Schreiber dieses fand in der Nähe eines
Dorfes ein zweistöckiges Häuschen, unter dessen Dache sich die Inschrift
hinzog:
»Ich kehr' mich nicht daran
Und laß die Leute klügeln;
Man kann nicht Jedermann
Das böse Maul verriegeln!«
und es hätte, um auf den Besitzer schließen zu können, dieses allerdings
etwas kräftigen Bekenntnisses gar nicht bedurft, denn das Gebäude war von
einem hohen Stackete eng umschlossen und so dicht von Bäumen umgeben, daß
kaum eine einzige der kleinen Fensterscheiben zwischen den Zweigen
hindurch zu lugen vermochte und nur ein mit der Welt verfeindetes Gemüth
sich in dieser einsiedlerischen Abgeschlossenheit wohlbefinden konnte.
Da, wo eine dünngesäete Bevölkerung sich über weite Flächen zerstreut, hat
gewöhnlich auch das Gespenst des Pauperismus seine dunklen, kalten
Schwingen noch nicht über die Häupter der Menschen gebreitet, und ein
Jeder, auch der ärmste Tagelöhner, hat sein eigenes Haus, seine eigene
Hütte, in welcher er als alleiniger und selbstständiger Herrscher waltet.
Da aber, wo, wie in großen Städten oder dicht bevölkerten
Industriebezirken der Mangel an Raum sich so bemerklich macht, daß die
Häuser sich in langen Reihen eng aneinander legen und mit zahlreichen
Stockwerken in die Höhe streben, da ist es nur für die Wenigsten möglich,
ein eigenes Heim zu besitzen, und es bilden sich jene Verhältnisse aus,
welche wir mit dem Worte »Wohnungsmiethe« bezeichnen und zusammenfassen.
Der Reichthum oder die Spekulation bemächtigen sich des Bodenbesitzes,
»Zinshäuser« und »Kasernen« entstehen, der Miethcontract treibt sein
beängstigendes Wesen und auf einer Wanderung vom Souterrain bis zum
Mansardenstübchen, vom Straßenbalkon bis zum feuchten Kämmerchen des
Hinterhauses erlangt man einen Ueberblick der verschiedensten socialen
Verhältnisse in derselben Weise, wie z.B. die Besteigung des Chimborasso
gestattet, einen Einblick in die Vegetationsformen der verschiedenen Zonen
zu nehmen.
Und doch berühren sich auch hier die Extreme. Je weiter die Menschen
auseinander wohnen oder je dichter sie zusammengedrängt werden, desto
weniger tritt eine vertrautere Bekanntschaft zwischen ihnen ein. Auf den
weitgedehnten Strecken der Haiden und Moore erhebt nur selten eine einsame
Wohnstätte ihr schmutziges Dach, der Verkehr ist erschwert, und nur wie
eine dunkle Kunde dringen die Ereignisse des Völkerlebens oder die
Nachrichten über näher liegende Verhältnisse von Nachbar zu Nachbar. Je
bedeutender die Entfernung, desto größer auch die Trennung. - In den
himmelanstrebenden Wohngebäuden unserer Metropolen gehen die Hausbewohner
fremd und kalt an einander vorüber, kein Gruß ertönt, keine Mittheilung
wird ausgewechselt und kaum weiß der Eine den Namen und Stand des Anderen,
welcher mit ihm unter gleichem Hausreglement steht. Je enger das
Zusammendrängen, desto größer auch die Trennung.
Während in den älteren Zeiten das Haus nur den Zweck hatte, dem Menschen
die nöthigen Wohn- und Wirthschaftsräume zu bieten, haben sich bei der
vorgeschrittenen Entwickelung der »Erdenbürger« die Bedürfnisse erweitert
und jetzt erheben sich unzählige Gebäude, welche früher ganz ungekannten
Zwecken dienten.
Wenn der Wanderer vormals seinen Stab auf fremde Erde setzte, so durfte er
um eine Ruhestätte und Alles, was zur körperlichen Pflege gehört, keine
Sorge tragen, denn in jedem Hause war er willkommen als ein Gast, an
dessen Erzählungen und Berichten man sich erfreute und durch sie in
Verbindung mit der Außenwelt trat. Er genoß die schönen und geheiligten
Rechte der Gastfreundschaft, selbst die Glieder der Familie traten gegen
ihn zurück, und wenn er den Fuß weiter setzte, so überhäufte man ihn mit
Dank und den Gaben, deren er auf seiner Reise bedurfte. Die »Rechnung« war
noch von keinem speculativen Columbus entdeckt worden, und die
Schlußstrophe von Uhlands »Apfelbaum«
»Und frag ich nach der Schuldigkeit,
So schüttelt er den Wipfel;
Gesegnet sei er allezeit
Von Wurzel bis zum Gipfel!«
hatte in Beziehung auf die gastlichen Verhältnisse ihre vollste Bedeutung.
Noch heut' giebt es abgelegene Gegenden, in denen dem Reisenden das Glück
geboten ist, auf der »Vetterstraße« zu wandern und dasjenige Taschenmöbel
zu schonen, von welchem Sophokles oder sonst einer der griechischen
Classiker sagt:
»Ist dann der liebe Zahltag da,
So sind die Thalers flöten,
Der Beutel kriegt das Podagra
Und stickt in tausend Nöthen
Und ich bin ein geschlagner Mann,
Dem kein Chirurgus helfen kann.
O Jemine, o Jerum!«
Während aber in den erwähnten Zeiten und Gegenden die Zahl der Reisen den
nur eine unbedeutende war und ist, befindet sich jetzt und innerhalb
derjenigen Länder, die in den allgemeinen Verkehr gezogen sind, die eine
Hälfte der Bewohnerschaft unterwegs, während die andere Hälfte entweder
sich von einer zurückgelegten Tour ausruht oder schon wieder im Begriffe
steht, die Reisetasche zu packen. Die gegenwärtigen Geschäftsverhältnisse
erfordern ein tüchtiges Zusammen- und Durcheinanderschütteln der lieben
Menschenkinder, und ebenso zahlreiche wie großartige Einrichtungen dienen
einzig und allein nur dem Zwecke, dieses Zusammenschütteln zu erleichtern
und ihm den größtmöglichen Umfang zu geben. Es kommt bei besonderen
Veranlassungen vor, daß einem Orte