Nummer 32 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
8. April 1876


// 254 //

5.
Mensch und Thier.
(Schluß.)

Instinct oder Ueberlegung? Wie oft hört man diese beiden Worte aussprechen, die doch beide eine geistige Thätigkeit bezeichnen, welche auf die Handlungen des Thieres bestimmend einwirkt. Denn wäre unter dem Instincte ein bloßer, dem Bewußtsein vollständig fremder Naturtrieb zu verstehen, so müßte man von einem solchen auch bei der Pflanze sprechen, welche die Wurzelkeime in die dunkle Erde, die Blätterkeime aber dem Lichte der Sonne entgegentreibt. Instinct hat dann auch der Mensch, welcher tausend unwillkürliche Handlungen begeht, die mit einer berechnenden Absicht Nichts zu thun haben und Ergebnisse derjenigen Naturgesetze sind, denen er mit seinem ganzen Wesen und Leben gehorsamen muß.

Man darf sich wohl vor der Behauptung hüten, daß das Thun des Thieres ein mechanisches, eine Gewohnheitsfolge sei; denn wenn man zugiebt, daß jedes thierische Wesen dasjenige, was es zu vollbringen vermag, erst gelernt haben muß, so fühlt man sich gleich darauf in die Nothwendigkeit versetzt, zu gestehen, daß eben das Lernen eine geistige, eine selbständige Thätigkeit und Anstrengung voraussetzt.

Natürlich ist diese Thätigkeit bei den höher gestellten Geschöpfen eine ausgeprägtere, und darum können wir auch nur bei ihnen von einem wirklichen Character sprechen, der ein um so augenfälliger ist, je mehr die freie Selbstbestimmung hervortritt. -

Das Eingreifen des Menschen in das Leben der Thiere ist meist ein gewaltthätiges. In den zahlreichsten Fällen steht er ihnen als Mörder gegenüber, um mit ihren Körpertheilen des Leibes Nahrung und Nothdurft zu decken und einer Menge von Industriezweigen die nöthigen Producte an die Hand zu geben. Selbst da, wo er, wie z.B. der Landmann, seine thierischen Untergebenen mit dem Namen »Nutzvieh« bezeichnet, ist sein Verfahren von der Selbstsucht geboten, laufen seine sogenannten humanen Bestrebungen auf die Rücksichten des Eigennutzes hinaus und führt seine Pflege doch nur zu einer Schädigung an der Freiheit und dem Leben der in seinem Besitze befindlichen Geschöpfe.

Während in erster Linie hier der Jäger und der Fleischer zu nennen sind, darf das Thun und Treiben des Naturforschers ein weniger feindliches genannt werden, obgleich auch er zuweilen »den Tod im Blicke trägt.« Während bei den Andern der geschäftliche Gewinn als Triebfeder wirkt, folgt er dem edleren Wissensdurste, um die Gestaltungen einer reichbelebten Welt kennen zu lernen, die seinen Betrachtungen eine unendliche Fülle des anziehendsten Stoffes bietet.

Unter allen Menschenkindern aber, welche dem zoologischen Leben ihr Interresse widmen, ist keines demselben so freundlich, so rücksichtsvoll und nachsichtig gesinnt wie der Dichter, welcher selbst mit dem Behemoth und Leviathan innige Freundschaft schließt, nicht ein einziges der unzähligen Würmchen in seinem Rechte kränkt und das verklärende Licht seiner Poesie selbst über das absolut Häßliche und Abstoßende fallen läßt. Er lauscht dem Zirpen der Grille wie dem Brüllen des Löwen, dutzt sich mit Mäusen und Elephanten, parlirt mit Goldfischen und Walthieren und lebt mit all diesen Creaturen auf einem Fuße, der dieselben zur größten Dankbarkeit verpflichtet. Die Ergiebigkeit seiner Phantasie ist wirklich erstaunlich und die Geschicklichkeit, seinen Schützlingen ein beredter Sachwalter zu sein, bewundernswerth. Es giebt keine schlimme That oder Eigenschaft, der er nicht eine Ursache zur Entschuldigung abzugewinnen vermag, und wo ihm auch das nicht möglich ist und er sich alle Vertheidigungsmittel aus der Hand gerungen sieht, fühlt er sich keineswegs in Verlegenheit gesetzt, sondern greift mit stets schlagfertiger Taktik zum Humore, um das allseitige »Gruseln« vor den kleinen und großen Ungeheuern in ein heiteres Lachen zu verwandeln.

»Mich bizt neizwaz, waz mag daz seyn?«*)

fragt in längst verklungener Sprache das alte Lied vom schwarzen Ritter Floh, und wer es gelesen oder gehört, muß schließlich zugestehen, daß der auf verborgenen Wegen wandelnde blutdürstige Held ein galanter Damenfreund ist, der ganz so wie die mittelalterlichen Burgherren und Edelknappen vorzugsweise dem schönen Geschlechte seine Tapferkeit und Minne widmet.

Nur er, der Dichter, bringt das Kunststück fertig, zwei spazierengehende Löwen einander so auffressen zu lassen, daß Nichts übrig bleibt

»... von den Löwen edel,
Als nur die beiden Wedel.«

Und fast noch Wunderbareres leistet er, wenn er als Arzt seine Heilmittel dem Thierreiche entnimmt:

»Ein Mann, geplagt in seinem Haus,
Riß sich die ganzen Haare aus;
Dem heilt ich auf die kahle Stell
Ein Stückchen schwarzes Pudellfell.

'ne Sängerin litt schon lange Zeit
An ungeheurer Heiserkeit;
Mehlwürmer heilten diesen Fall,
Jetzt singt sie wie 'ne Nachtigall,«

erzählt er von seinen Curen, die gar nicht zu bezweifeln sind, wenn man an die Intimität denkt, in der er zu allen Geschöpfen steht, ihre Sprache kennt und ihnen alle möglichen Geheimnisse ablauscht. Während der prosaische Mensch das Pferd nur wiehern, die Ziege nur meckern und die Katze nur miauen hört, vermag der Dichter all diese Töne in echtes, richtiges Hochdeutsch zu übersetzen und weiß Wort für Wort und Sylbe für Sylbe, was gewiehert, gemeckert und miaut worden ist. Glücklicher Weise leidet er nicht an dem Fehler der Verschwiegenheit, und so erfahren auch andre Menschenkinder die ihnen sonst verborgenen Heimlichkeiten:
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* »Mich beißt Etwas, was mag das sein?«


// 255 //

»Der Hahn singt schon in aller Früh
Der Henne vor sein Kikriki;
Sogar der dumme Gimpel schreit
Von Liebesgram und Liebesleid.«

Besonders sind es die zartstimmigen, gefiederten Wesen, denen die Töne seiner Leier erklingen. Er weist ihnen im heiligen Reiche der Liebe die verantwortungsvolle Stellung als Briefträger an:

»O bitt Euch, liebe Vögelein,
Will keines von Euch mein Bote sein?«

läßt sie vor dem Auge des Liebchens als nachzuahmendes Beispiel leuchten:

»Zieht im Herbst die Lerche fort;
     Singt sie leis 'ade!'
Sag mir noch ein liebend Wort,
     Eh' ich von Dir geh!«

und stirbt zuletzt gar mit ihnen im Schooße der Holden, welche ihm die Erhörung verweigert:

»Schießt mich ein Jäger todt,
Fall ich in Deinen Schooß;
Siehst Du mich traurig an,
Gern sterb' ich dann!«

Hat er auf diese Weise sein Herz von der Last der Seufzer befreit, so kann er sich den Ansprüchen des materiellen Lebens nicht länger entziehen; auch die Muse muß essen und trinken, wenn sie bei Kräften bleiben will, und dann treibt sie der Appetit sogar in die Nähe jenes Wesens, welches den Juden ein Aergerniß und den Muselmännern ein Gräuel ist:

»Heil Dir, geborstetes,
Ewig geworstetes,
Dutzend geborenes,
Niemals geschorenes,
Köstliches Schwein.
Heil, Heil und dreifach Heil
Dem Schwein und seinem Hintertheil!«

Am besten versteht es der Fabeldichter, mit der Thierwelt zu verkehren und diesen Verkehr besonders für die Jugend fruchtbringend zu gestalten. Auch der Componist ist zuweilen gemüthvoll genug, das geistreiche

»Der Kukuk und der Esel, die hatten ein Streit,
Wer wohl am besten sänge zur schönen Maienzeit.«

in Musik zu setzen, und manches in der Jugend gerngesungene Lied klingt, wie das alte, liebgewordene

»Weißt Du, wie viel Mücklein spielen«

bis in das späte Alter hinüber und hat seinen Einfluß auf die religiösen und sittlichen Ansichten eines mühevollen und prüfungsreichen Menschenlebens unbestritten ausgeübt. Die poetische Anschauung dringt nach und nach in das gewöhnliche Leben ein, beseitigt das Vorurtheil und mildert die Strenge. Sie hebt das Characteristische, das Beachtenswerthe hervor und erwirbt dem Thiere die menschliche Theilnahme und Dankbarkeit, wo es diese sonst vielleicht nicht gefunden hätte.

»Wer hat, wenn ich auf Gottes Welt
Allein mich fand, zu mir sich gesellt,
Wer hat mich geliebt, wenn ich mich gehärmt,
Wer, wenn ich fror, hat mich gewärmt,
Wer hat mit mir, wenn ich hungrig gemurrt,
Getrost gehungert und nicht geknurrt?«

rühmt Chamisso die Tugenden seines Hundes, und vergleicht man mit diesem Bilde den Character des Wolfes, des Fuchses, der Hyäne, die doch dem Hunde verwandt sind, so erkennt man den Einfluß des Menschen auf die in seiner Gesellschaft lebenden Thiere erst in seiner vollsten Stärke und Bedeutung.

Wenn die Bibel sagt, daß sich auch die leblose Creatur nach Erlösung sehne, so darf man dabei nicht an eine Himmelfahrt der Thiere denken, sondern dieses Wort will nur auf den Einfluß hinweisen, welchen der aus den Banden der Finsterniß befreite Menschengeist auf die Verbesserung aller irdischen Verhältnisse und also auch auf die Erscheinungen der verschiedenen Naturreiche auszuüben vermag und auch wirklich ausübt. Die Entwickelung des Menschen zieht alle unsre Daseinsformen in ihren Bereich, baut Stufe um Stufe dem großen Ziele der Vervollkommnung entgegen und führt mit Nothwendigkeit zur allmähligen Erfüllung des alten, biedern Wunsches, daß es

»Hier auf unsrer Erden
Mit Allem möge besser werden!«

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Ende des siebzehnten Teils – Strom und Straße.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk