Dur ist die Tonart der That, des
wildbewegten Lebens; die Natur dagegen ist ein großes, elegisches Gedicht.
Ihr ganz hingegeben, versinkt auch der Mensch, sei es im Rauschen des
Waldes, im Sausen des Windes, im Plätschern des Regens oder im Donner des
Meeres in eine elegische, weiche Stimmung. Darum war der Wald zu allen
Zeiten der Vater der Lyrik, und die Sprache der Natur ist auch allzeit die
Sprache des einfachen, der Natur noch nahestehenden Menschen.
Die Physiognomie der Pflanzen ist eine doppelte, eine allgemeine und
besondere. Die Teppichvegetation der Moose, Flechten und Gräser, die
Stockvegetation des Bambus, der Bananen und Cactusarten, die
Kronenvegetation der Laub- und Nadelwälder, die Schopfvegetation der
Farren, Pandanen und Palmen und die Verzierungsvegetation, welche aus
Orchideen, Winden, Lianen und Pfeffergewächsen ihre Ornamente zeichnet,
sie alle haben ihren eigenen, deutlich ausgeprägten Character. Aber neben
demselben besitzt jedes einzelne Individuum dieser Pflanzenarten seine
speciellen Eigenthümlichkeiten, die nur dem liebevollen Auge des
Naturfreundes erkenntlich sind, weil ihm die Rose an seiner Brust, der
Halm zu seinen Füßen, der Blüthenzweig in seiner Hand, der Wipfel über der
Firste seines Daches unendlich mehr bedeutet, als nur ein vielgesehener
und alltäglicher Gegenstand.
Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, daß die Phantasie des Menschen
schon von Alters her die Pflanze personificirte und noch der Dichter der
Gegenwart mit seinen rauschenden und duftenden Lieblingen wie mit lieben,
freundlichen Wesen verkehrt, die ihn lieben, ihn kennen und Theil nehmen
an den Leiden und Freuden seines Herzens.
Die Mythe der alten nordischen Völker dachte sich die Welt gestützt von
der großen Esche Ygdrasil, welche ihre drei Wurzeln nach Jotunheim, Asgard
und Niflheim schlug; die Bibel beginnt ihren Bericht über die ersten
Menschen mit der Erzählung vom Baum des Lebens und vom Baume der
Erkenntniß; die frommen Sagen aller Völker wissen von heiligen Gewächsen
zu berichten, und der Aber- und Wunderglaube knüpft an gewisse Pflanzen,
Theile von ihnen oder Vorgänge an ihnen seine überraschenden Berichte.
Wenn der denkende Mensch von der Stimme Gottes in der Natur spricht, so
hat er ganz besonders das Reich der Pflanzen im Auge; denn hier wird jedes
einzelne Blatt und selbst das kleinste Blümchen zum eindringlichen und
freundlichen Prediger der Liebe, Allmacht und Allweisheit des himmlischen
Vaters. »Und daselbst kam des Herrn Hand über mich und sprach zu mir:
'Mache Dich auf und gehe hinaus in das Feld; daselbst will ich mit Dir
reden!' Und ich machte mich auf, und siehe, da stand die Herrlichkeit des
Herrn vor mir,« heißt es im Propheten Hesekiel, und doch gehen Tausende an
dieser Pracht und Herrlichkeit Gottes vorüber, ohne sie zu schauen und
ihre Stimme zu hören.
Wie laut und machtvoll ertönt diese Stimme bei dem alljährlichen Erwachen
der Natur,
»Wenn beim Klang der Kirchenglocken
Frühling durch die Fluren geht
Und der Wind die Blüthenflocken
Von den duft'gen Zweigen weht,«
um das menschliche Gemüth daran zu erinnern, daß es zwar eine Ruhe, aber
nicht ein Aufhören des Lebens, einen Tod giebt! Welch hohe Beredtsamkeit
liegt in der reifenden Stille einer befruchteten Flur, über welche sich
der Reichthum goldener Aehren breitet:
»O süßes Grau'n, geheimes Weh'n,
Als knieten Viele ungesehn
Und beteten mit mir!«
Und selbst der raschelnde Fall des herbstlich gefärbten Laubes, das
Knistern des Strauches unter der Fülle des winterlichen Schneekleides muß
eine Stimme sein im hohen Liede der Natur.
Ist es nicht rührend, daß die arme, einsame Nähterin ihr hochgelegenes,
kleines Mansardenstübchen mit einer bescheidenen Reseda zu schmücken
strebt, um nur ein Wesen zu haben, dem es Liebe und Pflege erweisen darf?
Und ist es vielleicht so ganz von ohngefähr, daß die schwellende Knospe,
die duftende Blüthe so oft und gern gebraucht wird als ein Bild der
»Menschenblume, der holden?« Wenn der Dichter begeistert ausruft:
»Da haben wir staunend Dich angeseh'n,
Waldröslein, so jung und so maienschön,«
oder wenn der ferne Wandersmann seiner Sehnsucht Worte giebt:
»Im Heimathsdörfchen blüht die Rose,
Die's meinem Herzen angethan,«
so stehen »Waldröslein« und »Dorfröschen« vor dem geistigen Auge des
Hörers nicht als gleichgeartete, sondern als verschiedene begabte Wesen
da, und es ist doch, als hätte jede Blüthe, wie die Sage berichtet, ihren
eigenen Engel, der als Blumenseele aus der Krone lauscht und in der Tiefe
des Kelches die lieblichen Mysterien des Duftes webt und dichtet. Wer
könnte darum über die kindliche Anschauung lächeln, welche sich hütet,
eine Blume zu brechen, weil dadurch ein zartes, geheimnißvolles Leben
zerstört und vernichtet wird, oder wer wollte des Märchens spotten,
welches die segenspendende Flur unter den Schutz einer fleißigen Fee
stellt, die über Feld und Wiese wacht und jeden Raub mit Zauberbann
bestraft?
»Laß steh'n die Blume,
Geh' nicht ins Korn:
Die Roggenmuhme
Geht um da vorn!«
warnt die Bäuerin der Altmark ihr Kind, wenn es nach einer azurblauen
Cyane greift, und es ist nicht zu leugnen, daß