| Nummer
29 |
Schacht
und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.
Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in
Dresden, Jagdweg 14.
Geographische Predigten.
von Karl May. |
18.
März
1876 |
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5.
Mensch und Thier.
(Fortsetzung.)
Oder sollte die Meinung von der
Abgeschlossenheit der einzelnen Thierclassen doch vielleicht eine irrige
sein und sich ein gewisses »Einander verstehen« weiter erstrecken, als man
gewöhnlich annimmt? Die Forschung steht sehr oft vor Erscheinungen, welche
eine sogenannte »unumstößliche Wahrheit« in das Schwanken bringen und dem
Wissen neue, bisher ungeahnte Gesichtspunkte öffnen. Es läßt sich nicht
leugnen, daß die Thiere Gehör und Beobachtungsgabe besitzen, und wie der
Hund die Worte oder Pantomimen seines Herrn richtig zu deuten lernt, so
entsteht vielleicht auch zwischen Thieren verschiedener, wohl gar weit
entfernter Gattung eine Art von Verständniß für die gegenseitige Sprache
und Ausdrucksweise.
Ungemein wunderbar sind die Einrichtungen, welche der Schöpfer zum
Hervorbringen der eigentlichen Stimme getroffen hat. Der Bau der
Sprachwerkzeuge bringt je nach seiner Verschiedenheit auch eine
Verschiedenheit der Stimme hervor, und im Allgemeinen läßt sich das Gesetz
aufstellen, daß diese Stimme um so modulationsfähiger sei, als die Gefühle
eine größere Entwickelung besitzen. Je größer die Lungen sind, um so
kräftiger ertönen die von ihnen ausgestoßenen Laute. Ist die Luftröhre
weich, so ist die Stimme matt und dumpf, besteht die Röhre dagegen aus
einer Reihe von knorpeligen Ringen, so wird der Ton ein weit mächtigerer,
schärferer und schneidenderer sein.
Wie in der Welt der Thiere überhaupt, so zeigt sich auch in den Stimmen
derselben die reichste Abwechslung. Jedes Thier hat seine eigenthümliche
Stimme, an der es sofort erkenntlich ist, und nur wenigen Vogelarten ist
es gegeben, auch fremde Laute nachzuahmen.
Im Sumpfrohre, wo Gazellen und Giraffen trinken, liegt der Löwe und
schläft am Tage, bis ihn die nahende Dämmerung weckt. Da richtet er sich
auf, reckt die mächtigen Glieder und läßt jenes Gebrüll erschallen,
welches die Berge zittern und die Heerden heulen macht. Erst seufzend,
dann dumpf röchelnd, schwillt dieser furchtbare Laut, dem kein anderer im
weiten Reiche der Töne zu vergleichen ist, in langgezogenen Stößen an, bis
er zuletzt mit gewaltigem Donner die Luft erfüllt. »Rad«, d.i. »Donner«
nennt daher der Araber den Machtruf des Thierkönigs, dessen Wirkung der
Dichter beschreibt:
»Da liegt der Maure unter Palmen,
Vom Sonnenbrand herbei geführt;
Das Dromedar nascht von den Halmen,
Die noch der Samum nicht berührt.
Da trinkt das Gnu sich an der Quelle,
Der lebensfrischen, voll und satt,
Da naht verschmachtend die Gazelle,
Vom wilden Jagen todesmatt.
Da geht der Löwe nach der Beute,
Der König, kampfesmuthig aus,
Und in die unbegrenzte Weite
Brüllt er den Herrscherruf hinaus.
Und Mensch und Thier, Gnu und Gazelle,
Sie zittern vor dem wilden Ton
Und jagen mit Gedankenschnelle
Entsetzt, von Furcht gepackt, davon.«
Das Brummen des Bären durchschauert die Wildniß, die durchdringende
Trompetenstimme des Elephanten läßt den Tiger erbeben; das Geheul der
Wölfe verbreitet Schrecken über die Steppe und das muthige Wiehern des
Schlachtrosses übertönt selbst die dumpfen Schläge der Kanonen, aber all'
diese Stimmen können sich nicht messen mit den Lauten, welche der Löwe
ausstößt, wenn er seine ebenholzschwarzen Krallen an Fels und Bäumen
wetzt, um sich aus dem nächsten Duar (Dorf) den fälligen Tribut zu holen.
