Instinct oder Ueberlegung? Wie oft hört man
diese beiden Worte aussprechen, die doch beide eine geistige Thätigkeit
bezeichnen, welche auf die Handlungen des Thieres bestimmend einwirkt.
Denn wäre unter dem Instincte ein bloßer, dem Bewußtsein vollständig
fremder Naturtrieb zu verstehen, so müßte man von einem solchen auch bei
der Pflanze sprechen, welche die Wurzelkeime in die dunkle Erde, die
Blätterkeime aber dem Lichte der Sonne entgegentreibt. Instinct hat dann
auch der Mensch, welcher tausend unwillkürliche Handlungen begeht, die mit
einer berechnenden Absicht Nichts zu thun haben und Ergebnisse derjenigen
Naturgesetze sind, denen er mit seinem ganzen Wesen und Leben gehorsamen
muß.
Man darf sich wohl vor der Behauptung hüten, daß das Thun des Thieres ein
mechanisches, eine Gewohnheitsfolge sei; denn wenn man zugiebt, daß jedes
thierische Wesen dasjenige, was es zu vollbringen vermag, erst gelernt
haben muß, so fühlt man sich gleich darauf in die Nothwendigkeit versetzt,
zu gestehen, daß eben das Lernen eine geistige, eine selbständige
Thätigkeit und Anstrengung voraussetzt.
Natürlich ist diese Thätigkeit bei den höher gestellten Geschöpfen eine
ausgeprägtere, und darum können wir auch nur bei ihnen von einem
wirklichen Character sprechen, der ein um so augenfälliger ist, je mehr
die freie Selbstbestimmung hervortritt. -
Das Eingreifen des Menschen in das Leben der Thiere ist meist ein
gewaltthätiges. In den zahlreichsten Fällen steht er ihnen als Mörder
gegenüber, um mit ihren Körpertheilen des Leibes Nahrung und Nothdurft zu
decken und einer Menge von Industriezweigen die nöthigen Producte an die
Hand zu geben. Selbst da, wo er, wie z.B. der Landmann, seine thierischen
Untergebenen mit dem Namen »Nutzvieh« bezeichnet, ist sein Verfahren von
der Selbstsucht geboten, laufen seine sogenannten humanen Bestrebungen auf
die Rücksichten des Eigennutzes hinaus und führt seine Pflege doch nur zu
einer Schädigung an der Freiheit und dem Leben der in seinem Besitze
befindlichen Geschöpfe.
Während in erster Linie hier der Jäger und der Fleischer zu nennen sind,
darf das Thun und Treiben des Naturforschers ein weniger feindliches
genannt werden, obgleich auch er zuweilen »den Tod im Blicke trägt.«
Während bei den Andern der geschäftliche Gewinn als Triebfeder wirkt,
folgt er dem edleren Wissensdurste, um die Gestaltungen einer
reichbelebten Welt kennen zu lernen, die seinen Betrachtungen eine
unendliche Fülle des anziehendsten Stoffes bietet.
Unter allen Menschenkindern aber, welche dem zoologischen Leben ihr
Interresse widmen, ist keines demselben so freundlich, so rücksichtsvoll
und nachsichtig gesinnt wie der Dichter, welcher selbst mit dem Behemoth
und Leviathan innige Freundschaft schließt, nicht ein einziges der
unzähligen Würmchen in seinem Rechte kränkt und das verklärende Licht
seiner Poesie selbst über das absolut Häßliche und Abstoßende fallen läßt.
Er lauscht dem Zirpen der Grille wie dem Brüllen des Löwen, dutzt sich mit
Mäusen und Elephanten, parlirt mit Goldfischen und Walthieren und lebt mit
all diesen Creaturen auf einem Fuße, der dieselben zur größten Dankbarkeit
verpflichtet. Die Ergiebigkeit seiner Phantasie ist wirklich erstaunlich
und die Geschicklichkeit, seinen Schützlingen ein beredter Sachwalter zu
sein, bewundernswerth. Es giebt keine schlimme That oder Eigenschaft, der
er nicht eine Ursache zur Entschuldigung abzugewinnen vermag, und wo ihm
auch das nicht möglich ist und er sich alle Vertheidigungsmittel aus der
Hand gerungen sieht, fühlt er sich keineswegs in Verlegenheit gesetzt,
sondern greift mit stets schlagfertiger Taktik zum Humore, um das
allseitige »Gruseln« vor den kleinen und großen Ungeheuern in ein heiteres
Lachen zu verwandeln.
»Mich bizt neizwaz, waz mag daz seyn?«*)
fragt in längst verklungener Sprache das alte Lied vom schwarzen Ritter
Floh, und wer es gelesen oder gehört, muß schließlich zugestehen, daß der
auf verborgenen Wegen wandelnde blutdürstige Held ein galanter Damenfreund
ist, der ganz so wie die mittelalterlichen Burgherren und Edelknappen
vorzugsweise dem schönen Geschlechte seine Tapferkeit und Minne widmet.
Nur er, der Dichter, bringt das Kunststück fertig, zwei spazierengehende
Löwen einander so auffressen zu lassen, daß Nichts übrig bleibt
»... von den Löwen edel,
Als nur die beiden Wedel.«
Und fast noch Wunderbareres leistet er, wenn er als Arzt seine Heilmittel
dem Thierreiche entnimmt:
»Ein Mann, geplagt in seinem Haus,
Riß sich die ganzen Haare aus;
Dem heilt ich auf die kahle Stell
Ein Stückchen schwarzes Pudellfell.
'ne Sängerin litt schon lange Zeit
An ungeheurer Heiserkeit;
Mehlwürmer heilten diesen Fall,
Jetzt singt sie wie 'ne Nachtigall,«
erzählt er von seinen Curen, die gar nicht zu bezweifeln sind, wenn man an
die Intimität denkt, in der er zu allen Geschöpfen steht, ihre Sprache
kennt und ihnen alle möglichen Geheimnisse ablauscht. Während der
prosaische Mensch das Pferd nur wiehern, die Ziege nur meckern und die
Katze nur miauen hört, vermag der Dichter all diese Töne in echtes,
richtiges Hochdeutsch zu übersetzen und weiß Wort für Wort und Sylbe für
Sylbe, was gewiehert, gemeckert und miaut worden ist. Glücklicher Weise
leidet er nicht an dem Fehler der Verschwiegenheit, und so erfahren auch
andre Menschenkinder die ihnen sonst verborgenen Heimlichkeiten: