Nummer 19 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
8. Januar 1876


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3.
Berg und Thal.


»Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,
von welchen mir Hülfe kommt.«
                                                    Ps. 121, 1.


Selbst für den nüchternsten Realisten liegt in diesen Worten der frommen alttestamentlichen Poesie eine Aufforderung zum Nachdenken.

Es giebt keine Erscheinung der irdischen Natur, welche nicht unter dem bestimmenden und leitenden Einflusse jenes großen, erhabenen Geistes stände, nach welchem »der Zweifler« fragt:

»Waltet er im Glanz des Weltenstromes
     Und im Bach, der durch die Felsen hüpft?
Lebt ein Gott im Menschen und im Wurme?
     Hör ich ihn hier in dem Donnersturme,
Dort im Säufeln, das durch Mythen schlüpft?«

»Führe ich gen Himmel, siehe, so bist Du da; bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist Du auch da; nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meere, so würde doch Deine Hand daselbst mich führen und Deine Rechte mich halten!« Er klopft im Pulse des Menschenherzens wie im wogenden Busen des Meeres, er blitzt im Leuchten des Wetters und fährt durch die Himmel auf grollendem Donner, er waltet im Keime des Senfkornes und rauscht durch die riesigen Blätter des heiligen Zamang, er zuckt in der kleinsten Molluske und dampft aus den Nüstern des Wales, er rollt auf dem klingenden Wüstensande und braust um die stürzende Lawine, er leitet die kleinste Bewegung und beherrscht das riesigste Leben, ja, selbst die leblose Creatur ruht in seiner Hand: er sammelt in Adern das schimmernde Metall, macht aus Erde den leuchtenden Krystall, hebt die Giganten des Gebirges empor und schleudert die Flamme der Unterwelt durch die speienden Krater der Vulkane.

Nicht seine Gesetze sind es, sondern er selbst ist das Gesetz, nach welchem die Erde ihre Schluchten und Abgründe öffnet, ihre Ebenen dehnt und ihre Berge dunkel und schwer wie drohende Wolkenmassen sich höher und höher wölben und thürmen läßt. »Die Berge sahen Dich,« ruft der Prophet, »und ihnen wurde bange; der Strom des Wassers fuhr daher, die Tiefe ließ sich hören und die Höhe hob ihre Hände auf.« Nicht ein blinder Zufall ist es, welcher diesen Höhen ihre Richtung gegeben, den Flächen ihre Grenzen gesteckt und den Thälern ihren Lauf bezeichnet hat, sondern die bildenden und umgestaltenden Kräfte der Natur müssen, gehorsam einem allweisen und allgütigen Willen, ihre Felsenmauern grad' an dem Orte und in der Weise errichten, wo und wie es für das Bestehen und Wohlbefinden unserer sublunarischen Daseinsformen erforderlich und ersprießlich ist. Und dann schlägt, wie einst sein diener Moses, der Allmächtige an das todte Gestein, daß es sich öffnet, sich zertheilt, sich auflöst und Leben und Segen aus ihm hervorquillt für das weite Land und Alles, was auf demselben sich regt und bewegt.

Wie eine zwar oft zu Boden gerungene, immer aber stolz und siegreich sich wieder erhebende Riesin, den majestätischen, festen und langsamen Schritt zuweilen zu einem weiten, kühnen Sprunge beschleunigend, läuft jene Gebirgskette, welche aus dem sturmdurchwühlten Meere des Cap Horn an das Land von Südamerika steigt, nach Norden, wälzt ihre steinernen Wogen über die Landenge von Panama, senkt sich nieder in die Schnee- und Eisfelder der polarischen Zone, überschreitet, von Schritt zu Schritt das Felsenhaupt aus den Fluthen tauchend, die See von Kamtschatka, breitet ihre sich immer höher und machtvoller reckenden Glieder vom Lande der Tschuktschen aus über die ganze ungeheure Ländermasse, welche aus dem indischen Oceane sich erhebt, um im nördlichen Eismeere sich wieder zu verlieren, reckt die Mittelländer Afrika's zum Himmel auf und tritt herüber in das vielgespaltene Europa, welches sie in den mannigfaltigsten Zügen und Windungen liebevoll stützt und umarmt, um dann über den Dschevel al Tarik Anschluß zu suchen oder in den Insel des atlantischen Meeres sich zu verlieren.

Diese mächtige Reihenfolgen von Gebirgen bildet das Knochengerüste der Erde, welches dem Festlande Gestalt, Halt, Dauer und Physiognomie verlieht, die physikalischen Verhältnisse regelt und jedem Leben, jeder Bewegung einen deutlich erkennbaren Character aufprägt.

An dieses Gerippe legen sich die Flach- und Tiefländer der Erde, wie das Fleisch um das Skelet des animalischen Körpers, und die Vereinigung beider ist eine so verschiedene, daß die Oberfläche unseres Planeten in Beziehung auf ihre Gestaltung die reichste Abwechselung bietet.

Das Gebirge, um welches sich das Festland Amerika's lagert, sind die Anden, deren in Südamerika verlaufender Theil von den Geographen vorzugsweise mit dem Namen der Cordilleren bezeichnet wird. Dieses Wort heißt zu deutsch »Kette« und giebt ein deutliches Bild von der Gestaltung der ohne Unterbrechung fortlaufenden Bergesreihen.

Den Cordilleren gebührt der Ruhm, das längste Gebirge der Erde zu sein, wenn man einmal von der innern Zusammengehörigkeit sämmtlicher Bodenerhebungen absehen will. Freilich ist ihre Breite eine desto unbedeutendere, denn sie beträgt in Südamerika durchschnittlich kaum 18-20 Meilen, während die Länge 2000 deutsche Meilen noch übersteigt.

Wenn man von den Ebenen Brasiliens nach Westen vordringt, so erblickt man auf einmal einen mächtigen Damm, welcher den Horizont abschließt und in sanften Umrissen, umwoben von dem lieblichen Dufte der Ferne, sich anfangs darstellt, bald aber aus dieser Umhüllung hervortritt und sich frei dem Blicke bietet. Deutlich scheiden sich Felsketten und Schluchten, während hier und da über dem Kamme eine

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majestätischer Bergkoloß thront; die Formen werden bestimmter, Gipfel thürmt sich auf Gipfel und es scheint zuletzt, als ob der Himmel auf ihrem Zackenkamme ruhe.

Aber diese Höhen entbehren des Alles durchwehenden Lebensodems; es fehlt ihnen die milde, wohlthuende Wärme, welche den Keim aus der Erde lockt. Der Condor zieht seine Kreise um die nackten Felsen, hastig treibt der Hirt seine Heerde über die spärlich bewachsene Punna und nur der Goldsucher durchforscht die schneebedeckten, unwegsamen Schluchten. Denn wenn auch die Oberfläche des Bodens dem Wanderer in tiefster Armuth entgegenstarrt, so birgt das Innere der langen Bergesreihen doch Schätze, welche man fast unerschöpflich nennen möchte.

Lange galt der Chimborasso, eine der Cordillerenkuppen, für den höchsten Berg der Erde, doch ist ihm dieser Ruhm schon längst geraubt worden. -

Wandert man durch die ungeheuren Ebenen Sibiriens nach Süden, so steigt man über den Altai zu drei Hochebenen empor, welche terassenförmig über einander liegen und im Süden in die Gebirgslandschaften des Himalaya's verlaufen. In diesen Hochländern wechseln die größten Reize und Schönheiten mit den größten Gefahren und Schrecken, und daher kommt es, daß die über 30000 Quadratmeilen große Ländermasse uns lange noch nicht ein völlig enthülltes Räthsel ist.

Der Dhawalagiri (7750 Meter hoch) ist derjenige Berg, welcher dem Chimborasso den lange behaupteten Ruhm raubte, um ihn bald wieder an den Mount- Everest (8375 Meter) zu verlieren, und neuerdings haben die Gebrüder Schlagintweit die Höhe des Gaurisankar als noch bedeutender (gegen 8600 Meter) angegeben.

Der höchste Berg Vorderasiens ist der Ararat, dessen Gipfel 5500 Meter über dem Meere liegt. Seine Spitze besteht in einer Platte von 150 Schritten im Umfange, und auf ihr soll sich die Arche Noah's festgesetzt haben. Ebenso wie der Ararat, ist der Sinai aus der Bibel bekannt. Er spült seinen Fuß im rothen Meere und steigt bis zu einer Höhe von 2500 Metern empor. Noch heute heißt einer seiner zwei Kegel der Dschebel-Musa (Berg des Moses) weil Moses auf ihm die Gesetze seines Volkes von Gott empfangen haben soll.

Das bedeutendste Gebirge Europa's sind die Alpen, jenes durch seine Schönheiten so berühmte Hochland, zu welchem jährlich Tausende aus allen Weltgegenden herbeiströmen und dessen Pracht und Herrlichkeit kein Dichter auszusingen vermag.

»Am Abgrund leitet der schwind'liche Steg,
     Er führt zwischen Leben und Sterben;
Es sperren die Riesen den einsamen Weg
     Und drohen Dir ewig Verderben.
Und willst Du die schlafende Löwin nicht wecken,
     So wandle still durch die Straße der Schrecken,«

singt Schiller in seinem Bergliede; doch ebenso wahr klingt es auch:

»Abendliche Purpurfluth
     Wallt hinauf von Flüh'n zu Flüh'n,
Und du siehst ihr zitternd Bild
     Roth im dunklen See erglühn.
Liebe, die der Sonnengott
     Berg und Wolken hat gegeben,
Lockt aus der krystall'nen Fluth
     Dieses sanfte Purpurleben,«

und diese Gegensätze stehen einander nicht schroff gegenüber sondern werden friedlich vermittelt und vermählen sich zu Landschaftsbildern, wie sie kaum ein anderes Land der Erde aufzuweisen hat.

Der höchste Gipfel der Alpenwelt ist der Montblanc, welcher am 8. August 1786 von Doctor Paccard zum ersten Male erstiegen wurde. Er ist 14810 Fuß hoch.

Dem Gebirge in jeder Beziehung entgegengesetzt ist die Ebene. Wo sie in ihrer reinsten Form auftritt, da erscheint sie glatt, wie der Spiegel des Meeres, und der Horizont ist wie mit dem Lineale gezogen; aber in dieser Weise bietet sie, landschaftlich betrachtet, das Bild der Eintönigkeit, der Oede, ja des Todes.

Die verschiedenen Arten der Ebene werden gekennzeichnet durch die Verschiedenartigkeit des Pflanzenlebens, und unterscheidet man, je nachdem die Fläche mit Baum, Strauch, Kraut und Gras bewachsen oder aller Vegetation bar ist, Savannen, Steppen und Wüsten.

Von der Westküste Afrika's bis weit in das Hochland Hinterasiens hinein zieht sich ein gewaltiger, 2000 Meilen langer Gürtel dürren, unfruchtbaren Bodens. An die großen Wüsten Afrika's schließen sich die öden Flächen des steinigten Arabiens; dann folgen die Wüsten Persiens und Afghanistans, die endlich in den Wüsten der Bucharei und Mongolei ihren Abschluß finden. Auf diese ganze ungeheure Länderstrecke läßt sich Ferdinand Freiligrath's bekanntes Wort:

»Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere,
     Wer sie durchritten hat, dem graust.
Sie liegt vor Gott in ihrer Leere
     Wie eine öde Bettlerfaust«

anwenden, obgleich die Vorstellung, welche man sich von der Wüste macht, meist nicht die richtige ist.

1300 bis 1700 Meter hoch über dem Meere liegt die Gobi, d.i. die große Wüste. Während des Sommers ragen auf ihren Randstrecken die schwarzen Filzhütten mongolischer Nomaden empor; Kalmücken- und Kirgisenhorden durchstreichen heimathslos die Hochebene, deren wilde Pferdeschwärme die kühnen Reiter oft weit hineinlocken in die Ebene zur gefährlichen, aufregenden Jagd. Beladen mit Thee, Porzellan, Seide und lackirten Schmucksachen kehren zahlreiche Karavanen von den chinesischen Grenzörtern nach den Handelsplätzen am Baikelsee zurück.

Aber seitwärts von der Handels- und Karavanenstraße liegt die »Schamo« (d.i. Sandmeer), eine vollständige Sand- und Steinwüste. Der dürre, aus nackten Steinschollen und grobkörnigem Grus und Sand bestehende Boden ist vollständig wasserleer, und so gedeiht hier weder ein bescheidenes Kraut, noch das mit dem Thau der Nacht zufriedene Gras. Hier flattert kein Vogel, keine leichtfüßige Gazelle drückt ihre Spur dem harten Boden ein, ja nicht einmal das Summen eines einsamen Insectes unterbricht die ewige Todtenstille. Auch der Mensch meidet diesen Ort der traurigsten Leere. Und doch entfaltet die Schamo erst im Winter die größten ihrer Schrecken.

Horch! Hohl und dumpf braust es von Norden herauf. Ein seltsames, unheimliches Flimmern spielt über dem Horizonte; Bewegung und Leben kommt in die starren Schneemassen und flache Hügel bauen sich auf, wo noch soeben das weite Schneefeld sich dehnte.


Ende des fünften Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk