Nummer 11 Deutsches Familienblatt.
Wochenschrift für Geist und Gemüth.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Old Firehand.

von Karl May.
13. November 1875


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Es war nicht der erste Feind, welchen ich niedergestreckt, und mein Körper zeigte manches Andenken an nicht immer glücklich bestandene Rencontres mit den kampfgewandten Bewohnern der amerikanischen Steppen; aber hier lag ein Weißer vor mir, der von meiner Waffe gestorben, und ich konnte mich eines beengenden Gefühles nicht erwehren. Doch hatte er den Tod jedenfalls verdient und war des Bedauerns also nicht werth.

Noch mit mir zu Rathe gehend, welches Zeichen meines Sieges ich mit mir nehmen solle, hörte ich hinter mir den eiligen Lauf eines Menschen. Rasch warf ich mich nieder; aber ich hatte Nichts zu befürchten; denn es war Winnetou, welcher mir in freundschaftlicher Besorgniß doch gefolgt war und jetzt an meiner Seite hielt.

»Mein Bruder ist schnell wie der Pfeil des Apachen, und sein Messer trifft sicher das Ziel.«

»Wo ist Old Firehand?«

»Er ist stark wie der Bär zur Zeit des Schneefalles; aber sein Fuß wird gehalten von der Hand der Jahre. Will mein Bruder sich nicht schmücken mit der Scalplocke des Athabaskah?«

»Ich schenke sie meinem rothen Freunde!«

Mit drei Schnitten war die Kopfhaut des Gefallenen

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vom Schädel gelößt. Ich hatte mich, um von dieser Prozedur nicht berührt zu werden, abgewandt, da war es mir, als bewegten sich einige dunkle Punkte langsam auf uns zu.

»Winnetou mag sich zur Erde strecken, er wird den Scalp des weißen Häuptlings vertheidigen müssen!«

Die Kommenden nahten sich mit sichtbarer Vorsicht; es waren ungefähr ein halbes Dutzend Ogellalla's, augenscheinlich von Denen, welche uns entkommen waren, und kehrten zurück, jedenfalls um zu recognosciren und etwa versprengte Ihrige aufzusuchen.

Der Apache kroch, tief zur Erde gedrückt, seitwärts, und ich folgte, seine Absicht errathend. Längst schon hätte Old Firehand bei uns sein müssen; aber vermuthlich hatte er, sobald Winnetou ihm aus den Augen gerathen war, eine falsche Richtung eingeschlagen. Jetzt bemerkten wir, daß die Nahenden Pferde bei sich hatten, welche sie am Zügel nachführten; auf diese Weise waren sie für alle Fälle zur schnellen Flucht bereit; uns aber konnte dieser Umstand gefährlich werden und wir mußten uns deßhalb in den Besitz der Thiere setzen. Wir schlugen daher einen Bogen ein, eine Bewegung, welche uns in ihren Rücken und die Pferde zwischen uns und sie bringen mußte.

In dieser Entfernung vom eigentlichen Kampfplatze hatten sie natürlich keinen Todten vermuthet und stießen ein verwundertes »Hugh!« aus, als sie einen regungslosen menschlichen Körper vor sich erblickten. Hätten sie vermuthet, daß er hier getroffen sei, so wären sie gewiß mit weniger Eile auf ihn zugeschritten; sie schienen aber anzunehmen, daß er sich verwundet aus dem Handgemenge bis hierher geschleppt habe, bückten sich unverzüglich auf ihn nieder und stießen, als sie ihn und seine Entstellung erkannten, ein unterdrücktes Wuthgeheul aus.

Das war der geeignete Augenblick für uns. Im Nu hatten wir sämmtliche Pferde, welche sie im Schrecken losgelassen hatten, bei den Riemen, saßen auf und jagten im Calopp den Unsrigen zu. An einem Kampfe konnte uns Nichts gelegen sein; es war genug, daß wir, fast waffenlos, wie wir waren, den dreifach Ueberlegenen entkamen und außer dem Scalpe des feindlichen Anführers noch eine Anzahl Pferde mitbrachten.

Mit sehr verzeihlichem Vergnügen dachte ich an die verdutzten Gesichter, welche die Betrogenen uns jedenfalls nachschnitten, und selbst der so ernste Winnetou konnte ein lachendes »Uff« nicht unterdrücken. Zugleich aber war eine kleine Sorge um Old Firehand sicher gerechtfertigt, da er ebenso gut wie wir mit einer Truppe der Beschlagenen zusammengetroffen sein konnte.

Und diese Sorge erwies sich als gerechtfertigt; denn wir fanden ihn bei unsrer Rückkehr zu dem Platze des Ueberfalles nicht vor, trotzdem seit unserer Entfernung eine geraume Zeit vergangen sein mußte.

Der Kampf war beendet; man befand sich beim Verbinden der Verwundeten und trug die Gefallenen zusammen. In der Nähe derjenigen Stelle, an welcher die ausgerissenen Schienen lagen, brannten zwei hochlodernde Feuer, welche die nöthige Helle verbreiteten und zugleich dem Zugpersonale als Signal dienten.

»Da seid Ihr ja wieder!« rief uns der Ingenieur entgegen, welcher ein Tuch um den verletzten Arm trug und uns die unbeschädigte Rechte zum Gruße hinstreckte. »Habt Euch brav gehalten, Alter; hätte einem Indsman so Etwas gar nicht zugetraut; werde es zu berichten wissen! Wohin führt Euch Euer Pfad?«

»Winnetou geht, zu sehen das mächtige Volk der Bleichgesichter,« antwortete der Gefragte.

»Dann vergeßt ja nicht, nach Washington zu gehen, zur Stadt des großen Vaters, dem ich schreiben werde von dem tapfern und guten Häuptlinge der Apachen.«

»Winnetou wird ihn sehen und ihm sagen die Wünsche der rothen Männer.«

»Er wird die Worte unsers Bruders hören und mit Weisheit und Güte beantworten. Aber wo ist Old Firehand, den ich Euch nachjagen sah?«

»Mein weißer Bruder hat verloren die Fährte des rothen Mannes und ist auf einen neuen Feind gestoßen. Der Apache wird mit seinem jungen Freunde gehen, ihn zu suchen.«

Auch ich hegte diese Ansicht, da er längst wieder da sein mußte, wenn ihm Nichts begegnet gewesen wäre. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schloß ich mich deßhalb dem Indianer, nachdem wir uns unsre Waffen wieder angeeignet, sie in den gehörigen Zustand gesetzt und die erbeuteten Pferde in Sicherheit gebracht hatten, an und schritt mit ihm der Richtung zu, aus welcher wir soeben gekommen waren. -

Der Mond warf sein falbes, zweifelhaftes Licht über die vor uns ausgebreitete Weite; hinter uns flammten die beiden Feuerzungen empor, und am östlichen Punkte des Gesichtskreises wurde nun auch das scharfe Licht der nahenden Maschine sichtbar. Der Knoten, welcher uns für wenige Viertelstunden mit der Civilisation verband, war nur leicht geschlungen; vielleicht lößte er sich schon in dem gegenwärtigen Augenblicke, welcher uns in die ungewisse und gefahrvolle Nacht hinausführte.

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Eine Reihe von Tagen war vergangen. Unser glücklich zurückgelegter Weg hatte uns mitten durch das Gebiet feindlicher Stämme geführt, und jetzt nun, wo die uns dabei drohenden Gefahren hinter uns lagen, konnten wir uns einmal nach Herzenslust ausruhen und pflegen.

Unsre Büchsen waren in den letzten Tagen, um durch den Knall derselben nicht die Rothhäute auf uns aufmerksam zu machen, stumm geblieben; aber trotzdem hatten wir, da wir an der Station der Bahnarbeiter mit hinreichendem Proviant und manchem Andern reichlich versehen worden waren, nicht Mangel gelitten und auch jetzt eben ließ Old Firehand den letzten Inhalt einer mitgenommenen Rumflasche in das heiße Wasser laufen und kostete mit sichtbarem Wohlbehagen den in diesen Breiten so seltenen Trank.

Winnetou hatte die Wache und trat, von einem seiner Rundgänge zurückgekehrt, zum Feuer. Old Firehand bot ihm den dampfenden Becher.

»Will mein Bruder sich nicht an's Feuer setzen? Der Pfad des Rapaho führt nicht an diese Stelle.«

»Das Auge des Apachen steht immer offen; er traut nicht der Nacht; denn sie ist ein Weib.«

Nachdem er einen langen, behaglich schlürfenden Schluck gethan hatte, schritt er wieder in das Dunkel zurück.

»Er haßt die Frauen,« warf ich hin, um den Anfang zu geben zu einer jener traulichen Unterhaltungen, welche,


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geführt unter ruhig flimmernden Sternen, für lange Jahre in der Erinnerung bleiben.

Old Firehand öffnete das an seinem Halse hangende Futteral und entnahm demselben die sorglich darin verwahrte kurze Pfeife, welche er gemächlich stopfte und dann in Brand steckte.

»Meint Ihr? Vielleicht auch nicht.«

»Seine Worte schienen es zu sagen.«

»Schienen,« nickte der alte Jäger; »aber es ist nicht so. Es gab einmal Eine, um deren Besitz er mit Mensch und Teufel gekämpft hätte, und seit jener Zeit ist ihm das Wort 'Sqaw' (Frau) entfallen.«

»Warum führte er sie nicht in seine Hütte?«

»Sie liebte einen Andern.«

»Darnach pflegt ein Indianer nicht zu fragen.«

»Aber dieser Andere war sein Freund.«

»Und der Name dieses Freundes?«

»Ist jetzt Old Firehand.«

Ich blickte überrascht empor. Hier stand ich vor einer jener Katastrophen, an denen der Westen so reich ist und welche seinen Gestalten und Ereignissen jenen energischen Character geben, durch welchen sie sich kräftig auszeichnen. Natürlich hatte ich kein Recht, weiter zu fragen; aber das Verlangen nach Weiterem mußte sich deutlich in meinen Mienen aussprechen; denn er fuhr nach einer Pause fort:

»Laßt die Vergangenheit ruhen, Mann. Wollte ich von ihr sprechen, wahrhaftig, Ihr wärt trotz Eurer Jugend der Einzige, zu dem ich es thäte; denn ich habe Euch lieb gewonnen in der kurzen Zeit, die wir nun beisammen sind.«

»Danke, Sir! Kann Euch offen sagen, daß auch ich nicht ganz empfindungslos bin.«

»Weiß es, weiß es; Ihr habt's ja reichlich bewiesen, und ohne Eure Hülfe wäre ich in jener Nacht verloren gewesen. Ich hatte in der Hitze, in welche mich der Anblick Tim Finnetey's brachte, Eure Spur, welche ich nicht schnell genug folgen konnte, weil mir vor kurzer Zeit ein Pfeil durch's Bein gedrungen war, aus dem Auge gelassen und gerieth, nur mit dem Messer bewaffnet, zwischen eine Truppe der herumschleichenden Ogellalla's, der sich dann noch Diejenigen zugesellten, welchen Ihr mit den Pferden davongegangen wart. Ich hatte einen teufelsmäßig harten Stand und blutete wie ein vielangeschossener Büffel, als Ihr endlich kamt.«

»Das muß gesagt sein, Sir, einer andern Mutter Sohn wäre in Eurer Lage der Muth in die Beine gefahren, und an der Ehre, lebendig davon zu kommen, hätte er vollkommen genug gehabt.«

»Pah, es hat noch nie eine Rothhaut sagen können, daß Old Firehand ihr den Rücken gekehrt habe. Es war nur ärgerlich, daß ich meine Rechnung mit Tim Finnetey nicht selbst ausgleichen konnte, und ich gäbe auf der Stelle diese meine Hand darum, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, dem Hallunken mein eigenes Eisen zu schmecken zu geben.«

Bei diesen Worten zuckte eine ingrimmige Erbitterung über das sonst so ruhige und offene Gesicht des Sprechenden, und wie er mit wuthblitzenden Augen und festgeballten Fäusten mir so gegenüber lag, konnte ich nicht anders denken, als daß die erwähnte Rechnung mit diesen Parranoh oder Finnetey eine ganz außerordentliche gewesen sein müsse.

Ich gestehe gern, daß meine Wißbegierde immer größer wurde, und bei jedem Andern an meiner Stelle wäre es ebenso gewesen; aber ich mußte mich gedulden, was mir auch gar nicht schwer fiel, da ich von der Zukunft ganz sichere Aufklärung erwarten konnte.

Als ich ihn in der Nacht des Ueberfalles mit Winnetou aufsuchte, fanden wir ihn im Kampfe mit einer überlegenen Anzahl Indsmen, und die dabei erhaltenen Wunden hätten bei dem Mangel an Pflege in der Prairie in kurzer Zeit seinen Tod herbeigeführt. Glücklicher Weise aber bot sich uns in dem anwesenden Bahnzuge ein willkommenes Rettungsmittel, und mit Freuden folgten wir der vom Ingenieur ausgesprochenen Einladung, bis an den nächsten und zugleich auch am Weitesten vorgeschobenen Verwaltungspunkt der damals noch im Baue begriffenen Bahn mit zu fahren und dort die Genesung des Verwundeten abzuwarten.

Diese Genesung war schneller vorgeschritten, als wir erwartet hatten, und so brachen wir nach verhältnißmäßig kurzer Zeit auf, um unsre unterbrochene Wanderung fortzusetzen und zunächst durch das Land der Rapaho's und Pawnee's bis an den Mankizila vorzudringen, an dessen Ufer Old Firehand seine »Festung« hatte, wie er sich ausdrückte, die wir vielleicht in kurzer Zeit erreichen konnten, da wir schon vorgestern den Kehupahan überschwommen hatten. -

Dort wollten wir einige Tage Rast halten und dann über Dakotah und die Hundeprairie die See'n zu gewinnen suchen. Während dieses Aufenthaltes bot sich hoffentlich Gelegenheit, einen Einblick in die Vergangenheit Old Firehands zu thun, und so verharrte ich jetzt schweigend in meiner Stellung, die ich nur zuweilen veränderte, um das Feuer zu schüren und ihm neue Nahrung zu geben.

Bei einer dieser Bewegungen funkelte der an meinem Finger steckende Ring im Strahle der Flamme. Old Firehand's scharfes Auge hatte trotz der Schnelligkeit dieses Leuchtens den kleinen, goldenen Gegenstand genau erfaßt, und er fuhr mit betretener Miene aus seiner bequemen Lage empor.

»Was ist das für ein Ring, den Ihr hier tragt, Sir?«

»Er ist das Andenken an eine der schrecklichsten Stunden meines Lebens.«

»Wollt Ihr ihn mir einmal zur Betrachtung geben?«

Ich erfüllte seinen Wunsch. Mit sichtbarer Hast griff er zu, und kaum hatte er einen näheren Blick auf den Ring geworfen, so erklang die Frage:

»Von wem habt Ihr ihn?«

Es war eine unbeschreibliche Aufregung, die sich seiner bemächtigt hatte, und auf meine Antwort

»Ich erhielt ihn von einer jungen Dame in New- Venango,« stieß er hervor:

»In New-Venango? Wart Ihr bei Forster? Habt Ihr Ellen gesehen? Ihr spracht von einer schrecklichen Stunde, von einem Unglücke!«

»Ein Abenteuer, bei welchem ich mit meinem braven Swallow in Gefahr kam, bei lebendigem Leibe gebraten zu werden,« erwiederte ich, die Hand nach dem Ringe ausstreckend.

»Laßt das!« wehrte er ab. »Ich muß wissen, wie dieser Reif in Euren Besitz gekommen ist. Ich habe ein heiliges Anrecht auf ihn, heiliger und größer als irgend ein andres Menschenkind!«

»Laßt Euch ruhig nieder, Sir. Verweigerte mir ein Anderer die Zurückgabe, so würde ich ihn dazu zu zwingen


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wisse. Euch aber will ich das Nähere berichten, und Ihr werdet dann mir wohl auch Euer Anrecht beweisen können.«

»Sprecht; aber wißt auch Ihr, daß dieser Ring in der Hand eines Mannes, dem ich weniger vertraute als Euch, sehr leicht sein Todesurtheil werden könnte. Also erzählt, erzählt!«

Er kannte Ellen, er kannte auch Forster, und die Erregung, in welcher er sich befand, zeigte von dem großen Interesse, welches er an diesen Personen nahm. Ich hatte hundert Fragen auf der Zunge; aber ich drängte sie zurück und begann meinen Bericht von der Begegnung mit dem wunderbaren und räthselhaften Mädchen, dessen Bild sich meiner Erinnerung so fest eingedrückt hatte, daß ich den Gedanken an sie nur auf kurze Unterbrechungen von mir zu weisen vermochte.

Auf den einen Ellbogen gestützt, lag er, das Feuer zwischen uns, mir gegenüber, und in jedem einzelnen seiner Züge sprach sich die Spannung aus, mit welcher er dem Laufe meiner Erzählung folgte. Von Wort zu Wort wuchs seine Aufmerksamkeit, und als ich zu dem Augenblicke kam, an welchem ich sie vor mir auf das Pferd gerissen hatte, sprang er auf und rief:

»Mann, das war das Einzige, sie zu retten! Ich zittre für ihr Leben; rasch, rasch, sprecht weiter!«

Auch ich hatte mich in dem Wiederfühlen jener furchtbaren Aufregung erhoben und fuhr in meiner Schilderung fort. Er trat mir näher und immer näher; seine Lippen öffneten sich, als wolle er jedes einzelne meiner Worte trinken; sein Auge hing, weit aufgerissen, an meinem Munde, und sein Körper bog sich in eine Stellung, als säße er selbst auf dem dahinbraußenden Swallow, stürze sich selbst mit in die hochaufschäumenden Fluthen des Flusses und strebe selbst in fürchterlicher Angst um das holde Wesen die steile, zackige Felswand empor. Längst schon hatte er meinen Arm erfaßt, den er unbewußt drückte, daß ich hätte die Zähne zusammenpressen mögen, und laut und ächzend drängte sich der Athem aus seiner von fürchterlicher Besorgniß zusammengepreßten Brust. -

»Heavens!« rief er mit einem tiefen, tiefen Athemzuge, als er hörte, daß ich glücklich mit ihr über den Rand der Schlucht gekommen sei und sie also in Sicherheit gebracht habe. »Das war entsetzlich - fürchterlich! Ich habe eine Angst ausgestanden, als ob mein eigener Körper in den Flammen stäke, und doch wußte ich vorher, daß Euch die Rettung gelungen sei, denn sonst hätte sie Euch ja den Ring nicht geben können.«

»Sie hat es auch nicht gethan; ich streifte ihn wider Willen von ihrem Finger, und sie hat den Verlust gar nicht bemerkt.«

»So mußtet Ihr das fremde Eigenthum der Besitzerin unbedingt zurückstellen.«

»Ich wollte es; doch floh sie mich. Zwar folgte ich ihr, doch sah ich sie erst am andern Morgen in Gesellschaft einer Familie wieder, welche dem Tode entgangen war, weil ihre Wohnung im obersten Winkel des Thales lag und der Brand seine Richtung abwärts genommen hatte.«

»Und da spracht Ihr von dem Ringe?«

»Nein, sie ließ mich gar nicht vor, und ich bin dann natürlich meines Weges fortgeritten.«

»So ist sie, ja, so ist sie! Sie haßt Nichts mehr als Feigheit und hat Euch für muthlos gehalten. Was ist aus Forster geworden?«

»Ich habe gehört, daß nur allein jene Familie davongekommen sei. Das Gluthmeer, von welchem der Thalkessel erfüllt war, hat Alles verschlungen, was in seinen Bereich gekommen ist.«

»Es ist schrecklich und eine zu furchtbare Strafe für das allerdings unnützes und lächerliches Vorhaben, das Oel fortlaufen zu lassen, um den Preis desselben in die Höhe zu bringen!«

»Auch Ihr habt ihn gekannt, Sir?« fragte ich jetzt.

»Ich war einige Male bei ihm in New-Venango. Er war ein stolzer, geldprotziger Mann, der wohl Ursache gehabt hätte, wenigstens mit mir etwas manierlicher umzuspringen.«

»Und Ellen habt Ihr bei ihm gesehen?«

»Ellen?« sagte er mit einem eigenthümlichen Lächeln in seinem jetzt wieder ruhigen Angesichte. »Ja, bei ihm und in Omaha, wo sie einen Bruder hat - vielleicht auch noch sonst irgendwo.«

»Ihr könntet mir wohl Etwas über das Mädchen mittheilen!«

»Möglich, aber jetzt nicht, jetzt nicht! Eure Erzählung hat mich so mitgenommen, daß ich keine rechte Sammlung zu einer solchen Unterhaltung verspüre; aber zu gelegener Zeit sollt Ihr mehr über sie erfahren, das heißt natürlich, soviel ich selbst von ihr weiß. Hat sie Euch nicht gesagt, was sie in Venango wollte?«

»Doch! Sie wollte ihren Vater sehen und hatte dort nur Absteigequartier genommen.«

»So so; das thut sie alle Jahre. Also Ihr behauptet, daß sie der Gefahr dort wirklich und ganz bestimmt entgangen sei?«

»Ganz sicher.«

»Und schießen habt Ihr sie auch sehen?«

»Wie ich Euch sagte, und zwar ganz vorzüglich. Sie muß eine sehr ungewöhnliche Erziehung genossen haben.«

»Das ist so. Ihr Vater ist ein alter Scalper, der keine einzige Kugel gießt, die nicht ihren Weg zwischen die bewußten zwei Indianerrippen fände. Von ihm hat sie das Zielen gelernt, und wenn Ihr etwa glaubt, daß sie es nicht zur rechten Zeit und am richtigen Orte anzuwenden verstehe so irrt Ihr Euch ganz gewaltig.«

»Wo ist dieser Vater.«

»Er ist bald da, bald dort zu finden, und ich darf wohl sagen, daß wir einander so ziemlich kennen gelernt haben. Es ist möglich, daß ich Euch helfe, ihn einmal zu sehen.«

»Wenn Ihr das könntet, Sir!« rief ich aufspringend.

»Werden ja sehen, Mann; habt es an der Tochter verdient, daß Euch der Vater Dank sage.«

»O, das ist's nicht, was ich meine!«


Ende des fünften Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Old Firehand

Karl May – Leben und Werk