| Nummer
23 |
Schacht
und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.
Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in
Dresden, Jagdweg 14.
Geographische Predigten.
von Karl May. |
5.
Februar 1876 |
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4.
Wald und Feld
(Fortsetzung.)
Und wie mit dem Felde, so auch mit dem
Walde. So heimtückisch wie die Mangrovewälder der amerikanischen Ostküste,
sind auch die wie wilde Thiere in denselben herumschleichenden Menschen.
Die im dortigen Sumpflande schlummernden Fieber wetteifern mit den noch
heut menschenfleisch-freundlichen Urbewohnern, den weißen Eindringling in
Tod und Verderben zu führen.
Finster und wortlos, wie die dunklen, lautlosen Urwälder des
amerikanischen Westens, schreitet im Norden der furchtlose Trapper, im
Süden der unternehmende Cascarillero oder der goldgierige Cibolero
zwischen den hundertjährigen Riesenstämmen dahin und hat in Schnitt und
Farbe seiner Kleidung der Natur ihr Geheimniß abgelauscht, ihre Geschöpfe
durch die Aehnlichkeit ihrer Farbe mit derjenigen des Bodens in
liebevollen Schutz zu nehmen.
Steigen wir empor in die Berge, wo sich die Schluchten und Abhänge mit
dunklen, kühnen Tannen bekleiden, durchschreiten wir die sandigen
Haidestrecken, über welche sich die unzähligen Heere des Kiefernforstes
lagern, wandeln wir unter den magischen Kronen der freundlichen
Laubwaldungen, rasten wir im Schatten schlanker Palmen oder wagen wir uns
in die gigantische Vegetation am Tsad und den Ufern des Schari, in jedem
einzelnen dieser Fälle tritt uns eine bestimmte Aehnlichkeit zwischen den
pflanzlichen und den thierischen Formen entgegen, welcher sich auch der
Mensch nicht zu entziehen vermag. Obgleich ein freier Sohn des Himmels,
ist er doch in gar mancher Beziehung ein Sclave der Erde, welche ihre
Fesseln um ihn wirft und ihn knechtet bis zu dem Augenblicke, an welchem
er dem Staube das erborgte Kleid zurückerstattet.
Die Natur kennt eben keine Bevorrechtung; was in ihre Reiche gehört, muß
sich ihren Gesetzen beugen und sich ihr unterthan erkennen und erklären.
Diese Gesetze sind ewig dieselben und trotz einer durch Jahrmillionen
fortschreitenden Entwickelung auf ewig vollständig und lückenlos. Unter
ihrem Befehle bildet die Schöpfung ein engverbundenes, zusammengehöriges
Ganze, zu welchem ohne Ausnahme alle Gestaltungen von der niedrigsten
Materie bis zur höchsten geistigen Form gehören, um sich gegenseitig zu
berühren, zu beeinflussen und dadurch der Stufenleiter der erschaffenen
Wesen immer neue Sprossen anzufügen.
Diese Wechselbeziehung ist es, welche dem anscheinend Todten Seele, Leben
und Bewegung verleiht und jene Verwandtschaft begründet, welche die stolze
Vermessenheit des Menschen demüthigt, indem sie ihm an jedem einzelnen
Körper, in jeder beliebigen Naturerscheinung, Stoffe und Vorgänge zur
Anschauung bringt, aus denen auch er besteht und die sich auch an ihm
selbst vollziehen.
Zwar sträubt er sich mit aller Macht und Anstrengung, mit der Reihe des
unter ihm Stehenden ins Glied zu treten, aber die unerbittliche und
unbestechliche Wissenschaft entreißt ihm ein Vorurtheil nach dem anderen,
entkleidet die Legenden, welche seinem Selbstgefühle schmeichelten, ihres
Heiligenscheines und zwingt ihn, die heilsame Arznei der Wahrheit zu
trinken, um zu einer gesunden, irrthumsfreien Welt- und Lebensanschauung
zu gelangen. Er lacht der Zumuthung, im Gorilla, Orang-Utang oder
Chimpanse seinen Urgroßvater zu erkennen, und doch ist er aus nichts
Anderem gemacht und gestaltet worden, als aus den Elementen, aus welchen
auch der Stein, die Pflanze, das Thier zusammengesetzt wurde. All' seine
sogenannten Vorzüge verdankt er einer in ihm vollzogenen Entfaltung der in
den vorhergehenden Wesensordnungen schlummernden Kräfte und Fähigkeiten,
und wie sein Leib nichts Anderes als nur eine Veredelung des thierischen
Körpers ist, so läßt sich die in ihm thätige seelische und geistige Kraft
in absteigender Folge und allerdings auch mit abnehmender Deutlichkeit an
der ganzen Reihenfolge der erschaffenen Wesen nachweisen.
Dieser Nachweis ist bei den Thieren bis hinunter zu den niedrigsten Arten
ohne Schwierigkeit zu führen. Nicht so leicht fällt er bei den Pflanzen,
ja es giebt gewiß sehr Viele, welche bei dem Worte »Pflanzenseele« mit
verwundertem Lächeln den Kopf schütteln würden. Und doch läßt sich ein
organisches Leben nicht ohne irgend eine geistige Potenz denken, durch
welche eine Existenz eben erst zu einer organischen wird. Natürlich kann
hier von einer freien Verstandes- und Willensthätigkeit, wie wir sie noch
bei den Thieren finden, nicht die Rede sein, sondern die Thätigkeit der
Pflanzenseele wäre nur in den allerelementarsten Aeußerungen zu suchen.
Etwas Derartiges müssen wir schon dem Keime des Samenkornes zusprechen.
Bedeutend deutlicher zeigt sich die Spur eines seelischen Lebens in dem
sogenannten Schlafe der Pflanzen, welcher besonders bei den Leguminosen
oder Hülsenfrüchten beobachtet wird. Sie scheinen, gleich den Thieren, bei
einbrechender Nacht in Schlaf zu fallen, verschließen ihre Blumenkelche,
legen ihre Blätter zusammen und erwachen nicht eher wieder, als bis die
Strahlen der Morgensonne auf sie fallen. Aber wie unter den Thieren viele
des Tages ruhen und erst in der Nacht herumschwärmen, so sind auch andere
Pflanzen im Tageslichte unthätig, wachen erst mit den Sternen auf und
streuen ihre Wohlgerüche in der stillen Dämmerung oder der nächtlichen
Dunkelheit aus. Das Reich der Pflanzen hat, wie dasjenige der Thiere,
ebensowohl seine Nacht- wie auch seine Tagesschläfer.
Es giebt gewisse Pflanzen, die so reizbar sind, daß ihnen eine sehr zarte,
fast thierische Empfindung nicht abzuläugnen ist. Die schamhafte
Sinnpflanze (mimoza pudica) zieht, wenn man sie berührt, schüchtern ihre
Blätter zusammen, und wenn man sie schlägt oder stark erschüttert, so läßt
sie die Blätter traurig herabhängen. Fast ebenso empfindlich ist eine
andere Mimosenart, ein südamerikanischer Strauch von 6 bis 10
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Fuß Höhe. Stampft man in der Nähe dieser Gewächse auf den Boden, so erfolgt
eine plötzliche Bewegung der Blätter, welche mit der Wirkung des Schrecks
auf die Thiere große Aehnlichkeit hat. Wenn ein Reiter durch ein solches
Mimosengesträuch galoppirt und die vorher im Sonnenscheine so schön
ausgebreiteten fiederblättrigen Fächer rechts und links bei jedem Hufschlage
zusammenfahren und schlaff niedersinken sieht, so bekommt er den Eindruck,
als befinde er sich mitten unter mit Gefühl und Empfindung begabten Wesen.
Nicht minder auffallend ist die Ruhelosigkeit des schwingenden Hedysarum
(hedysarum gyrans,) einer ostindischen Pflanze, welche unserer Esparsette
nahe verwandt ist. So lange dieses Gewächs sich im Wachsthum befindet, sind
seine Blätter in einer immerwährenden und regelmäßig auf- und niedergehenden
Bewegung.
Auch die außerordentliche Liebe der Pflanzen zum Lichte ist eine der
Erscheinungen des organischen Lebens. Welch ein wetteiferndes Drängen der
Bäume eines dichten Waldes, Theil zu haben am Sonnenlichte. Wie trauernd und
kränkelnd stehen die Unterdrückten da, während freudig die über ihnen
rauschen, deren Wipfel vom Glanze der Sonne trinken. Wie breiten die in
Zimmern und Gewächshäusern gehaltenen Pflanzen ihre Zweige, ihre Blätter
sehnsüchtig nach den Fenstern aus, und wie drängt sich selbst der Keim aus
den im Dunkel aufbewahrten Zwiebel- und Knollengewächsen hervor, um nach
Licht zu suchen! Eine Kartoffel, welche im Frühlinge in einem Winkel des
Kellers liegen geblieben war, trieb ihren Ausläufer erst zwanzig Fuß am
Boden gegen die Thür hin, dann rankte sie an der Wand in die Höhe und trieb
dann in grader Richtung auf das Lichtloch des Gewölbes zu. Wer kann bei
solchen Erscheinungen, die das Vorhandensein eines Pflanzensinnes
ankündigen, ein gleichgültiger oder gar gefühlloser Zuschauer bleiben?
Zwar dürften diese Erscheinungen durch physikalische und chemische
Verhältnisse zu erklären sein, aber ein Räthsel bleiben sie uns doch, und
wir müssen gestehen, daß die Thätigkeit der menschlichen Seele, des
menschlichen Geistes ja auch nur durch gewisse physikalische Vorgänge und
chemische Prozesse ermöglicht ist.
Für den sinnigen und gefühlvollen Beobachter giebt es im Reiche der Pflanzen
mehr Leben, Absicht und gleichsam willkürliche Thätigkeit, als Andere
vermuthen möchten. Scheint es doch fast, als ob sie der Schöpfer mit einer
gewissen gegenseitigen Liebe begabt hätte! Denn wie unter den meisten
Thieren, so herrscht sichtbar auch unter den Pflanzen der Trieb zur
Geselligkeit. Wo sie frei für sich leben, und das ist vornehmlich in den
gemäßigten Erdgürteln der Fall, da wohnen sie in ganzen Familien beisammen.
Sie scheinen dann kräftiger zu gedeihen, als wenn man sie vereinzelt; ihr
Wuchs ist, besonders an Bäumen, schlanker, ihre Oberfläche glänzender.
Hingegen einzeln- und freistehende Pflanzen sind zusammengedrängter,
struppiger, rauher und behaarter. Ist es nicht ebenso bei dem Menschen?
Durch Geselligkeit wird er heiterer, in seinem Aeußern gefälliger; die
Einsamkeit macht ihn in sich gekehrter, rauher, ja - wilder. Es ist keine
Sage, sondern vollständige Wahrheit, daß die Marien-Kreuz-Distel ganze
Völker bildet, welche unter einem Könige stehen, dessen Standpunkt sich grad
in der Mitte des gewöhnlich ungefähr einen Quadratkilometer einnehmenden
Terrains befindet, über welches sich das Volk verbreitet. Reißt man diesen
König aus der Erde, so stirbt bis zum nächsten Herbste das ganze Volk ab.
Wie will man sich dieses Geheimniß erklären?
Aber auch das Gegentheil der Liebe, der Haß und die Feindschaft, hat sich in
das Reich der Pflanzen geschlichen. Wie es unter den Thieren solche giebt,
die nur vom Untergange und dem Blute der anderen sich ernähren, so finden
wir auch unter den Gewächsen Raubpflanzen, die im Safte und Blute der
übrigen schwelgen. Sie hängen sich ihnen an, dringen mit ihren Saugröhren in
sie ein und zehren ihre Kräfte auf. Wie in den Wildnissen Südamerika's die
Räuber des Thierreiches am zahlreichsten vertreten sind, so wuchern in den
dortigen Urwäldern auch die gewaltigsten Schmarotzerpflanzen. Armesdick
umspannen die Lianen die Stämme, schleichen von Baum zu Baum in einer Länge
von vielen Hundert Fuß fort, schnüren wie Seile ganze Waldungen zusammen und
machen sie so undurchdringlich, daß mit der Axt oftmals hundert Bäume von
ihrer Wurzel getrennt werden und dennoch in der Umschlingung stehen bleiben.
Unter dieser tödtlichen Umschlingung ersticken die Bäume, verfaulen und
zerfallen, während der Mörder auf neuen Raub ausgeht. Die Mistel bohrt ihre
aussaugenden Wurzeln zwischen die Rinde unserer Obstbäume und entkräftet
sie. Der Frauenflachs geht ebenso mordend von einer Pflanze zur anderen, ja,
ganze Geschlechter und Familien stehen einander feindlich gegenüber und
kämpfen so lange, bis das eine ausgerottet oder gewichen ist. Ein
auffälliges Beispiel hierzu bieten die Zapfenträger und die Kätzchenträger.
Deutschlands riesige Eichenwälder haben verschwinden müssen, weil sie in den
nadeltragenden Forsthölzern überlegene Feinde besaßen, welche sich in sie
eindrängten, ihre Lücken ausfüllten, ihre geschlossene Ordnung
auseinandertrieben und mit dem jungen, schnellen Nachwuchse die alten,
knorrigen und langsam wachsenden Veteranen um ihre angestammten und
ehrwürdigen Rechte betrogen.
Ist es unter den 400,000 Arten der Pflanzen nicht grad' ebenso, wie unter
den verschiedenen Arten der Menschenkinder? Die Beziehungen der einzelnen
Naturreiche zu einander und zu dem Reiche der Nachkommen Adams sind
überraschend innige. Das eine bereitet das andere vor, bildet es ab und
setzt sich als Grundlage einer höheren Etage im Gebäude der irdischen Welt.
Selbst wenn wir der einzelnen Pflanze ein metaphysisches Etwas, eine
selbständige Seelenthätigkeit absprechen müssen, können wir doch nicht
leugnen, daß der große Geist des Weltenalls die kleinste Flechte ebenso
durchdringt, wie den gewaltigen Riesen des Waldes, daß er ebenso deutlich
aus dem Gänseblümchen spricht, wie er aus dem Glanze des südlichen Kreuzes
predigt, daß er sich im Dufte der Rose und dem Rauschen des Forstes ebenso
nachhaltig offenbart, wie in dem Klange der Psalmen und dem Donnerworte vom
Sinai. Es gilt eben hier wie überall das Wort Christi: »Wer Ohren hat zu
hören, der höre!«
Von diesem Gesichtspunkte aus hat eine jede Pflanze unbestreitbar ihre
Seele, ihren Character, ihre Physiognomie und ihre Sprache. Die Tanne
rauscht, die Linde säuselt, die Cypresse klappert mit ihren Zweigen; andere
knarren; die Blätter lispeln und flüstern, sie scherzen und kosen; der Wald
hat sein Piano und Fortissimo, sein Crescendo und Decrescendo, sein Solo und
sein Tutti, überall aber nur eine Tonart: In Moll allein ertönt die Musik,
die Stimme der Natur und reicht mit ihrem Einflusse so weit, daß kindliche
Völker ihre Lieder allein nur in Moll singen.
Ende des neunten Teils – Schluß folgt.
Karl May: Geographische Predigten
Karl May – Leben und
Werk