Nummer 18 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
31. Dezember 1875


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2.
Land und Wasser.
(Schluß.)

Fragen wir nicht, wie beide, Land und Wasser, sich in einer Schöpfungsperiode bildeten, welche um viele Jahrtausende hinter der Gegenwart liegt. Sie sind da und tragen das Ihrige zu den Bestandtheilen des Körpers bei, welcher uns und allen irdischen Wesen gegeben ist. Bewundern wir vielmehr die Allmacht Gottes, welche aus einer Hand voll Staubes und einer kleinen Menge Wassers Körper formte, deren Darstellung selbst der größesten Kunst und Wissenschaft eine ewige Unmöglichkeit bleiben wird und die zur Wohnung von Geistern dienen, deren Ursprung und Zukunft als unerforschte Räthsel in der Hand des himmlischen Vaters liegen.

Die alten Bewohner Mesopotamiens erzählten sich eine Geschichte von Oannes, dem großen Lehrer, welcher aus den Fluthen des Wassers stieg, um die Menschen zu unterrichten in Allem, was ihnen zu wissen nöthig war. Diese Sage sollte den Einfluß bezeichnen, welchen das flüssige Element auf die Entwickelung der Erde und ihrer Bewohner hervorbringt, die durch die friedlichen oder zerstörenden Wirkungen des Wassers freiwillig oder gezwungen zu Betrachtungen und Beobachtungen geführt wurden, deren kluge Befolgung eine immer weitere Bildung nach sich zog.

Wenn der Psalmist die Angst seines Herzens nicht besser und wahrer zu beschreiben vermag, als durch die Worte: »Gott, hilf mir, denn das Wasser gehet mir bis an die Seele!« so durfte er für eine Qual seines Herzens Trost bei dem Allgütigen suchen und finden; wenn aber die wirklichen Fluthen über das Land brausen und dem bedrohten Menschenkinde »bis an die Seele gehen,« so führt kein Gebet, sondern die kräftige Anstrengung seines schwimmenden Armes ihn an das rettende Ufer, und die Noth und Gefahr wird ihm zur Lehrerin, deren Stimme er niemals wieder vergessen kann.

Wie sehr die todte, starre Erde des belebenden Wassers bedarf, zeigt sich am Augenfälligsten da,

» ... wo sich im Sonnenbrande
     Die öde Hammada erstreckt
Und man im glühend heißen Sande
     Nicht einen grünen Halm entdeckt,«

wo die zitternden Reflexe des Sonnenlichtes sich als Mark und Bein verzehrende Fluth über den sterilen Boden lagern und es nur dem künstlich emporgezwungenen Tropfen gelingt, aus dem versengten Lande eine Oase, »das grünende Auge der Wüste,« hervor zu zaubern. Und der Segen des einzelnen Tropfens wächst mit dem hervorsprudelnden Quell, dem schwellenden Bache, dem rauschenden Strome und findet seine größte Bedeutung in den »Leben spendenden Wogen des Meeres.«

Darum waren schon in den ältesten Zeiten die Wellen der Schauplatz heiliger Handlungen, ja sogar Gegenstand der Anbetung, darum sprach Christus am Brunnen zu Sichar vom »Wasser des Lebens«, und darum knüpfte er an das Wasser sein Sacrament von der Aufnahme in den Bund der christlichen Kirche.

Anfänglich stand der Mensch rathlos vor dem brausenden Schwalle der Brandung und schrieb sein »Finisterre« an die vom schäumenden Gischte bedeckten Felsen der Meeresküste. Bald aber trieb ihn die Notwendigkeit oder der Unternehmungsgeist hinaus auf die offene See; die Ungeheuer, mit denen seine ängstliche Phantasie die feuchte Tiefe bevölkert hatte, kleideten sich in freundliche Formen; die Säulen des Herkules, die Scylla und Charypdis verloren ihre Schrecken, und das kühne Auge des Entdeckers erkannte in dem »weltumgürtenden« Oceane einen Sammelplatz unerschöpflichen Reichthums und die Tummelstätte eines alle Länder verbindenden und alle Völker mit sich fortreißenden Verkehres.

Die Gefahren und Wunder des Oceans, welche den früheren Menschen erschreckten, haben dem männlicher gewordenen Geiste gegenüber ihr Fürchterliches verloren und reizen ihn zu jenem fruchtbaren Forschen und Wagen, welches trotz allen Martyrerthums für Wissenschaft und Leben gleich große Erfolge in sich birgt. Sein »Sesam, thue dich auf!« schallt gebieterisch über die Schätze bergenden Wasser; seine segelbefiederten Adler schlagen, vom hohen Stapel stürzend, ihre schimmernden Schwingen von Küste zu Küste, von Continent zu Continent; seine Dampfräder schäumen durch Ebbe und Fluth, und seine Maschinen bohren die mächtigen Schrauben durch Strudel und Strömungen; seine Eisenschienen überbrücken die Arme der Meere, seine Tunnels steigen bis unter den Grund der Flüsse und des Oceans, und sein geflügeltes Wort zuckt mit dem electrischen Funken hoch in der Luft und tief unten im Grunde der See rund um die wirbelnde Erde. Für ihn hat »das Wasser Balken,« denn er ist Herr des Elementes geworden, welches nur Dem sich feindlich zeigt, welcher sich muthlos und feig vor den Gewalten beugt, die dem Geschlechte der Menschen zu Diensten bestimmt sind.

Land und Wasser. Wie verschieden sind beide einander, und doch giebt es Aehnlichkeiten zwischen ihnen. Man stelle sich auf den Stock eines hohen Gebirges und werfe das Auge auf die rundum in immer größerer Tiefe und Entfernung sich wellenförmig wölbenden, bald den blitzenden Sonnenstrahl zurückwerfenden, bald in Grün sich kleidenden und in dunstblauer, nebelhafter Ferne sich verlierenden Bergeskuppeln, und der Eindrucke wird derjenige eines Meeres sein, dessen Wogen unter dem Winke eines allmächtigen Willens mitten im Sturme zu Stein erstarrt sind. Und man stelle sich an das Ufer des Oceans; man sehe, wie seine Fläche sich weit und immer weiter ausbreitet, eine Welle, eine Woge hinter der andern sich emporthürmt und die drohenden Wasser aufsteigen wie eine in verschwimmender Höhe bis in die Wolken und den Aether reichende Wand, und der Eindruck

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wird derjenige einer Gebirgsmasse sein, welche, in den Gluthen des Erdinnern brodelnd und von denselben emporgehoben, ihre Häupter und Gipfel in ewiger Bewegung durcheinander wirft. -

Wenn Lenau sagt:

»Wie mich oft in grünen Hainen
     Ueberrascht ein dunkles Weh,
Muß ich nun auch plötzlich weinen,
     Weiß nicht wie, hier auf der See,«

so klingt aus seinen Worten die Aehnlichkeit zwischen Land und Wasser in der Wirkung, welche der Anblick des Mächtigen, des Erhabenen in der Menschenbrust hervorbringt. Es ist jenes Empfinden der gegenwärtigen Kleinheit und Bedeutungslosigkeit, jenes Ahnen einer besseren und höheren Zukunft, welches das Herz beschleicht, den Busen schwellt und das Auge unwillkürlich mit wehmüthigen und doch wohlthuenden Thränen befeuchtet. Und wer diese Macht des Eindruckes empfunden, der kann und mag nimmer davon lassen. Mag die Armuth den Gebirgsbewohner weit hinaus in die Fremde, hinunter in das flache Land treiben, er muß doch zurück und findet Ruhe nur zwischen den aufstrebenden Zacken seiner Berge, und mag der Seemann weit hineinwandern in das grünende und blühende Land und schwelgen in Vogelsang und Blumenduft, es kommt doch die Stunde, in welcher ihn die Sehnsucht nach dem Meere übermannt und ihn zurückzieht auf die Planken seines Fahrzeuges, wo er dem gewohnten Sogge lauschen und dem Sturme kühn die Stirn bieten kann.

Ihm ist das Meer die Geliebte, welche mit ihrer Schönheit seine Sinne gefangen nimmt, in nie sich erschöpfender, wechselvoller Laune ihn in steter Arbeit und Bewegung erhält und sich bald mit freundlichem Lächeln, bald mit schmollendem Zürnen, bald mit drohender Erregung seinen Willen unterwirft.

Ja, es ist wahr, mag das Festland der Gefahren und Abenteuer noch so viele bieten, so ist doch die See das fruchtbarste Feld zur Bewährung des persönlichen Muthes, der Besonnenheit, der Geistesgegenwart, überhaupt der Ueberlegenheit des Geistes über die Materie. Denken wir uns einen Sturm, wie ihn der Dichter beschreibt:

»Und siehe, aus der weiten Ferne
     Zieht doch das Wetter schon heran;
Es fliehen ahnungsvoll die Sterne
     Und der Passat wird zum Orkan.
Da glühet in dem Wetterleuchten
     Der aufgeregten Wogen Gischt,
Die, als ob sie zum Himmel reichten,
     Sich bäumen, daß es dampft und zischt.
Da hängt die Wolke bis zur Welle,
     Der Himmel bis ins Meer herab;
Da stürzt der Blitz, der tageshelle,
     Sich flammend in das feuchte Grab.
Die Windesbraut, das Steuer höhnend,
     Reißt jäh die Barke mit sich fort.
Gebeugt von ihrer Wucht, stürzt dröhnend
     Der Mast zu Deck und über Bord.
Da höret man der Brandung Brausen;
     Schon glänzet durch die Nacht ihr Schaum -
Ein Stoß - ein Schrei - und Wogen sausen
     Durch Leck und Luken in den Raum.
Da sitzet an dem frühen Morgen
     Das Wrack am öden, fernen Strand,
Da ruhet Alles wohl geborgen
     Tief unten in des Meeres Sand;
Da liegt der Mensch mit seinem Hoffen,
     Mit all' dem Glück, das ihm gelacht,
In seiner besten Kraft getroffen
     Von einer einz'gen Wettersnacht,«

so muß man dem kühnen Manne, welcher sich dem schwachen Baue seiner Hände anvertraut, um sich durch Noth und Tod zum fernen Land zu ringen, wohl Bewunderung zollen. Er kämpft mit der Macht des Sturmes und des Wetters, der Strömungen und Gezeiten und weiß selbst der Barre, dem Maskaret, der Bore oder Pororóca zu entgehen, jener furchtbarem senkrechten Wassermauer, welche unter meilenweit hörbaren Brüllen aus dem Meere in die Mündungen der Ströme tritt und allem Menschenwerk mit augenblicklicher und vollständiger Vernichtung droht. Er segelt mit demselben Muthe unter der Hitze des Aequators, welche die Planken seines Schiffes ausdorret, sodaß der Theer aus allen Fugen läuft, wie in den Breiten des Nordpoles, wo er sich durch die Flarden des gefrorenen Meeres sägt und zwischen Eisbergen schwimmt, deren Größe man schon auf 1500 Millionen Kubikfuß geschätzt hat.

Die Verachtung aller Gefahr geht sogar so weit, daß z.B. einer der berühmtesten englischen Seeleute den atlantischen Ocean nicht anders als »den alten Häringsteich« nannte, ein Umstand, der es uns nicht als ein Wunder erscheinen läßt, daß die Chinesen die Engländer am Liebsten mit dem Worte »Yang-kuei- dze«, d.h. »Meerteufel«, bezeichnen.

Flüchtig und ruhelos wie die beiden Elemente, in denen sie sich bewegen, sind die Erscheinungen des Oceans gegenüber denen des Festlandes, welches dem Anker einen Grund und dem Menschen eine Heimath gewährt. Deshalb hat die bleibende Scholle einen unendlich höheren Werth für den Erdensohn als die trügerische und flüchtige Woge, und mit Blut und Leben steht er ein für das Fleckchen Erde, welches er sein Eigen oder sein Vaterland nennen darf.

»Wir pflügen unser eigen Land;
     Wir habens wohl errungen.
D'rum fechten wir auch Hand in Hand
     Wenn Feinde eingedrungen«

klingt es im Yankee-Doodle, und dieses Erringen und Behaupten hat Heldenthaten geboren, von denen »noch der Nachwelt Stimme spricht.«

Wen das Schicksal, ihm den ruhigen Genuß des heimischen Heerdes verwehrend, hinaustrieb in die weite Welt, der lernt aus der Größe seiner Entsagung und der Macht seiner zurückblickenden Sehnsucht die Bedeutung des Verlorenen erkennen; denn wenn wir auch hier »keine bleibende Stätte haben,« so sind wir doch mit tausend Banden an den Boden gefesselt, dem wir entwuchsen, und ob die Fremde uns noch so Vieles gewährt, Eins versagt sie uns doch: die Stillung jenes tiefinnern Wehes, welches Conrad Crez, der deutsche Dichter in Amerika, so treffend zu zeichnen versteht:

»Land meiner Väter, länger nicht das meine,
     So heilig ist kein Boden, wie der deine.
Nie wird dein Bild aus meiner Seele schwinden,
     Und knüpfte mich an dich kein lebend Band,
Es würden mich die Todten an dich binden,
     Die deine Erde deckt, mein Vaterland!«

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Ende des vierten Teils – Berg und Thal.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk