3.
Berg und Thal.
»Ich hebe meine Augen auf zu den
Bergen,
von welchen mir Hülfe kommt.«
Ps. 121, 1.
Selbst für den nüchternsten Realisten liegt in diesen Worten der frommen
alttestamentlichen Poesie eine Aufforderung zum Nachdenken.
Es giebt keine Erscheinung der irdischen Natur, welche nicht unter dem
bestimmenden und leitenden Einflusse jenes großen, erhabenen Geistes
stände, nach welchem »der Zweifler« fragt:
»Waltet er im Glanz des Weltenstromes
Und im Bach, der durch die Felsen hüpft?
Lebt ein Gott im Menschen und im Wurme?
Hör ich ihn hier in dem Donnersturme,
Dort im Säufeln, das durch Mythen schlüpft?«
»Führe ich gen Himmel, siehe, so bist Du da; bettete ich mir in die Hölle,
siehe, so bist Du auch da; nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am
äußersten Meere, so würde doch Deine Hand daselbst mich führen und Deine
Rechte mich halten!« Er klopft im Pulse des Menschenherzens wie im
wogenden Busen des Meeres, er blitzt im Leuchten des Wetters und fährt
durch die Himmel auf grollendem Donner, er waltet im Keime des Senfkornes
und rauscht durch die riesigen Blätter des heiligen Zamang, er zuckt in
der kleinsten Molluske und dampft aus den Nüstern des Wales, er rollt auf
dem klingenden Wüstensande und braust um die stürzende Lawine, er leitet
die kleinste Bewegung und beherrscht das riesigste Leben, ja, selbst die
leblose Creatur ruht in seiner Hand: er sammelt in Adern das schimmernde
Metall, macht aus Erde den leuchtenden Krystall, hebt die Giganten des
Gebirges empor und schleudert die Flamme der Unterwelt durch die speienden
Krater der Vulkane.
Nicht seine Gesetze sind es, sondern er selbst ist das Gesetz, nach
welchem die Erde ihre Schluchten und Abgründe öffnet, ihre Ebenen dehnt
und ihre Berge dunkel und schwer wie drohende Wolkenmassen sich höher und
höher wölben und thürmen läßt. »Die Berge sahen Dich,« ruft der Prophet,
»und ihnen wurde bange; der Strom des Wassers fuhr daher, die Tiefe ließ
sich hören und die Höhe hob ihre Hände auf.« Nicht ein blinder Zufall ist
es, welcher diesen Höhen ihre Richtung gegeben, den Flächen ihre Grenzen
gesteckt und den Thälern ihren Lauf bezeichnet hat, sondern die bildenden
und umgestaltenden Kräfte der Natur müssen, gehorsam einem allweisen und
allgütigen Willen, ihre Felsenmauern grad' an dem Orte und in der Weise
errichten, wo und wie es für das Bestehen und Wohlbefinden unserer
sublunarischen Daseinsformen erforderlich und ersprießlich ist. Und dann
schlägt, wie einst sein diener Moses, der Allmächtige an das todte
Gestein, daß es sich öffnet, sich zertheilt, sich auflöst und Leben und
Segen aus ihm hervorquillt für das weite Land und Alles, was auf demselben
sich regt und bewegt.
Wie eine zwar oft zu Boden gerungene, immer aber stolz und siegreich sich
wieder erhebende Riesin, den majestätischen, festen und langsamen Schritt
zuweilen zu einem weiten, kühnen Sprunge beschleunigend, läuft jene
Gebirgskette, welche aus dem sturmdurchwühlten Meere des Cap Horn an das
Land von Südamerika steigt, nach Norden, wälzt ihre steinernen Wogen über
die Landenge von Panama, senkt sich nieder in die Schnee- und Eisfelder
der polarischen Zone, überschreitet, von Schritt zu Schritt das
Felsenhaupt aus den Fluthen tauchend, die See von Kamtschatka, breitet
ihre sich immer höher und machtvoller reckenden Glieder vom Lande der
Tschuktschen aus über die ganze ungeheure Ländermasse, welche aus dem
indischen Oceane sich erhebt, um im nördlichen Eismeere sich wieder zu
verlieren, reckt die Mittelländer Afrika's zum Himmel auf und tritt
herüber in das vielgespaltene Europa, welches sie in den mannigfaltigsten
Zügen und Windungen liebevoll stützt und umarmt, um dann über den Dschevel
al Tarik Anschluß zu suchen oder in den Insel des atlantischen Meeres sich
zu verlieren.
Diese mächtige Reihenfolgen von Gebirgen bildet das Knochengerüste der
Erde, welches dem Festlande Gestalt, Halt, Dauer und Physiognomie
verlieht, die physikalischen Verhältnisse regelt und jedem Leben, jeder
Bewegung einen deutlich erkennbaren Character aufprägt.
An dieses Gerippe legen sich die Flach- und Tiefländer der Erde, wie das
Fleisch um das Skelet des animalischen Körpers, und die Vereinigung beider
ist eine so verschiedene, daß die Oberfläche unseres Planeten in Beziehung
auf ihre Gestaltung die reichste Abwechselung bietet.
Das Gebirge, um welches sich das Festland Amerika's lagert, sind die
Anden, deren in Südamerika verlaufender Theil von den Geographen
vorzugsweise mit dem Namen der Cordilleren bezeichnet wird. Dieses Wort
heißt zu deutsch »Kette« und giebt ein deutliches Bild von der Gestaltung
der ohne Unterbrechung fortlaufenden Bergesreihen.
Den Cordilleren gebührt der Ruhm, das längste Gebirge der Erde zu sein,
wenn man einmal von der innern Zusammengehörigkeit sämmtlicher
Bodenerhebungen absehen will. Freilich ist ihre Breite eine desto
unbedeutendere, denn sie beträgt in Südamerika durchschnittlich kaum 18-20
Meilen, während die Länge 2000 deutsche Meilen noch übersteigt.
Wenn man von den Ebenen Brasiliens nach Westen vordringt, so erblickt man
auf einmal einen mächtigen Damm, welcher den Horizont abschließt und in
sanften Umrissen, umwoben von dem lieblichen Dufte der Ferne, sich anfangs
darstellt, bald aber aus dieser Umhüllung hervortritt und sich frei dem
Blicke bietet. Deutlich scheiden sich Felsketten und Schluchten, während
hier und da über dem Kamme eine