Nummer 24 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
12. Februar 1876


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4.
Wald und Feld
(Schluß.)

Dur ist die Tonart der That, des wildbewegten Lebens; die Natur dagegen ist ein großes, elegisches Gedicht. Ihr ganz hingegeben, versinkt auch der Mensch, sei es im Rauschen des Waldes, im Sausen des Windes, im Plätschern des Regens oder im Donner des Meeres in eine elegische, weiche Stimmung. Darum war der Wald zu allen Zeiten der Vater der Lyrik, und die Sprache der Natur ist auch allzeit die Sprache des einfachen, der Natur noch nahestehenden Menschen.

Die Physiognomie der Pflanzen ist eine doppelte, eine allgemeine und besondere. Die Teppichvegetation der Moose, Flechten und Gräser, die Stockvegetation des Bambus, der Bananen und Cactusarten, die Kronenvegetation der Laub- und Nadelwälder, die Schopfvegetation der Farren, Pandanen und Palmen und die Verzierungsvegetation, welche aus Orchideen, Winden, Lianen und Pfeffergewächsen ihre Ornamente zeichnet, sie alle haben ihren eigenen, deutlich ausgeprägten Character. Aber neben demselben besitzt jedes einzelne Individuum dieser Pflanzenarten seine speciellen Eigenthümlichkeiten, die nur dem liebevollen Auge des Naturfreundes erkenntlich sind, weil ihm die Rose an seiner Brust, der Halm zu seinen Füßen, der Blüthenzweig in seiner Hand, der Wipfel über der Firste seines Daches unendlich mehr bedeutet, als nur ein vielgesehener und alltäglicher Gegenstand.

Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, daß die Phantasie des Menschen schon von Alters her die Pflanze personificirte und noch der Dichter der Gegenwart mit seinen rauschenden und duftenden Lieblingen wie mit lieben, freundlichen Wesen verkehrt, die ihn lieben, ihn kennen und Theil nehmen an den Leiden und Freuden seines Herzens.

Die Mythe der alten nordischen Völker dachte sich die Welt gestützt von der großen Esche Ygdrasil, welche ihre drei Wurzeln nach Jotunheim, Asgard und Niflheim schlug; die Bibel beginnt ihren Bericht über die ersten Menschen mit der Erzählung vom Baum des Lebens und vom Baume der Erkenntniß; die frommen Sagen aller Völker wissen von heiligen Gewächsen zu berichten, und der Aber- und Wunderglaube knüpft an gewisse Pflanzen, Theile von ihnen oder Vorgänge an ihnen seine überraschenden Berichte.

Wenn der denkende Mensch von der Stimme Gottes in der Natur spricht, so hat er ganz besonders das Reich der Pflanzen im Auge; denn hier wird jedes einzelne Blatt und selbst das kleinste Blümchen zum eindringlichen und freundlichen Prediger der Liebe, Allmacht und Allweisheit des himmlischen Vaters. »Und daselbst kam des Herrn Hand über mich und sprach zu mir: 'Mache Dich auf und gehe hinaus in das Feld; daselbst will ich mit Dir reden!' Und ich machte mich auf, und siehe, da stand die Herrlichkeit des Herrn vor mir,« heißt es im Propheten Hesekiel, und doch gehen Tausende an dieser Pracht und Herrlichkeit Gottes vorüber, ohne sie zu schauen und ihre Stimme zu hören.

Wie laut und machtvoll ertönt diese Stimme bei dem alljährlichen Erwachen der Natur,

»Wenn beim Klang der Kirchenglocken
     Frühling durch die Fluren geht
Und der Wind die Blüthenflocken
     Von den duft'gen Zweigen weht,«

um das menschliche Gemüth daran zu erinnern, daß es zwar eine Ruhe, aber nicht ein Aufhören des Lebens, einen Tod giebt! Welch hohe Beredtsamkeit liegt in der reifenden Stille einer befruchteten Flur, über welche sich der Reichthum goldener Aehren breitet:

»O süßes Grau'n, geheimes Weh'n,
Als knieten Viele ungesehn
Und beteten mit mir!«

Und selbst der raschelnde Fall des herbstlich gefärbten Laubes, das Knistern des Strauches unter der Fülle des winterlichen Schneekleides muß eine Stimme sein im hohen Liede der Natur.

Ist es nicht rührend, daß die arme, einsame Nähterin ihr hochgelegenes, kleines Mansardenstübchen mit einer bescheidenen Reseda zu schmücken strebt, um nur ein Wesen zu haben, dem es Liebe und Pflege erweisen darf? Und ist es vielleicht so ganz von ohngefähr, daß die schwellende Knospe, die duftende Blüthe so oft und gern gebraucht wird als ein Bild der »Menschenblume, der holden?« Wenn der Dichter begeistert ausruft:

»Da haben wir staunend Dich angeseh'n,
Waldröslein, so jung und so maienschön,«

oder wenn der ferne Wandersmann seiner Sehnsucht Worte giebt:

»Im Heimathsdörfchen blüht die Rose,
Die's meinem Herzen angethan,«

so stehen »Waldröslein« und »Dorfröschen« vor dem geistigen Auge des Hörers nicht als gleichgeartete, sondern als verschiedene begabte Wesen da, und es ist doch, als hätte jede Blüthe, wie die Sage berichtet, ihren eigenen Engel, der als Blumenseele aus der Krone lauscht und in der Tiefe des Kelches die lieblichen Mysterien des Duftes webt und dichtet. Wer könnte darum über die kindliche Anschauung lächeln, welche sich hütet, eine Blume zu brechen, weil dadurch ein zartes, geheimnißvolles Leben zerstört und vernichtet wird, oder wer wollte des Märchens spotten, welches die segenspendende Flur unter den Schutz einer fleißigen Fee stellt, die über Feld und Wiese wacht und jeden Raub mit Zauberbann bestraft?

»Laß steh'n die Blume,
     Geh' nicht ins Korn:
Die Roggenmuhme
     Geht um da vorn!«

warnt die Bäuerin der Altmark ihr Kind, wenn es nach einer azurblauen Cyane greift, und es ist nicht zu leugnen, daß

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»diesem wie überhaupt jedem Aberglauben eine an und für sich reine und beachtenswerthe Idee zu Grunde liegt. Es bringt dem Menschengeschlechte keine Gefahr, wenn die Poesie ihren belebenden Hauch über die Felder breitet und ein seelisches Leben und Walten da findet, wo der nüchterne Verstand nur Knollen, Kraut und Wurzeln sucht. Ist es doch, als wolle die dichtende Phantasie Ersatz bieten für die Selbstsucht der Menschenkinder, welche an das Wort »Feld« am liebsten den Begriff der Erndte, des nüchternen Erwerbes knüpft und dabei oft der Liebe vergißt, die den Keim belebt, die Halme lockt und die Früchte schwellt. Erinnert doch grad' dieses Wort an den größesten und häßlichsten Gegensatz der Liebe, welcher seine Opfer unter dröhnendem Rossesstampfen und brüllendem Kanonendonner auf dem »Schlachtfelde« in »des Todes blutige Rosen« bettet.

Wie über das Feld, so wirft auch über den Wald die Dichtung ihren verklärenden Schimmer, und das magische Dunkel, über welches sich die dichten Wipfel legen, ist ganz geeignet zur Herberge für das Märchen, welches, sinnend im weichen Moose liegend, seine Träume um die schlanken Stämme spinnt, daß sie sich emporranken in das flüsternde Gezweig und vom Waldesduft hinausgetragen werden in das Sonnengold, um sich beim Glanz der Sterne niederzusenken an das lauschende Ohr der Menschenkinder.

Mit fliegender Mähne und schäumenden Lenden, mit dem gewaltigen Gehörn das wirre Buschwerk zerfetzend, rast das riesige Elenn dahin, auf welchem der Woodlandsghost, der Geist der wilden Prairie, durch die Wälder des nordamerikanischen Westens saust. Vor ihm her jagen die lechzenden Geister derjenigen Rothhäute, welche vor den Bleichgesichtern flohen, und hinter ihm folgen auf feuerschnaubenden Rossen die Seelen der Weißen, welche unter den Streichen des Tomahawk fielen.

Ueber die Wälder Deutschlands braust der wilde Jäger mit seinem brüllenden, schreienden, heulenden und kläffenden Gefolge; in den dunklen Schluchten des Riesengebirges treibt Rübezahl sein Wesen; in den Alpenforsten des Waadtlandes haust ein Geist, welcher den Menschen bald als Grabbi (Geizhals), bald als Bita crotzé (Klauenthier), als Niton (Schalk), Tamai (Waldmensch), Osé (Vogel) oder Tofron (Landstreicher) erscheint. In den Wäldern Vorderasiens versteckt sich der riesige Scheidan; den Himalaya machen Tausende von Tschin's unsicher; auf Madagaskar dreht Mahao, die Zauberin, die stärksten Bäume zusammen und spinnt sie zu Flachs für ihr Hemde; auf den schottischen Bergen klagt der Geist Fingals um seine Tochter; jeder Wald hat seine Geschichte, seine Sage, seine gespenstische Bevölkerung, welche gut oder bös ist, das Licht oder das Dunkel liebt, je nach der Physiognomie, die ihm eigenthümlich ist.

Denn auch der Wald hat seinen Character, seine individuellen Eigenthümlichkeiten und läßt aus diesem Grunde sehr wohl eine Personification zu.

»Wer hat dich, du schöner Wald,
     Aufgebaut so hoch da droben?
Wohl den Meister will ich loben,
     So lang noch mein' Stimm' erschallt!«

gilt dem Hochwalde, dessen dunkles Getann mit seinen Wurzeln sich an die steilsten Felsenklüfte klammert und die vom Sturme zerrissenen Gipfel hoch in das Glühen der Alpen taucht. Dort hinauf dringt nur selten ein schwacher Laut des tief unten wogenden Lebens und nur der scharfe Knall der Büchse bringt unwillkommene Kunde von der Feindschaft, mit welcher die irdischen Geschöpfe sich bekämpfen. Ist's ein Wunder, daß er diesen Geschöpfen seine strengste, düsterste Miene zeigt und sie mit seinen stürzenden Felsen und Fluthen von sich abzuweisen sucht?

»Ade, Du liebes Waldesgrün, ade!
     Ihr Blümlein mögt noch lange blühn, ade!
Mögt andre Wandrer noch erfreun
     Und ihnen Eure Düfte weihn, ade!«

gilt einem ganz anderen Walde, dem Laubwalde, welcher seine Eichen- und Buchenstämme in den Boden des Unterlandes gründet und das lebendige und bewegliche Grün seiner Blätter nur hier und da mit einer Gruppe dunkler Nadelhölzer schattirt. Da breitet ein blumenreicher Teppich sich unter den kühlenden Laubkronen aus, der Strahl der Sonne umsäumt die zitternden und flüsternden Blätter mit purpurnen, goldenen und silbernen Rändern, und farbige Schimmer zucken und blitzen durch das Geäst. Hier hat das »Eichkätzerl«, das possirliche, seine eigentliche Heimath, metallisch glänzende Käfer summen unter der hohen Wölbung dahin, leichte Falter schlagen die zartbeschuppten Flügel, und draußen am Rande, wenn das Abendroth am Himmel verglüthe, erhebt die Nachtigall ihre bald süß klagende, bald selig jubelnde Stimme.

Da droben im Hochwalde färbt sich der See mit tiefdunklen Tönen und finstere Schatten schauen aus seiner Fluth. Es ist, als wohne der Tod auf seinem Grunde und in der Kälte seiner Wasser müsse jedes Leben, jede Bewegung ersterben. Hier unten aber umsäumt sich das Ufer mit heiterem Grün, flimmerndes Licht vibrirt über der wallenden Fläche, schimmernde Reflexe tanzen auf den spielenden Wellen und hell, treu und aufrichtig schauen die zurückgeworfenen Bilder aus der krystallenen Fluth empor. Und wenn des Vollmondes magnetische Helle den Schleier der Wolken durchbricht und geheimnißvolle Nebel um Busch und Strauch sich dehnen, dann beginnt die Fluth zu wallen; denn das Feenschloß da unten auf dem Grunde hat seine Thore geöffnet und ihm entsteigt die Herrscherin in wunderbarer, sinnverwirrender Schönheit, um das Reich der Sterblichen zu besuchen und den Tanz der Elfen zu belauschen.

Vermählt sich der Laub- mit dem Nadelwalde, so entsteht jene liebe Vereinigung von Hell und Dunkel, von Zartheit und Kraft, welche mit dem bekannten

»O Thäler weit, o Höhen,
     O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
     Andächt'ger Aufenthalt!«

gemeint ist und die Freundlichkeit des einen mit dem Ernste des anderen in die innigste Verbindung bringt.

Da giebt es sowohl für die Lust als auch das Weh des Menschenherzens ein lauschiges Plätzchen, an welchem man dem Walde, dem verschwiegenen, das stille Glück vertraut oder den nagenden Kummer klagt, und dazu rauschen die Wipfel und flüstern die Zweige so theilnehmend und beschwichtigend; das Herz wird ruhig, der Glaube schlägt wieder Wurzel, die Hoffnung grünt, das Vertrauen erstarkt, der entmuthigte Wille ermannt sich zu neuer That und beim Scheiden aus schattigem Grunde ertönt es mit neuem Muthe:

»Was wir still gelobt im Wald,
     Wollens draußen ehrlich halten,
Ewig bleiben treu die Alten,
     Bis das letzte Lied erschallt!«


Ende des zehnten Teils – Mensch und Thier.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk