Nummer 40 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
3. Juni 1876


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7.
Stadt und Land.
(Fortsetzung.)

Wenn draußen im Walde der Wind durch die engverschlungenen Zweige rauscht und der Wasserfall seinen monotonen Kanon plätschert, dann ertönt wohl eine tiefe, kräftige Stimme:

»Ich schieß den Hirsch im wilden Forst,
     Im tiefen Wald das Reh,
Den Adler auf der Klippe Horst,
     Die Ente auf dem See.
Kein Ort, der Schutz gewähren kann
     Wo meine Büchse zielt,
Und dennoch hab' ich harter Mann
     Die Liebe brennend heiß gefühlt.

Campire oft zur Winterszeit
     In Sturm und Wettersnacht,
Hab', überreift und überschneit,
     Den Stein zum Bett gemacht.
Auf Dornen schlief ich unbewußt,
     Vom Nordwind unberührt,
Und dennoch hat auch meine Brust
     Die Liebe brennend heiß gespürt.

Der wilde Falk ist mein Gesell,
     Der Wolf mein Kampfgespann,
Der Tag geht mir mit Hundsgebell,
     Die Nacht mit Hussa an.
Ein Tannreis schmückt statt Blumenzier
     Den schweißbedeckten Hut,
Und dennoch schlug die Liebe mir
     In's wilde, heiße Jägerblut,«

und wie das Lied die Rauheiten des unmittelbaren Verkehres mit der Mutter Natur, welche ihre Kinder nicht verweichlichen läßt, ganz treffend schildert, so weist es auch hin auf die ungeminderte Kraft, mit welcher sich die Regungen des Gefühles eines Menschenherzens bemächtigen, dessen Träger seine Arme den Fesseln der sogenannten verfeinerten Sitte noch nicht dargeboten hat. Wie kein menschlicher Wille dem Sturme seine Richtung, Dauer und Stärke vorzuzeichnen oder den zuckenden Funken des Blitzes zu halten vermag, so stehen auch die seelischen Meteore des Naturmenschen unter keiner beengenden Herrschaft und machen sich in kräftigerer Weise geltend, als da, wo Convenienz und Dehors den Schritt des lackbeschuhten Fußes lenken.

Und doch, so wie der Wald nach seinem Character so verschieden ist von der offenen Flur, so trägt auch der in ihm Beschäftigte, der Jäger, der Holzhauer, ein von dem Ackerbauer verschiedenes körperliches und geistiges Gepräge an sich. Die Mysterien des Forstes haben ihren Schleier auch über ihn gelegt und der poesievolle Duft der dunklen Tannenwipfel webt seine Träume auch um seine Person.

Der Bauer, meist auf dem Stückchen Erde geboren, welches er bewohnt, zieht nur aus seinem Acker das, was ihm zum Leben und Bestehen nothwendig ist. Er legt den Samen in das Land und ist, wenn er die Früchte erndten und genießen will, fest an den Ort gebunden. Dieses Beharren und Festhalten ist ihm auch zur geistigen Eigenthümlichkeit geworden.

Schon in körperlicher Beziehung ist er nicht leicht beweglich; sein Schritt ist ein langsamer und sicherer, seine Haltung eine jederzeit ruhige und bedächtige, und es muß eine Leidenschaft in ihm erweckt worden sein, wenn ja einmal seine Bewegungen ein lebhafteres Tempo zeigen. Ansichten, zu denen er sich bekennt, und Meinungen, die er einmal gefaßt hat, hält er mit erstaunenswerther Zähigkeit fest; er hat sie von seinen Eltern geerbt und trägt sie wieder auf seine Kinder über. Was der Großvater für recht und gut erkannte, das hält noch der Enkel für heilig, gleichviel, ob es bis dahin veraltet ist. Von Neuerungen ist er kein Freund, und daher bringt er allem Unbekannten ein Mißtrauen entgegen und hat die Vorsicht zur Mutter seiner Klugheit gemacht. Was Andere thun und treiben, das geht ihm wenig oder gar nichts an, wenn sie nur ihn in Ruhe lassen und nicht etwa gar verlangen, daß er seinen Grütze mit ihnen theile. Er steht eben unter dem unmittelbaren Einflusse des festen, unbeweglichen Elementes, welches er bearbeitet, und wie dasselbe trotz all dieser Arbeit sich doch immer gleich bleibt, so ist auch er das Urbild eines ächt Conservativen, welchem es vor Allem graut, was irgend einer Veränderung ähnlich sieht.

Darum dringt die Wissenschaft mit ihren Erfolgen viel langsamer in das praktische Leben des Landwirthes ein, als in dasjenige anderer Berufszweige, und wenn wir auch sagen müssen, daß in diesem kräftigen und oft nur pietätvollen Beharren bei dem einmal Bestehenden eine der bedeutendsten nationalen Stützkräfte zu erkennen sei, so kann doch nicht geleugnet werden, daß die Zähigkeit einer zahlreichen Volksklasse einen hemmenden Einfluß auf die allgemeine Entwickelung ausüben müsse.

Es gab eine Zeit, in welcher man mit wirklichem Rechte von dem »dummen Bauer« sprach; er war in Folge seiner Liebe zum Hergebrachten bei dem allgemeinen Drängen nach Vorwärts zurückgeblieben und bildete neben den gewandten Gestalten der Anderen nicht selten eine sogar oft komische Figur. Er war das enfant terrible aller Spaßvögel und Witzfabrikanten und der bevorzugte Operationsgegenstand Derjenigen, welche sich zu dem unguten Wahlspruche bekennen: »So lange es noch Dummheit giebt, braucht ein Gescheidter nicht zu arbeiten.«

Das ist nun freilich anders geworden. Durch Schaden wird man klug, und die angeborene Bedächtigkeit des Bauern hat sich zu einer scharfsinnigen Vorsicht zugespitzt, welche

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nur schwer zu übervortheilen ist. Es liegt in dem festen Besitze auch eine geistige Macht; dem nach festen Gesetzen vor sich gehenden Drängen nach Aufklärung kann sich Niemand auf die Dauer entziehen, und wie der Landmann treu am Alten hält, so energisch nimmt er auch das Neue in die Hand, wenn er es einmal als vortheilhaft erkannt hat. So ist es gekommen, daß der »dumme Bauer« mit der Zeit ein Pfiffikus geworden ist, der »es hinter den Ohren hat« und Manchem zu rathen aufgiebt, welcher mit Stolz und Zurücksetzung auf ihn herabblickte.

Weit entfernt von den Erscheinungen des Landlebens sind die Eindrücke, unter denen der Bewohner der Stadt emporwächst.

Während der Sohn des Bauern seine ersten Anschauungsübungen an Gegenständen versucht, welche sich einer unausgesetzten Realinjurie gegen Auge, Nase und Gehör schuldig machen, öffnet das Kind der Stadt sein Auge entweder inmitten einer schönen Häuslichkeit oder doch in einer Umgebung, welche dem Blicke Anderes bietet, als die nackten Unschönheiten, wie sie die Kehrseite eines Dorfes zeigt. Zeit und Kraft der Familienglieder werden hier nicht von den harten Anforderungen der schweren Handarbeit so vollständig absorbirt, daß die einzige Erholung »Schlaf,« das einzige Vergnügen »Wirthshaus« heißt und die Einsamkeit des Lebens jene Ungefügigkeit hervorbringt, welche man vorzugsweise an dem biedern Landmanne zu beobachten pflegt.

Die Stadt ist aus Gesellschaftsrücksichten entstanden und trägt seit dem ersten Augenblicke ihres Bestehens das Gepräge der Geselligkeit an sich, der Geselligkeit, in welche ein jeder ihrer Bewohner sich bewußt oder unbewußt hineingezogen fühlt. Wer da glaubt, daß es Eltern und Lehrer allein sind, welche an der Erziehung eines Kindes wirken, der irrt sich gar sehr, denn hinter ihnen steht eine Hofmeisterin, welche, Jahrtausende alt und doch ewig jung, ihre Bemühungen unterstützt oder auch ihnen entgegen zu wirken vermag: das Leben mit seinen unzähligen Erscheinungsarten und immer wechselnden Ereignissen. Der Einfluß, welchen es auf die Erziehung des Kindes übt, wird von Vielen, Vielen gar nicht erkannt oder doch nur wenig beachtet und gewürdigt, und doch vermag ein einziges kleines Vorkommniß den ganzen Bau elterlicher Anstrengungen in Trümmern zu stürzen. Ist nun das Leben einer Stadt so verschieden von demjenigen auf dem Lande, so müssen auch die von ihm bewirkten Eindrücke mehr oder weniger ungleiche sein, und diese Ungleichheit wird sich im ganzen Wesen der Bewohnerschaft aussprechen.

Die Mannigfaltigkeit der Bilder, wie sie das Stadtleben zeigt, bewirkt größere Erfahrung; die Schnelligkeit, mit welcher diese Bilder einander folgen und ablösen, schärft den Blick und führt zur Geistesgegenwart. Ein zehnjähriger Berliner Schusterjunge hat bedeutend mehr gesehen, als ein neunzigjähriger Greis, welcher nicht aus Kuhschnappel oder Lämmershausen hinausgekommen ist, und wie sich die Erfahrungen häufen, so auch die Hindernisse, an denen sich der Muth, das Selbstvertrauen und die Unternehmungslust stählt.

Wie die Scenerie der Stadt eine lebhaftere ist als diejenige des Dorfes, so ist auch der Bewohner der ersteren körperlich und geistig beweglicher als der Dörfler. Auf dem Lande liegen die Besitzungen auseinander und bilden meist ein für sich abgeschlossenes, durch Raine, Zäune und Hecken wohlverwahrtes Ganze; so schließt sich der Bauer gern nach Außen ab und lebt innerhalb seiner vier Pfähle als Alleinbeherrscher eines Reiches, in dessen Angelegenheit kein Anderer etwas zu sprechen hat.

Anders ist es in der Stadt. Da schmiegt sich ein Haus eng an das andere; es bilden sich Gassen, Straßen und Plätze; der Raum wird kostbar, und der Einzelne muß mit den Anderen zusammenrücken, obgleich das Ganze wächst und sich immer weiter ausbreitet. Die Menschen werden einander nahe gebracht, berühren sich in ihren Gesinnungen und Verhältnissen und eignen sich dadurch jene Abrundung an, welche so vortheilhaft gegen das eckige, scharfe Wesen des Ländlers absticht.


Ende des fünfundzwanzigsten Teils – Schluß folgt.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk