Nummer 20 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
15. Januar 1876


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3.
Berg und Thal.
(Fortsetzung.)


»Das macht, der losgebrochene Sturm treibt in den losen Schneemassen sein tolles Spiel. Mit sausender Schnelle nähert er sich. Sein Heulen und Brüllen tönt schauerlich durch die Einöde, und verloren wäre das Schiff, welches auf offenem Meere von diesem furchtbaren Orcane erreicht würde. Aber hier in der Wüste bietet sich ihm nur Schnee, nichts als Schnee und mit entsetzlicher Wuth wirft er sich auf die zusammengewirbelten Haufen desselben. Von unwiderstehlicher Gewalt in die Lüfte gehoben, stieben ungeheure knirschende Schneemassen senkrecht empor und zerfahren in ein wirres Durcheinander von schwirrenden Eisnadeln; dazwischen schießen dicke Schneewirbel oder in rasender Eile herbeigefegte Schneeberge dahin; die ganze Oberfläche wird lebendig und mit unerbittlicher Gewalt zieht die Wjuga, der Schneesturm, alles Lebende hinunter in das erstarrende Grab. Das ist die Schamo.

Von der Ostküste des atlantischen Oceanes an bis zu den Bergwänden des Nilthales erstreckt sich die Wüste Sahara, 120,000 Quadratmeilen groß. Ihr westlicher Theil, die Sahel, ist die eigentliche Heimath des gefürchteten Flugsandes, der, von dem Winde zu fortrückenden Wellen emporgetrieben, langsam durch die Wüste wandert; daher der Name »Sahel«, d.i. Wandermeer. Diese Beweglichkeit des Sandbodens muß natürlich dem Wachsthum der Pflanzen außerordentlich ungünstig sein, und dazu kommt noch der Mangel an Brunnen und Quellen, welcher das Entstehen von Oasen noch mehr verhindert als in der wasserreicheren Sahara. Dies erklärt zur Genüge, daß die Sahel ebenso wie die Gobi den Ansiedelungsversuchen der Menschen wohl für immer widerstehen wird. Der dürre Sandboden vermag kaum einige unbrauchbare Salzpflanzen, höchstens noch etwas dürren Thymian, ein paar Disteln und einige stacheligte Mimosen zu tragen. Durch das glühende Sandmeer streift nicht einmal der Löwe, obgleich unsere Dichter behaupten:

»Wüstenkönig ist der Löwe«;

nur Vipern, Scorpione, Ameisen und ungeheure Flöhe finden in dem heißen Boden ein behagliches Dasein und selbst die Fliege, welche die Karavane eine Strecke in die Wüste hineinbegleitet, stirbt bald darauf auf dem Wege. Und doch wagt sich der Mensch hinein in den Sonnenbrand und trotzt den Gefahren, die ihn umdrohen. Freilich ist ihre Schilderung oft eine übertriebene, aber es bleibt trotzdem genug übrig, um keine Sehnsucht nach einem »Wüstenritte« zu bekommen. Der Samum, jener giftige Wind der Wüste, tödtete dem Perserkönig Cambyses eine ganze Armee und noch im Jahre 1805 wurde eine Karavane von 2000 Menschen und 1800 Kameelen von ihm vernichtet. Berge glühenden Flugsandes bedeckten sie, und Nichts blieb übrig, als die ausgedorrten Leichen der Menschen und Thiere, die in grauenerregenden Stellungen neben und über einander lagen. Einige hielten die leeren Schläuche noch in den entfleischten Händen; Andre hatten wie wahnsinnig die Erde unter sich aufgewühlt, um sich Kühlung zu verschaffen; hier saßen aufgerichtete Mumien auf den Skeletten gestürzter Kameele, den Turban noch auf dem nackten Schädel; dort lagen Leichen, das Gesicht gegen Morgen, nach Mekka, gerichtet und die Arme über die Brust gekreuzt - ihr letzter Gedanke war, wie es dem frommen Moslem geziemt, Gott und sein Prophet gewesen.

Doch noch andere Schrecken giebt es:

Seit dem Aufbruche der Karavane aus dem Lagerplatze ist der letzte Tropfen Wassers aus den ledernen Schläuchen verronnen. Die Kameele zwar schreiten noch rüstig vorwärts, da sie durch den Bau ihres Magens jetzt noch vor dem Durste geschützt sind, aber der Widerstand des Menschen erlahmt schneller. Der erfahrene Führer blickt starr und besorgt vor sich hin. - Der Himmel glüht wie Erz und die Erde brennt wie glühendes Eisen, und die nächste Oase ist noch weit, weit entfernt. In der Erinnerung des alten grauköpfigen Arabers steigen schreckliche Bilder herauf von den Qualen des langsamen Verschmachtens, dem gegenüber der schnelle Tod ein Engel der Erbarmung ist. Schon erreichen halb unterdrückte Klagen sein Ohr; der Gaumen brennt, an welchem die trockene, lechzende Zunge klebt, das siedende Blut drängt sich ungestüm nach dem fiebernden Gehirn und bei der entsetzlichen, trockenen Hitze schwindet der letzte Rest von Kraft und Lebensmuth.

