7.
Stadt und Land.
»Wohl dem Manne, welchem es gelang, im
Kreise seiner Mitbürger festen Fuß zu fassen;
er hat sich aus der Brandung des Lebens
gerettet auf den sichern Felsen eines heimath-
lichen
Herdes!«
B. Franklin.
Der Vergleich des Lebens mit einer Brandung hat seine volle Berechtigung.
Die gewaltigen Wogen der Zeit umrauschen den winzigen Planeten, welcher
auf seiner zerbrechlichen Kruste das Volk der Menschen trägt; sie thürmen
sich hoch empor an den Grenzen des irdischen Lebens, lecken und nagen an
der trügerischen Festigkeit alles Bestehenden und lassen ihre Donner über
den ganzen Kreis der Erde erschallen. Jahre, Monden, Wochen, Tage und
Stunden fluthen in endlosem Drange über die Scene und wälzen aus ihren
unergründlichen Tiefen jene zusammenhängende Reihe von Ereignissen an die
Sonne, welche den Inhalt und Gegenstand der Geschichte bilden. Das gährt
und treibt, das wallt und gebährt, das kocht und sprudelt, das spritzt und
zischt, und kein einziger dieser Tropfen ist ohne Inhalt, jede dieser
Wogen birgt ihre Thatsachen, und unerforschliche Gesetze geben dem
scheinbar Getrennten und Beziehungslosen innigen Zusammenhang.
Wie in der Brandung eine Welle die andere verdrängt, eine Woge mit der
andern kämpft, so zeigt auch das Leben einen nicht endenden Kampf des
Nahenden mit dem Verschwindenden, des Zukünftigen mit dem Bestehenden, des
Einen mit dem Anderen. Nur der Geist hat eine ewige Berechtigung, das
Körperliche, das von ihm Geschaffene und ihm Unterthänige darf nur für
diejenige kurze Zeit bestehen, welche zu seiner Reife erforderlich ist und
muß nach erfülltem Zwecke verschwinden, um neuen fruchtbaren Erscheinungen
Platz zu machen. Im Branden thürmen sich die Wasser, im Ringen wächst die
Kraft, und wie die gestaltlose Zeit selbst die festesten Welten
zerbröckelt, so schreitet auch in dem Turniere zwischen Stoff und Idee,
zwischen Körper und Geist der letztere von einem Siege zum anderen und
unterwirft sich wie spielend physische Kräfte, deren Bezwingung unmöglich
zu sein schien.
Dieser Alles bewältigende Geist hat seine siegreiche Macht nur einem
einzigen irdischen Wesen, dem Menschen, verliehen und ihm damit die hohe
Aufgabe ertheilt, das Todte zu beleben, das Formlose zu gestalten, das
Starre zu bewegen und den Triumph des Gedankens über Land und Meer zu
tragen. So wird der Mensch der Held der irdischen Schöpfung, obgleich er
äußerlich nicht für dieses Heldenthum ausgestattet zu sein scheint. Für
den Krieg der Geschöpfe gegen einander ist fast jedes derselben mit einer
Waffe ausgestattet worden, welche sich entweder für den Angriff, die
Vertheidigung oder auch zu beiden zugleich eignet. Der Löwe hat seine
Pranken, der Bär seine Tatzen, der Elephant seine Klugheit und Stärke, der
Affe seine Gelenkigkeit, der Fuchs seine List, der Stier seine Hörner, der
Hirsch seine flüchtigen Läufe, das Krokodil, der Hai seinen fürchterlichen
Rachen, der Vogel seine Schwingen, die Schlange ihr Gift, der Krebs seine
Schere, die Muschel ihr schützendes Gehäuse, und selbst diejenigen Thiere,
denen eine Waffe zu fehlen scheint oder auch wirklich fehlt, werden durch
ihre Farbe und Aehnliches vor Gefahr oder durch hohe Fruchtbarkeit vor dem
Aussterben geschützt. Jedenfalls aber steht keines derselben unter einer
so langjährigen Hilfsbedürftigkeit, wie diejenige ist, mit welcher das
menschliche Kind auf die unausgesetzte elterliche Pflege und Bevormundung
angewiesen wird.
Es ist ein weiter und schwieriger Weg von dem lallenden Wickelkinde bis
zum stolzen »Herrn der Schöpfung«, und nur durch unausgesetzte Anstrengung
des Geistes führt er zum Ziele. Der Einzelne kann ihn unmöglich
selbstständig zurücklegen; er ist an die Hilfe, die Lehre und den Rath
zahlreicher Anderer gewiesen und vermag sich nur durch sie die Erfahrungen
der verflossenen Jahrhunderte anzueignen, um so mit einem Schritte die
Vergangenheit zurückzulegen und die Spitze der allgemeinen Entwickelung zu
erreichen.
Und nicht blos in geistiger, nein, auch in rein äußerer, in körperlicher
Beziehung ist er an die Angehörigen seines Geschlechtes gebunden. Nur
durch sie und ihre Errungenschaften findet er Schutz und Schirm gegen die
Feindseligkeiten, denen er vom ersten Tage seines Lebens bis zum letzten
Augenblicke desselben ausgesetzt ist, und darum ist von Anbeginn der
Geschichte an das Streben des Einzelnen, mit Seinesgleichen in Vereinigung
zu treten, zu beobachten. Die natürlichste und engste Vereinigung findet
im Kreise der Familie statt, und von ihr aus ziehen sich immer weitere
Kreise, bis der letzte und größeste derselben die ganze Menschheit umfaßt.
Schon der Alleinstehende suchte Schutz vor dem Unbill der Witterung und
zahlreichen anderen Fährlichkeiten unter dem Dache einer Wohnung, die er
seinen Bedürfnissen gemäß einrichtete. Bald aber kam er zur Erkenntniß,
daß er seinen Zweck durch die Vereinigung mehrerer und wo möglich vieler
Wohnungen leichter und vollständiger erreiche. Dieser Gedanke gab den
Anstoß zur Gründung dessen, was wir jetzt eine Gemeinde nennen; es
entstanden gesellige Niederlassungen, welche nothwendiger Weise bald einen
politischen Character annahmen und zuweilen zur Entstehung wichtiger
Staaten, ja, gewaltiger Weltreiche führten.
Die Gegenwart hat auch in Beziehung auf das Gemeindewesen herrliche
Fortschritte hinter sich, aber in Beziehung auf die Großartigkeit der
Niederlassungen finden wir schon im grauen Alterthume höchst augenfällige
Beispiele. Es sei hier nur an Babylon und Ninive erinnert.
Die erstere der beiden Städte lag am Euphrat, der sie in zwei Theile
schied, und bildete ein Viereck, dessen Umfang nach Herodot 12 deutsche
Meilen betrug. Die über 2 Millionen betragende Einwohnerschaft wurde
beschützt durch eine