| Nummer
34 |
Schacht
und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.
Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in
Dresden, Jagdweg 14.
Geographische Predigten.
von Karl May. |
22.
April
1876 |
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6.
Strom und Straße.
(Fortsetzung.)
Doch waren dies nur Privatunternehmungen,
deren Erfolge keine bedeutenden sein konnten, und oft klang die Kunde von
einem entlegenen Lande nur wie eine fremde Sage aus der Ferne herüber.
Anders war es, wenn in einem rings von Gebirgen umschlossenen Gebiete sich
die Bevölkerung so vermehrt hatte, daß die nöthige Nahrung nicht mehr zu
erlangen war. Dann stürzten sich die wehrhaften Krieger wie eine immer
größer werdende Lawine von den Bergen herab auf die Tiefländer
überschwemmten Strecken, viele Tausende von Quadratmeilen groß,
unterjochten die Völkerschaften, auf welche sie stießen und trugen den
Sieg auf den Spitzen ihrer Schwerter so weit, bis sie endlich des Kämpfens
müde wurden und sich zur Ruhe setzten. Ein solcher Stoß, welchen eine
Nation auf die andere ausübte, pflanzte sich oft von einem Erdtheile auf
den anderen über, brachte die Menschen mit einander in Verbindung und gab
Veranlassung zum Anlegen von Wegen und Straßen, für welche es sonst noch
Jahrhunderte lang kein Bedürfniß gegeben hätte.
Solche Züge sind ganz besonders von den Hochebenen zwischen Altai und
Himalaya ausgegangen und haben ihre Völkerfluthen bis hinab nach Sibirien,
hinüber nach Japan, hinunter nach Indien, herüber nach Europa, ja sogar
bis nach Mittelafrika gewälzt. Der Name Mongole hat sich seit jenen Zeiten
bis auf die heutige Gegenwart herein in lebhaftem Andenken erhalten.
Als die seßhaften Völker anfingen, Städte zu bauen, stellte sich die
Nothwendigkeit heraus, die Ortschaften durch Straßen zu verbinden, um dem
gegenseitigen Verkehre die nöthige Förderung zu erweisen. Da die meisten
dieser alten Städte an Flüsse gelegt waren, so boten die letzteren die
passendste Gelegenheit für den Hin- und Hertransport; freilich war das oft
nicht ausreichend genug, und so bildete sich bald ein Nebenverkehr auf
Landwegen. Derselbe fand mittelst Lastthieren statt, welche bei der
Unsicherheit der damaligen Zeiten in Karawanen versammelt wurden und nur
zu gewissen Zeiten ihre beschwerliche Reise antraten.
Diese Art und Weise der Personen- und Güterbeförderung hat sich in
Gegenden, deren örtliche Beschaffenheit das Anlegen fester Straßen nicht
erlaubte oder deren Bevölkerung sich dem industriellen und commerciellen
Fortschritte entzog, bis heut' erhalten, und ganz besonders ist dies bei
dem Oriente und den Wüstenstrecken Afrika's der Fall, wo Pferd und Kameel
fast ausschließlich noch die Beförderungsmittel bilden.
Das erste, einfachste, aber zugleich kostspieligste Beförderungsmittel war
die menschliche Kraft selbst, deren Anwendung eine so naheliegende ist,
daß wir ihr selbst in unserer vorgeschrittenen Zeit noch in
tausendfältigen Erscheinungen begegnen. Die Anwendung der Schleife bildete
den ersten Fortschritt auf diesem Felde und hat sich im Schlitten bis auf
uns erhalten. Ein ungleich größerer Schritt aber war der, welchen man von
der Schleife zum Rade that. Dieses ist für uns eine der alltäglichsten
Erscheinungen, für welche das gewöhnliche Auge kaum mehr einen
aufmerksamen Blick übrig hat, und doch gehört die Erfindung desselben zu
den einflußreichsten und wohlthätigsten, welche jemals gemacht worden
sind. Abgesehen von dem feststehenden Rade, welches als Rolle oder
überhaupt Maschinentheil die bedeutendsten Lasten überwältigt und die
verschiedenartigsten Arbeiten unternimmt, ist es das fortlaufende, um eine
Achse sich drehende Rad gewesen, welches zur Anfertigung aller
fortrollenden Transportwerkzeuge, wie Wagen, Karren etc., führte und mit
Nothwendigkeit zur Herstellung von Straßen zwang. Die bewegende Kraft mag
sein, welche sie wolle, Mensch, Thier oder Dampf, immer muß sie sich des
Rades bedienen, und wenn ein neuerer Gelehrter weissagt, daß für die
nächsten Jahrhunderte eine Erfindung zu erwarten sei, durch welche der
Radmacher und Wagenbauer in Ruhestand versetzt werden müsse, so ist die
Erfüllung dieser Prophezeihung mit vollem Rechte zu bezweifeln. Hebel,
Rolle, Rad, schiefe Ebene, Keil und Schraube sind die sechs Grundformen
aller unserer Werkzeuge und Maschinen; die Mechanik kann nach vorwärts
schreiten durch eine neue Anwendung einer, oder eine noch nicht dagewesene
Verbindung mehrerer dieser sechs sogenannten »einfachen Maschinen«, nie
aber wird sie vermögen, zu ihnen eine siebente zu entdecken, und daher
steht eine Verabschiedung des Rades wohl schwerlich zu erwarten.
Die Erfindung desselben fällt jedenfalls in das graueste Alterthum zurück,
denn in den ältesten Urkunden fast aller Völker der vorchristlichen Zeit
finden wir bereits den Wagen erwähnt und zwar meist in seiner besonderen
Anwendung als Kampf- und nach beendeter Schlacht als Siegeswagen. Alle aus
jenen Zeiten herüberklingenden Nachrichten sind meist kriegerische und wir
dürfen uns nicht wundern, daß wir oft nur auf diesem Wege von
Einrichtungen hören, welche vorzugsweise bestimmt sind, dem Frieden zu
dienen. Auch das Wort »Heerstraße« enthält einen deutlichen Hinweis
darauf, daß der Wegebau sich willig den Gesetzen, welche das Schwert
dictirte, fügen mußte, und die alten, berühmten Römerstraßen zum Beispiele
waren zunächst für die Zwecke des Krieges angelegt.
Strom und Straße. Bei diesen beiden Worten dürfen wir nicht ausschließlich
an Wasserstraßen und Landwege denken. Es giebt Strömungen und Bewegungen,
welche einem höheren, dem geistigen Gebiete angehören und hier nicht
übergangen werden dürfen.
Eine gewisse Anschauung des Erdenlebens nennt dasselbe eine Pilgerschaft
und bezeichnet die Bilder von einem Lebenspfade, einem Lebenswege, einer
Lebensbahn als wohlberechtigte Ausdrücke. Auch die Bibel bedient sich
dieser sinnbildlichen Sprache, indem sie von einem schmalen und einem
breiten Wege spricht, von denen der erstere zum ewigen Leben, der
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letztere aber zur ewigen Verdammniß führe. Wie das Dasein eines jeden
einzelnen Menschen seinen Anfang, seine Richtung und sein Ende hat, so auch
die Entwickelung ganzer Völker, des menschlichen Geschlechtes überhaupt, ja
des großen irdischen Lebens im Allgemeinen.
»Die Entwickelung der irdischen Verhältnisse folgt dem Laufe der Sterne,
geht also von Osten nach Westen,« heißt das erste und oberste Gesetz,
nach welchem sich alle fruchtbringende Bewegung auf unserm Planeten regelt.
Man hat das Vorhandensein eines solchen Gesetzes von verschiedenen Seiten
lebhaft bestritten, aber es ist nicht zu leugnen, daß die Meinung Derer,
welche sich zu ihm bekennen, Vieles für sich habe.
Der Osten, also Asien, ist die Geburtsstätte des Menschen, und von hier aus
breitete sich die immer wachsende Bevölkerung nach Westen aus und
überschritt den Kaukasus ebenso wie die Landenge von Suez, um Afrika und
Europa in Besitz zu nehmen. Von Letzterem ward erst Grönland und dann
Amerika entdeckt und der Inselkreis des südlichen Weltmeeres in Besitz
genommen. Mit dem Menschen wanderte Alles seiner Herrschaft Unterworfene von
Osten nach Westen. Die Thiere, welche er zu zähmen verstanden hatte, zogen
mit ihm, und die Pflanzen, welche seinem Eigenthumsrechte unterlagen,
versetzte er an seinen jedesmaligen neuen Wohnsitz. Beide, Thiere und
Pflanzen, lernten, sich acclimatisiren und erlangten nach und nach
diejenigen Eigenschaften, durch welche sie befähigt wurden, die
Zonenunterschiede in möglichst hohem Grade zu überwinden. Alle unsere
Hausthiere, alle unsere Culturpflanzen haben - mit wenigen Ausnahmen - ihre
Heimath in Asien und während ihrer Jahrhunderte langen Wanderungen sich die
hohe Befähigung angeeignet, uns rund um den Erdball treue Begleiter zu sein.
So lange diese Bewegung sich von Osten nach Westen, nach Süden oder Norden
richtet, ist sie eine erfolgreiche, während die umgekehrte Richtung entweder
eine sofort verunglückte genannt werden muß oder einen kurzen Segen bringt,
welcher sich schließlich in Unsegen verwandelt. Es mag Mühe kosten, die
Ursachen dieser Erscheinung zu ergründen, aber die Erscheinungen selbst sind
nicht zu leugnen und ebensowenig die Deutlichkeit, mit welcher sie auf ein
bestimmtes und unumstößliches Gesetz hindeuten, in Folge dessen sie in das
Leben treten.
Wie lange hatten die Eroberungen der alten Babylonier, Assyrer, Meder,
Perser, Macedonier und Römer Stand? Warum sind die Chinesen schon seit über
tausend Jahren zu einem vollständigen Culturmüßiggang verdammt? Welche
Früchte haben uns die Kreuzzüge gebracht und die Römerzüge der Hohenstaufen
gegenüber den unermeßlichen Verlusten, die wir durch sie erlitten? Warum
mußte Napoleon der Große seine Kaiserkrone verlieren, sobald er sich gen
Osten wagte? Warum sind die Völker des amerikanischen Festlandes dem
Untergange geweiht? Eine Unzahl ähnlicher Fragen drängt sich dem
aufmerksamen Freund der Geschichte auf, und es mag wohl sein, daß bei
Beantwortung derselben sowohl örtliche als auch individuelle Gründe in
Miterwägung gezogen werden müssen, immer aber wird als Hauptursache das oben
angegebene Gesetz zu nennen sein.
Diesem Gesetze gegenüber kann man mit nicht sehr großem Vertrauen an die
Zukunft der russischen und englischen Eroberungen in Asien denken. Der
Spötter mag immerhin lächeln, aber die Geschichte geht unbeirrt ihren
großen, ruhigen Schritt und zeigt wohl zuweilen ein nachsichtiges Schweigen,
läßt sich aber nun und nimmermehr einen Ungehorsam gegen ihre eigenen
Gesetze abtrotzen. Giebt es doch Gelehrte, welche den Fortbestand der
Kartoffel in Zweifel ziehen und dabei auf die Krankheit hindeuten, welcher
diese segensreiche Pflanze unterliegt, weil wir sie nicht dem Osten, sondern
dem Westen verdanken.
Auch das Leben der Nationen, der Völker hat seine Ströme und Straßen, auf
denen es sich ausbreitet oder welche seinen inneren Bewegungen Richtung
geben. Der größeste, der gewaltigste Strom verdankt seinen Ursprung der
Quelle, die dem dunklen Schooße der Erde entsteigt, aus den von allen Seiten
herbeiströmenden Zuflüssen Vergrößerung zieht, durch ihre immer wachsenden
Gewässer nach allen Richtungen Segen spendet und nach Lösung der ihr
gewordenen individuellen Aufgabe sich mit den Wogen des Meeres vermählt, um
nun der großen, allgemeinen Bestimmung des Oceanes sich dienstbar zu machen.
So auch das Volk. Seine Anfänge sind klein, und sein Ursprung führt meist in
das Dunkel der Verborgenheit zurück. Aber die ihm innewohnende Lebenskraft
treibt es vorwärts zwischen den mannigfach gewundenen Ufern, welche ihm von
den außer ihm liegenden Verhältnissen gezogen werden, an denen es sich reibt
und die ihm innewohnenden Kräfte erprobt, um unter segensvoller Thätigkeit
das ihm vorgesteckte Ziel zu erreichen. Denn wie jeder einzelne Wasserlauf
für den Nutzen einer besonderen Gegend bestimmt ist, so hat auch jedes
einzelne Volk an einer Aufgabe zu arbeiten, die ihre Grenzen innerhalb einer
ganz bestimmten Ausdehnung von Zeit und Raum findet.
Ende des neunzehnten Teils –
Fortsetzung folgt.
Karl May: Geographische Predigten
Karl May – Leben und
Werk