Wenn die mit Feuchtigkeit und Electricität
geschwängerte Atmosphäre ihre Last nicht mehr zu halten vermag, dann
erhebt das Gewitter seine grollenden Donner und durchzuckt mit leuchtenden
Blitzen den zur Nacht gewordenen Tag. Hohen Segen vermag es der ermüdeten
und lechzenden Erde zu bringen; es erquickt die Natur nach angestrengtem
Schaffen und sättigt den Boden mit neuen, fruchttreibenden Kräften. Aber
auch das Verderben lauert hinter den hoch auf sich thürmenden Wolken,
denn, wie Schiller sagt:
»Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen,
Wachsend ohne Widerstand,
Durch die volksbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl.«
Dann frißt das glühende Element die Erzeugnisse der menschlichen Arbeit
mit nur schwer zu bewältigender Gier, und die Fluthen, von rapidem
Wachsthum über die schützenden Ufer getrieben, rollen über Feld und Flur,
ziehen das vergeblich gegen sie ankämpfende Leben in ihre schmutzige Tiefe
und verwüsten die Stätten, in denen der Mensch seine Hoffnungen in die
Erde legte, damit sie zu einer reichen Erndte heranreifen möchten.
So auch im Leben des Volkes. Auch hier giebt es einen Blitzstoff, welcher
sich nach zunehmender Schwüle über gewisse Kreise entladen und entweder
Heil oder Unheil bringen kann.
»Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten;
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schooß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhülfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß es heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.«
Die Revolutionen mögen immerhin ihre Vertheidiger haben, welche sich Mühe
geben, die Nothwendigkeit derselben zu begründen, es wird doch nie zu
leugnen sein, daß die Gewalt eine gefährliche Maßregel sei und die, wenn
auch langsamere aber friedliche Entwickelung der staatlichen Verhältnisse
einer Ueberstürzung vorzuziehen ist, welche rücksichtslos über Glück und
Leben zahlreicher Bürger streitet und den wirthschaftlichen Wohlstand
ebenso wie die öffentliche Ruhe und Sicherheit erschüttert. Man hat die
segensreichen Folgen der französischen Revolution gepriesen; diese Folgen
sind allerdings nicht wegzudemonstriren, aber man vergleiche sie mit den
Opfern, welche sie gekostet haben, und sie werden bedeutend an Werth
verlieren. Die normale Höhe und Geschwindigkeit einer Strömung ist dem
Wohlstande stets günstiger als eine Anschwellung der Fluth, welche auf das
Signal »Im Hochlande fiel der erste Schuß« von den mit thauendem Schnee
bedeckten Bergen mit drängender Gewalt zu Thale treibt.
Nicht alle Flüsse und Ströme ergießen ihre Wasser in das Meer; sie
verlaufen sich zuweilen in sumpfiger Niederung oder versiechen im dürren
Steppensande. Ein Blick in das Leben der Völker zeigt uns ähnliche
Erscheinungen, über die hier nur eine Andeutung gegeben werden soll. Und
wie auf höher liegendem Gebiete das Wasser ein lebhafteres Gefälle zeigt
als in ebenen Ländern, so ist auch die Entwickelung der Gebirgsvölker eine
durchschnittlich raschere als diejenige der tiefer wohnenden
Nationalitäten. Die meisten der heilvollen Anstöße, welche die Geschichte
des menschlichen Fortschrittes zu verzeichnen hat, sind von den Bergen
herab gegeben worden, und wie jene stagnirenden Gewässer, welche wenig
oder gar keinen Zu- und Abfluß zeigen, nur in streng von der Außenwelt
abgeschlossenen Hochthälern oder auf ebener Niederung vorkommen, so ist
auch nur an diesen beiden Punkten die Erscheinung zu bemerken, daß die
Bewohner einer besonderen Gegend oder eines ganzen Landes sich dem
kräftigen Vorwärtsdrängen der Cultur entzogen sehen.
Auch ein jeder einzelne Mensch hat seine Wege und Straßen, welche er geht,
und fühlt den Einfluß gewisser Strömungen, dessen Wirkung er nicht zu
annulliren vermag. Die sonnige Höhe einer von freundlichen Blumen
geschmückter Flur, die nebelfeuchte Verborgenheit eines dunklen
Waldgrundes, die düstere Armuth einer von Trümmern besäeter Felsenschlucht
sind Orte, an denen der Quell zu Tage tritt. Ist's nicht mit der Geburt
des Menschen dasselbe? Wie die Richtung eines Flusses von der
Beschaffenheit seines Quellgebietes abhängig ist, so ist auch der Ort, an
welchem ein Menschenkind das Auge erschloß, nicht gleichgültig für die
spätere Richtung seines Lebens, für den Verlauf seines Schicksales. Und
wie ein jeder Strom sein Dasein doch nur dem Meere zu verdanken hat,
welches ihn mittelst der Wolken speist - Yang - tse - kiang, Meer-Sohn-
Fluß, also Oceanssohn, nennen deshalb die Chinesen sehr bezeichnend ihren
blauen Fluß - so ist auch jedes einzelne Individuum in geistiger und
materieller Beziehung ein Kind zunächst