| Nummer
16 |
Schacht
und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.
Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in
Dresden, Jagdweg 14.
Geographische Predigten.
von Karl May. |
18.
Dezember 1875 |
// 125 //
1.
Himmel und Erde.
(Schluß.)
Die Bahnen dieser Himmelskörper sind so lang
gedehnt, daß der Komet von 1680 der Sonne sich bis auf blos 30,000 Meilen
näherte und sich dann wieder 3000 Millionen Meilen von ihr entfernte.
Dieser Abstand äußerte auch eine auffällige Wirkung auf die Schnelligkeit
seines Laufes, welche in der Sonnennähe 53 Meilen, in der Sonnenferne aber
nur 6 Ellen in der Secunde betrug. Der Komet von 1858 braucht 2000, der
von 1811 2840, ja es giebt einen, der sogar 102,500 Jahre braucht, um
seine Bahn nur ein einziges Mal zu vollenden.
Bis auf Tycho de Brahe galten sie gar nicht für Weltenkörper, sondern nur
für Lufterscheinungen (Meteore) und hatten also dasselbe Schicksal wie die
Sternschnuppen, welche für atmosphärische Gebilde gehalten wurden, bis
Chladni in Berlin im Jahre 1804 die später auch bewiesene Meinung
aussprach, daß sie kosmischen Ursprung haben, Trümmern von Weltenkörpern
seien und als Meteorsteine unsre Erde zuweilen besuchen, weil dieselbe
ihre Bahn durchkreuzt.
So ungeheuer der Raum ist, welchen die Sonne mit den sie umschwimmenden
Welten einnimmt, er ist doch verschwindend klein im großen, unausdenkbaren
Weltgebäude. Schon mit bloßem Auge vermag man bei heiterem Nachthimmel
5000 Sterne zu zählen, während das bewaffnete Auge davon über 145,000
erkennt und man vermuthet, daß der ganze Himmel über 75 Millionen Sterne
trägt.
Diese Sterne, wegen der scheinbaren Unveränderlichkeit ihres Standortes
»Fixsterne« genannt, sind so weit von unsrer Erde entfernt, daß der
Lichtstrahl, welcher doch in jeder Secunde 40,000 Meilen zurücklegt, vom
Monde 11/2 Secunden, von der Sonne 8 Minuten 18 Secunden, von No. 61 des
Schwanes 9 Jahre, vom Polarsterne 40 Jahre und von den Plejaden 700 Jahre
braucht, um zu uns zu gelangen.
Bei dieser ungeheuren Entfernung ist es sehr wahrscheinlich, daß wir heut
das Licht von Sternen sehen, welche längst schon in Trümmer gegangen sind
und dagegen Welten noch nicht erblicken, die schon Jahrhunderte lang auf
Bahnen wandeln, welche unser Rohr zu erreichen vermag. Und trotzdem
richtet der Mensch seinen Blick nach oben, läßt sich von keinem
Hindernisse schrecken und besiegt, je weiter er im Wissen vorschreitet,
desto größere Schwierigkeiten, welchen die Vorwelt vollständig machtlos
gegenüberstand.
Ist der Geist des Menschen wirklich ein Odem Gottes, so muß ihm auch die
göttliche Allmacht innewohnen, welche sich immer mehr von den Fesseln des
Endlichen befreit und emporstrebt zum Schauen und Erkennen. Was der
Vergangenheit ein Wunder war, das ist der Gegenwart eine Leichtigkeit,
etwas Alltägliches und Gewöhnliches, und wie der vom Drange der
Wissenschaft beseelte Wanderer in die Wüsten der entlegensten Continente
dringt und mit Todesgefahr und tausend Fährlichkeiten die Kämme der
höchsten Gebirge übersteigt, so erfaßt das bewaffnete Auge einen Stern
nach dem andern und bestimmt mit Hülfe der Spectralanalyse die Stoffe, aus
welchem Himmelskörper bestehen, die selbst der Blitz erst nach
Jahrhunderten erreichen könnte.
»Wo warst Du, da ich die Erde gründete? Sage mir es, bist Du so klug?
Worauf stehen ihre Füße versenket und wer hat ihr einen Eckstein gelegt,
da mich die Morgensterne lobeten und jauchzeten alle Kinder Gottes?« fragt
Hiob, und seine Zeit mußte zu diesen Fragen schweigen, während wir vor
ihnen nicht mehr zu erschrecken brauchen.
Diese »Kinder Gottes«, diese »Jerubim und Seraphim«, wie unsre Bibel die
Sterne nennt jauchzen dem Herrn Sabaoth ihr Hallelujah von Ewigkeit zu
Ewigkeit; wir vernehmen ihre Stimme und - sprechen nicht blos von der
Musik der Sphären, sondern berechnen mit genauen Zahlen die Intervalle der
großen Weltenharmonie.
Die Alten erklärten sich die Entstehung der Milchstraße durch die Sage von
der Ziege Amalthea, welche am Himmel weidete und denselben mit ihrer Milch
betröpfelte. Welcher Unterschied zwischen dieser kindlich naiven
Anschauung und den Aufklärungen, welche uns die jetzige Astronomie
ertheilt! Ist es uns auch nicht möglich, jene »Zervan akerene« (anfanglose
Zeit), von welcher die persischen Religionsbücher berichten, zu begreifen,
so dürfen wir doch mit Stolz auf die Errungenschaften der heutigen
Wissenschaft blicken, und wenn wir auch nicht vermessen genug sein können,
den Himmel stürmen zu wollen, so wissen wir doch, daß uns die Entwickelung
mit wenn auch langsamen, aber doch sicheren und unaufhaltsamen Schritten
zu ihm emporführen wird. Und das ist die Seligkeit, welche unsrer wartet;
das ist das Reich Gottes, in welchem das kleine Senfkorn des menschlichen
Wissens zu einem Baume heranwachsen wird, welcher ewige und unvergängliche
Früchte trägt.
Die Heimath, die da droben unsrer wartet, zieht unser bestes und
schärfstes Denken himmelwärts und nimmt unser Fühlen und Wollen gefangen
in einer Sehnsucht, welche, den Meistern unbewußt, sich wie ein Faden
durch unser ganzes Leben zieht.
In den unergründlichen Tiefen des blauen Aethers liegt unsre Zukunft
verborgen; mag der Zweifler spotten, es kommt ihm doch die Stunde, in
welcher ihn eine Ahnung des Zukünftigen, welchem er sich nicht entziehen
kann, überwältigt, und es ist mit Nichtem ein Triumph des Menschengeistes,
wenn er sich lossagt von dem Vertrauen zum Vater, der sein Kind aus der
Finsterniß zum Lichte, aus dem Dunkel zur Klarheit emporziehen will an
seine Rechte.
Wenn in stiller Abendstunde der ernste Blick sich zu dem funkelnden
Diademe des Himmels erhebt und, wie magnetisch festgehalten, bei den
Lichtern der Nacht, der »Tausendäugigen«, verweilt, so schwellt sich die
Brust unter jenem Gefühle, für welches die Sprache noch nicht das rechte
Wort erfand, weil
// 126 //
sie den Ort nicht kennt, nach welchem die Sehnsucht des
einsamen Menschenherzens gerichtet ist.
Wie das entzückte Auge der Braut immer wieder zurückkehrt zu den
strahlenden Steinen, mit welchen sie der glückliche Bräutigam zu schmücken
strebte, so kann das sinnige Gemüth nicht lassen von den funkelnden
»Runen« des Himmels, welche in unvergänglicher Sprache die Liebe
»Alfadurs« predigen und ihr mildes, tröstendes und beruhigendes Licht
herniedersenden in das Bangen und Verlangen des Erdenlebens.
Mag die Wolke zeitweilig sie verhüllen, sie erscheinen doch immer von
Neuem, jene »Coyllur cunna«, die himmlischen Heere, wie das untergegangene
Volk der Inka's die Sterne nannte; ihr Schimmer kann nicht lassen von der
kleinen Erde und nimmt Abschied von dem einen Volke nur, um dem andern
aufzugehen und im Verschwinden das Nahen des jungen Morgens, des hellen
Tages zu verkünden. Und treu wie sie, ist ihnen auch der Mensch.
Klopft sein Puls schneller unter dem belebenden Drange der Freude oder
befeuchtet die Wimper sich mit den Perlen des Leides, legt der Kummer sich
wie ein Berg auf die ermüdende Seele oder verdoppelt begeisternde Hoffnung
die Kraft des denkenden Geistes, des schaffenden Armes, jede Regung seines
Innern richtet die Sterne seines Auges empor zu ihren himmlischen Brüdern
und macht sie zu Vertrauten seines Schmerzes, seines Glückes.
Und was Tausende unbewußt thun und unbeachtet empfinden, dem giebt der
Dichter deutlichen Ausdruck in den Klängen, welche seiner Leyer
entströmen, um hinauf zu tönen »über die Wolken.«
Der alttestamentliche Seher sieht mit prophetischem Blicke die Hoffnung
seines Volkes sich erfüllen durch das Aufgehen von dem »Sterne« Davids,
und die Geburt des gottähnlichsten der Menschen ward verkündet durch den
Lobgesang der »himmlischen Heerschaaren« und das Erscheinen jenes
Heroldes, von welchem die drei Könige sagten: »Wir haben seinen Stern
gesehen im Morgenlande«.
Die packende Macht der biblischen Poesie knüpft die höchste Seligkeit an
das Wort »Himmelreich« und verdeutlicht das größeste Entsetzen durch das
Bild der fallenden Sterne. Mit überwältigenden Worten schildert der
»Gottessohn« den Hereinbruch des göttlichen Strafgerichtes: »Es werden
Sonne und Mond den Schein verlieren; die Sterne werden hernieder fallen,
und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Alsdann werden heulen alle
Geschlechter auf Erden.« Wie er, so that schon Moses, der große Führer und
Gesetzgeber des Volkes Israel, welcher den Fluch der Sünde nicht drohender
verkündigen konnte, als in den Worten: »Der Himmel über Deinem Haupte wird
sein wie Erz, die Erde unter Deinen Füßen wie Eisen, und Staub und Asche
wird es regnen!« Lieblich und verheißungsvoll dagegen klingt sein Segen
über Asser, dem Sohne Jacobs: »Der im Himmel sitzet und daß Herrlichkeit
in den Wolken ist, der sei Deine Hilfe!«
Und wie die Bibel, - Sung Tscheet, das »himmlische Buch,« wird sie von den
Chinesen genannt - so weist auch das fromme Kirchenlied die Sehnsucht nach
Gottes Liebe und Segen immer nach oben.
»Befiel Du Deine Wege
Und was Dein Herz nur kränkt,
Der allertreusten Pflege
Deß, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden
Giebt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Wo Dein Fuß gehen kann!«
singt Paul Gerhardt, und nie ist wohl das Gottvertrauen besser ausgesprochen
und begründet worden, als in dem einfach schönen Kinderliede
»Weißt Du, wie viel Sternlein stehen
An dem blauen Himmelszelt,
Weißt Du, wie viel Wolken gehen
Weithin über alle Welt etc.«
Wenn der Dichter der Urania singt:
»Nächtlich einsam wandl' ich durch die
Haide,
Wo mein Geist den weiten Raum durchschifft.
Wer enthüllt mir diese Sternenschrift
An dem feierlichen Prachtgebäude,«
so antwortet ihm der Sänger des Vaterunsers:
»Du hast die Säulen Dir aufgebaut
Und Deine Tempel gegründet.
Wohin mein gläubig Auge nur schaut,
Dich Herr und Vater es findet!«
und wie die Pflanze nicht am Tage wächst, sondern dann, wenn die Sonne
hinter dem Horizonte verschwunden ist, so ist es auch »Dunkelglanzmähne,«
wie die nordische Mythologie die Nacht nennt, welche vorzugsweise das Gemüth
zu jenem ernsten Sinnen stimmt, aus welchem der Glaube sein Wachsthum zieht.
Der Tag schlingt um den Menschen die Fesseln der Arbeit und der Sorge; die
Nacht befreit ihn aus diesen Banden, gewährt ihm Ruhe und spricht zu ihm von
der Aufgabe, welche höher ist als alle seine irdischen Verpflichtungen.
Das Herz mit seinen unergründlichen Tiefen und unerforschten Räthseln ist
dem Firmamente verwandt. Wie die Höhen des Himmels hat es seine Sterne,
seine Meteore, seine Wolken, und darum macht es seine schönsten Rechte am
Liebsten dann geltend, wenn die Abenddämmerung ihren duftigen Schleier über
die Erde gewoben und der letzte Strahl des sinkenden Tages die erglühenden
Spitzen der Berge zum Abschiede geküßt hat.
Dann lächeln die Sterne so »freudvoll und leidvoll« von oben herab, und so
»leidvoll und freundvoll« hebt sich die Brust unter den Regungen des kleinen
und doch so großen Menschenherzens.
Und wie der glanzumflossene Bogen des Himmels sich so gern mit der
krystallenen Fluth vermählt und sein Bild in sie herniederlegt, so schickt
der Himmel, welcher im Allerheiligsten der menschlichen Brust ruht, sein
Bild empor in das Krystall des Auges und breitet seine verklärenden oder
verdüsternden Farben selbst über die Züge des Angesichtes.
Wer in das reine Auge eines Kindes, in das verzeihende Auge einer Mutter
gesehen oder dem vertrauensvollen, hingebenden Blick der Geliebten
begegnete, der hat die Seligkeit gefühlt, welche dieser Himmel zu spenden
vermag. Möge Jeder sein Herz bewahren in treuer Sorge; denn auch er trägt
einen Himmel in demselben, auf dessen Sternenstrahl die Seinen ein heilig
Anrecht haben! –
Ende des zweiten Teils – Land und
Wasser.
Karl May: Geographische Predigten
Karl May – Leben und
Werk