Nummer 17 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
24. Dezember 1875


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2.
Land und Wasser.


Er hat um das Wasser ein Ziel gesetzet, bis das
Licht sammt der Finsterniß vergeht.

                                                                  Hiob.


Jede Bewegung verursacht ein Geräusch, einen Ton, dessen Höhe und Tiefe von der Geschwindigkeit der Bewegung sowohl als auch von der Beschaffenheit und Größe des sich bewegenden Körpers abhängig ist. Die Bewegung der Himmelskörper muß also auch von Tönen begleitet sein, eine Annahme, auf welche sich die Vermuthung begründet, daß da droben im unendlichen Aether ein ununterbrochenes und gewaltiges Singen und Klingen stattfinde, welches man die »Musik der Sphären« genannt hat.

Es scheint, daß bei dieser Vermuthung sehr viel Phantasie aufgewandt worden ist; denn bei der außerordentlichen Dünnheit des Aethers fehlt es im Himmelsraume wahrscheinlich an jedem Mittel, einen Schall fortzupflanzen und also wahrnehmbar zu machen. Das schwache menschliche Ohr wäre unmöglich im Stande, jene Klänge auch nur für eine Minute auszuhalten, und der erste Schritt in die Unendlichkeit würde unfehlbar vom augenblicklichen Tode begleitet sein.

Aber gäbe es eine Möglichkeit, sich hinaufzuschwingen zwischen die Bahnen der Sterne und dort einen festen Punkt zu gewinnen, um die Millionen von Welten an sich vorübersausen zu lassen, so würde auch ohne jene tödtenden Klänge der Eindruck ein gar nicht mit der menschlichen Sprache zu bezeichnender sein. Die fast gedankenschnelle Bewegung der uns in allen Richtungen umblitzenden Sphären wäre mit dem Auge gar nicht zu fassen. Eine Sonne, welche jetzt als ein kleiner, kaum wahrnehmbarer Punkt am fernen Horizonte erschiene, würde im nächsten Augenblicke als ein unendlicher, blendender und Alles versengender Feuerball von kaum meßbarer Größe an uns vorüberzucken und fast in demselben Momente als stecknadelkopfgroßes Johanneswürmchen am entgegengesetzten Ende des Gesichtskreises wieder verschwinden. Und in diesem nie ruhenden, ewig wogenden Meere glanzumflossener Himmelskörper wäre unsere von unzähligen Millionen Wesen bevölkerte Erde einer der kleinsten, der verschwindendsten Tropfen, obgleich auch sie einen überwältigenden Anblick böte, wenn es möglich wäre, z.B. vom Monde aus uns ihr zu nähern und allmählich auf ihre Oberfläche herabzusteigen.

Stellen wir uns im Geiste auf die Spitze eines der Ringgebirge des Mondes, welcher der Erde immer nur eine und dieselbe Seite zukehrt, so würde uns der von uns bewohnte Planet als eine helle Scheibe von ungefähr fünf Fuß Durchmesser erscheinen, auf deren Oberfläche, ebenso wie wir es von der Erde aus auf der Mondscheibe bemerken, lichtere und dunklere Partieen wahrnehmbar wären. - Und könnten wir unseren Standort verlassen, um uns der Erde zu nähern, so würde ihre Größe zunehmen, je weiter wir an sie herankämen.

Die lichteren Stellen würden das Meer bezeichnen, dessen Wasser die darauffallenden Sonnenstrahlen kräftiger reflectiren, als es von dem Festlande geschieht, dessen Thalpartieen wieder dunkler erschienen, als die Höhen der Gebirge.

Erst nur mit dem Rohre, bald aber auch mit dem bloßen Auge würden wir einen Schleier bemerken, welcher theils in festen, compacten und cumulirenden Massen, theils auch zerrissen und in federigen oder langgestrichenen Zügen unserm Blicke von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort die Erde verhüllt und seine Schatten auf dieselbe wirft. - Es sind die Wolken.

Bald auch würden wir bemerken, daß uns ein unsichtbarer Stoff umgiebt, dessen Dichtigkeit und Widerstandskraft zunimmt, je weiter wir uns der Erde nähern. Wir würden seine Bewegungen fühlen und den Einfluß, welchen er auf unsere Constitution äußert, immer deutlicher empfinden. - Es ist die atmosphärische Luft, welche die Erde als ein flüssiges Meer umfluthet, dessen Tiefe man nach verschiedenen Gesichtspunkten zu bestimmen vermag.

