Nummer 9 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
30. Oktober 1875 |
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»Mein bleicher Bruder kennt mich. Er hat mit mir den Lasso um die Hörner des Büffels geworfen und den Bär des Gebirges in der Höhle getödtet; er ist an meiner Seite gestanden gegen die Uebermacht des Arrapahu's und hat die Mandans im Blute zu meinen Füßen gesehen; er zählte die Scalps an den Wänden meines Wigwams und sieht die Locken meiner Feinde an meinem Gürtel hangen. Winnetou hat seinen Stamm verlassen, um die großen Hütten der Weißen zu sehen, ihre Feuerrosse und ihre Dampfcanoes, von denen ihm der Freund erzählt hat; aber sein Haupt wird von keinem Messer berührt werden!«
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nächsten Augenblicke war er abgesessen und zog sein Pferd
raschen Laufes hinunter in das Wellenthal.
Natürlich mußte dieses Beginnen einen sehr triftigen Grund haben, und ich
ahmte deßhalb sein Verhalten ohne Verzug nach.
»Da drüben am Pfade des Feuerrosses liegen die rothen Männer,« rief er.
»Sie stecken hinter dem Rücken der Erhebung; aber ich sah eins ihrer
Pferde!«
Er hatte wohlgethan, unsern erhöhten Standpunkt sofort zu verlassen, da
wir auf demselben leicht bemerkt werden konnten. Zwar war die Entfernung
selbst für das scharfe Gesicht eines Indianers eine sehr bedeutende; aber
ich hatte während meiner Streifereien mehrere Male in den Händen dieser
Leute Fernrohre gesehen. Die Cultur schreitet eben unaufhaltsam vorwärts,
und indem sie den Wilden immer weiter zurückdrängt, bietet sie ihm doch
die Mittel, sich bis zum letzten Manne gegen ihre Gewalt zu vertheidigen.
»Was sagt mein Freund zu der Absicht dieser Leute?« fragte ich.
Er schwieg. Augenscheinlich fiel es ihm schwer, sich ihr Verhalten zu
erklären. Sie befanden sich auf dem Kriegspfade und hatten doch keine
Wache aufgestellt. Sie mußten also wissen, daß in ziemlichem Umkreise kein
Feind vorhanden sei, und da sie bei ihrer jedenfalls nicht bedeutenden
Anzahl einen weiten Zug nicht vorhaben konnten, so wußte er mir keine
Antwort zu geben. Mir hingegen schien ihr Vorhaben unschwer zu errathen,
und, das Rohr aus seiner Hand nehmend, forderte ich ihn auf, mich hier zu
erwarten und schlich mich vorsichtig vorwärts.
Obgleich ich fast überzeugt sein konnte, daß sie von unsrer Nähe keine
Ahnung hatten, suchte ich so viel wie möglich Deckung zu behalten und
gelangte dadurch so weit an sie heran, daß ich, am Boden liegend, sie
zählen und beobachten konnte.
Es waren ihrer drei und sechszig, sämmtlich mit den Kriegsfarben bemalt
und sowohl mit Pfeilen als auch mit Feuerwaffen bewehrt. Die Zahl der
angepflöckten Pferde war bedeutend höher, und dieser Umstand bekräftigte
meine Ansicht. -
Da hörte ich einen leisen Athemzug hinter mir. Rasch das Messer ziehend,
drehte ich mich um. Es war Winnetou, den es nicht bei den Pferden gelitten
hatte.
»Uff!« klang es von seinen Lippen. »Mein Bruder ist sehr kühn, soweit
voranzugehen. Es sind Ogellalla's, der kühnste Stamm der Sioux, und dort
liegt Parranoh, der weiße Häuptling.«
Erstaunt sah ich ihn an.
»Der weiße Häuptling?«
»Hat mein Freund noch Nichts gehört von Parranoh, dem grausamen Häuptling
der Athabaskah? Niemand weiß, wo er hergekommen; aber er ist ein
gewaltiger Krieger und im Rathe des Stammes unter die rothen Männer
aufgenommen worden. Als die grauen Häupter alle zu Manitou, dem großen
Geiste gegangen, hat er das Calummet erhalten und viele Scalps gesammelt.
Dann ist er aber von dem bösen Geiste verblendet worden, hat seine Krieger
für Niggers gehalten und fliehen müssen. Jetzt wohnt er im Rathe der
Ogellalla's und wird sie zu großen Thaten führen.«
»Kennt mein Bruder sein Angesicht?«
»Winnetou hat seinen Tomahawk mit ihm gemessen; aber der Weiße ist voller
Tücke; er kämpft nicht ehrlich.«
»Er ist ein Verräther; ich sehe es. Er will das Feuerroß halten und meine
Brüder tödten und berauben.«
»Die weißen Männer?« fragte er erstaunt. »Er trägt doch ihre Farbe! Kann
er das Roß halten?«
»Nein, und wenn er alle Indsmen, die einen Lasso schwingen können,
zusammenbrächte, so könnten sie doch den Lauf desselben nicht hemmen. Aber
wenn man seinen Pfad zerstört, so muß es stehen bleiben und wird seine
eigenen Reiter tödten.«
Das Erstaunen des Häuptlings wuchs. Er hatte keinen Begriff von dem Wesen
der Locomotive und konnte meine Worte also auch nicht begreifen. Nach
einer Weile des Schweigens, während welcher wir, wie überhaupt bisher, die
vor uns lagernden Krieger scharf beobachtet, fragt er:
»Was wird mein Freund thun?«
»Er wird warten und sehen, ob Parranoh den Pfad des eisernen Rosses
zerstört, und dann seinen Brüdern entgegenreiten, um sie zu warnen.«
Er nickte.
»Winnetou wird ihm helfen. Wie viele Männer werden auf dem Rosse sitzen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Werden sie dem Vater der Apachen freundlich gesinnt sein?«
»Sie werden meinem Freunde die Hände drücken, die große Pfeife mit ihm
rauchen und ihm Pulver, Blei und Tabak geben, so viel er will.«
Sein Angesicht glänzte vor Freude, und mit einem verächtlichen Neigen
seines Kopfes meinte er:
»Wenn der Brüder meines Freundes halb so viele sind wie der Hundefresser
dort, so werden wir diese voranschicken in die ewigen Jagdgründe.«
Das Dunkel des Abends senkte sich immer tiefer herab, so daß es immer
schwieriger wurde, die feindlichen Gestalten im Auge zu behalten. Ich
mußte über das Thun der Indianer genau unterrichtet sein und bat Winnetou,
zu den Pferden zurückzukehren und dort auf mich zu warten. Er konnte mir
Nichts nützen, da er die Beschaffenheit der Bahn nicht kannte und fügte
sich, wenn auch widerwillig, meinem Verlangen.
»Wenn mein Bruder in Gefahr ist, so mag er den Schrei des Prairiehuhnes
ausstoßen. Ich werde dann kommen, ihm zu helfen.«
Er bewegte sich rückwärts, und ich schlug, immer am Boden kriechend und
aufmerksam jedes Geräusch beachtend, eine schräge Richtung nach dem
Bahnkörper ein. Lange dauerte es, ehe ich ihn erreichte. Dann aber
überkroch ich ihn und hielt auf seiner andern Seite mit verdoppelter
Vorsicht auf die Stelle zu, an welcher ich die Ogellalla's gesehen.
Da drang ein leise klingender Ton an mein Ohr. Ich horchte. Es war der
Schall eines regelmäßig wiederkehrenden Schlages, und als ich die
Aufschüttung erklomm und das Ohr an eine der Schienen legte, hörte ich ein
so deutliches Hämmern und Klopfen, daß mir kein Zweifel übrig blieb. -
Hier war nicht die mindeste Zeit zu versäumen, und nachdem ich nur eine
kurze Strecke rückwärts geschlichen, erhob ich mich und sprang den Weg
zurück, welchen ich gekommen war. Ich kannte den Punkt der Bahnstrecke
nicht, an welchem wir uns befanden und wußte ebenso wenig die Zeit, in
welcher ein Zug vorüberkommen mußte.
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Das konnte aller Augenblicke geschehen, und zur Warnung war
ein bedeutender Vorsprung nöthig. Ich befand mich in einer nicht
unbedeutenden Aufregung und wäre von Winnetou, an welchen ich fast
anrannte, beinahe verkannt und niedergestochen worden.
Nach einigen Worten der Verständigung saßen wir zu Pferde und bewegten uns
in scharfem Trabe längs des Schienengleises nach Osten zu. Ein Wenig
Mondenschein wäre uns jetzt zwar willkommen gewesen, aber der klare
Schimmer der Sterne genügte ja auch so ziemlich, uns die Strecke erkennen
zu lassen.
Eine Viertelstunde verging und noch eine. Gefahr für den herannahenden Zug
war also nicht mehr zu befürchten, sobald es nur gelang, uns bemerklich zu
machen. Aber besser noch war es, wenn dies ohne Wissen der Indianer
geschehen konnte, und bei dem platten Terrain war das durchdringende
Licht, wie es die amerikanischen Maschinen bei sich führen, auf mehrere
Meilen weit bemerklich. Also ließen wir die Pferde laufen und legten so,
wortlos neben einander haltend, noch eine ansehnliche Strecke zurück.
Jetzt endlich schien es mir Zeit. Ich hielt an und sprang vom Pferde.
Winnetou that dasselbe. Nachdem die Thiere gehörig gefesselt waren,
sammelte ich einen Haufen ausgedorrten Grases, dessen trockensten Theile
ich zu einer Art Fackel zusammendrehte. Mit Hülfe einigen aufgestreuten
Pulvers war dieselbe leicht in Brand zu stecken, und nun konnten wir das
Kommende ruhig erwarten.
Auf unsre Decken gelagert, lauschten wir in die Nacht hinein und
verwandten fast kein Auge von der Richtung, aus welcher der Zug zu
erwarten war. Winnetou sprach kein Wort; er verstand von dem, was ich
vorhatte, Wenig oder gar Nichts und ließ mich ruhig gewähren. Außer dem
Geräusche, welches die grasenden Pferde verursachten, war kein Laut zu
hören als höchstens das leise Knispern eines auf Raub ausgehenden Käfers,
und die Minuten dehnten sich zu einer immer peinlicher werdenden Länge.
Da, nach einer kleinen Ewigkeit, blitzte in weiter, weiter Ferne ein Licht
auf, erst klein und kaum wahrnehmbar, aber nach und nach immer größer
werdend.
»Der große Häuptling der Apachen wird jetzt das Feuerroß sehen. Es kommt.«
Winnetou erhob sich. Kein Laut seines Mundes gab Zeugniß von der Spannung,
in welcher er sich befand. Ich nahm die Lunte zur Hand und schüttete
Pulver auf.
Jetzt machte sich das Nahen der Wagen durch ein immer vernehmlicher
werdendes Rollen bemerklich, welches nach und nach zu einem Geräusche
anwuchs, das dem Grollen eines entfernten Donners glich.
»Das eiserne Roß hat eine böse Stimme,« sprach Winnetou. »Wie sind seine
Gedanken über den Stamm der Apachen?«
Er fühlte also doch eine Besorgniß um seine Sicherheit. Dem Feinde, selbst
dem überlegenen gegenüber wäre ihm nicht das mindeste Bangen angekommen;
die unbekannte und sich auf so schreckliche Weise ankündigende Macht des
Dampfes aber störte doch seine Gemüthsruhe.
»Das ist nicht die Stimme des Feuerrosses, sondern das Zittern des Pfades,
über welchen es daherfliegt.«
»Da muß das Wiehern seines Mundes noch fürchterlicher sein. Mein Bruder
wird Winnetou nicht verlassen!«
Ich konnte nur ein kurzes Wort der Beruhigung aussprechen; denn der
Augenblick war gekommen. Einen blendenden Lichtkeul vor sich herwerfend,
braußte der Zug heran. Ich zog den Revolver und drückte los. Im Nu flammte
das Pulver auf und brachte das dürre Gras in glimmenden Brand. Die Lunte
schwingend, versetzte ich sie in helle Flamme und gab mit dem andern Arme
das Zeichen zum Halten.
Der Maschinist mußte das Zeichen durch die Glastafeln des Wetterschutzes
sofort bemerkt haben; denn schon nach den ersten Schwingungen des Brandes
ertönte ein sich rasch und scharf wiederholender Pfiff, fast in demselben
Augenblicke wurden die Bremsen angezogen und mit donnerndem Dröhnen flog
die Wagenreihe an uns vorüber.
»Uff, Uff, Uff!« rief voller Schrecken Winnetou; aber ich hatte nicht
Zeit, auf sein ängstliches Erstaunen zu achten, sondern gab ihm nur ein
kurzes Zeichen, mir zu folgen und sprang dem seine Geschwindigkeit
zusehens verringernden Zuge nach.
Endlich hielt er. Ohne zunächst die sich von ihren erhöhten Plätzen
herabbeugenden Beamten zu beachten, eilte ich an den Wagen vorüber bis vor
die Locomotive und warf die Decke, welche ich vorsorglich von der Erde
gerafft hatte, über den Reflector und rief zu gleicher Zeit mit möglichst
lauter Stimme:
»Lichter aus!«
Sofort verschwanden die Laternen. Die Angestellten der Pacificbahn sind
ein geistesgegenwärtiges und schnell gefaßtes Völkchen.
»'sdeath!« rief es von der Maschine herab; »warum verdeckt Ihr
unsre Flamme, Mann? Ich hoffe nicht, daß da vorn irgend Etwas los ist!«
»Wir müssen im Finstern sein, Sir,« antwortete ich; »es sind Indianer vor
uns, und ich glaube sehr, daß sie die Schienen aufgerissen haben!«
»Alle Teufel! Wenn das so ist, so seid Ihr der bravste Kerl, der jemals
durch dieses verfluchte Land stolperte.« Und zur Erde herabspringend,
drückte er mir die Hand, daß ich hätte aufschreien mögen.
In einigen Augenblicken waren wir von Neugierigen umringt, und ich mußte
mich fast wundern über die bedeutende Anzahl von Leuten, die sich da aus
den verschiedenen Wagen hervorpaddelten.
»Was ist's, was giebt's, warum halten wir?« rief es rund im Kreise.
Mit kurzen Worten erklärte ich ihnen die Verhältnisse und brachte dadurch
eine nicht geringe Aufregung unter den Männern hervor.
»Gut, sehr gut!« rief der Ingenieur. »Zwar bringt das eine Störung im
Betriebe hervor; aber das hat Nichts zu sagen gegen die prächtige
Gelegenheit, den rothen Hallunken einmal Eins auf's Fell zu brennen. Das
ist in kurzer Zeit das dritte Mal, daß sie es wagen, Züge zu überfallen
und auszurauben; aber heut sollen sie sich geirrt haben und den Dank
gleich in Summa bekommen. Jedenfalls haben sie geglaubt, daß dieser Zug
Güter und wie gewöhnlich nur fünf bis sechs Leute bei sich habe.
Glücklicher Weise aber haben wir einige Hundert Arbeiter geladen, und da
diese Leute sämmtlich bewaffnet sind, so wird uns die Sache nur Spaß
machen! Aber was steht denn da drüben für ein Mann? Bei Gott, eine
Rothhaut!«
Ende des dritten Teils – Fortsetzung folgt.