| Nummer
31 |
Schacht
und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.
Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in
Dresden, Jagdweg 14.
Geographische Predigten.
von Karl May. |
1.
April
1876 |
// 246 //
5.
Mensch und Thier.
(Fortsetzung.)
Deshalb ist er geneigt, Alles nur von seinem
selbstischen Standpunkte aus zu beurtheilen und kommt so zu oft falschen
Ansichten. Das Thier, welches ihm seine Freiheit nicht opfert, nennt er
wild, dasjenige, welches sich zuweilen unter seinem Joche noch zu sträuben
wagt, falsch und heimtückisch, das sich knechtisch unterwerfende treu, das
Raubthier, trotzdem es nur dem ihm innewohnenden Naturgesetze folgt,
blutdürftig und grausam, das Rind, das Schaf, die Seidenraupe, die Biene
nützlich, die Viper, den Scorpion, die Raupe schädlich, und das Alles nur,
weil er sich nicht zu der vorurtheilsfreien Anschauung erhebt, nach
welchem jedes Wesen ebenso wie er selbst ein berechtigtes und
wohlbegründetes Dasein zu führen hat, um einem weisen Schöpfungsplane zu
dienen.
Und doch hat dieser Egoismus auch wieder seine volle Berechtigung, da
durch ihn der kräftigste Hebel in Bewegung gesetzt wird, das Thierleben
unter den Einfluß der alle feindseligen Gegensätze ausgleichenden Cultur
zu stellen und den Frieden auch dahin zu bringen, wo die dem rohen
Naturtriebe überlassenen Geschöpfe sich gegenseitig befehden, zerfleischen
und vernichten. Der Tiger, welcher sich im Blute seines Opfers berauscht,
die Boa, deren Schlund sich selbst für einen Ochsen zu weiten vermag, das
Krokodil in seiner abschreckenden Gestalt und häßlichen Gefräßigkeit, sie
alle müssen dem Menschen weichen, weil er die bisher von ihnen zu lösende
Aufgabe in seine Hände nimmt, um in der Polizeiverwaltung der Natur das
Präsidium zu führen und die lebenden Wesen unter eine Regierung zu
vereinen, welche den Naturgesetzen Rechnung trägt, indem sie das
unversöhnlich Schroffe mildert und in eine weniger rauhe Gewandung
kleidet.
Deshalb muß die rohe und ungelenke thierische Kraft der überlegenen
Gewandtheit des menschlichen Geistes weichen, und die Mörder und Tyrannen,
die Riesen und Recken des Thierreiches flüchten sich vor ihm immer tiefer
in die Wildnisse, wo sie früher oder später doch von seiner sicheren Hand
erreicht und dem Untergange, dem Aussterben geweiht werden. Die
vorsündfluthlichen Saurier und mit ihnen alle jene phantastisch
gestalteten Riesengeschöpfe, deren Thätigkeit nur in einem ewigen und
erbarmungslosen sich Vernichten bestanden zu haben scheint, sie sind
verschwunden; so werden auch Arten, welche die Gegenwart noch kennt, aus
dem Dasein scheiden und nur diejenigen Wesen erhalten bleiben, welche der
allmäligen Civilisation der Erdoberfläche nicht einen unbeugsamen
Widerstand entgegensetzen.
Diese Civilisation legt an die Berechtigung der Existens den Maßstab des
Nutzens, welchen ein Geschöpf dem andern, vorzüglich aber dem Menschen
bringt. Je größer die Vortheile sind, welche ein Thier dem Letzteren
bietet, desto lieber und sorgsamer nimmt er es in seine Pflege, unter
seinen Schutz und sorgt für die Erfüllung aller nothwendigen
Lebensbedingungen. Mit ihm dem Menschen, entwickelt sich auch das Thier,
indem es sich den verschiedenartigsten Veränderungen unterwirft, und es
ist gar nicht zu leugnen, daß in Beziehung auf das Thierleben ebenso von
einem Fortschritte gesprochen werden kann, wie in Beziehung auf die
Zustände der menschlichen Gesellschaft. -
Es gab eine Zeit, in welcher der Mensch einsam stand in der großen, weiten
Schöpfung, den anderen und zwar sehr oft feindlichen Daseinsformen
gegenüber angewiesen allein auf seine noch unentwickelte geistige Kraft.