Zu athmen vermag der Mensch nur bis zu einer Entfernung bis zu drei Viertel Meilen von der Erdoberfläche. Lambert schätzte die Tiefe des Luftoceans auf 4, Birt auf 61/2, Halley auf 91/2 und Kepler auf 10 Meilen. G. Schmidt stellte die wirkliche Höhe der Lufthülle da, wo ihre sie emportreibende Federkraft und die sie herabziehende Anziehungskraft der Erde im Gleichgewichte stehen, auf 27 Meilen, während Laplace, einer der größesten Naturkundigen, die Grenze der Höhe, bis zu welcher die Lufthülle der Erde noch angehören kann, da bestimmt, wo die nach obenhin zunehmende Centrifugalkraft mit der Schwere ins Gleichgewicht kommt und diesen Punkt, über welchen hinaus jedes Lufttheilchen von der Erde fortgeschleudert würde, auf 5682 Meilen berechnet.

Die atmosphärische Luft besteht außer einer Wenigkeit an Kohlensäure aus

77 Gewichtstheilen oder 79 Raumtheilen Stickstoffgas und

23 Gewichtstheilen oder 21 Raumtheilen Sauerstoffgas;

die große Menge, welche ein Mensch an Sauerstoff verbraucht, ist aber so gering gegen den Sauerstoffgehalt des Luftoceans, daß die ganze jetzt lebende Menschheit zehn Millionen Jahre athmen könnte, ehe sie ihn verbraucht hätte.

700 Kubikzoll Luft wiegen ungefähr 31 Gran, und auf jeden Quadratzoll der tiefsten Stellen der Erdoberfläche drückt die ganze Masse der daraufruhenden Luftsäule mit einem Gewichte von 15 Pfunden. Ein erwachsener Mensch, dessen Körper etwa 12 Quadratfuß Oberfläche bietet, trägt also, ohne es zu bemerken, einen Luftdruck von 34,300 Pfund.

Das Weltmeer, welches sich unserm Blicke als ein riesiges, blitzendes und schillerndes Ungeheuer, dessen unzählige Arme wie die Fänge eines monströsen Polypen das Festland umfassen, darstellt, trennt das Letztere in zwei große Continente

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Gund eine unzählige Menge kleinerer Landestheile, welche, da sie ganz von Wasser umgeben sind, Inseln oder Eilande genannt werden. Streng genommen sind auch die beiden Festländer Inseln, da auch sie ringsum von den Fluthen des Wassers umspült werden.

Dem Flächenraume nach verhalten sich die Erdtheile wie folgend zu einander:

Asien ... 793,964 Qu.-Meilen,
Amerika ... 750,055 Qu.-Meilen,
Afrika ... 543,570 Qu.-Meilen,
Europa ... 182,571 Qu.-Meilen,
Australien ... 161,452 Qu.-Meilen,
Land am Südpol ... 2,288 Qu.-Meilen.
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Summa: 2,433,900 Qu.-Meilen.

Asien participirt also mit 40, Amerika mit 35, Afrika mit 24, Europa mit 10, Australien mit 8 und das Südpolland mit 3 Theilen an der Masse des festen Landes.

Von der Oberfläche des Wassers kommen auf
das nördliche Eismeer 200,000 Qu.-Meilen,
das südliche Eismeer 350,000 Qu.-Meilen,
das indische Meer 1,313,000 Qu.-Meilen,
den atlantischen Ocean 1,635,000 Qu.-Meilen,
den großen Ocean 3,329,000 Qu.-Meilen.
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Summa: 6,827,000 Qu.-Meilen.

Also verhalten sich die Flächen der fünf Meere in der angegebenen Reihenfolge ungefähr wie 4, 7, 26, 33 und 67.

Die Stellen, an denen Festland und Wasser zusammenstoßen, also die Küsten, sind in ihrer Ausdehnung und Beschaffenheit von ungemeinem Einflusse auf die Entwickelung der Länder und deren Bevölkerung. Je größer die Ausdehnung der Küste ist und je weniger Gefahr dieselbe der Schifffahrt entgegenstellt, desto günstigere Erfolge bietet sie den wirthschaftlichen Bestrebungen. Außer Australien, dessen Küstenlänge wegen der großen Anzahl von Inseln schwer zu bestimmen ist, besitzen an Ausdehnung der Küste
Afrika 3,520 Meilen,
Europa 4,300 Meilen,
Asien 7,700 Meilen und
Amerika 8,400 Meilen,
eine Zusammenstellung, welche sehr zu Gunsten des letztgenannten Landes ausfällt.

Wollte man fragen, wie viel Wasser die ganze Erde besitzt, so würde es unmöglich sein, eine Antwort darauf zu geben. Der Inhalt der Meere, Seen, Ströme, Flüsse und Bäche läßt sich nicht genau bestimmen, ebenso wenig derjenige der Wolken. Jeder Körper, und sei er noch so fest, noch so dicht, hat flüssige Bestandtheile an sich, und die Unmöglichkeit einer solchen Beantwortung leuchtet am meisten ein bei der Betrachtung, daß das feuchte Element sich in stetem, nie rastendem Umlaufe befindet.

Das reine oder destillirte Wasser besteht ungefähr aus zwei Volumen Wasserstoffgas und einem Volumen Sauerstoffgas und ist fast nur auf künstlichem Wege herzustellen, da selbst das ihm am ähnlichste Regenwasser selten vollständig rein die Erde berührt. Das Gewicht des Wassers ist demjenigen der Luft gegenüber so groß, daß eine nur 32 Fuß hohe Wasserüberfluthung des Erdballes denselben Druck ausüben würde, wie die ganze ungleich höhere Luftatmosphäre. Daher kommt es, daß das Wasser in einer Pumpe nur 32 Fuß hoch steigt und nur bei tieferstehender Klappe durch mechanische Kraft höhergetrieben werden kann.

Am meisten mit fremdartigen Bestandtheilen gemischt ist natürlich das Seewasser, welches beispielsweise im nördlichen atlantischen Ocean unter 100,000 Theilen

2,660 Theile Chlornatrium,
510 Theile Chlormagnesium,
123 Theile Chlorcalcium und
466 Theile schwefelsaures Natron, also in Summa
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3,765 feste Theile mit sich führt.

Diese Salzung des unermeßlichen Weltmeeres ist auch eines jener großen Naturgeheimnisse, deren Ergründung dem Menschen die schwierigsten Hindernisse in den Weg legt. Lassen wir die Aufklärung der Zukunft über und begnügen wir uns mit der dankbaren Anerkennung der göttlichen Weisheit, welche durch die Vermischung des Festen mit dem Flüssigen eine dem Leben der Erde so segensreiche Anordnung traf.

Was die Tiefe des Meeres betrifft, so ist dieselbe natürlich nicht eine gleichmäßige, und wir verdanken ihre Kenntniß erst der neuern Zeit. Zwischen Brasilien und St. Helena ist bei 26,000 Fuß der Grund noch nicht erreicht worden und auf der Linie von Amerika nach Tristan da Cunha will man im Jahre 1852 die ungeheure Tiefe von 46,200, ja sogar von 49,800 Fuß ermittelt haben, also eine weit über zwei deutsche Meilen betragende Entfernung zwischen dem Boden und der Oberfläche des Meeres. Nimmt man die Spitzen der höchsten Gebirge auf rund 28,000 Fuß an, so ergiebt sich eine Erhebung der Erdrinde bis zu 77,000 Fuß, und mit Erstaunen muß man an die Gewalten denken, welche solche Massen festen und schweren Gesteines bis über die Wolken emportrugen.

Während diese Gewalten, dem Feuer des Erdinnern entströmend und den daselbst eingeschlossenen Gasen angehörig, die riesigsten Gebirgsstöcke in wenigen Stunden emporzuthürmen im Stande waren, äußerte das Wasser einen wenn auch langsamen aber doch nicht weniger umgestaltenden Einfluß auf die Beschaffenheit der Erdoberfläche. Der Tropfen, welcher aus der Wolke fiel, um das Meer zu suchen und auf dem Strahle der Sonne wieder emporzusteigen, wirkt ohne Unterlaß auflösend, fortführend und neugestaltend und bildet den Schlüssel, welchem sich die Fruchtbarkeit der Erde öffnet, um Leben und Bewegung selbst aus dem todten Steine springen zu lassen.

Die alte Anschauung von der Vierzahl der Elemente, Feuer, Wasser, Luft und Erde, ist nicht so absurd und lächerlich, wie es Dem und Jenem zuweilen erscheinen mag. Wenn diese vier Dinge auch nicht die Grundbestandtheile der Naturkörper bilden, so liegen in ihnen doch die Grundbedingungen alles irdischen Lebens, und wenn die Erde den Schauplatz zu diesem Leben bietet, so ist es das Wasser, welches der Luft und dem Lichte den Zugang ermöglicht und ihre Wirkungen vorbereitet.

Und dieses Leben, es blüht und glüht nicht blos auf der Erde, sondern es legt seine unzähligen Gestaltungen ebensowohl in den winzigsten Tropfen wie in die ewig sich neugebährenden Fluthen des unermeßlichen Oceans. Ja, gerade im Wasser begegnet das Auge des Kundigen einer größeren, reicheren und fast überwältigenden Menge von Lebensformen, als außerhalb desselben im freien Lichte der Sonne.


Ende des dritten Teils – Schluss folgt.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk