| Nummer
38 |
Schacht
und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.
Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in
Dresden, Jagdweg 14.
Geographische Predigten.
von Karl May. |
20.
Mai
1876 |
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7.
Stadt und Land.
(Fortsetzung.)
Der mächtigste dieser Bunde war die Hansa,
zu welcher die Länder der Nord- und Ostsee, des Rheins, Westphalen,
Niedersachsen und Preußen ihre Contingente lieferten. Sie umfaßte nach und
nach von der Schelde bis nach Esthland 85 Städte und konnte es wagen, mit
mächtigen Reichen Krieg zu führen. Sie besiegte Dänemark und Norwegen, gab
ihre Macht dem Könige von Frankreich zu fühlen, eroberte mit 100 Schiffen
Lissabon, zwang England, den Frieden mit ihr mit 10000 Pfund Sterling zu
erkaufen und hatte sogar die Macht, den König Magnus von Schweden
abzusetzen.
Während dieser Vereine gewann das Ansehen der Städte so, daß sie mit zur
Berathung der Stände zum Besten des Landes gezogen wurden. Später bildeten
die größeren Städte fast den einzigen Besitz des Kaisers; die größeren
Landesbesitzer machten sich zu unabhängigen Fürsten und zogen mittelst
Politik oder der Gewalt der Waffen und des Geldes die Städte in ihren
Besitz.
Wie das Schicksal der Pflanze, des Thieres und auch des Menschen zum
großen Theile abhängig ist von dem Boden, dem sie angehören, so wird auch
das Gedeihen menschlicher Niederlassungen wesentlich mitbedingt von der
Lage, die sie einnehmen, und den Verhältnissen, unter denen sie errichtet
werden. Während es Tausende von Dörfern, Flecken und Städten giebt, welche
Jahrhunderte hindurch ihren Umfang nicht vergrößert, ihr Ansehen nicht
verändert haben und sich vollständig gleich geblieben sind, wachsen an
anderen Orten kleine, anfänglich unbedeutende Ansiedelungen mit
ungewöhnlicher Geschwindigkeit zu großen, reichbevölkerten Städten empor
und lassen schon nach wenig Jahren das Bild ihres anfänglichen Bestehens
nicht mehr erkennen. Worin liegt der Grund?
Bei den unsicheren Verhältnissen der Vergangenheit war der Schutz gegen
feindselige Uebergriffe einer der Hauptgesichtspunkte, welche man bei dem
Baue der Wohnstätte in das Auge nahm. Der Ritter errichtete seine festen
Schlösser und Burgen auf den Spitzen steiler, unzugänglicher Berge; der
Städter erbaute seine Häuser ebenso an einem möglichst geschützten Orte
und sorgte noch außerdem durch Anlegung von starken Mauern und breiten
Gräben für seine Sicherheit. Der Bewohner des platten Landes legte seine
Wohnung so, daß er durch Sumpf und Moor, durch dichte Waldung oder
sonstige Terrainbeschaffenheiten von Anderen möglichst abgeschlossen war
und eine Schädigung an Leib und Leben, an Gut und Habe nicht zu fürchten
hatte. Sie alle sorgten vor allen Dingen für ihre Sicherheit und suchten
dieselbe durch die örtliche Abschließung von der Außenwelt zu erlangen.
Der Hufschlag gepanzerter Rosse ist verhallt, Harnisch und Sturmhaube
rosten unter eingefallenen Mauern, in den grasbewachsenen Burghöfen
schleicht die Unke und nistet die Eule, und die kräftige Faust hat längst
den eisernen Handschuh abgestreift, um Pflug, Hammer und Feder zu führen.
Die dunklen, furchterweckenden Schatten des Mittelalters sind
verschwunden, und hellere, freundlichere Bilder ziehen über den Vorhang,
hinter welchem die nie ruhende Geschichte ihre Gestalten bildet. Zwar
wird, so lang die Erde lebende Geschöpfe trägt, auch Kampf und Feindschaft
auf ihr herrschen, aber der Einzelne hat nicht mehr den Einzelnen zu
fürchten, und wo ein Streit entbrennt, wo das Schwert aus der Scheide
fährt und der Schlachtentod seine blutigen Erndten hält, da giebt es
Gesetze, Rechte oder doch ein gegenseitiges Uebereinkommen, und die früher
rohe Gewalt wird in Rücksichten gekettet, denen sie sich nicht entwinden
kann. -
Wo früher die räuberische Selbstsucht im Hinterhalte lag, um sich
zerstörend auf den friedlichen Erwerb zu stürzen, da singt jetzt nur noch
die Sage ihre romantischen Balladen, und auch sie muß sich immer weiter
zurückziehen vor dem nüchternen Sinne der Alltagswelt, welche im fleißigen
Schaffen ihre bedeutendste Aufgabe erkennt. Und ist das Raubritterthum
nicht ausgestorben, so hat es sich modernisirt und sucht durch geistige
Mittel zu erreichen, was es durch Anwendung von Gewalt nicht zu erlangen
vermochte. Es hat in dem Gesetze einen furchtbaren und übermächtigen Feind
bekommen, den es früher nicht kannte oder zu fürchten hatte und welcher
seine nicht ungestraft zu übersteigenden Barrikaden um die Interessen
eines jeden Bürgers errichtet.
So ist der wirthschaftlichen Thätigkeit der weite Plan gesäubert; ein
Jeder weiß, daß er bei vorsichtigem Wirken die Früchte seiner Anstrengung
sich nicht aus der Hand gerungen sehen, sondern selbst genießen werde, und
getrost darf er sein Zelt da aufschlagen, seine Hütte da errichten, wo er
von der Arbeit seiner Hände oder seinem geistigen Schaffen den besten
Erfolg erwartet.
