Nummer 7 | Deutsches
Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth. 1. Jahrg. Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14. Old Firehand. von Karl May. |
16. Oktober 1875 |
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Gangarten bis zum gestreckten Galoppe übergehen. Swallow
folgte mit Leichtigkeit, trotzdem wir vom grauenden Morgen an unterwegs
gewesen waren. Ja, das brave Thier schien zu bemerken, daß es sich hier um
eine kleine Probe handle und griff ganz freiwillig in der Weise aus, daß
die Reiterin zuletzt nicht mehr zu folgen vermochte, und mit einem Ausrufe
der Bewunderung ihr Thier parirte.
»Ihr seid außerordentlich gut beritten, Sir. Ist Euch der Hengst feil?«
»Um keinen Preis, Mistreß.«
»Laßt das 'Mistreß' fort.«
»Dann Miß, ganz wie es Euch beliebt. Das Pferd hat mich aus so mancher
Gefahr hinweggetragen, so daß ich ihm mehr als einmal mein Leben verdanke
und es mir also unmöglich feil sein kann.«
»Es hat indianische Dressur,« sagte sie mit scharfen Kennerblicke. »Wo
habt Ihr es her?«
»Ich erhielt es von Winnetou, einem Apachenhäuptling, mit welchem ich am
Rio Suanca ein Weniges zusammenkam, zum Geschenke.«
»Von Winnetou? Das ist ja der berühmteste und gefürchtetste Indianer
zwischen Sonora und Columbien! Ihr seht gar nicht nach einer solchen
Bekanntschaft aus, Sir?«
»Warum, Miß?« fragte ich mit offenem Lächeln.
»Ich hielt Euch für einen Surveyor (Feldmesser) oder etwas Derartiges, und
diese Leute sind zwar oft recht gute Schützen, aber sich mitten zwischen
Apachen, Nijoras und Navajoas hineinzuwagen, dazu gehört schon ein Wenig
mehr. Eure blanken Revolver, das zierliche Messer da im Gürtel und die
Weihnachtsbüchse dort am Sattelriemen oder gar noch Eure Paradehaltung auf
dem Pferde stimmen wenig mit Dem überein, was man an einem ächten und
rechten Trapper oder Scatter zu bemerken pflegt.«
»Ihr sollt wieder Recht haben, und ich gestehe offen, daß ich auch nur so
eine Art Sonntagsjäger bin; aber die Waffen sind nicht ganz schlecht. Ich
habe sie in Front-Street, St. Louis gekauft, und wenn Ihr auf diesem Felde
so zu Hause seid, wie es scheint, so müßt Ihr auch wissen, daß man dort
für gute Preise auch gute Waare bekommt.«
»Diese Waare aber zeigt ihre Güte erst beim rechten Gebrauche. Was sagt
Ihr zur dieser Pistole?«
Sie zog bei diesen Worten ein altes, verrostetes Schießinstrument aus der
Satteltasche und hielt es mir zur Besichtigung hin.
»Hm, das Ding stammt jedenfalls noch von Anno Poccahontas her; aber es
kann doch gut sein. Ich habe Indianer oft mit dem miserabelsten
Schießzeuge zum Verwundern umgehen sehen.«
»Haben sie auch Das fertig gebracht?«
Sie warf das Pferd zur Seite, schlug im raschen Trabe einen Kreis um mich,
hob den Arm und drückte auf mich los, ehe ich nur eine Ahnung von ihrer
Absicht haben konnte.
Ich fühlte einen leisen Ruck an meiner Kopfbedeckung und sah zu gleicher
Zeit die Helianthusblüthen, welche ich mir an die Mütze gesteckt hatte,
vor mir niederfliegen. Es schien mir ganz, als wolle die sichere Schützin
sich darüber informiren, was von meiner Sonntagsjägerei zu halten sei, und
ich antwortete also auf die ausgesprochene Frage kaltblütig:
»So Etwas bringt Jeder fertig; aber ich bitte denn doch ganz höflich, Miß,
die Mütze von jetzt an in Ruhe zu lassen, da zufälliger Weise mein Kopf
drinnen steckt.«
Sie lachte und hielt sich wieder an meine Seite. Die ganze Begegnung kam
mir wie ein Traum vor, und hätte ich früher vielleicht etwas Aehnliches in
irgend einem Romane gelesen, so wäre der Verfasser ganz gewiß in den
Verdacht gekommen, Unmögliches als möglich darzustellen. Jedenfalls, das
war klar, mußte eine Ansiedelung in der Nähe sein, und da seit längerer
Zeit der Kriegspfad keines der wilden Stämme in diese Gegend geführt
hatte, so konnte es selbst eine Dame immerhin wagen, ein Stückchen in die
Ebene hinein zu reiten.
Nicht so klar war es mir, was ich eigentlich aus meiner Begleiterin machen
sollte. Ihre ganze Erscheinung deutete auf den Salon, und doch verrieth
sie eine Kenntniß des Westens und eine Uebung in den hier nothwendigen
Fertigkeiten, die auf ganz besondere Verhältnisse schließen ließ. Deßhalb
war es wohl kein Wunder, daß mein Auge mit dem größten Interesse auf ihr
ruhte.
Sie ritt jetzt eine halbe Pferdelänge vor, und der goldene Sonnenstrahl
umfluthete ihre tadellose, vollendete Gestalt. »Bräunlich und schön«, wie
die Bibel von David erzählt, zeigten die eigenartigen Züge trotz ihrer
mädchenhaften Weichheit eine Festigkeit des Ausdruckes, welche auf
geistige Ueberlegenheit und Energie des Willens schließen ließ, und in der
ganzen Haltung, in jeder einzelnen Bewegung des bezaubernden Wesens sprach
sich eine Selbstständigkeit und Sicherheit aus, welche neben der
freiwilligen Bewunderung unbedingte Achtung forderte.
Ich gestand mir offen, noch nie ein Mädchen von solcher Schönheit gesehen
zu haben und wunderte mich über mich selbst, daß ich trotz meiner
gewöhnlichen Zaghaftigkeit im Umgange mit dem andern Geschlechte bei der
heutigen Begegnung so - so unverfroren hatte sein können. Freilich war
auch ihre Art und Weise ganz geeignet gewesen, diese Zaghaftigkeit nicht
aufkommen zu lassen; aber jetzt beim näheren Anschauen konnte ich doch
einer leisen Bedrückung nicht so ganz Herr werden.
Oft schon hatte ich von der Wirkung gehört, welche der Klang einer
Frauenstimme selbst auf den sonst verschlossenen Mann auszuüben vermöge,
an mir selbst jedoch noch keinerlei Erfahrung darüber gemacht. Jetzt aber
fühlte ich mit Einemmale diese Wirkung, und es war mir, als sei mir Etwas
in's einsame Herz gedrungen, was die Oede und Leere desselben auszufüllen
und mich mit all' dem Vergangenen zu versöhnen vermöge.
Plötzlich zog sie die Zügel an.
»Ihr seid ein Deutscher?«
»Ja. Spreche ich das Englische mit so bösem Accent, daß Ihr meine
Abstammung so genau bestimmen könnt?«
»Nein, Sir. Euer Englisch ist rein; aber Euer Verhalten ist ächt deutsch.
Erst laut, munter und gemüthlich und jetzt still, nachdenklich und
grübelnd. Wenn es Euch recht ist, wollen wir uns unserer Muttersprache
bedienen?«
»Wie? Auch Ihr habt die gleiche Heimath?«
»Vater ist ein Deutscher, geboren bin ich am Quicourt. Meine Mutter war
eine Indianerin vom Stamme der Assineboins. Eine Amerikanerin wäre Euch
wohl in anderer Weise begegnet.«
Jetzt war mir der eigenthümliche Schnitt ihres Gesichtes und der tiefere
Schatten des Teints erklärlich. Ihre Mutter war also todt, und der Vater
lebte noch. Hier
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stieß ich jedenfalls auf außergewöhnliche Verhältnisse, und
es war mehr als bloße Neugierde, welche ich jetzt für dieselben empfand.
»Seht da hinüber!« belehrte sie mich mit erhobenem Arme. »Seht Ihr den
Rauch wie aus dem Boden aufsteigen?«
»Ah, das ist der Bluff, welchen ich schon längst suchte, und in dessen
Senkung New-Venango liegt. Kennt Ihr Emery Forster, den Oelprinzen?«
»Ein Wenig. Er ist der Vater von meines Bruders Frau, welche mit ihrem
Manne in Omaha lebt. Ich komme von daher, um den Vater zu sehen und habe
hier Absteigequartier genommen. Habt Ihr mit Forster zu thun, Sir?«
»Nein, ich habe im Store (Laden) zu thun, um mich mit Einigem zu versorgen
und fragte nur, weil er als einer der bedeutendsten Oelprinzen bekannt
ist.«
»Könnte Euch auch nicht viel an ihm empfehlen. Ihr wißt ja, wie diese
Leute sind. Doch, laßt uns ausgreifen, es wird Abend.«
Nach kurzer Zeit hielten wir am Rande der Schlucht und blickten auf die
kleine Niederlassung, deren Häuserzahl wenigstens ich mir höher
vorgestellt hatte. Das vor uns liegende Thal bildete eine schmale Pfanne,
welche, rings von steil ansteigenden Felsen umschlossen, in ihrer Mitte
von einem ansehnlichen Flusse durchströmt wurde, der sich zwischen nahe
zusammentretendem Gestein unten einen Ausweg suchte. Das ganze unter uns
liegende Terrain war mit Anlagen, wie sie die Petroleumerzeugung
erfordert, bedeckt; oben, ganz nahe am Wasser, sah ich einen Erdbohrer in
voller Thätigkeit; am mittleren Laufe stand etwas vor den eigentlichen
Fabrikräumlichkeiten ein trotz des Interims doch ganz stattliches
Wohngebäude, und wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden und
fertige Fässer, theils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoff
gefüllt, zu sehen.
»Da drüben seht Ihr den Store, Sir, zugleich Restauration und alles sonst
noch Mögliche, und hier führt der Weg hinab, ein Wenig steil, so daß wir
absteigen müssen, aber doch immer noch ohne Lebensgefahr zu passiren.
Wollt Ihr mitkommen?«
Rasch schnellte ich mich aus dem Sattel, um ihr beim Absteigen behülflich
zu sein. Aber ich kam zu spät; denn schon stand sie mit aufgenommenem
Kleide vor mir und rief mit goldenem Lachen:
»Danke! Man gewöhnt sich hier, dergleichen Aufmerksamkeiten nicht zu
beanspruchen. Nehmt Euer Thier an die Hand.«
»Swallow kommt von selbst nach, Miß; erlaubt mir das Eurige.«
Ich ergriff die Zügel der Stute, und während mein Mustang ohne besondere
Aufforderung nachfolgte, hatte ich Gelegenheit, an der Vorangehenden die
Gewandheit und Sicherheit des Schrittes zu bewundern. Diese Uebung hatte
sie sich ganz bestimmt nicht im Institute aneignen können, und mein
Interesse an dem wundervollen Wesen wuchs von Minute zu Minute.
Auf der Sohle des Thales angekommen, bestiegen wir die Pferde wieder und
hielten in raschem Tempo auf den Store zu.
»Forster steht unter der Thür; er wird mich wohl nicht vorüberlassen.«
Der Bezeichnete war eine lange, hagere Gestalt mit ächter
Yankeephysiognomie.
»Stop, Ellen; hier wird abgestiegen! In welche Gesellschaft bist Du denn
da gerathen?«
Es lag in Ton und Wort nicht die mindeste Höflichkeit für mich, und ebenso
bekümmerte er sich nicht im mindesten um das Mädchen, sondern trat sofort
zu meinem Pferde.
»Hm - hm - hab's gleich von Weitem bemerkt - hm - hm - das Thier muß man
kaufen - was meint Ihr, Fenders?«
Der Angeredete war ein Mann mit vertrunkenen Gesichtszügen und jedenfalls
ein Irländer. Ich vermuthete den Wirth in ihm, schritt aber, ohne die
Beiden weiter zu beachten, dem Mädchen nach, welches in den Boarraum
gegangen war. Sie empfing mich mit den Worten:
»Wenn Ihr das Pferd ja verkauft, so laßt es mir; ich zahle Euch dasselbe
wie Forster.«
»Welches Pferd?« riefen einige Leute, welche am Tische standen und traten,
nachdem sie einen Blick durch das Fenster geworfen hatten, hinaus, worauf
sich ein lebhafter Wortwechsel draußen erhob, am Schlusse dessen Forster
Miene machte, das Thier zur Probe zu besteigen. Ich öffnete das Fenster.
»Swallow!«
Das folgsame Thier schüttelte den Zudringlichen mit einem jähen
Seitensprunge ab und kam herbei. Ich band die Zügel an das Fensterkreuz.
»Glaubt Ihr, das ich Euch das Pferd stehlen will, Herr?« fuhr mich der
Abgeworfene an. »Ich werde es kaufen und kann also wohl auch erst einmal
aufsitzen. Gebt her!«
»Ich denke, es Euch noch nicht angeboten zu haben, Sir. Der Hengst ist
müde; laßt ihn in Ruhe!«
»Oho! Ihr scheint ja ein ganz resoluter Junge zu sein. Man muß Euch
wirklich einmal näher ansehen!«
Er wandte sich nach der Thür und trat an der Spitze der Uebrigen in das
Zimmer. Nach einem kurzen Blick auf mich meinte er mit geringschätzendem
Schütteln des Kopfes:
»Würde Euch auch besser stehen, hübsch artig zu sein! Scheint mir ganz,
als ob Ihr ein gutes Handgeld gebrauchen könntet.«
»Ist nicht Eure Sache, Mann, sondern die meinige. Werde mit meinen
Angelegenheiten schon selbst fertig!«
»Good lack, klingt das wichtig! Doch will ich verständig sein und Euch
hundertfünfzig Dollars bieten.«
»Ist mir nicht feil, das Pferd.«
»Hundert fünfundsiebenzig!«
»Ist mir nicht feil!«
»Zwei Hundert, aber nicht fünf Cents mehr.«
»Ist mir nicht feil, zum dritten Male; und nun laßt mich in Ruhe!«
»Ihr seid ein Grobian, der froh sein sollte, wenn ein Gentlemen ihm zu
einem ganzen Zeuge verhilft. Wißt Ihr das?«
»Pah!«
Ich begnügte mich, diesen einen Laut auszusprechen, trotzdem ein Anderer
jedenfalls zur Waffe gegriffen hätte.
Ende des ersten Teils – Fortsetzung folgt.