4.
Wald und Feld
»Du lässest Gras wachsen für das Vieh
und
Saat zu Nutz dem Menschen, daß Du Brod
aus der Erde bringest und die Bäume des Herrn
voll Saftes stehen, die Cedern Libanons, die er
gepflanzet
hat.«
David.
Wald und Feld - zwei Worte von unendlicher Bedeutung nicht nur für den
Einzelnen, sondern ebenso sehr für die große Gesammtheit der menschlichen
Gesellschaft. Mit ihnen treten wir ein in das Reich der organischen Wesen,
der mit leichterkennbarem Leben begabten Creaturen, und sehen eine Menge
der liebsten und freundlichsten Vorstellungen in uns aufsteigen.
Waldesduft und Maienluft, Hörnerklang und Vogelsang und all' jene oft
gebrauchten Reime von Flur und Natur, Zelt und Feld, Schall und
Nachtigall, Sonne und Wonne klingen uns um das lauschende Ohr; der ernste,
religiöse Sinn sieht Christus unter Aehren wandeln, gedenkt seiner Bilder
vom Senfkorne, vom Feigenbaume, vom Weinstocke und der Lilien auf dem
Felde, welche besser bekleidet sind als Salomo in aller seiner
Herrlichkeit, und der erwägende Verstand erblickt in den wogenden Fluren
und rauschenden Wäldern eine unerschöpfliche Quelle
national-wirthschaftlichen Reichthums.
Wenn früher gesagt wurde, daß selbst im scheinbar todten Steine der Puls
der großen, allgemeinen Bewegung klopfe, so war dieser Puls nur der zarten
Empfindung des aufmerksamen Beobachters erkenntlich, während dagegen das
organische Leben den wahrnehmenden Sinneswerkzeugen vollständig ungesucht
entgegentritt.
Was aber ist denn eigentlich das, was wir »Leben« nennen?
Wer vermöchte es wohl, diese Frage zu beantworten! Nur Einer hat es
gethan: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben,« und dieser Eine
wird von Tausenden verspottet und von Millionen vergöttert, weil die Einen
ihn gar nicht und die Anderen ihn nur halb verstanden.
Die irdische Natur hat nur eine gewisse und beschränkte Anzahl von
Grundstoffen oder Elementen aufzuweisen, aus welchen sich alles Bestehende
zusammensetzt. Diese Zusammensetzung ist eine unendlich verschiedene und
sich immerwährend verändernde, wie die Lehre vom Stoffwechsel deutlich und
unwiderlegbar beweist, und geschieht durch nichts Anderes als diejenige
Kraft, welche wir »Leben« nennen.
Nicht jedes andere Wesen besteht auch aus anderen Stoffen, sondern die
Verschiedenheit der Zusammensetzung dieser Stoffe ist es, welche die
Verschiedenheit der Formen und Gestalten und unzählige Wunder bewirkt,
welchen wir gewöhnlich nicht die geringste Beachtung schenken.
Auf dem gleichen Boden und unter vollständig denselben Verhältnissen
wächst die Kiefer, die Eiche, die Rebe, das Getreide, der Schierling; sie
nähren sich von denselben Bodenstoffen, athmen in derselben Luft, trinken
denselben Thau und wärmen sich in demselben Strahle, und doch bringt das
in ihnen waltende Leben im Holze und Harze der Kiefer, in der bitteren
Gerbrinde der Eiche, im süßen, berauschenden Safte der Traube, im
nährenden Mehle des Roggens, in den heilsamen Eigenschaften der Kräuter
und der tödtlichen Wirkung des Giftstrauches so außerordentlich
verschiedenartige Erscheinungen hervor. Die Wurzel des Schierlings zeigt
dieselben Bestandtheile wie diejenige des Sellerie, und der Kuhbaum,
welchem die süßeste und nahrhafteste Pflanzenmilch entfließt, besitzt
chemisch ganz dieselben Stoffe, aus welchen der Upasbaum seinen
furchtbaren Saft bereitet, in welchen die Malayen die Spitzen ihrer Pfeile
tauchen.
Die Zauberkraft, welche aus Einem und Demselben so Verschiedenes, ja
Entgegengesetztes bereitet, liegt schon im Keime des Samenkornes verborgen
und beginnt ihre Thätigkeit gleich mit dem ersten Augenblicke der
Entwickelung desselben. Wie groß diese Kraft ist, sehen wir nicht nur an
der Vergleichung des vollständig ausgewachsenen Baumes mit dem kleinen,
unscheinbaren Samen, sondern auch schon an der mechanischen Gewalt, welche
sie vom frühesten Stadium ihrer Wirksamkeit ausübt. Wenn man z.B. Erbsen
durch Anfeuchtung zum Keimen lockt und sie mit einem Gewichte von 150
Pfund beschwert, so wird dieses Gewicht durch das Schwellen des Keimes
bewegt und der Keim dringt trotz der verhältnißmäßig ungeheuren Belastung
hervor.
Woher diese erstaunliche Stärke, welche einem Keime innewohnt, den der
Finger eines Kindes spielend zu zerstören vermag? Liegt hier nicht ein
ebenso deutlicher Fingerzeig auf das Walten eines göttlichen Wesens, wie
in den staunenerweckenden Wundern des unermeßlichen Weltenraumes?
Fast möchte man behaupten, daß sich in dem Leben des Samenkornes etwas
Seelenartiges offenbare, und einem unserer bekanntesten Naturforscher
beipflichten, welcher sagt: »Der kleine Keim dringt wie gerufen und zur
rechten Stunde hervor und senkt seine Spitze in den Erdboden, um Nahrung
zu suchen. Er treibt aus dieser Spitze kleine Fasern hervor, die zur
Wurzel werden. Woher weiß er, daß er Nahrung im Boden findet und wo das
Erdreich sei, das er doch nicht siehet? Und doch, wenn die eine seiner
Spitzen, welche zur Wurzel bestimmt ist, aufrecht über der Erde stehet,
krümmt sie sich so lange abwärts, bis sie Erde gefunden hat, während die
andere Spitze, die zum Stengel werden soll, sich jedesmal von der Erde
wegwendet und aufwärts steigt, um Luft und Licht zu suchen. Ist hier nicht
Seelenartiges? Ist hier nicht eine verborgene, wunderbare Kraft, die
ebenso unerklärlich ist wie diejenige, welche in ewig gleichen Bahnen die
Sternenwelten schwebend durch die Himmelsräume führt?«
Und dieses Leben, welches im Samenkorne schläft, hat,