Nummer 8 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
23. Oktober 1875 |
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Meine Meinung über das Duell, über Beleidigung und Genugthuung waren eben nicht die landläufigen, und wer daheim ein Paar arme, alte Eltern hat, welche ihre ganze Hoffnung allein nur auf ihn gesetzt haben, der setzt sein Leben nur dann ein, wenn es sich um Würdigeres als die Fausthöflichkeit eines Hinterwäldlers handelt. Freilich mußte mich diese Selbstbeherrschung in den Verdacht eines Feiglings bringen; aber das Urtheil dieser Leute konnte mir ja sehr gleichgültig sein.
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»Du kennst den Bedarf nicht und hast also auch kein
Urtheil, wie Ihr Frauen ja überhaupt gar nicht denken solltet. Denn so oft
Ihr's thut, gerathet Ihr auf Irrwege.«
»Das müßte denn doch sehr bewiesen werden, und ich glaube grad -«
»Der Beweis liegt nahe,« unterbrach er sie. »Hast Du nicht vorhin erst
gestanden, daß Du Dich in dem Woodsman oder was der Mensch eigentlich war,
getäuscht hast? Hätte mir nie gedacht, daß es Dir in solcher Gesellschaft
gefallen könne!«
Ich sah sie tief erröthen; aber sie antwortete schnell:
»Von einer Täuschung ist keine Rede; denn ich sagte nur, daß er mir erst
anders geschienen habe, und zwischen Schein und bewiesener
Wirklichkeit pflege ich einen Unterschied zu machen.«
Forster wollte Etwas erwiedern, kam aber nicht dazu; denn in demselben
Augenblicke geschah ein Donnerschlag, als sei die Erde unter uns mitten
aus einander geborsten. Der Boden erzitterte, und als ich das Auge
erschrocken seitwärts wandte, sah ich im obern Theile des Thales, da, wo
der Bohrer thätig gewesen sein mußte, einen glühenden Feuerstrom fast
fünfzig Fuß in die Höhe steigen, welcher flackernd oben breit
auseinanderfloß und, wieder zur Erde niedersinkend, mit reißender
Schnelligkeit das abfallende Terrain überschwemmte. Zugleich drang ein
scharfer, stechender, gasartiger Geruch in die Athmungswerkzeuge, und die
Luft schien von leichtflüssigem, ätherischem Feuer erfüllt zu sein.
Ich kannte dieses furchtbare Phänomen; denn ich hatte es im Kanawhathale
in seiner ganzen Schrecklichkeit gesehen und stand mit einem einzigen
Sprunge mitten unter der vor Schreck fast todesstarren Gesellschaft.
»Lichter aus, Lichter aus! Der Bohrer ist auf Oel getroffen, und Ihr habt
beim Aufsteigen des Strahles Feuer in der Nähe gehabt. Lichter aus, sonst
brennt in zwei Minuten das ganze Thal!«
Ich sprang von einem der brennenden Armleuchter zum andern; aber da oben
im Zimmer brannten die Lampen auch, und drüben vom Store her sah ich
ebenfalls Lichtschimmer. Dazu hatte die Fluth des hochaufsprühenden Oeles,
welches sich mit unglaublicher Raschheit über das ganze obere Thal
ausbreitete, jetzt den Fluß erreicht, und nun galt es, Alles einzusetzen
für das nackte, bloße Leben. -
»Rettet Euch! Lauft, lauft um Gottes Willen! Sucht die Höhen zu gewinnen!«
Mich um weiter Niemand kümmernd, riß ich Ellen empor in meine Arme und saß
im nächsten Augenblicke mit ihr im Sattel. Das Mädchen, die Größe der
Gefahr nicht erkennend, sträubte sich mit Aufbietung aller Kräfte gegen
die Umschlingung; aber wie man in solchen Augenblicken stets Riesenkraft
besitzt, so verschwand auch diese Anstrengung fast ganz unter der Stärke,
mit welcher ich sie festhielt, und in rasendem Laufe trug Swallow, dessen
Instinct die Führung des Zügels oder den Gebrauch der Sporen überflüssig
machte, uns stromabwärts.
Der Bergpfad, welcher mich nach New-Venango geführt hatte, war uns
verschlossen; denn der Gluthstrom war schon an ihm vorübergefluthet. Nur
abwärts konnten wir Rettung finden; aber ich hatte am Tage Nichts einer
Straße Aehnliches bemerkt und im Gegentheile gesehen, daß die Felswände so
eng zusammentraten, daß sich der Fluß nur schäumend den Ausweg erzwingen
konnte.
»Sagt, Miß,« rief ich in ängstlicher Hast, »giebt es einen Weg, welcher
hier unten aus dem Thale führt?«
»Nein, nein!« stöhnte sie unter der krampfhaften Anstrengung, von mir
loszukommen. »Laßt mich fahren, sage ich Euch, laßt mich fahren!«
Ich konnte natürlich auf ihre Worte nicht hören und musterte mit
Aufmerksamkeit den nahe zusammentretenden Horizont, welchen die beiden
schroff aufstrebenden Höhenzüge bildeten. Da fühlte ich einen Druck in der
Gürtelgegend, und zugleich rief das Mädchen:
»Laßt mich los! Gebt mich frei, oder ich stoße Euch Euer eigenes Messer in
den Leib!«
Sie hatte das Bowiemesser an sich gerissen. Aber ich hatte keine Zeit zu
einer langen Auseinandersetzung, sondern vereinte mit einem raschen Griffe
ihre beiden Handgelenke in meiner Rechten, während ich mit dem linken Arme
sie immer fester umschloß.
Die Gefahr wuchs mit jeder Secunde. Der glühende Strom hatte die
Lagerräume erreicht und nun sprangen die Fässer mit Kanonenschuß ähnlichem
Knalle und ergossen ihren sofort in heller Lohe brennenden Inhalt in das
auf diese Weise immer mehr anwachsende und immer rascher
vorwärtsschreitende Feuermeer. Die Atmosphäre war zum Ersticken heiß; ich
hatte das Gefühl, als koche ich in einem Topfe siedenden Wassers, und doch
wuchsen Hitze und Trockenheit mit solcher Rapidität, daß ich innerlich zu
brennen vermeinte. Faßt wollten mir die Sinne schwinden; aber es galt
nicht blos mein Leben, sondern noch viel mehr dasjenige meiner kostbaren
Bürde.
Es war mir in diesen entsetzlichen Augenblicken zu Muthe, als habe ich das
herrlichste Gut der ganzen, weiten Schöpfung, den größten Schatz des
Himmels und der Erde dem flammenden Orkus entführt und müsse nun meinen
herrlichen Raub schützen und bergen vor den nachsprühenden Blitzen und
Gluthen der Unterwelt. Trotzdem ich kaum noch eines Gedankens mächtig war
durchzuckte mich doch die Erkenntniß der ersten, allgewaltigen Liebe, und
Rettung, Rettung mußte ich finden für sie und sollte ich selbst zehnmal,
nein, tausendmal dabei zu Grunde gehen!
»Swallow, voran, voran, Swall -!«
Ich konnte nicht weiter sprechen, und das brave Thier ras'te ja auch mit
fast unmöglicher Geschwindigkeit dahin. Soviel sah ich; diesseits des
Flusses war kein Ausweg. Die Flammen beleuchteten die Felswände ja hell
genug, um sehen zu können, daß dieselben nicht zu erklimmen seien; deshalb
in's Wasser, in's Wasser - hinüber auf die andere Seite!
Ein leiser Schenkeldruck - ein Sprung des gehorsamen Mustangs, und hochauf
schlugen die Wellen über uns zusammen. Ich fühlte neue Kraft, neues Leben
durch die Adern pulsiren, aber das Pferd war unter mir verschwunden. Doch
das war jetzt gleich; nur hinüber - immer hinüber! Ich schwamm wie noch
nie, nie in meinem ganzen Leben - mit einer Angst, so furchtbar - so
furchtbar, nicht für mich, sondern für sie - sie - sie - - -. Da schnaufte
es hinter mir - - »Swallow, Du treuer, wackerer, bist Du's? - Hier ist das
Ufer - - wieder auf's Pferd - fort - fort!«
So ging es weiter. Fast wahnsinnig vor Aufregung und Ueberanstrengung
ritt, sprang, lief und kletterte ich,
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ohne mehr zu wissen, was ich that; aber endlich - endlich
war's erreicht, und ich sank mit meiner Bürde nieder.
Nach einigen Augenblicken der dringendsten Erholung trug ich sie mehrere
hundert Schritte weiter in die sichere Nacht hinein. Der Himmel glänzte
blutig roth, und der Brodem des entfesselten Elementes cumulirte in
dichten, schwarzen, von purpurnen Lichtern durchbrochenen Ballen über dem
Heerde der Verwüstung. Aber ich hatte keine Zeit zu diesen Betrachtungen;
denn vor mir lag, das Messer noch krampfhaft festhaltend, das Mädchen, so
bleich, so kalt und starr, daß ich sie todt glaubte, ertrunken im Wasser,
während ich sie den Flammen entreißen wollte.
Das leichte Gewand war durchnäßt und legte sich eng an die wunderbar
schöne Gestalt; auf dem bewegungslosen Angesichte spielten die düstern
Reflexe der über den Rand der Ebene emporsprühenden Feuerstrahlen; der
Mund, welcher am Tage so herzlich gelacht, war geschlossen; das Auge,
dessen großer, voller Blick mir so tief in die Seele gedrungen, lag
verborgen unter den gesunkenen Lidern; die reine, klangvolle Stimme - doch
nein und abermals nein, sie konnte, sie durfte nicht gestorben sein! Ich
nahm sie in die Arme, strich ihr das lange, reiche, aufgelöste Haar aus
der Stirn, rieb ihr die zarten Schläfe, legte, um der regungslosen Brust
Athem zu geben, meinen Mund auf ihre Lippen, rief sie bei den zärtlichsten
Namen, die ich jemals gehört, und - da ging ein Zittern über ihren Körper,
erst leise, dann immer bemerkbarer; ich fühlte das Klopfen ihres Herzens,
trank den Hauch ihres Athems, sah die langen, seidenen Wimpern sich öffnen
- sie lebte, sie erwachte, sie war dem Tode entgangen!
Ich drückte sie an das Herz und küßte vor seliger, unendlicher Freude die
sich mehr und mehr erwärmenden Lippen. Da mit einem Male öffnete sie weit,
weit das Auge und starrte mir mit unbeschreiblichem Ausdrucke in das
Angesicht; dann belebte sich der wiederkehrende Blick, und mit einem
lauten Schrei des Entsetzens wand sie sich los und sprang empor.
»Wo bin ich? Wer seid Ihr? Was ist mit mir geschehen?« rief sie.
»Ihr seid gerettet, Miß, aus der Gluth da unten.«
Beim Klange meiner Stimme und dem Anblicke des noch immer hochlodernden
Brandes kehrte ihr die Besinnung zurück. -
»Herr, ich verachte Euch!«
Ich konnte nicht sofort eine Antwort finden, so unerwartet kamen mir diese
Worte, und nur nach einigem Zögern erwiederte ich:
»Ich verstehe Euch nicht!«
»Das begreife ich. Wer keine Ehre hat, wird Rücksicht nie verständlich
finden. Und es ist nicht blos Das, sondern Ihr seid auch feig!«
»Das verstehe ich noch weniger!«
»Ist's etwa nicht feig, eine wehrlose Dame -«
Sie stockte; tiefes Roth bedeckte ihr Gesicht bis zum Nacken herab, und
mit einer Miene der Entrüstung, vor welcher ich fast zurückweichen konnte,
trat sie hart an mich heran und rief:
»Wärt Ihr ein Mann, so würde ich Genugthuung von Euch verlangen, blutige
Genugthuung; aber Ihr fürchtet die Streiche wie ein Schulknabe, und so
mögt Ihr gehen. Aber nehmt Euch in Acht, mir einmal vor den Lauf meiner
Büchse zu kommen; denn dann halte ich Euch für das, für was Euch Forster
erklärt hat - einen Coyote - Mein Gott, Forster - und ich stehe hier!«
Jetzt erst kam ihr die vollständige Erinnerung und mit einem kreischenden
Weherufe stürzte sie fort, dem Felsenabsturze zu.
Mit einigen raschen Sprüngen hatte ich sie erreicht und faßte sie bei
beiden Händen.
»Bleibt, Miß, bei Allem, was Euch heilig ist. Ihr seid verloren, wenn Ihr
Euch in dieses Feuermeer wagt!«
»Laßt mich, Elender. Ihr habt die Gefahr gekannt; Ihr konntet sie retten,
Alle, Alle, und habt es nicht gethan. Laßt fahren, oder Ihr schmeckt Euern
eigenen Stahl!«
Noch immer war das Messer in ihrer Hand geblieben. Sie merkte es erst
jetzt, da ich sie bei derselben gefaßt hielt und wandte alle Kraft auf, um
sich los zu machen. Wollte ich ihr die Hand nicht brechen, so mußte ich
nachgeben. Die Rechte frei bekommend, entriß sie auch die Linke meinem
Griffe, und ich fühlte einen kleinen Gegenstand zwischen meinen Fingern.
Sie merkte den Verlust nicht und eilte längs des Bergrandes von dannen.
Schon wollte ich ihr folgen, da ertönte aus einiger Entfernung leichter
Hufschlag. Ich blieb stehen und lauschte.
»Swallow!«
Ein lautes, freudiges Wiehern antwortete, und im nächsten Augenblicke
stand das treue Pferd, das Köpfchen liebkosend an meiner Schulter reibend,
vor mir.
»Swallow, mein lieber, lieber Swallow,« rief ich, das Thier vor Freude
umarmend, »auch Du bist gerettet? Du kommst zurück, trotzdem ich Dich
verlassen habe im Augenblicke der Gefahr, und die, an der ich fast über
menschliches Vermögen gethan habe, sie nennt mich feig und ehrlos, droht
mir mit der Waffe und flieht mich wie einen schmutzigen Yambarico! Und
doch wollen wir diesen Ring, den ich ihr gegen meinen Willen abgestreift
habe, aufbewahren, Swallow. Wir müssen sie wiederfinden, und dann wird
sich's vielleicht entscheiden lassen, ob Dein Herr Nichts weiter ist als
ein verächtlicher - - Coyote!«
»Uff!« rief mein Begleiter; »mein weißer Bruder hat Recht. Hier ist der
rothe Mann geritten. Laß uns sehen, was er hier gewollt hat.«
»Winnetou, der große Häuptling,« erwiederte ich, »ist weise und hat das
Auge des großen Geistes. Er sieht sehr wohl, was sein böser Bruder hier
gewollt hat; aber er versucht, mich auf die Probe zu stellen.«
Ueber das scharfgezeichnete Angesicht des Indianers glitt ein flüchtiges
Lächeln, als er, noch immer auf die Spur gebückt, antwortete:
»Und was denkt der weiße Freund von dieser Fährte?«
»Der Mann, welcher hier geritten ist, hat seine Gefährten gesucht. Auf
jedem Hügel hat er sein Pferd angehalten, um sich nach ihnen umzusehen,
und wir müssen also vorsichtig sein, wenn wir nicht unsere Scalps
verlieren wollen.«
Winnetou - denn dieser, von welchem ich Swallow erhalten hatte, war es -
richtete sich empor und maß mich mit einem langen, verwunderten Blicke.
Ende des zweiten Teils – Fortsetzung folgt.