| Nummer
39 |
Schacht
und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.
Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in
Dresden, Jagdweg 14.
Geographische Predigten.
von Karl May. |
27.
Mai
1876 |
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7.
Stadt und Land.
(Fortsetzung.)
Hochberühmte Männer rief der bedrängte Staat
vom furchenziehenden Joche hinweg, zu welchem sie zurückkehrten, sobald
sie das siegreiche Schwert aus der Hand gelegt hatten, und noch heut'
kommt es hier und da wohl vor, daß ein Regent den Landbau durch die
ceremonielle Führung eines pflügenden Gespannes ehrt.
In den ersten Zeiten war der Landwirth gezwungen, nicht nur sein Haus
selbst zu bauen, sondern auch alle Werkzeuge und Geräthe, deren er
bedurfte, mit eigener Hand zu fertigen. Dadurch wurde seine Zeit und
Arbeitskraft zersplittert und zum ansehnlichen Theile dem eigentlichen
Berufe entzogen, auch abgesehen davon, daß eine solche Zersplitterung
immer verhindert, in einem bestimmten Fache etwas wirklich Nennenswerthes
zu leisten. Sobald sich aber eine größere Anzahl Landbewohner
zusammenfanden, trat die besondere Geschicklichkeit eines jeden Einzelnen
für eine bestimmte Arbeit hervor und es war leicht einzusehen, daß es
gerathen sei, diese Geschicklichkeit für sich und Andere nutzbar zu
machen. So legte sich der Eine auf die Holz-, der Andere auf die
Eisenarbeit; ein Dritter fertigte Haus- und Zimmergeräthschaften; ein
Vierter wurde bei dem Bau von Wohnungen zu Rathe gezogen, und jeder von
ihnen erhielt seinen Lohn oder den Preis für seine Erzeugnisse in den
Producten des Ackerbaues ausgezahlt.
So entwickelte sich nach und nach eine Arbeitstheilung, welche mit der
Zeit zur Bildung bestimmter Handwerke führte, deren Zahl sich um so mehr
vergrößerte, je zahlreicher die Bevölkerung und mithin auch die
Bedürfnisse wurden. Das gegenseitige Ineinandergreifen der Gewerbe fand
zunächst auf dem Wege des Tausches statt; doch stellten sich hier bald
Schwierigkeiten heraus, die man zu umgehen suchen mußte. Der Besitzer
einer Heerde von Kameelen, Rindern und Pferden konnte natürlich blos mit
diesen Thieren bezahlen, und das, was er kaufte, hatte in den wenigsten
Fällen einen Werth, welcher grad' und genau für dieses Zahlungsmittel
paßte. Eins seiner Thiere war mehr werth, als der Bogen, den er brauchte,
oder die Decke, welche ihm angeboten wurde, und selbst wenn er von einem
dieser Gegenstände mehr nahm, als er eigentlich bedurfte, so war die
Ausgleichung doch immer mit Schaden für einen der handelnden Theile
verknüpft. Es stellte sich also die Nothwendigkeit eines allgemeinen
Werthzeichens heraus, mit welchem es möglich war, Alles zu kaufen und
genau zu bezahlen: man schritt zur Einführung des Geldes.
Als solches wurden zunächst die verschiedenartigsten Gegenstände
angewandt, wie man ja heut' noch bei vielen uncivilisirten Völkerschaften
mit Muscheln, Salz, Perlen, Kattunstücken etc. bezahlt. Aber diese
Tauschmittel waren entweder zu schwer transportabel oder einem baldigen
Verderben unterworfen; man suchte deshalb nach einem Stoffe, der sich in
alle Werthe fügte, leicht geführlich und dauerhaft war, und fand ihn in
den Metallen: man prägte Münzen.
Erst von diesem Augenblicke an konnte der Handel einen gesunden Aufschwung
nehmen, die Arbeit des Einen fruchtbringend in diejenige der Andern
eingreifen und die verschiedenartigsten Leistungen sich lückenlos
ergänzen. Erst jetzt begann daher die rege Gewerbsthätigkeit, welche wir
schon bei den Völkern des Alterthums bewundern und welche zu Leistungen
führte, welche von einer Geschicklichkeit in manchen Fächern zeugte, die
selbst die neueste Zeit sich noch nicht wieder angeeignet hat.
Die Arbeit ist das festeste Band, welches sich um die Glieder der
menschlichen Gesellschaft schlingt; sie duldet kein Absondern, keine
Einsiedelungen, kein abgeschiedenes Dahinträumen, sondern stellt jede
gesunde Körper- oder Geisteskraft eng und freundschaftlich neben die
andere und weiß ihre hohen und schönen Ziele durch die Macht der
Vereinigung zu erreichen. Je weiter sie sich bei den Völkern entwickelte,
desto enger und umfassender wurde auch die Vereinigung und gab sich
äußerlich durch das Zusammenrücken der Wohnplätze zu erkennen.
Wer nicht, wie der Landmann, an die Scholle gebunden war, der suchte im
Weichbilde der immer zahlreicher anwachsenden Städte Gelegenheit zur
gewerblichen Ausbildung, um durch dieselbe seine Gaben zu verwerthen und
eine sichere und geachtete Lebensstellung zu erlangen. Es zog sich ein Riß
zwischen Stadt und Land, welcher Jahrhunderte überdauert hat, trotzdem die
Mauern der Städte längst zerfallen, ihre Wälle planirt und ihre Gräben
ausgefüllt worden sind, ein Riß, welcher sich in den verschiedenartigsten
Beziehungen geltend machen wird, so lange man überhaupt zwischen Stadt und
Land unterscheidet.
Schon oft haben wir darauf hingewiesen, daß der Mensch sowohl von dem
Boden, welcher ihn trägt, als auch von den Verhältnissen, in denen er
geboren und erzogen wird, in hohem Grade abhängig sei. Die Trennung,
welche sich in rein örtlicher Beziehung zwischen Stadt und Land vollzog,
hat einen bedeutenden Gegensatz der Verhältnisse zur Folge gehabt, welcher
seinen Einfluß bis sowohl auf das Aeußere als auf die geistigen
Eigenschaften des Stadt- und Landbewohners zu erkennen giebt.
Werfen wir zunächst einen Blick auf Letzteren.
Mögen die Träume des Frühlings noch so beseligend und verlockend über die
Fluren ziehen und die stummen und doch so beredten Mysterien des Waldes
ihre rauschenden Fittige noch so erquickend und beruhigend um die heiße
Stirn des Wanderers schlagen, mag das Liebeslied der Nachtigall noch so
süß am Waldessaum erklingen und der Blumenduft die Sinne des Athmenden
berauschen, die Natur ist nicht ein weiches, zartes, sentimentales Weib,
welches sich in behaglicher Ruhe auf die grünenden Matten streckt, sondern
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eine ernste, strenge Göttin, welche nur nach des Tages Last und Hitze dem
kühlen Abende erlaubt, sich auf die Erde zu senken und die Stimme des
sorglichen Lebens schon beim Grauen des Morgens wieder erwachen läßt. Sie
läßt sich ihre Gaben nur durch angestrengtes Werben entlocken und giebt ihre
Blüthen und Früchte nur Demjenigen zum Genusse, welcher sie sich durch
mühevolle Arbeit zu verdienen weiß. Die langen Wälderstreifen, welche sich
wie dunkelknorrige, kraftzuckende Sehnen über und zwischen das steinigte
Skelett der Erde spannen, die fruchtbaren Bodenmuskeln, welche dem Körper
unseres Planeten Fülle, Gestaltung und Physiognomie verleihen, sie theilen
ihren Character unwiderruflich auch Demjenigen mit, dessen Fuß durch ihre
Laub- und Nadelgänge oder über ihre Furchen schreitet.
Die Natur ist schön, aber ihre Schönheit ist eine urwüchsige, ist nicht nach
den Gesetzen der Aesthetik gebildet, und der Stift des Landschafters ebenso
wie die Scheere des Gärtners machen sich der Versündigung gegen ihre heilige
Eigenthümlichkeit schuldig. Der Jäger, welcher sich seinen Weg durch das
Dickicht des Waldes bahnt, der Fischer, welcher am einsamen Ufer des See's
seine Netze trocknet, der Bauer, welcher unter rinnendem Schweiße mit der
Härte und Sterilität des Bodens kämpft, sie sind Söhne der Natur in höherem
oder geringerem Grade und können sich ihrem Einflusse nicht entziehen. Kraft
wohnt in ihren Sehnen, Stärke in ihren Muskeln, fest und widerstandsfähig
ist ihr Körper geformt; ihr Angesicht kennt nicht jene feinen,
durchgeistigten Züge, wie sie der Maler der Civilisation seinen Gestalten so
gern mittheilt; ihr Auge hat nicht jenen schmachtenden oder blasirten Blick,
dem wir bei den verzärtelten Bewohnern der Städte so oft begegnen; ihre Hand
ist rauh und hart, ihr Gang fest, ihr Schritt laut und gewichtig, und in
ihrer ganzen äußeren Erscheinung prägt sich jene unveräußerliche Derbheit
aus, welche ihnen die Thüren der feinen Gesellschafts Salons verschließt.
Und diese Derbheit geht auch auf ihre geistigen Manieren über, nimmt ihre
Ansichten, Meinungen und Gefühle in Beschlag und giebt sich bei jeder ihrer
kleinsten Verhandlungen kund. Sie hüllt den Neugebornen mit kräftigem Drucke
in die grobleinenen Windeln, lacht über die zeternde Stimme des Säuglings,
überläßt das Kind getrost dem selbsterfundenen Spiele, jagt den Knaben und
das Mädchen hinaus in das wehende Schneegestöber, läßt das Tanzhaus unter
den wuchtigen Tritten des Jungvolkes erzittern, führt Mann und Weib mit
klatschendem Handschlage und schallendem Kusse zusammen und begleitet den
Menschen durch die Freuden und Sorgen des Lebens mit unveränderter Treue bis
zum Grabe. Man sehe nur, wie der Modeheld mit schmachtenden Geberden vor
seiner »Angebeteten« liegt, und blicke dagegen auf den Bauerburschen, der
seiner Herzallerliebsten einen Puff in die Rippen beibringt, daß sie schier
die Balance verliert, und dann kurz fragt:
»Na, Stine, wie wär't denn? Hihihihi!«
Das Mädchen reibt sich, nach dem ausgegangenen Athem schnappend, die
blauanlaufende Stelle und antwortet:
»I na, Jochem, dat kun ja woll sin! hihihihi!«
Ende des vierundzwanzigsten Teils –
Fortsetzung folgt.
Karl May: Geographische Predigten
Karl May – Leben und
Werk