Daher kommt es, daß bei der Anlegung neuer und der Erweiterung schon
bestehender Ortschaften in den meisten Fällen nur die Rücksichten des
Friedens und die auf den gewerblichen Wohlstand zielenden Berechnungen in
Betracht kommen, und wo dieser Wohlstand in Aussicht steht, da sammeln
sich die Kräfte, da beginnt ein frisches, fröhliches Schaffen und wirft
seine befruchtenden Wellen in die weitesten Kreise, ja selbst in die
entlegenste Ferne.
Auf ehrlichem Wege etwas verdienen oder selbst reich werden wollen, ist
sicher kein zu verdammendes Bestreben; das Trachten nach Lohn und Gewinn
erweckt die im Menschen schlummernden Kräfte, schärft seinen Verstand,
stählt seinen Arm und macht ihn zur Ueberwindung großer Hindernisse, zum
Ertragen aller Entsagungen und Entbehrungen geschickt. Nur darf dieser
Drang nicht zu Unvorsichtigkeiten und Ueberstürzungen führen oder gar in
Krankheit ausarten. Er sucht ohne Ermüden nach Verbesserungen und neuen
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Hilfsmitteln, schreitet von einer Erfindung und Entdeckung zur andern, sucht
aus dem Weggeworfenen noch Nutzen zu ziehen, erklimmt die höchste Spitze der
wissenschaftlichen Erkenntniß, steigt in die gefährlichen Tiefen der Erde,
kämpft mit den Gewalten der Elemente und bohrt selbst die öden Strecken der
Wüste an, um ihnen das keimende Gras, die wehende Palme zu entlocken. Er
dringt in die fernen Steppen, um der Cultur dort eine bleibende Stätte zu
erringen, durchsucht die Schluchten und Höhen unbekannter Gebirge nach dem
Reichthum der Metalle, um einem Strome nachfluthender Arbeitskräfte Bahn zu
brechen, und selbst da, wo ein Ort bisher keine Hoffnungen auf
volkswirthschaftlichen Fortschritt geboten hat, forscht er nach möglichen
Hilfsquellen und sucht ihn wenigstens durch die Verbindung mit dem
Außenleben in den großen, allgemeinen Verkehr zu ziehen und in den Mitgenuß
der Früchte anderer Arbeitsfelder zu bringen.
So sind in fremden Welttheilen jene Städte entstanden, welche in den ersten
Tagen ihres Bestehens kaum einige armselige Baracken aufzuweisen hatten und
doch in verhältnißmäßig kurzer Zeit ihre Einwohner nach Tausenden und
Hunderttausenden zählten. So blühen auch hier im alten Lande an früher ganz
unbeachteten Orten plötzlich Niederlassungen empor, deren rauch- und
rußgeschwärzte Bevölkerung mit jeder Stunde wächst, und die Speculation legt
einen ihrer Eisenstränge um den andern hinaus in das Land, damit jedes
Einzelwirken hereingreife in das Getriebe der großen, allgemeinen Arbeit und
kein strebsames Bemühen in der Abgeschlossenheit verkümmere.
Es ist nicht mehr der Wunsch nach Schutz und persönlicher Sicherheit,
welcher die Wohnungen der Menschen zusammenlegt, sondern die Nothwendigkeit
der gegenseitigen Unterstützung für die Erreichung friedlicher Lebenszwecke,
die jetzt um so schneller und leichter erreicht werden, als bei der immer
fortschreitenden Erweiterung des Horizontes es Jedermann ermöglicht ist,
Ort, Zeit und Weise seiner Thätigkeit seinen Wünschen und Befähigungen
anzupassen. Daher war die Einführung der Freizügigkeit und die Aufhebung des
Zunftwesens von allen Seiten als eine Nothwendigkeit zu erkennen und mit
Dank zu begrüßen.
Die Bibel erzählt von Kain und Abel als den Ersten, welche sich einer
bestimmten Berufsthätigkeit hingaben. Kain war Jäger und Abel ein
Ackersmann. Während die Jagd längst zu einer Nebenbeschäftigung, ja zu einem
Vergnügen geworden ist, wird man in der Landwirthschaft zu allen Zeiten die
eigentliche Grundbedingung gewerblicher Thätigkeit und
volkswirthschaftlichen Wohlstandes erkennen. Die Bodencultur liefert nicht
nur den verschiedensten Gewerben die nöthigen Materiale und Producte,
sondern ist in Beziehung auf die Erbauung unsrer Nahrungsmittel der
Menschheit vollständig unentbehrlich und giebt in den Preisen, welche sie
für dieselben fordert, den Werth aller Arbeitserzeugnisse an. Je mehr oder
weniger man für Getreide etc. zahlt, desto höher oder tiefer stellt sich
auch der Betrag, welchen man für alles Uebrige zu entrichten hat.
In der Landwirthschaft ergreift der Mensch Besitz von der Erde, die ihm von
dem Schöpfer übergeben worden ist. Er macht sie sich zum unanfechtbaren
Eigenthum und zwingt sie, ihn als Trägerin seiner Wohnstätte und Erzeugerin
seiner sämmtlichen Bedürfnisse dienstbar zu sein. Darum wurde der Ackerbau
bei allen alten Völkern hoch geachtet, sodaß selbst Könige vom Throne
stiegen und in feierlichem Aufzuge den Pflug durch den Acker führten.
Ende des dreiundzwanzigsten Teils –
Fortsetzung folgt.
Karl May: Geographische Predigten
Karl May – Leben und
Werk