, und der kurzgeschorene Kopf stak in
einem Dinge, dessen Definition geradezu eine Sache der reinsten
Unmöglichkeit war.
Draußen angekommen, schritten wir nach einigen kurzen Weisungen an der
Wache vorüber, dem Orte zu, an welchem sich Sam Hawkens versteckt gehabt
hatte. Die von dort nach der Schlucht führende Richtung war jedenfalls die
für uns vortheilhafteste; denn wir hatten von beiden Seiten Deckung und
waren sicher, denjenigen von den Indianern zu begegnen, welche annehmbarer
Weise ihren Versteck verlassen hatten, um nach dem Verbleiben der uns
Begegneten zu sehen.
Winnetou hatte kurz nach unserm frühzeitigen Aufbruche am Morgen das Lager
auch verlassen und war noch nicht zurückgekehrt. Er wäre uns auf dem
jetzigen Gange der willkommenste Begleiter gewesen, und ich konnte, da ich
ihn wirklich liebgewonnen hatte, mich einer leisen Sorge um ihn nicht
erwehren. Es war ja ein Zusammentreffen mit dem Feinde so leicht möglich,
und in diesem Falle war er trotz seiner Tapferkeit verloren.
Eben dachte ich an diesen Umstand, als sich plötzlich neben uns die Büsche
theilten und der Apache vor uns stand. Unsre Hände, welche beim ersten
raschelnden Laute der Zweige nach den Waffen gegriffen hatten, fuhren von
denselben zurück, als wir ihn erkannten.
»Winnetou wird gehen mit den weißen Männern, um zu sehen Parranoh und die
Ogellalla's.«
Erstaunt blickten wir ihn an. Er wußte also schon von der Anwesenheit der
Indianer.
»Hat mein rother Bruder die Krieger des grausamsten Stammes der Sioux
gesehen?«
»Winnetou muß wachen über seinen jungen Bruder und über die Tochter
Ribanna's. Er ist hinter ihnen gegangen und hat gesehen ihre Messer fahren
in das Herz der rothen Krieger. Parranoh hat sich genommen den Schädel
eines Mannes vom Volke der Osagen; sein Haar ist eine Lüge und seine
Gedanken sind voller Falschheit. Winnetou wird ihn tödten.«
»Nein, der Häuptling der Apachen wird ihn nicht berühren, sondern ihn mir
lassen!« entgegnete Old Firehand.
»Winnetou hat ihn schon einmal geschenkt seinem weißen Freunde!«
»Er wird mir nicht wieder entgehen; denn meine Hand -«
Nur das letzte Wort hörte ich noch; denn in dem Augenblicke, in welchem es
gesprochen wurde, sah ich zwei glühende Augen hinter dem Strauche, welcher
die Biegung der Fußspuren verbarg, hervorleuchten und hatte mit einem
raschen Sprunge den Mann gepackt, dem sie angehörten.
Es war Der, von welchem gesprochen wurde, Parranoh, und kaum stand ich vor
ihm und warf ihm die Finger um die Kehle, so raschelte es zu beiden
Seiten, und eine Anzahl Indianer sprangen hervor, ihrem Häuptlinge zur
Hülfe.
Die Freunde hatten meine Bewegung gesehen und stürzten sich sofort auf
meine Angreifer. Wie es kam, ich weiß es nicht; aber ich hatte den weißen
Häuptling, welcher mir an Stärke und Geschicklichkeit doch weit überlegen
war, unter mir. Meine Kniee auf seiner Brust, die Finger der Linken um den
Hals und die Rechte um seine Hand, welche das Messer gepackt hatte,
fühlend, krümmte er sich unter mir wie ein Wurm und machte die wüthendsten
Anstrengungen, mich von sich zu stoßen. Ich hatte keine Zeit, auch nur
einen einzigen Blick auf das um mich herumwogende Getümmel zu werfen; denn
bei dem geringsten Versehen meinerseits war ich verloren, und nie im
ganzen Leben habe ich es mehr gefühlt, daß sich die Kräfte des Menschen im
Augenblicke solcher Gefahr verdoppeln, ja verzehnfachen können.
Mit den Füßen wie ein angeketteter Stier um sich schlagend, versuchte er,
in riesenkräftigen Rucken sich emporzuschnellen; der falsche, langbehaarte
Schädel lag neben ihm; die Augen traten weit und mit Blut unterlaufen aus
ihren Höhlen; vor dem Munde stand ihm der gährende Schaum der Wuth und die
nackte, von dem Scalpmesser Winnetou's barbirte Kopfblöße schwoll unter
der Anstrengung aller Fasern und Nerven und dem wilden Schlage des
zusammengedrückten Pulses mit einer erschreckenden Häßlichkeit auf. Mir
war, als hätte ich ein rasendes Thier unter mir, und mit mir jetzt
unbegreiflicher Gewalt krampfte ich meine Finger um seine Kehle, so daß er
einige Male convulsivisch zusammenzuckte, den Kopf hintenüber legte und,
die Augen verdrehend, unter einem immer leiser werdenden Zittern die
Glieder von sich streckte; - er war besiegt.
Jetzt endlich blickte ich, mich erhebend, um mich, und es bot sich mir
eine Scene, wie sie die Feder nie zu beschreiben vermag. Keiner der
Kämpfenden hatte, aus Sorge dem Feinde Hülfe herbei zu rufen, eine
Schußwaffe gebraucht, sondern nur das Messer und der Tomahawk waren thätig
gewesen. Keiner von ihnen stand aufrecht, sondern Alle lagen am Boden und
wälzten sich in ihrem oder dem Blute ihres Gegners.
Winnetou stand eben im Begriffe, einem unter ihm Liegenden die Klinge in
die Brust zu stoßen; er bedurfte meiner nicht. Old Firehand lag auf einem
der Gegner und versuchte, einen zweiten, welcher ihm den Arm zerfleischte,
von sich abzuhalten. Ich eilte ihm zu Hülfe und schlug den Dränger mit
seinem eigenen Beile, welches ihm entfallen war, nieder. Dann ging's zu
Dik Stone, welcher zwischen zwei todten Rothhäuten unter einem riesigen
Manne lag, der sich alle Mühe gab, einen tödtlichen Stich anzubringen. Es
gelang ihm nicht; das Beil des Stammesgenossen machte seiner Bemühung ein
Ende.
Stone erhob sich und brachte seine langweiligen Gliedmaßen in Ordnung.
»By God, Sir, das war Hülfe zur rechten Zeit! Drei gegen Einen ist doch,
wenn man nicht schießen darf, ein Wenig zu viel. Das muß so sein; habt
Dank!«
Auch Old Firehand streckte mir die Hand entgegen und wollte eben sprechen,
als sein Blick auf Parranoh fiel.
»Tim Finn - ists möglich? Der Häuptling selber! Wer hat's mit ihm zu thun
gehabt?«
»Mein junger, weißer Bruder hat ihm niedergeworfen,« antwortete Winnetou
statt meiner, und bemerkend, daß der Todte nicht verletzt, sondern nur
durch den Druck der Hand besiegt worden war, fügte er mit einem Ausdruck
des Erstaunens, wie ich ihn noch nie von ihm gehört hatte, hinzu: »Der
große Geist hat ihm die Kraft des Büffels gegeben, der die Erde pflügt mit
seinem Horne.«
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»Mann,« rief Old Firehand, »wie Euch, so hab' ich noch
Keinen getroffen, so weit ich auch herumgekommen bin, und Ihr wollt nach
dem Westen gekommen sein, nur um Steine und Pflanzen kennen zu lernen?«
Statt aller Antwort legte ich meine Hand auf seinen Arm. Die fast
übermenschliche Anstrengung hatte meine Kräfte so überschritten, daß ich
wie ein Frierender am ganzen Körper zitterte und kaum im Stande war, die
Hand an der Stelle festzuhalten.
»Fühlt Ihr jetzt, was für ein gewaltiger Held ich bin, Sir? Der Schwächste
wehrt sich, wenn es sein Leben gilt, und hier handelte es sich nicht blos
um das Meinige; denn wenn er obenauf gekommen wäre, so war es vielleicht
aus mit uns allen Vieren. Die Partei des Ueberlebenden von uns Beiden
mußte siegen.«
»Aber wie ist es möglich, daß er mit den Seinen hier versteckt sein
konnte, da Winnetou dort in der Nähe war?«
»Der weiße Häuptling ist nicht verborgen gewesen an der Seite des Apachen.
Er hat bemerkt die Spuren seiner Feinde und ist ihnen nachgegangen auf
ihrem Pfade. Seine Männer werden ihm nachkommen und meine weißen Brüder
müssen Winnetou schnell folgen in ihre Wigwams.«
»Hat Recht, der Mann,« bekräftigte Dik Stone. »Das muß so sein, und wir
werden sehen müssen, daß wir zu den Unsrigen kommen.«
»Gut,« erwiederte Old Firehand, von dessen Arme das Blut in hellen Strömen
floß; »auf alle Fälle aber müssen wir die Spuren des Kampfes möglichst
beseitigen. Gehe doch ein Wenig vorwärts, Dik, damit wir nicht etwa
überrascht werden.«
»Soll geschehen, Sir, aber nehmt mir doch zuvor einmal das Messer hier aus
dem Fleische. Ich kann nicht gut zu dem Dinge kommen. Und erlaubt, daß ich
zuvor meinen drei Vettern da nach dem Kopfe sehe; es scheint ihnen in den
Haaren zu liegen.«
Nachdem er ihnen die Scalps genommen, trat er zu mir.
Einer von den Dreien hatte ihm das Messer in die Seite gestoßen, und durch
das Ringen war es immer weiter hineingedrungen. Glücklicher Weise stak es
an keiner gefährlichen Stelle und hinterließ bei seiner Entfernung eine
für Stone's Eisennatur nur leichte Wunde.
In kurzer Zeit war das Nothwendige gethan und Dik Stone wurde
herbeigeholt.
»Wie bringen wir unseren Gefangenen fort?« fragte Old Firehand.
»Er wird getragen werden müssen,« antwortete ich. »Wird aber seine
Schwierigkeiten haben; wenn er vollständig zur Besinnung kommt.«
»Tragen?« fragte Stone. »Ist mir seid etlichen Jahren nicht so wohl
geworden und möchte diesen alten Knaben dieses Herzeleid auch nicht
anthun.«
Mit einigen Schnitten trennte er eine Anzahl der nebenanstehenden
Stämmchen von der Wurzel, nahm die Decke Parranoh's wieder vor, schnitt
sie in Streifen und meinte, uns vergnügt zunickend:
»Bauen da eine Schleife, einen Schlitten, ein Rutschholz oder so Etwas
zusammen, binden das Mannskind darauf fest und trollen uns damit von
dannen. Das muß so sein!«
Der Vorschlag ward angenommen, und ausgeführt, und bald setzten wir uns in
Bewegung, die allerdings eine so deutliche Spur zurückließ, daß der
hinterher gehende Winnetou alle Mühe hatte, sie nur einigermaßen zu
verwischen. - - -
Es war früh am anderen Tage. Noch hatten die Strahlen der Sonne nicht die
Spitzen der umliegenden Berge berührt und tiefe Ruhe herrschte im Lager.
Ich aber war längst schon wach und auf den Felsen gestiegen, wo ich Ellen
wiedergefunden hatte.
Unten im Thale wälzten sich dichte Nebelballen um die Büsche, oben aber
war die Luft rein und klar und wehte mir mit ermunternder Kühle um die
Schläfe. Drüben hüpfte ein Kernbeißer unter Brombeerranken auf und ab und
lockte mit schwellender, pfirsichblüthrother Kehle sein unfolgsames
Weibchen; etwas tiefer saß ein blaugrauer Katzenvogel und unterbrach
seinen Gesang zuweilen durch einen possierlichen miauenden Schrei, und von
unten herauf ertönte die wundervolle Stimme des Entenvogels, der am
Schlusse jeder Strophe seine musikalische Bravour mit einem lauten
Entengequakel applaudirte. Meine Gedanken aber waren weniger bei diesem
Frühconcerte als vielmehr bei den Erlebnissen des vorhergehenden Tages.
Nach dem Berichte eines unserer heimkehrenden Jäger, welcher, still durch
die Waldungen schleichend, die Ogellalla's auch bemerkt hatte, waren diese
in noch größerer Anzahl vorhanden, als wir angenommen hatten; denn er war
unten in der Ebene an einem zweiten Lagerplatze vorüber gekommen, an
welchem sich auch die Pferde befunden hatten.
Es war also mit Bestimmtheit anzunehmen, daß ihr Kriegszug nicht gegen
einzelne Personen, sondern gegen unsre ganze Niederlassung gerichtet war,
und aus diesem Grunde und der bedeutenden Anzahl der Feinde wegen durften
wir unsre Lage keineswegs zu den beneidenswerthen rechnen.
Die Vorbereitungen, welche getroffen werden mußten, einem Ueberfalle zu
begegnen, hatten den gestrigen Nachmittag und Abend in der Weise
ausgefüllt, daß wir keine Zeit gefunden hatten, über das Schicksal unsers
Gefangenen eine Bestimmung zu treffen. Er lag wohlgebunden und gut
bewacht, in einer der Felsenkammern, und noch vorhin erst, gleich nach
meinem Erwachen, hatte ich mich von der Zuverlässigkeit seiner Fesseln
überzeugt.
Die nächsten Tage, vielleicht schon die heutigen Stunden mußten uns
wichtige Entscheidungen bringen, und es war wirklich ein außergewöhnlicher
Ernst, mit welchem ich an meine gegenwärtige Lage dachte, als ich durch
nahende Schritte aus dem Sinnen wachgerufen wurde.
»Guten Morgen, Sir! Der Schlaf scheint Euch ebenso geflohen zu sein, wie
mich.«
Ich dankte dem Gruße und erhob mich aus meiner sitzenden Lage.
»Wachsamkeit ist die nothwendigste Tugend in diesem gefahrvollen Lande,
Miß.«
»Fürchtet Ihr Euch vor den Braunen?« fragte sie lächelnd.
»Ich weiß, daß Ihr diese Frage nicht im Ernste aussprecht. Aber wir zählen
im Ganzen dreizehn Mann und haben einen zehnfach überlegenen Feind vor
uns. Offen können wir uns desselben gar nicht erwehren, und unsre einzige
Hoffnung besteht nur allein darin, von ihm nicht entdeckt zu werden.«
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»Ihr seht die Sache doch wohl etwas zu schwarz. Dreizehn Männer von der Art und Weise unsrer Leute vermögen schon ein Erkeckliches zu leisten, und selbst wenn die Rothhäute unser Versteck aufspürten, würden sie sich Nichts als blutige Köpfe holen.«»Mein Bruder hat lieb Ribanna, die Tochter Tah - scha - tunga's?«
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»Sie ist mir lieber als die Heerden der Prairie und die Scalpe aller
rothen Männer.«
»Und er wird gut mit ihr sein und nicht hart reden zu ihren Ohren, sondern
ihr sein Herz geben und sie schützen gegen die bösen Stürme des Lebens?«
»Ich werde sie auf meinen Händen tragen und bei ihr sein in aller Noth und
Gefahr.«
»Winnetou kennt den Himmel und weiß die Namen und die Sprache der Sterne;
aber der Stern seines Lebens gehet hinunter, und in seinem Herzen wird es
dunkel und Nacht. Er wollte die Rose vom Quicourt nehmen in sein Wigwam
und an ihre Brust legen sein müdes Haupt, wenn er zurückkehrt vom Pfade
des Buffalo oder von den Dörfern seiner Feinde. Aber ihr Auge leuchtet auf
seinen Bruder und ihre Lippen sprechen den Namen des guten
Bleichgesichtes. Der Apache wird gehen aus dem Lande des Glückes, und sein
Fuß wird einsam weilen an den Wogen des Gila. Seine Hand wird nimmermehr
berühren das Haupt eines Weibes, und nie wird die Stimme eines Sohnes
dringen an sein Ohr. Doch wird er zurückkehren zur Zeit, wenn das Elenn
durch die Pässe geht und wird sehen, ob glücklich ist Ribanna, die Tochter
Tah - scha - tunga's.«
Er drehte sich um, schritt in die Nacht hinaus und war am andern Morgen
verschwunden.
Als er zur Zeit des Frühlings zurückkehrte, fand er Ribanna, und ihre
strahlenden Augen erzählten ihm besser als Worte von dem Glücke, welches
ihr beschieden war. Er nahm mich, das erst einige Tage alte Kind, von
ihrem Arme, küßte mir den kleinen Mund und legte seine Hand betheuernd auf
mein Haupt:
»Winnetou wird sein über Dir wie der Baum, in dessen Zweigen die Vögel
schlafen und die Thiere des Feldes Schutz finden vor der Fluth, die aus
den Wolken rinnt. Sein Leben sei Dein Leben und sein Blut wie Dein Blut.
Nie wird der Hauch seines Athems stocken und die Kraft seines Armes
erlahmen für die Tochter der Rose vom Quicourt. Möge der Thau des Morgens
fallen auf Deine Wege und das Licht der Sonne auf Deine Pfade, damit
Freude habe an Dir der weiße Bruder des Apachen. Howgh!« -
Jahre vergingen, und ich wuchs heran. Aber ebenso wuchs auch das Verlangen
des Vaters nach dem zurückgelassenen Sohne, den ich ihn vergebens zu
ersetzen strebte. Ich vergaß, ein Mädchen zu sein, nahm Theil an den
muthigen Spielen der Knaben und ward erfüllt von dem Geiste des Krieges
und der Waffen. Da konnte Vater seiner Sehnsucht nicht länger gebieten; er
ging nach dem Osten und nahm mich mit. Mir ging an der Seite des Bruders
und mitten im civilisirten Leben eine neue Welt auf, von der ich mich
nicht trennen zu können vermeinte. Vater kehrte allein zurück und ließ
mich bei den Pflegeeltern des Bruders. Bald aber regte sich das Heimweh
nach dem Westen mit solcher Macht in mir, daß ich es kaum zu bewältigen
vermochte und nach dem nächsten Besuche des Vaters mit ihm wieder in die
Heimath ging.
Daselbst angekommen, fanden wir das Lager leer und vollständig
ausgebrannt. Nach längerem Suchen entdeckten wir ein Wampum, welches Tah -
scha - tunga zurückgelassen hatte, um uns bei unsrer Ankunft von dem
Vorgefallenen zu benachrichtigen.
Tim Finnetey, ein weißer Jäger, war früher oftmals in unserm Lager gewesen
und hatte die Rose vom Quicourt zur Squaw begehrt; aber die Assineboins
waren ihm nicht freundlich gesinnt, denn er war ein Dieb und hatte schon
zu mehreren Malen ihre »Caches« geöffnet. Er wurde abgewiesen und ging,
mit dem Schwur der Rache auf den Lippen. Vom Vater, der mit ihm in den
Black Hills zusammengetroffen war, hatte er erfahren, daß Ribanna sein
Weib sei, und er ging zu den Schwarzfüßen, um sie zu einem Kriegszuge
gegen die Assineboins zu bewegen.
Sie folgten seiner Stimme und kamen zu einer Zeit, in welcher die Krieger
auf einem Jagdzug abwesend waren. Sie überfielen, plünderten und
verbrannten das Lager, tödteten die Greise und Kinder und führten die
jungen Frauen und Mädchen gefangen mit sich fort. Als die Krieger
zurückkehrten und die eingeäscherte Stätte sahen, folgten sie den Spuren
der Räuber, und da sie ihren Rachezug nur einige Tage vor unsrer Ankunft
angetreten hatten, so war es uns vielleicht möglich, sie noch einzuholen.
Laßt mich's kurz machen. Unterwegs stießen wir auf Winnetou, welcher über
die Berge gekommen war, die Freunde zu sehen. Er wandte auf des Vaters
Bericht, ohne ein Wort zu verlieren, sein Pferd, und nie im Leben werde
ich den Anblick der beiden Männer vergessen, welche lautlos, aber mit
glühendem Herzen und drängender, angstvoller Eile den Weg der
Vorangezogenen verfolgten.
Wir trafen sie am bee-fork. Sie hatten die Schwarzfüße ereilt, welche im
Flußthale lagerten und erwarteten nur die Nacht, um über sie herzufallen.
Ich sollte bei der Pferdewache zurückbleiben; aber es ließ mir keine Ruhe,
und als der Augenblick des Ueberfalles kam, schlich ich mich zwischen die
Bäume vor und kam grad an dem Rande des Gehölzes an, als der erste Schuß
fiel. Es war eine furchtbare Nacht. Der Feind war uns überlegen, und das
Kampfgeschrei verstummte erst, als der Morgen zu grauen begann.
Ich hatte das Gewirr der wilden Gestalten gesehen, das Aechzen und Stöhnen
der Verwundeten und Sterbenden gehört und betend im nassen Grase gelegen.
Jetzt kehrte ich zur Wache zurück. Sie war verschwunden. Unsägliche Angst
bemächtigte sich meiner, und als ich jetzt das Freudengeheul der Feinde
vernahm, wußte ich, daß wir besiegt seien.
Ich versteckte mich bis zum Abend und wagte mich dann auf den Platz, wo
der Kampf stattgefunden hatte.
Tiefe Stille herrschte ringsum und der helle Schein des Mondes fiel auf
die leblos daliegenden Gestalten. Gepackt von grausen Entsetzen irrte ich
zwischen ihren herum, und - da lag sie, die Mutter, mitten durch die Brust
geschossen, die Arme krampfhaft um das kleine Schwesterchen geschlungen,
dessen Köpfchen von einem tiefen Messerhiebe klaffte. Der Anblick raubte
mir die Besinnung, und ich fiel ohnmächtig über sie hin.
Ende des achten Teils – Fortsetzung folgt.