Nummer 46 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
15. Juli 1876


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8.
Haus und Hof.
(Schluß.)

Das Wort Haus erscheint in sehr zahlreichen Zusammenstellungen mit anderen Wörtern und hat auch an für sich eine gar verschiedene Bedeutung.

Hauswirth, Hausherr, Hausfrau, Hausmann, Hausknecht, Hauszwist, Hausfriede, Hausgeräth, Haushaltung, Hausrath, das sind so einige von den erwähnten Wortverbindungen, keine von ihnen aber ist von einer so hohen Wichtigkeit, keine von ihnen greift so tief in die verschwiegenen und zarten Verhältnisse des Privatlebens ein, wie die drei Silben »Hausschlüssel.«

Welch eine Fülle von guten und schlimmen, ernsten und heiteren, glücklichen und schauderhaften Erinnerungen dieses inhaltsschwere Wort zu erwecken vermag, das weiß ein Jeder, sei er nun jung oder alt, »behauskreuzt« oder unbeweibt, und wenn die Hausschlüssel reden oder gar schreiben könnten, so würde in kurzer Zeit die Welt von einer wahren Sturmfluth von offenbarten häuslichen Geheimnissen überschwemmt werden, welche Jedermann zur Warnung, Abschreckung und - Nachahmung dienen könnten.

»Wer nie zu lang im Wirthshaus saß,
     Wer nie durchklapperte des Winters Nächte,
Weil er den Passepartout vergaß,
     Der kennt euch nicht, ihr Schicksalsmächte!«

Da die menschliche Wohnung den ursprünglichen Zweck hatte, die Glieder einer Familie zu vereinigen, so wird das Wort Haus oft gleichbedeutend mit Familie gebraucht. »Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen,« lautet in dieser Beziehung ein bekannter biblischer Ausspruch. Eine weitere Bedeutung bekommt das Wort, indem es im Sinne des »Geschlechtes« gebraucht wird und alle Neben- Seitenverwandten der Familie mit ihren Ahnen bis zurück auf den Stammvater umfaßt. »Das Haus Wlfe, das Haus Bourbon etc. hat aufgehört zu regieren!« lauteten die Dictate Bonaparte's, dem nachher selbst die Strophe gedichtet wurde:

»Und zu derselben Stunde
     Schließt auch das Grab sich schon;
Das war die letzte Stunde
     Vom Haus Napoleon!«

Solch' ein Geschlecht, solch' ein Haus hat oft eine ganz bedeutende politische, ja weltgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen; die Traditionen erben von Glied zu Glied immer weiter fort, und jedes neu hervorsprossende Reis des gewaltigen Baumes sucht Blüthen und Früchte zu treiben. Mit den Kräften wachsen auch die Ziele, und wo das Kind an dem geistigen Vermächtnisse des Vaters hält und demselben die jeweiligen Verhältnisse dienstbar zu machen sucht, da erstarkt der Stamm selbst auf sonst unfruchtbarem Boden, und es wachsen jene kraftvollen Dynastieen heran, von welchen diejenige der Hohenzollern ein lautzeugendes Beispiel ist.

Auch die Bildersprache hat sich des Wortes Haus bemächtigt, wie man sich zum Oefteren überzeugen kann. »Du bist ein altes, gutes, treues Haus!« hört man zuweilen sagen, und es ist diese Redensart keine gedankenlose, denn man will damit im Character eines Menschen diejenige Traulichkeit und Gemüthlichkeit andeuten, welche vorzugsweise Eigenschaften solcher Wohnungen sind, deren Behaglichkeit mit dem Alter gewachsen ist.

»Haus und Hof,« denn zu einem Hause gehört ein Hof, und wer's möglich machen oder erschwingen kann, der hängt auch noch ein Gärtchen d'ran, von wegen der Zwiebeln und Petersilie für die »theure« Hausfrau, oder auch um etwas Levkoj und Reseda zu »erbauen.« So ein Blumen- und Gemüsegärtchen bietet der Annehmlichkeiten gar viele, und wer's nun gar noch zu einem Rettigsbirnen- und Franzapfelbaume bringt, der ist schier zu beneiden.

So ist's in der Stadt. Auf dem Lande freilich sind die Verhältnisse anders; da nehmen die Höfe ganz andere Dimensionen an, und die Gärten dehnen sich oft über sehr bedeutende Areale. Daß hier der Hof von größerer Bedeutung ist, beweisen die Bezeichnungen Pachthof, Bauernhof etc., und sehr oft wird die ganze Besitzung nach dem Namen ihres Inhabers Ruppertshof, Uhligshof, Petershof oder in Beziehung auf sonstige Umstände Teichhof, Berghof, Lindenhof, Tannenhof etc. genannt.

Daß der Hof nicht eine zufällige Einrichtung ist, sondern einer Naturnothwendigkeit entspricht, beweist der Umstand, daß sogar der Mond einen hat, und wer die Einrichtung desselben kennen lernen will, der mag sich nur getrost direct an den alten Nachtschwärmer selber wenden, weil der jedenfalls die beste Auskunft darüber geben kann. Dem haben es jedenfalls die Kaiser, Könige, Herzöge, Fürsten, Grafen und sonstigen großen Herren abgelauscht, die sich mit einem Hofe umgeben, dessen Glanz und Pracht oft mit recht elegischem Schimmer in den Säckel gewisser Nichthöfler hineinleuchtet. So ein Hof ist etwas gar grausam Vornehmes, und wer die Erlaubniß bekommt, sich »Hofzweckenschmied« oder »Hofwichslieferant« zu nennen und zu schreiben, der darf ohne Bedenken sich an die Brust schlagen und ausrufen: »Gott Lob, ich bin ein großer, ein gemachter Mann!«

Wer da etwa glaubt, daß man unter einem Hofe nur so ein prosaisches Ding zu verstehen habe, auf welchem die Frau Nachbarin ihre Wäsche trocknet und ihre Kartoffeln putzt, der mag sich einmal erklären lassen, was es heißt, irgend Jemandem »den Hof machen.« Ob diese bildliche Redeweise von dem französischen cours d'amour abzuleiten ist, oder ob man das dabei zu beobachtende Gebahren dem befiederten Sultan abgelauscht hat, welcher, mit dem rothen Fez auf dem Haupte und den Rittersporen an den Füßen, mit herablassender Würde oder cavaliermäßiger Tournüre sich um die Gunst seiner gackernden Huldinnen bewirbt, das

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haben die Gelehrten noch nicht entschieden. Soviel aber ist gewiß, daß sich gar manch Eine den Hof gern machen ließe, aber es ist ein großer Fehler dabei, nämlich der, daß sich Keiner dazu finden will. -

Haus und Hof, beide gehören zusammen und ergänzen sich bei der Befriedigung derjenigen Ansprüche, welche der Mensch an seine Wohnung etc. macht. Daher ist es kein Wunder, wenn man das Eine oft für das Andere gebraucht und z.B. statt Gasthaus Gasthof, statt Pack- und Schlachthaus Pack- und Schlachthof sagt. Selten wohl wird es ein Haus geben, welches wirklich keinen Hof aufzuweisen hätte, haben doch sogar diejenigen Häuser, welche der Freiheitsentziehung gewidmet sind, die Gefängnisse, ihre Höfe, durch welche es den Insassen ermöglicht ist, zuweilen auf liebevolles Commando »in Ostra's Schattenau sich zu ergehn.«

Auch die hervorragendsten unter allen Häusern, die »Gotteshäuser«, haben oder vielmehr hatten ihre Höfe. Die religiöse Pietät umgab die Kirchenplätze gern mit Mauern, zwischen denen die entschlafenen Erdenwanderer zur Ruhe bestattet wurden. Ihr erster Lebensgang hatte zur Kirche geführt, wie Schiller in seiner »Glocke« sagt:

»Denn mit der Freude Feierklange
     Begrüßt sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
     Den es in Schlafes Arm beginnt;«

jeder bedeutende Moment ihres Daseins rief sie in das Gotteshaus, dessen eherne Zungen ihnen auch zum letzten Valet läuteten, und so versammelte man die Hüllen der Abgeschiedenen an dem Orte, an welchen ihren unsterblichen Seelen der Weg empor zum Himmel gewiesen worden war. Die Gegenwart mit ihren auf das Praktische gerichteten Bestrebungen hat trotz aller Achtung vor den religiösen Traditionen erkannt, daß die ewige Seligkeit nicht durch die Schmälerung irdischer Rechte erhöht werden könne, und eines der hervorragendsten unter diesen Rechten bezieht sich auf die Gesundheit des Körpers, welche durch die Miasmen der Fäulniß arg geschädigt wird. Deshalb greift die Sanitätspolizei mit unnachsichtlicher Hand hinein in die alten Gebräuche, um Dasjenige zu entfernen, was dem körperlichen Wohlbefinden schädlich ist. Man möge den häßlichen Prozeß der Verwesung immerhin durch blumengeschmückte Hügel dem Auge entziehen, aber man lasse diesen gesundheitswidrigen Vorgang nicht inmitten reichbevölkerter Orte stattfinden, wie es bisher der Fall war. Der Ort der letzten Ruhe soll fortan nicht ein am Gotteshause liegender »Kirchhof«, sondern ein im Freien befindlicher »Gottesacker« sein, zu dem die Frömmigkeit ihre Schritte lenkt, um Zeuge jener großen Erndte zu sein, deren Garben ihre Früchte für das Jenseits spenden.

Hier sind in »Haus und Hof« unsere Betrachtungen an dem Punkte angekommen, von welchem sie ausgingen, an dem Punkte, wo »Himmel und Erde« sich vereinen, einen unsterblichen Geist für kurze Zeit in irdische Gewandung zu hüllen, um ihn zum Erklimmen einer höheren Daseinsstufe zu befähigen. Im Gottes-»Hause« vernahm er die Kunde seiner himmlischen Abstammung, und dem Kirch-»Hofe« übergab er das vom Staube geliehene Kleid, um den freien Flug über die Berge hinweg zu lenken, deren Spitzen im Morgenrothe einer anderen Welt erglühen.

Der Tod ist nicht ein Aufhören alles Lebens, sondern nur der Uebergang aus einer Daseinsform in die andere. Ist diese andere eine höhere, eine beglückendere? Die Bibel beantwortet diese Frage mit den Worten:

»Der Geist spricht: Ihre Werke folgen ihnen nach!«

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Ende des einunddreißigsten Teils.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk