8.
Haus und Hof.
»Siehe, wie fein und lieblich ist es,
Daß Brüder einträchtig bei einander wohnen!«
Ps. 133,1.
Dieses Wort des Israelitenkönigs David hat nun fast drei Tausend Jahre
überdauert, ist mit der Bibel in fast alle Sprachen der Erde übersetzt
worden, der Weise sowohl wie auch der geistig Träge und Unbeholfene
erkennen die hohe Wahrheit an, welche in ihm enthalten ist, und dennoch
schwebt der Genius der Eintracht noch zwischen den Wolken und darf sich
nur zuweilen herniederlassen auf ein bescheidenes und abgelegenes
Plätzchen, um für kurze Zeit ausruhen zu können vom ermattenden
Flügelschlage. In der Natur sowohl wie im Menschenleben ist ein
unausgesetztes Gegeneinanderwirken der Kräfte und Gaben zu bemerken; aus
dem Verschwinden und Vergehen des Einen zieht das Entstehen und
Emporwachsen des Anderen seine Nahrung, um später selbst einer neuen
Entwickelungsform zu weichen, und während die Geister sich aneinander
reiben, unterliegt auch der Stoff einem ewigen Wechsel zwischen Leben und
Sterben. Es ist wirklich, als sei das irdische Dasein nur durch ein
kämpfendes Aufeinanderwirken der verschiedenen körperlichen und geistigen
Kräfte ermöglicht, als biete das unausgesetzte Ringen der Naturgewalten
nur ein Vorbild der Friedlosigkeit, welche sich durch alle menschlichen
Verhältnisse zieht, und fast scheint es, als sei eine Ausgleichung der
Gegensätze, eine Ruhe nur im Tode zu finden.
Und doch möchte das Herz gern an eine Zeit glauben, in welcher das Schwert
zur Sichel wird und die Weissagung der himmlischen Heerschaaren: »Friede
auf Erden« in Erfüllung geht. Die Religion der Liebe, das Christenthum,
hat trotz ihres neunzehnhundertjährigen Bestehens der Welt noch den
ersehnten Frieden nicht gebracht; ihre eigenen Anhänger standen und stehen
sich noch heut in zahlreichen Heerlagern feindselig gegenüber, und ihre
Geschichte ist fast von Episode zu Episode mit blutigem Stifte
geschrieben. Und hegen selbst die Muhamedaner den schönen Glauben, daß Isa
Ben Marryam, Jesus, der Sohn Mariens, vom Himmel herabsteigen und sich auf
die Moschee der Ommijaden zu Damaskus niederlassen werde, um das große und
ewige Reich des Friedens zu gründen, so muß selbst der Nichtmuselmann die
Erfolglosigkeit dieser islamitischen Hoffnung bedauern.
Nur eine Macht giebt es, welche, über allen Parteien stehend, nach
Milderung und Versöhnung strebt, sich allen religiösen und politischen
Zerwürfnissen von Tag zu Tage immer mehr überlegen zeigt und den
Menschenfreund veranlaßt, den Gedanken eines Völker-, eines Erdenfriedens
festzuhalten: die Humanität. Aus ihr, der Grundbedingung aller
menschlichen Wohlfahrt, müssen die geistigen und auch die geistlichen
Lebenssäfte emporsteigen in die Aeste und Zweige der Gesellschaft, wenn
die erwünschten Früchte reifen sollen, welche man in Liebe erntet und in
Sicherheit genießt, »ein Jeglicher unter seinem Dache.«
Das mag wohl sanguinisch gesprochen sein, aber das, was uns die
Wirklichkeit nicht bieten will, dürfen wir wenigstens träumen, und ein
Traum, welcher uns, wenn auch nur für eine kurze Stunde, liebe Gaben
spendet, ist er denn so gar Nichts gegenüber einem Wachen unter
unerfüllten Wünschen? Und ist es etwa nicht möglich, daß der Einzelne mit
Erfolg wenigstens für seinen Frieden sorgen und sein Leben mit Eintracht
schmücken kann? In den Räumen des großen Prachtbaues, dessen Flur die Erde
den schönsten ihrer Gaben schmückt und dessen Kuppel das Firmament mit
Millionen von Sternen beleuchtet, klirren die Waffen und wogt der Kampf
bald hin, bald her. Die politischen Bauten, in denen die Nationen und
Völkerschaften sich von einander absondern, sie sind errichtet wie jene
Wohnungen der Juden zur Zeit der Richter und Makkabäer, mit dem Schwerte
in der Faust, beherbergen den Zwist im eigenen Innern und bedürfen zu
ihrem Fortbestehen einer steten Vertheidigung. Aber die Wohnung, welche
der Mensch für sich und die Seinen erbaut, um die Lieben am Feuer des
häuslichen Herdes zu versammeln, sie kann eine Stätte des Friedens und der
Einigkeit sein, wenn es der gegenseitigen Zuneigung gelingt, die Geister
der Zwietracht fern zu halten.
Es liegt ja in dem Zwecke und Wesen des Hauses, seine Bewohner nach Außen
hin vor schädlichen Einflüssen sicher zu stellen und das Glück der Familie
in Schutz zu nehmen. Es soll Alles fernhalten, was die innere und äußere
Entwickelung seiner Bewohner benachtheiligen könnte, und den Blumen des
Herzens die zu ihrer Entfaltung nöthige Abgeschiedenheit und Ruhe
gewähren. Die Stürme des Lebens sollen über seine Firste dahinbrausen und
an seinen Mauern abprallen, die Verderben bringenden Elemente Abwehr
finden und nur die goldenen Strahlen der Sonne und die Leben gebenden
Fluthen der Atmosphäre Zutritt erlangen.
Der Schutz gegen schädliche Natureinflüsse war der erste Zweck, welchen
der Mensch verfolgte, als er zum Baue einer Wohnung schritt. Diese bestand
zunächst aus einer Hütte, welche er sich von den Zweigen der Bäume
errichtete, oder wohl aus einer Höhle, in deren Räumen er sich ein Lager
bereitete; doch besaß die Erstere nicht die wünschenswerthe
Dauerhaftigkeit, und auch die Letztere zeigte Uebelstände, welche ihn
veranlaßten, um ein besseres Obdach besorgt zu sein. Er löste den Rasen
von der Erde und trug sich Steine herbei, welche ihm ein festes und
dauerhaftes Material boten. Die vier Wände erhoben sich bald, auf Stangen
ruhte das aus Geäst oder langen Blättern hergestellte Dach, und - das
erste architectonische Meisterwerk war vollendet.
Schon 1. Mos. 4,12 wird von Kain erzählt: »Und er baute eine Stadt, die
nannte er nach seines Sohnes Namen Hanoch.« Und Vers 20 heißt es: »Und Ada
gebar Jabel; von dem