Ohne äußere Vertheidigungswaffen sah er sich den Angriffen von Thieren
ausgesetzt, mit denen er sich in körperlicher Beziehung unmöglich messen
konnte und die er in seiner kindlichen Einfalt deshalb mit seinen jungen
Begriffen mit einem höheren, göttlichen Wesen in Verbindung brachte: er
betete sie an oder stellte sie wenigstens unter den Schutz der Religion,
erklärte sie für heilig. Er hatte noch keine Beobachtungen gemacht, keine
Erfahrungen gesammelt, hielt sie deshalb für geistig sich ebenbürtig und
dichtete ihnen Eigenschaften an, welche ihr Dasein allein nur seiner
Einbildungskraft verdankten.
Diese Phantasie blieb auch dann noch thätig, als seine fortgeschrittene
Kenntniß einem jeden Wesen längst den ihm angewiesenen Platz angewiesen
hatte, und Legende, Sage und Fabel sind bis auf die heutigen Tage thätig
geblieben, die Seele des Thieres in eine innigere und nähere Beziehung zu
dem Menschengeiste zu stellen, als es die Natur gethan hat. Die Mythologie
und Geschichte der Alten kennt zahlreiche Wesen, welche halb Mensch, halb
Pferd, halb Fisch oder Vogel waren, und berichtet von Thieren, welche mit
den übernatürlichsten Gaben und Eigenschaften ausgestattet sind. Besonders
gern thut dies die nordische Mythe, welche das Götterleben mit den
wunderbarsten Thiergestalten schmückt und sogar die Seligen in Walhalla
mit einem Eber versorgt, dessen Fleisch, wenn es verspeist worden ist,
immer wieder lebendig wird, damit es morgen wieder geschlachtet und
genossen werden kann. Wie bedauerlich, daß es nur in der Sage und nicht
auch in Wirklichkeit solche »Braten ohne Ende« giebt!
Auch die späteren Zeiten haben ihre geheimnißvollen Erzählungen, welche,
wie z.B. die Geschichte von der schönen Melusine, ihren eigenthümlichen
Eindruck auf das kindliche Gemüth nicht verfehlen. Damals gab es noch
Zauberer und Feen, welche arme Menschenkinder in Thiere verwandelten und
sie nur unter schwer zu erfüllenden Bedingungen wieder frei gaben; da
horstete noch der Vogel Greif über den Wolken, und Drachen, Lindwürmer und
anderes furchtbare Gethier forderten die Heldenkraft des Muthigen zum
Kampfe heraus. Bis in den heutigen Tag herein klingen diese romantischen
Berichte und tauchen hier oder da ganz unerwartet in ihren Reflexionen in
der Anschauung des Volkes empor. Mit einem Sperlingsei kann man sich
unsichtbar machen; ein Schluck aus der in einem Ameisenhaufen vergrabenen
Weinflasche giebt Elephantenstärke; der Zahn einer Fledermaus verleiht
ewige Jugend; bei Liebestränken, Amuletten und tausend Ge-
// 247 //
heimmitteln spielen Theile des thierischen Körpers eine hervorragende Rolle,
und sogar die Seelenwanderung spukt zuweilen noch in einem dunklen Kopfe,
welcher sich zu dem heroischen Entschlusse geneigt finden läßt: »Alles will
ich werden, nur kein Droschkengaul!«
Im Gegensatz davon hat auch die heilige Geschichte ihre Thiergestalten von
der Schlange des Paradieses bis zu dem
»..... Kripplein was,
Von dem ein Ochs und Esel fraß,«
bei welchem frommen Reime der weniger Befangene allerdings unwillkürlich an
die bekannte A-B-C- Buch-Tragödie erinnert wird: »Ein toller Wolf in Polen
fraß den Tischler sammt dem Winkelmaaß.« Lieblicher dagegen klingt die
Erzählung von den Tauben Noahs und den Raben, welche den Propheten speisten.
»Was hab' ich Dir gethan, daß Du mich schlägst nun zu dreien Malen?« fragt
daß zum Verwundern Bileams Leibeselin, und bekannt ist ja, mit welcher
ergreifenden Macht die biblische Sprache sich der Beispiele aus dem
Thierleben zu bedienen weiß. Die ganze Sehnsucht eines von der Reue
gefolterten Herzens ist ausgesprochen in den wenigen Worten: »Wie der Hirsch
schreiet nach frischem Wasser;« wie erschütternd klingt die Drohung von dem
Auge, welches »die Raben am Bache aushacken und die jungen Adler fressen,«
und kein bezeichnenderes Wort für Christi Lehre und Character konnte es
geben, als den Hinweis: »Siehe, das ist Gottes Lamm.« Wer hat noch nicht
gelesen von jenem »Wurme, der nie stirbt,« oder von jener Scheidung in
»Schafe und Böcke,« mit welcher der Letzte und Größeste der Propheten das
Walten der ewigen Gerechtigkeit illustrirt?
Auch die heiligen Bücher und Traditionen anderer Religionen greifen fleißig
in das Leben der Thiere oder nehmen dieselben wohl gar so in Schutz, daß sie
die Tödtung derselben verbieten. »Thiur el Djinne,« Vögel des Paradieses
nennt der Araber die Schwalben, weil sie, als der Herr den Garten Eden
verschloß, an dem flammenden Schwerdte des Engels vorüberflogen, um dem
Menschen in das Elend der Verbannung zu folgen; überhaupt versteht es der
Orientale gut, in dieser Weise die bekannten Gestalten und auffälligen
Erscheinungen des Thierreiches mit seinen religiösen Anschauungen in
Verbindung zu bringen und sich mit einer Fülle von Mährchen und Sagen zu
umgeben, welche dem realistischen Abendländer erdrückend vorkommen möchte.
Dieser liebt die nüchterne, auf Thatsachen fußende Darstellung, und wo seine
Dichtkunst sich mit dem Thiere beschäftigt, so thut er es, wie z.B. in dem
Epos von Reinecke, dem Fuchse, oder im »Froschmäusler« von Fischart, als
Psycholog oder Satyriker.
Das Thierreich ist höchst wohlhabend an psychologischen Characteren, und
viele von ihnen sind so scharf gezeichnet, daß sie als Typen Eingang in die
vergleichende Redeweise des alltäglichen Lebens gefunden haben. Von der
Wachsamkeit des Hundes, der Falschheit der Katze, der Verschlagenheit des
Fuchses, dem Fleiße der Biene, der Gefräßigkeit des Hamsters etc. kann man
täglich und stündlich sprechen hören, und es ist hier wirklich der Mühe
werth, beobachtende Vergleiche anzustellen.
Es giebt oft menschliche Physiognomieen, welche mit denen gewisser Thiere
eine auffallende Aehnlichkeit haben, und eine genaue Beobachtung ergiebt
dann stets, daß diese Aehnlichkeit sich nicht blos auf das Aeußere, sondern
auch auf den Character erstreckt. Ein Gesicht mit eng bei einander stehenden
Augen, zurückgebogener, niederer Stirn und schmalen, zugespitzten Zügen hat
unbedingt etwas Raubvogelähnliches, zumal wenn der Kopf nach vorn getragen
wird, während ein kurzer, starker Nacken, große Ohren, dicker und breiter
Schädel, grobzügiges Gesicht mit breiter Nase, kleinen Augen und breiten,
gradgeschnittenen und wulstigen Lippen unwillkürlich an jenes Thier
erinnert, welchem man, wenn es drischet: »das Maul nicht verstopfen soll.«
Mag man solche Vergleiche immerhin als gesucht bezeichnen, der aufmerksame
Beobachter spricht mit vollem Rechte von Fuchs-, Mops-, Bullenbeißer-,
Eulen-, Affen-, Esels- und anderen Gesichtern, und wenn wir das Recht in
Anspruch nehmen, von Adler- und Habichtnasen zu reden, so müssen wir auch
auf die Erlaubniß bestehen, andere Körpertheile zu einem Vergleiche
heranzuziehen. Der Bau und die Haltung des Körpers, der Gang, der Klang der
Stimme, die Art und Weise des Mienenspieles und des sprachlichen Ausdruckes
sind hierbei mit in Betracht zu ziehen, und wenn wir hier Storchbeine, Reh-
und Gazellenaugen, Stiernacken, Gorillaarme und Bärenschritt bunt
untereinander aufzählen, so geschieht dies mit derselben Wahrheit des
Vergleiches, mit welcher man z.B. von einem »Fuchsschwänzer« spricht, einem
Menschen, der sich durch seine ganze Haltung und jede seiner Bewegungen als
das zeigt, was er ist - ein »Schlaupelz,« dem es darum zu thun ist, durch
scheinheilige Lobhudeleien seine Zwecke zu erreichen.
Die Frage, ob das Thier eine Seele besitze, ist für den gegenwärtigen Stand
unserer Kenntniß eine vollständig überflüssige, wenn auch die Untersuchungen
über die Thätigkeit dieser Seele kaum über die Anfänge der
thierpsychologischen Forschungen hinaus gediehen sind.
Ende des sechzehnten Teils – Schluß
folgt.
Karl May: Geographische Predigten
Karl May – Leben und
Werk