In engster Beziehung zur Kirche hat seit
jeher die Schule gestanden.
Wem fällt bei letzterem Worte nicht jener verhängnißvolle Tag ein, an
welchem er von der fürsorglichen Mutter unter tröstlichem Zureden in jenes
Haus geführt wurde, aus dessen geöffneten Fenstern während der
wöchentlichen Singstunden die berühmten Compositionen
»Es tanzt ein Pu - Pa - Putzemann
In unserm Haus herum didum«
oder
»Wer meine Gans gestohlen hat,
Der ist ein Dieb,
Wer mir sie aber wiederbringt,
Den hab ich lieb«
in die Ohren der aufmerksam lauschenden Straßenjugend erschallten? Dem
armen Schulbankcandidaten war so »duselig und gruselig« zu Muthe bei den
Blicken, welche der Herr »Magister« über die Brillengläser hinweg ihm
zuwarf; räthselhafte Gegenstände - riesige schwarze Tafeln, gigantische
Lineäler, Besorgniß erregende Buchstabenkästen, Schwamm, Kreide, wandgroße
Landkarten - blickten ihm entgegen, und dort auf dem Pulte lag auch jenes
liebenswürdige Ruthengeflecht, von dem der Volkswitz singt:
»Der Hansjörg ist bekannt
In ganz Schlesingerland;
Wenn er gleich betrunken ist,
Hat er doch seinen Verstand«,
oder der ominöse Haselstock, dessen holdes Dasein den Dichter zu der
anerkennenden Betrachtung begeistert:
»Trägt der Knabe seine ersten Hosen,
Steht schon ein Pedant im Hinterhalt,
Der ihn hudelt, ach, und ihm der großen
Römer Weisheit auf den Rücken malt.«
Dunkle Ahnungen stiegen in dem kleinen sechsjährigen Herzchen empor, und
die beengenden Gefühle desselben machten sich erst in einem leise
versuchenden Schluchzen und sodann in lautem Weinen Luft, welches
allerdings beim Anblicke der gebräuchlichen und verheißungsvollen
Zuckerdüte einem seligen Lächeln weichen mußte.
Dieses thränende Lächeln ist für eine ganze Reihe von Jahren des Lernens,
ja, wohl für die ganze Lebenszeit von prophetischer Vorbedeutung gewesen.
Ueber unser kurzes Dasein ziehen der Wolken gar viele, und die Lichtblicke
des Glückes sind seltener, als der Sterbliche sie wünscht. Nur durch
Arbeit gelangt er zu den Zielen, deren Erreichung der Zweck seines Lebens
ist und ihm ermöglicht wird durch die Ausbildung seiner körperlichen und
geistigen Fähigkeiten, wie sie die Aufgabe der Schule ist.
Da die wenigsten Eltern die nöthigen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen,
oder die Zeit haben, um ihren Kindern diejenigen Eigenschaften
mitzutheilen, welche zur allgemeinen menschlichen Bildung sowohl, als auch
zu ihrer künftigen Bestimmung nothwendig sind, so ist die Errichtung von
Schulen eines der hervorragendsten Bedürfnisse, und dem Staate, welcher
die Verpflichtung hat, seine Angehörigen zu tüchtigen Menschen und Bürgern
zu bilden, ist die Aufgabe ertheilt, für Gründung, Erhaltung und
Verbesserung der Schulen nach besten Kräften zu sorgen.
Oeffentliche Anstalten zu einer geordneten Jugendbildung entstanden erst
mit der fortschreitenden Entwickelung der Menschen, und in den ältesten
Zeiten war der Besuch der Schulen ein Vorrecht für besondere Stände,
während das eigentliche Volk davon ausgeschlossen blieb; so in Indien,
China, in Babylon, bei den Chaldäern und Medern, Egyptern, Juden, Griechen
und Römern. Bei den germanischen Völkern gab es keine Schulen.
Das Christenthum leitete eine neue Epoche des Schulwesens ein. Seinem
ganzen Geiste und seiner Tendenz nach mußte es die innere Ausbildung aller
Menschen bezwecken, und so geschah es, daß mit der Anstalt der
christlichen Kirche allenthalben Schulen verbunden wurden, aus denen sich
das entwickelte, was wir die eigentliche Volksschule nennen. Christus
selbst sammt seinen Aposteln gehörte dem Volke an, und seine Lehre
erstreckte sich nicht nur auf die Erwachsenen, sondern drang bald auch in
die jugendlichen Kreise. Die erste christliche Knabenschule gründete der
Presbyter Protogenes gegen Ende des zweiten Jahrhunderts zu Edessa. Jetzt
hat auch der geringste, der abgelegenste Ort seine Schule, und es giebt
keinen sicherern Gradmesser für den Bildungszustand eines Volkes, als den
Stand seiner Schulen und die Aufmerksamkeit, welche den letzteren von
Seiten des Staates gewidmet wird.
Von den Volksschulen sind die Fach- und Gelehrtenschulen zu unterscheiden,
welche höhere oder enger begrenzte Zwecke verfolgen als die ersteren.
Eine ähnliche Aufgabe, wie die der Schulen, wird in denjenigen Häusern
verfolgt, welche der zwangsweisen Erziehung, der Besserung gewidmet sind.
Hier berühren wir einen wunden Punkt in dem Körper der menschlichen
Gesellschaft, dessen Heilung trotz aller Anstrengung erfolglos erstrebt
worden ist. Die Sünde, das Verbrechen frißt wie ein böses Geschwür an der
Gesundheit und dem Wohlbefinden der Nationen, und die Strafgesetzgebungen
werden fast von Jahr zu Jahr paragraphenreicher. Wer die Geschichte dieser
Gesetzgebungen schreiben wollte, müßte seine Feder in Jammer tauchen und
dennoch würde es ihm nicht gelingen, ein treffendes Bild jenes Elendes zu
entwerfen, welche sich wie ein Sumpf zu beiden Seiten der menschlichen
Irrwege dahinzieht.
Aber warum betritt der denkende Mensch diese Wege? Der Denkende? nein, der
irrig Denkende betritt sie, und eine Anklage darf sich weniger gegen ihn
als vielmehr gegen die-