Da, sieh; drüben zur Linken winken lockende Bilder! Ueber den dichtumflorten Horizont heben sich die scharfen Umrisse einer lieblichen Oase herauf. Auf schlanken Säulen bauen sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen übereinander und ihre leichten, vollen Fliederkronen wehen im frischen Wüstenwinde. Und dort welch' ein entzückender Anblick bietet sich dem durstenden Wanderer! Aus dem Haine der Oase schimmert es wie das Wellengekräusel eines lieblichen Sees, und die Luft scheint sich von der Ausdünstung des Wassers zu feuchten.

»Allah akbar!« ruft Einer. »Wir sind gerettet. Siehst Du, wie sich die Kronen der Palmen in der schimmernden Wasserfläche spiegeln, wie Kameele in die kühle Fluth waten und ihren langen Hals herunterstrecken, um das belebende Naß zu schlürfen!«

»Schau nicht hin!« mahnt der erfahrene Führer. »Es ist nichts als Trug, den Dir der Satan vorspiegelt. Folgst Du der Spiegelung, so geräthst Du in die Wüste und findest weder Kameele, noch Palmen, noch Wasser.«

Die Karavane murmelt ein Gebet und zieht scheu vorüber vor der verlockenden Fata morgana. Der Sohn der Wüste weiß, daß die Djinns (bösen Geister) diesen verderblichsten aller Zauber aus den Dünsten und Gluthen des Sandmeeres zusammengewoben haben, um den schmachtenden Wanderer ins Verderben zu führen. Darum läßt er sich nicht verlocken und folgt dem Führer, bis aus dem Munde desselben der frohlockende Ruf erschallt: »Die Oase, seht,

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dort liegt sie; Allah kerim! Dank sei dem Herrn.« - Das ist die Sahara.

Hat der Wanderer den bevölkerten Osten der Vereinigten Staaten verlassen und den Mississippi, den »Vater der Ströme« überschritten, so betritt sein Fuß den Schauplatz jenes Verzweiflungskampfes, in welchem der Indianer seine letzten Pfeile gegen die Vertreter einer blutgierigen und rücksichtslosen Civilisation entsendet.

Von den Ufern des Illinois sich bis an den Mississippi erstreckend, und von da an bis zu einer Höhe von 500 Metern ansteigend, rollt sich die wohl 30,000 Quadratmeilen umfassende Prairie bis an den Fuß des Felsengebirges und tritt sogar über dasselbe hinüber auf das Jagdgebiet der Apachen, Navajoes und Athabaskah's.

Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts war die »Rothhaut« Herr der weiten Ebenen, deren oft sieben Meter tiefer Humusboden den Bemühungen des Ackerbaues eine fast unerschöpfliche Fruchtbarkeit entgegenbringt. Da aber kam das »Bleichgesicht«, der weiße Mann, trieb den »rothen Bruder« aus den ihm gehörigen Jagdgründen und verbreitete durch Krankheit, »Feuerwasser« und Schießgewehr Tod und Verderben in den Reihen der kräftigen und vertrauensvollen Söhne der Wildniß.

Jene weiten Flächen, deren animalische, vegetabilische und mineralische Reichthümer immer neue Tausende von »Pionnieren der Bildung und Gesittung« anlocken, werden die Todeszuckung einer Nation sehen, welcher der Vorurtheilsfreie seine Theilnahme nicht versagen kann, obgleich die Politik der Ausrottung von ihren fanatischen Vertretern mit zahlreichen Entschuldigungsgründen vertheidigt worden ist.

Was und wie der Indianer nicht sein sollte, das und so ist er durch seinen christlichen Bruder geworden, welcher, das Evangelium der Liebe auf den Lippen und die Mordwaffe in der Faust, das Menschengeschlecht und die Weltgeschichte einer reichen Anzahl unschätzbarer Entwickelungsmomente beraubte. Nur hier und da noch ragt aus den Mezquitebüschen das Geweih eines mächtigen Elenn hervor, der Grizzly hat sich in die verborgenen Schluchten der Rocky-Mountains zurückgezogen, der zottige Bison legt in immer kleineren Truppen seine regelmäßige Herbst- und Frühjahrswanderungen zurück und der donnernde Hufschlag der Mustangheerden wird immer schwächer und seltener. Eine riesige Industrie wird sich mit gewaltigem Flügelschlage auf den »fernen Westen« herniedersenken, Haus wird an Haus, Stadt an Stadt sich reihen, ein Geschlecht dem anderen folgen und das »Feuerroß« zu seinen großen Pfaden nach Hunderte von kleineren suchen; aber um die verschwundenen Krieger der Savanne wird die Sage ihren goldenen Schimmer weben, und das Gedächtniß der an dem Bruder begangenen Todtsünde wird fortleben in dem Liede des Dichters. Das ist die Prairie mit dem dunkelsten ihrer Bilder.

Da, wo der Orinoco seine Fluthen dem Golfe von Paria zuwälzt, also in dem nördlichen Südamerika, ferner um den Amazonenstrom und seinen Nebenflüssen und endlich am Rio de la Plato bis hinein nach Patagonien dehnen sich ungeheure Ebenen, welche mit den Küstenflächen von Chile, Bolivia und Peru über 254,000 Quadratmeilen zählen.

Die Llanos des Nordens sind wahrscheinlich in früheren Zeiten einmal Meeresgrund gewesen, meist sandig, leiden an ungeheuren Ueberschwemmungen, welche dem dürftigen Boden aber einige niedrige Pflanzenformen abnöthigen, von denen Mensch und Thier nothdürftig das Leben fristet.

Die Ebenen am Amazonenstrom bestehen theils aus kahlen, steinigen Flächen, theils aus undurchdringlichen Urwäldern; letztere nehmen ein Areal von 70,000 Quadratmeilen ein. In ihnen kennt man keinen andern Weg als die Flüsse. Riesenbäume drängen sich in den abenteuerlichsten Gestalten aneinander, mächtige Schlingpflanzen ranken sich von Stamm zu Stamm und bilden ein Dickicht, durch welches sich nur der Jaguar windet, um eine Affenheerde oder den einsamen Lagerplatz einer Indianerhorde zu beschleichen. Die Natur hat hier ihr Titanengewand angelegt und der kleine Mensch schrumpft in seinem Kahne zu einer Schnecke zusammen, welche in gebrechlichem Gehäuse den Fluthen des Stromes preisgegeben ist.

Die Pampas im Süden zeigen meist eine Schicht Humuserde auf einer thonig-sandigen Unterlage; auf dem salzigen, steinlosen Boden wächst eine dürftige Vegetation von Salzpflanzen; und nur da, wo der Boden weniger salzig und das Klima feucht ist, giebt es einzelne Brunnen und in Folge dessen ganze mit Cactuswäldern bedeckte Strecken. Nur die Steppen von Buenos-Ayres zeigen eine lebhafte Vegetation von Gras und Kräutern, über welcher, wie in der afrikanischen Wüste, die Fata morgana ihre Truggebilde zeichnet.

Auf diesen einförmigen, wenn auch nicht gerade öden Ebenen fährt oder reitet man Stunde um Stunde, Tag um Tag, ohne eine andere Abwechselung als etwa eine weidende Viehheerde, ein aufgescheuchtes Wild, einen Ochsenkarrenzug, einen kleinen See, ein einsames Posthaus, eine halbverfallene Meierei. Flüsse kommen gar nicht vor. Das Gras besteht aus ziemlich gleichmäßig vertheilten Büscheln, zwischen denen der kahle Boden hervorschaut. Der weite Horizont verschwimmt in violetter Bläue, und wie auf dem Meere wird man von einem kreisförmig abgegrenzten, überall gleichweiten Gesichtsfelde umgeben.

Millionen von Pferden und Kindern weiden halbwild auf den Weideplätzen der großen Landgüter unter der Aufsicht ebenfalls halbwilder Hirten, der Gauchos, die aus einer Vermischung der Spanier und Indianer entstanden sind und von ihren Pferden unzertrennlich scheinen.

Die Ebenen von Patagonien bestehen an den Küsten aus unfruchtbaren Sanddünen, in denen Emu's und Guanaco's zwischen Dornengestrüpp das spärliche Gras abweiden. Im Innern dehnen sich einförmige, steinige Wüsten, welche von breiten, flachen Thälern durchzogen sind, in denen der Feuerländer Schutz vor den schneidenden Orcanen sucht, welche über das arme, dürftige Land sausen. -

- - Welche Absicht nun ist es gewesen, die jene weiten Ebenen gedehnt, die Berge zum Himmel gestreckt und die Thalfurchen durch den Boden gezogen hat?

Kühn und getrost können wir behaupten, daß ohne diese Abwechselung in der Bodengestaltung die Erde kein höheres, kein geistiges Leben zu beherbergen vermöchte, sondern eine Kugel bildete, deren Oberfläche aus weiten Wasser- und öden, unfruchtbaren und unbelebten Länderwüsten bestände.


Ende des sechsten Teils – Schluß folgt.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk