Nummer 44 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
1. Juli 1876


// 350 //

8.
Haus und Hof.
(Fortsetzung.)

Mit unseren letzten Betrachtungen haben wir das Gebiet der »öffentlichen Häuser« betreten. Während das Haus eigentlich und ursprünglich als Schutz- und Sammelstätte für die Familie dienen soll, nimmt es Theil an dem Wachsthume und der Ausbreitung derselben und öffnet seine Thore dem öffentlichen Leben ebenso, wie die Familie sich öffnet, um dem gesellschaftlichen Leben Rechnung zu tragen.

Sobald der häusliche Kreis sich zur Gemeinde erweitert, treten bauliche Bedürfnisse ein, deren Befriedigung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt liegt und zur Hebung sowohl der materiellen als auch geistigen Wohlfahrt dient. In erster Linie sind hier diejenigen Gebäude zu erwähnen, welche es mit der Bildung des inneren Menschen zu thun haben: Kirche und Schule.

Schon die Völker des Alterthums besaßen ihre Gotteshäuser, Tempel genannt (von dem lateinischen Worte Templum). Anfänglich allerdings hielt man die Gottesdienste in heiligen Hainen oder auf geweihten Plätzen, in und auf denen sich Altäre befanden. Sobald aber die Baukunst über die ersten Anfänge ihrer allmäligen Entwickelung hinaus war, wandte sie sich sofort zur Erbauung von Gebäuden, welche der Pflege religiöser Anschauungen dienten.

Die Tempel in Egypten zeigten einen einfach grandiosen Styl; Alleen von Widder- oder Sphinxkolossen bildeten den Zugang zu ihnen und vor dem Hauptgebäude standen gewöhnlich zwei Obelisken. Die irdischen Tempel sind von hohem Alter, und es reicht ihr Ursprung wohl bis 3000 Jahre vor Christo hinauf. Noch heut lassen ihre Ruinen die Riesenhaftigkeit bewundern, durch welche sie sich auszeichneten. Die Grottentempel bildeten oft ganze unterirdische Städte, und der aus schwarzem Felsen gehauene Elephant auf der Insel Elephanta z.B. enthält in seinem Innern einen Tempel von über 130 Fuß Länge.

Unter den Tempeln Vorderasiens ist der von Salomo zu Jerusalem erbaute am erwähnenswerthesten, an welchem volle sieben Jahre gebaut wurde. Die Bibel giebt eine ausführliche Beschreibung seiner Herrlichkeit. Im Jahre 587 vor Christo durch Nebucadnezar zerstört, wurde er unter Cyrus wieder aufgebaut. Bei der Zerstörung Jerusalems unter Titus wurde er mehr durch die Juden selbst als durch die Römer in Brand gesteckt. An seine Stelle baute im Jahre 644 nach Christi der Kalif Omar eine Moschee.

Die griechischen Tempel lassen sich in dorische, jonische und korinthische unterscheiden. Ihr Umfang war meist nicht groß, da sie bestimmt waren, nur den opfernden Priester mit seiner Begleitung aufzunehmen, und erhielten nur durch die Säulenhallen, in denen sich das Volk versammelte, eine größere Ausdehnung. Ihre Architectur ging später auf die römischen über. Die Germanen verehrten ihre Gottheiten zwar an freien Orten, doch finden sich bei den Deutschen auch Spuren alter Tempel, und in Skandinavien gab es Privatcapellen, welche nur dem häuslichen Gottesdienste gewidmet waren.

Die Tempel der Christen werden Kirchen genannt. Der Grundriß derselben war fast immer ein lateinisches oder griechisches Kreuz, doch jetzt hält man sich nicht mehr so streng an diese Figur. Eine nicht wesentliche aber fast allgemeine Verzierung der Kirchen sind die Kirchenthürme. Anfangs hatten die Christen keine Kirchen, sondern versammelten sich, so lange sie noch nicht von den Juden getrennt waren, in Tempeln und Synagogen, später in Privathäusern, und unter der Verfolgung in Höhlen oder an sonstigen verborgenen Orten. Erst im zweiten Jahrhunderte finden sich die ersten Spuren von Kirchen in unserem Sinne, und von da an mehrte sich ihre Zahl mit der Ausbreitung des Christenthums in der Weise, daß z.B. Rom im dritten Jahrhunderte schon 40 große Kirchen hatte. Jetzt hat fast ein jedes Dorf sein Gotteshaus.

Wollte man berechnen, welch' eine ungeheure Summe die Erbauung aller Tempel und Kirchen der Erde gekostet hat, so würde man auf ein Capital kommen, von welchem die ganze Menschheit auf eine geraume Weile ernährt und verpflegt werden könnte. Die Frage, ob diese ungeheuren Ausgaben mit dem Zwecke, welchen sie verfolgten, im Einklange stehen, muß unbedingt bejaht werden, ob aber dieser Zweck erreicht wurde, ob die auf dem Gebiete der Religion erzielten Erfolge in ein befriedigendes Verhältniß zu den Anstrengungen zu bringen sind, welche unsere Kirchenbauten erforderten, das ist eine schwer zu beantwortende Frage.

Wie viele kleine Ortschaften giebt es, besonders in südlichen Ländern, auf welche der stolze Thurm einer prachtvollen Kirche herabblickt, deren Erbauung viele Tausende gekostet hat, und um das »theure« Gotteshaus gruppiren sich einige Dutzend armseliger Hütten, die kaum den nothwendigen Schutz gegen die Unbilden der Witterung gewähren und deren Bewohner mit Noth und Sorge kämpfen. Die Häuser sind schadhaft, die Gärten verwahrlost, über die fast unwegbare Straße läuft der Abfluß der Düngerstellen und verbreitet seine Wohlgerüche bis in das Innere des kirchlichen Heiligthums. Hier wird der volkswirthschaftlich Gebildete sich denn doch vielleicht eines leisen Kopfschüttelns schuldig machen.

Eine allgemeine Erfahrung ist es, daß neben den Räumen, welche den heiligsten Zwecken gewidmet sind, sich gewöhnlich ein Häuslein erhebt, in dem man Gelegenheit hat, weniger ernsten Absichten nachzustreben. »Wo der liebe Gott ein Haus baut, da setzt der Teufel eine Hütte daneben,« sagt ein altes Sprüchwort, und es soll auch gar nicht geleugnet werden, daß zwischen den Kirchengängern einerseits und den Priestern des Bacchus und Gambrinus andererseits fast stets eine gewisse Anziehungskraft thätig ist.

// 351 //

Diese Anziehungskraft wird trefflich illustrirt durch die Anekdote von jenem Herzoge von Braunschweig, bei dem der Pfarrer eines Dorfes sich beschwerte, daß er so wenig Kirchgänger habe, weil seine Bauern sich lieber in das Wirthshaus setzten, als sich an seiner Predigt erbauten. Der fromme und energische Landesvater beschloß, die Sache zu untersuchen und kam während des Gottesdienstes in das Dorf, ging in das Gasthaus und fand richtig fast alle Bauern um eine lange Tafel beim Biere sitzen. Ein großer Krug, welcher stets neu gefüllt wurde, sobald er den Boden zeigte, ging rundum; Jeder trank und gab ihn dem Nachbar mit der Aufforderung: »Gif's weiter!« Der Herzog setzte sich mit an die Tafel, aber als der Krug zu seinem Nebenmanne kam, drehte dieser ihm den Rücken zu, trank und reichte den Krug wieder zurück mit den Worten: »Prost, gif's wieder so 'num!« Das fuhr dem Herzog in die Nase, er erhob sich, gab sich zu erkennen und hielt nun den durstigen Leuten eine Rede, die sich gewaschen hatte, und deren Schluß ungefähr also lautete, daß sie des Sonntags in die Kirche gehörten, aber nicht in das Wirthshaus. Dabei holte er aus und langte seinem Nachbar zur Linken eine Ohrfeige, daß es schallte, und herrschte ihn dabei an: »Gif's weiter!« Wohl oder übel mußte der gute Mann Gehorsam leisten; die Ohrfeige ging mit dem Rufe: »Gif's weiter!« von Einem zum Anderen um die ganze Tafel herum und als sie an den Nachbar zur Rechten kam, der ihm vorhin den Schluck nicht gegönnt hatte, langte er ihm eine neue Auflage hinter die Ohren mit der Aufforderung: »Prost, gif's wieder so 'num!« Die Maulschelle wanderte also wieder zurück, und leider verschweigt die alte Chronik, wie oft sie noch »so 'rum« und »wieder so 'num« gegangen ist, das wird aber bestätigt, daß die Bauern von jetzt an sehr fleißig in die Kirche gegangen sind.

Wahr ist's, daß man in der Natur den Herrn ebenso verehren wie in der Kirche; aber dazu gehört ein Verständniß und ein Gemüth, wie es die Wenigsten besitzen. Die Kirche hat ihre volle Berechtigung, so lange ihre Ansprüche nicht störend in die geistige und wirthschaftliche Entwickelung des Volkes eingreifen. Die Güter, welche uns im Heiligthume gespendet werden, sind hoch und wichtig; sie lassen sich nicht mit der Hand erfassen und durch Maaß oder Gewicht bestimmen, aber man kann sie mit dem Herzen ergreifen, und ein solches Herz ist dann geschützt gegen den Schmutz und Staub des irdischen Lebens. Darum bekennt der alttestamentliche Dichter: »Herr, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses und den Ort, da Deine Ehre wohnt,« oder er ruft mit sehnendem Herzen: »Eins bitte ich vom Herrn, das möchte ich gern: daß ich im Hause des Herrn bleiben möchte mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste und seinen Tempel zu besuchen!«

Wer hätte nicht jenes eigenthümliche Gefühl empfunden, welches das Kind beschleicht, wenn es um ersten Male die Kirche betritt! Und dieses Gefühl verläßt den Menschen nicht, so lange er lebt, selbst wenn er mit dem Glauben seiner Kinderjahre vollständig gebrochen hätte. Man sage nicht, daß es allein nur in der Art und Weise des Baues liege, solche andächtige und widerstandslose Empfänglichkeit zu erwecken, denn es giebt auch außerhalb des kirchlichen Gebietes ehrwürdige und mächtige Bauwerke, welche diesen Eindruck nicht hervorbringen; der Grund liegt vielmehr in dem Bande zwischen Vater und Kind, zwischen Schöpfer und Creatur, dessen Knoten tief im Innersten des Menschen geschlungen ist, und welches nie zerreißt, selbst dann nicht, wenn das schwache Geschöpf seinen allmächtigen Erzeuger verleugnet. Wem die Kirchenglocken ein einzig Mal erklungen sind, dem klingen sie fort, denn wie die friesische Sage erzählt, daß die Glocken der Dörfer, welche von den gefräßigen Fluthen der Nordsee verschlungen wurden, sich laut und deutlich hören lassen, sobald der Nebel droht, die Wogen sich ballen und der Sturm seine Verderben drohenden Schwingen erhebt, so läuten die Saiten des Herzens zum Gebete, wenn der irdische Boden zu wanken beginnt und die Brandung der Ewigkeit sich fern vernehmen läßt.


Ende des neunundzwanzigsten Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk