Nummer 12 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
20. November 1875 |
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»Versteht sich, versteht sich, kenne Euch gut genug; aber hier habt Ihr Euren Ring. Werdet später erst sehen, was es heißt, daß ich ihn Euch wieder zustelle. Für jetzt aber will ich Euch den Apachen schicken; seine Wache ist um. Legt Euch auf's Ohr, damit Ihr früh am Tage munter seid. Wir werden morgen einmal unsre Gäule drannehmen und zwei Tagereisen erzwingen müssen.«// 189 //
welche glücklich macht und ein Schutz ist gegen jede Gefahr
und die Angriffe des bösen Geistes.«
»Hat mein Bruder die Blume gesehen?«
»Er hat sie getragen auf seinen Armen; er hat ihr gezeigt die Blumen des
Feldes, die Bäume des Waldes, die Fische des Wassers und die Sterne des
Himmels; er hat ihr gelehrt, den Pfeil vom Bogen schießen und das wilde
Roß besteigen; er hat ihr geschenkt die Sprachen der rothen Männer und ihr
zuletzt gegeben das Feuergewehr, dessen Kugel getödtet hat Ribanna, die
Tochters der Assineboins.«
Erstaunt blickte ich ihn an. Es dämmerte eine Ahnung in mir auf, der ich
kaum Worte zu geben wagte, und doch hätte ich es vielleicht gethan, wenn
nicht gerade jetzt Old Firehand zurückgekehrt wäre und unsre
Aufmerksamkeit auf das Mahl gerichtet hätte. Aber während desselben mußte
ich immerfort an die Worte Winnetou's denken, aus denen in Verbindung mit
Dem, was Ellen mir gesagt hatte, fast hervorging, daß Old Firehand ihr
Vater sei. Das Benehmen desselben bei meiner Erzählung am gestrigen Abende
stimmte allerdings mit dieser Vermuthung überein; aber er hatte von diesem
Vater als von einem Dritten gesprochen und Nichts gesagt, was meine
Vermuthung zu einer festen Ueberzeugung machen konnte.
Nach einigen Stunden der Ruhe brachen wir wieder auf. Als ob unsre Thiere
wüßten, daß ein Ort mehrtägiger Erholung vor ihnen liege, trabten sie
munter dahin, und wir hatten eine ziemliche Strecke zurückgelegt, als mit
der hereinbrechenden Dämmerung der Höhenzug, hinter welchem das Thal des
Mankizila liegt, uns so nahe getreten war, daß das Terrain sich zu erheben
begann und wir uns durch eine Schlucht bewegten, welche, wie es schien,
uns senkrecht auf den Lauf des Flusses führen mußte.
»Halt!« tönte es da plötzlich aus den zur Seite stehenden Cattonsträuchern
hervor, und zu gleicher Zeit ward zwischen den Zweigen der Lauf einer auf
uns gerichteten Büchse sichtbar. »Wie heißt das Wort?«
»Tapfer!«
»Und?«
»Verschwiegen,« gab Old Firehand die Parole, indem er mit scharfem Blicke
des Gesträuch zu durchdringen suchte. Bei dem letzten Worte theilte sich
dasselbe und ließ einen Mann hindurch, bei dessen Anblicke ich mich eines
leisen Lächelns nicht erwehren konnte.
Unter der wehmüthig herabhängenden Krämpe eines Filzhutes, dessen Alter,
Farbe und Gestalt selbst dem schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen
verursacht haben würde, blickte zwischen einem Walde von verworrenen,
schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche fast von erschreckenden
Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte
dienen können. In Folge des gewaltigen Bartwuchses waren außer diesem so
verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen
Gesichtstheilen nur die zwei kleinen, klugen Augen zu bemerken, welche mit
einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit
einem Ausdrucke von schalkhafter List von Einem zum Andern von uns Dreien
sprangen.
Diese Oberparthie ruhte auf einem Körper, welcher uns bis auf das Knie
herab vollständig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen
Jagdrocke stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person
angefertigt worden war und dem kleinen Mann vor uns das Aussehen eines
Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des
Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung
guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten
Leggins staken, die so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor
einem Jahrzehnt ausgewachsen haben mußte und dabei einen umfassenden Blick
auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welche zur Noth der Besitzer
in voller Person hätte Platz finden können.
In der Hand trug der Mann eine alte Rifle, die ich nur mit der äußersten
Vorsicht angefaßt hätte, und als sich so mit einer gewissen Würde auf uns
zu bewegte, konnte ich mir keine größere Carricetur eines Prairiejägers
denken, als ihn. -
»Sam Hawkens!« rief Old Firehand. »Sind Deine Aeuglein blöde geworden, so
daß Du mir die Parole abverlangst?«
»Meine es nicht, Sir! Halte aber dafür, daß ein Mann auf Posten auch
zuweilen zeigen muß, daß er die Losung nicht vergessen hat. Willkommen im
Bajou, Mesch'schurs! Wird Freude geben, große Freude.«
»Wer von den Männern ist vorhanden?« fragte unser Anführer, indem er ihm
vom Pferde herab die Hand schüttelte.
»Alle, außer Bill Bulcher, Dick Stone und Harris, meine ich, die fort
sind, um 'Fleisch zu machen'. Die kleine Lady ist auch gekommen und wenn
ich recht gesehen habe, ein Wenig groß geworden.«
»Weiß es, weiß es, daß sie da ist. Wie ist's sonst gegangen? Gab's
Rothhäute?«
»Danke, danke, Sir; könnte mich nicht besinnen, welche gesehen zu haben,
obgleich« - setzte er, auf sein Schießinstrument deutend, hinzu - »Liddy
Hochzeitsgedanken hat.«
»Und die Fallen?«
»Haben gute Erndte gehabt, sehr gute, wenn ich mich nicht irre. Könnts
selbst sehen, Sir; werdet wenig Wasser im Thore finden, meine ich.«
Er drehte sich um und schritt, während wir weiter ritten, seinem Verstecke
wieder zu.
Die kleine Scene hatte mir gezeigt, daß wir in der Nähe der »Festung«
angekommen seien; denn Sam Hawkens stand jedenfalls als Sicherheitswache
in kurzer Entfernung vom Zugange zu derselben, und mit Aufmerksamkeit
musterte ich die Umgebung, um denselben zu entdecken.
Jetzt öffnete sich links eine enge Kluft, welche von so nahe an
einandertretendem und oben von Brombeerranken überdachtem Gestein gebildet
wurde, daß man beide Seitenwände mit den ausgespreizten Händen erreichen
konnte. Die ganze Breite des Bodens nahm ein Bach ein, dessen hartes,
felsiges Bette nicht die geringste Spur eines Fußes wiedergeben konnte und
sein klares, durchsichtiges Wasser in das Flüßchen leitete, an dessen
Rande wir in das Thal emporgeritten waren. Old Firehand bog hier ein, und
wir folgten, langsam gegen den Lauf des Wassers reitend. Jetzt verstand
ich auch die Worte des Postens, daß wir wenig Wasser im Thore finden
würden.
Kurze Zeit nur hatten wir diese Richtung eingeschlagen, als die Felsen
zusammen rückten und uns in so geschlossener Masse entgegen traten, daß
der Weg hier zu Ende zu sein schien. Aber zu meinem Erstaunen ritt Old
Firehand immerzu und ich sah ihn mitten durch die Mauer verschwinden.
Winnetou folgte, und als ich die räthselhafte Stelle erreichte, bemerkte
ich nun allerdings, daß die dichten, von
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oben herabhängenden, wilden Epheuranken nicht eine
Bekleidung des Steines, sondern einen Vorhang bildeten, hinter welchem die
Oeffnung tunnelartig fortlief und in dichte Finsterniß führte.
Lange, lange Zeit und in verschiedenen Krümmungen folgte ich den beiden
Voranreitenden durch das Dunkel, bis endlich wieder ein matter Tagesschein
vor mir auftauchte und wir in eine ähnliche Kluft kamen wie diejenige,
durch welche wir uns vorhin gewunden hatten.
Als dieselbe sich öffnete, blieb ich überrascht halten, und auch Winnetou
ließ ein erstaunendes »Uff« hören.
Wir befanden uns nämlich am Eingange eines mächtigen und weit ausgedehnten
Thalkessels, welcher rings von ungangbaren Felswänden umschlossen war. Ein
blätterreicher Saum von Büschen umrahmte die mit lockigem Grase
bestandene, fast kreisrunde Fläche, auf welcher mehrere Trupps von Pferden
und Maulthieren weideten, zwischen denen sich zahlreichen Hunde
herumtrieben, die theils jener wolfsähnlichen Race, welche den Indianern
ihre Wacht- und Lastthiere liefert, theils aber auch den kleinen, schnell
fett werdenden Bastardarten angehörten, deren Fleisch nächst dem des
Panthers als der größte Leckerbissen gilt.
»Da habt Ihr meine Burg,« wandte sich Old Firehand an uns, »in welcher es
sich sicherer noch wohnen läßt als selbst in Abrahams Schooße.«
»Giebt es eine Oeffnung dort in den Bergen?« fragt ich.
»Nicht soviel, daß ein 'Stunck' hindurchschlüpfen könnte, und von Außen
ist es fast unmöglich, die Höhen zu erklimmen. Es ist wohl schon manche
Rothhaut da draußen vorübergeschlichen, ohne zu ahnen, daß diese schroffen
Felsenzacken nicht eine compacte Masse bilden, sondern ein so
allerliebstes Thal umschließen.«
»Aber wie habt Ihr diesen köstlichen Ort entdeckt?«
»Ich verfolgte ein Racoon (Waschbär) in die Spalte, welche damals noch
nicht vom Epheu verdeckt wurde und habe natürlich sofort Besitz von dem
Platze ergriffen.«
»Allein?«
»Erst, ja, und hundert Mal bin ich dem Tode entronnen, weil ich vor den
Verfolgungen der rothhäutigen Hallunken hier ein sicheres und untrügliches
Versteck fand. Später aber habe ich meine 'Jungens' mit hergenommen, wo
wir nun unsre Häute sammeln und dem Schrecken des Winters trotzen können.«
Noch während der letzten Worte tönte ein gellender Pfiff weit über den
grünenden Plan, und kaum war er erklungen, so öffneten sich an
verschiedenen Stellen ringsum die Büsche und es kamen eine Anzahl
Gestalten zum Vorschein, denen man das Bürgerrecht des Westens auf mehrere
Tausend Schritte anzusehen vermochte.
Wir trabten der Mitte des Platzes zu und waren bald von den Leuten
umringt, welche ihre Freude über die Ankunft Firehands in den kernigsten
Ausdrücken kund gaben.
Mitten in dem Lärmen, der allerdings nur in dieser vollständigen
Abgeschlossenheit erlaubt sein konnte, sah ich Winnetou beschäftigt, sein
Pferd, von welchem er gestiegen war, abzusatteln. Als dies geschehen war,
gab er dem Thiere mit einem leichten Schlage die Weisung, sich um das
Abendbrod zu kümmern, nahm Sattel, Zaum und Decke auf die Schulter und
schritt davon, ohne die Umstehenden eines Blickes zu würdigen.
Ich folgte, da unser Anführer zu sehr in Anspruch genommen war, um sich
jetzt viel mit uns beschäftigen zu können, seinem Beispiele, machte den
braven Swallow vollständig frei und unternahm, die neugierigen Frager kurz
abfertigend, eine Recognition des Platzes.
Wie eine riesenhafte Seifenblase waren die Gesteinsmassen bei der Bildung
des Gebirges von den plutonischen Gewalten emporgetrieben worden und
hatten bei ihrem Zerplatzen eine hohle, nach oben offene und von Außen
unzugängliche Halbkugel gebildet, welche dem eingesunkenen Krater eines
ungeheuren Vulkans glich. Luft und Licht, Wind und Wetter waren dann
beschäftigt gewesen, den harten Boden zu zersetzen und der Vegetation
zugänglich zu machen, und die angesammelten Wassermengen hatten sich nach
und nach durch die eine Seite der Felswand gebohrt und den Bach gebildet,
welcher heut unser Führer gewesen war. -
Ich wählte zu meinem Gange den äußersten Saum des Thales und schritt
zwischen dem Gebüsch und der meist senkrecht aufsteigenden, oft sogar
überhängenden Felswand entlang. In derselben bemerkt ich zahlreiche mit
Thürfellen verschlossene Oeffnungen, welche jedenfalls zu Wohnungen oder
Lagerräumen führten, deren die Jägerkolonie ja nothwendig bedurfte.
Jedenfalls bestand dieselbe aus mehreren Personen, als sich uns bei dem
Empfange gezeigt hatten, wenigstens konnte ich das aus der Anzahl der
Squaws schließen, welche ich während meines Ganges erblickte; aber die
Meisten waren jedenfalls auf Jagdzügen abwesend und kehrten erst bei
Beginn des Winters, dessen Nahen allerdings in nicht mehr langer Zeit zu
erwarten war, zurück.
Während ich so dahin schlenderte, bemerkte ich auf einer der wie es schien
unbesteigbaren Klippen eine kleine, aus knorrigen Aesten aufgeführte
Hütte. Von ihr aus mußte das ganze Thal mit allen seinen Einzelheiten
vollständig zu überschauen sein und ich beschloß, hinaufzusteigen. Bald
fand ich, wenn auch keinen Pfad, so doch die Spuren von Fußtritten, die
sich da hinaufgearbeitet hatten, und folgte ihnen empor.
Nur noch eine kurze Strecke hatte ich zurückzulegen, da sah ich aus der
schmalen und niedern Thüre einen Mann schlüpfen, welcher wohl kaum durch
mein Kommen gestört worden sein konnte; denn er bemerkte mich gar nicht
und trat, den Rücken mir zugewendet, an den Rand des Felsens und warf, das
Auge mit der erhobenen Hand beschattend, einen Blick hinunter in die
Tiefe.
Er trug ein buntes, starkstoffiges Jagdhemde, an der äußern Nath von der
Hüfte bis zum Knöchel mit Fransen verzierte Leggins (Lederbeinkleider) und
die kleinen Moccassins waren reich mit Glasperlen und
Stachelschweinsporsten besetzt. Um den Kopf war turbanartig ein rothes
Tuch geschlungen, und eine ebenso gefärbte Schärpe vertrat die Stelle des
gewöhnlicheren Gürtels.
Als ich den Fuß auf die kleine Plattform setzte, vernahm er das Geräusch
meiner Schritte und wandte sich schnell um. War es Wahrheit oder
Täuschung? Vor mir stand das Bild meiner Träume, der stetige Gegenstand
meines Sinnens und Denkens, das Ziel aller meiner Wünsche und Hoffnungen,
und in hellem, rückhaltslosem Jubel rief ich aus:
»Ellen! Ist's möglich?« und trat mit rascher Bewegung auf sie zu.
Aber ernst und kalt blickte ihr Auge, stolz und unbeweglich stand ihre der
Männerkleidung jedenfalls nicht
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ungewohnte Gestalt und kein Zug ihres jetzt tief gebräunten Angesichtes verrieth auch nur die leiseste freundliche Regung über mein Kommen.Ende des sechsten Teils – Fortsetzung folgt.