Von diesem entsetzlichen Löwendonner durchläuft die Ausdrucksfähigkeit der
Thierstimme alle Grade bis zu der wundervollen Lieblichkeit, mit welcher
der Gesang der Nachtigall, des orientalischen Bulbul oder des
südamerikanischen Bellbird ertönt. Die vollendetsten Stimmwerkzeuge finden
sich in den schönen und zahlreichen Classen der gefiederten Thierwelt, und
es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die Stimme zu der Größe, dem Baue,
der Lebensweise und dem Character ihres Trägers in innigster Beziehung
steht und als eins der hervorragendsten Merkmale betrachtet werden muß.
Das Brüllen des Löwen, das Grunzen des Ochsen, das dumpfe »Ommu, ommu« der
Hyäne, das scharfheulende »i-a-u, i-a-u« des Schakals, das Blöken des
Schafes, das Miauen und Fauchen der Katze, der wilde, durchdringende
Schrei des Raubvogels, das Girren, Trommeln und Lachen der Taube, das
Schluchzen der Truthühner, das Schleifen des Auerhahnes, das Glucken und
Krähen der Haushühner, aus all' diesen verschiedenen Stimmen läßt sich
ganz genau auf den Character des betreffenden Thieres schließen, denn die
Lüge hat sich leider wohl der menschlichen Rede, nicht aber der Sprache
des Thieres bemächtigen können; die Stimme der Natur redet Wahrheit und
führet niemals irre.
Die große Verschiedenheit zwischen den Vierfüßlern und Vögeln ist auch in
ihren Stimmwerkzeugen ausgeprägt, und dieser Unterschied wird von der
Classe auf die Ordnung, von dieser auf die Familie und von da sogar auf
das einzelne Individuum fortgeführt. Die im Wasser lebenden Vögel
schnattern und klappern, die von Insecten lebenden haben einen süßen,
angenehmen, silberhellen Ton, die von Beeren und Früchten lebenden
trillern und die körnerfressenden haben einen vollklingenden, stoßenden
Gesang; aber all' diese Eigenthümlichkeiten zusammen ergeben ein
vollständig harmonisches Concert, und die zärtlichen, süßklagenden Laute
der Nachtigall, der freundliche Schlag der Wachtel, das Jubiliren der
Lerche, der fröhliche Ruf des Finken, das kunstvolle Lied der Drossel, das
Girren der Taube, der schmetternde, wechselvolle Triller
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des Kanarienvogels, das Flöten des Pirols und die frischen Strophen des
Wasserstaares bilden ebenso ein untrennbares Ganze wie die geschlossene
Gesellschaft, der all' diese Individuen angehören.
Der König unter all diesen Sängern ist unbedingt und ohne Zweifel der
nordamerikanische Spottvogel. Er hat die Größe einer Amsel und die schlanke
Gestalt einer Bachstelze; sein Gefieder ist aschgrau oder dunkelbraun, am
Bauche weißlich, der Schwanz weiß. Die Anmuth und Behendigkeit seiner
Bewegungen, der lebensvolle Ausdruck seiner Augen, der Wohlklang und die
Virtuosität seiner Stimme machen ihn zum Gegenstande der Bewunderung. Er ist
aller Tonbiegungen und Wandlungen fähig von dem schmetternden Wirbel des
Kanarienvogels bis zum heiseren Geschrei des kohlköpfigen Adlers. Es giebt
keinen Laut, keinen Ton, den er nicht ganz genau und in groteskkomischer
Weise wiederzugeben vermöchte. Er piept wie ein junges Hühnchen, das man
getreten hat, und sogleich eilt die alte Henne glucksend herbei, ihre Brut
zu schützen; er pfeift dem Hunde so täuschend, daß dieser schwanzwedelnd an
seinem Herrn emporspringt; er kläfft wie der Hund, miaut wie die Katze,
blökt wie das Schaf, wiehert wie das Füllen und bringt tausend possirliche
Verwechselungen und Ueberraschungen hervor. Deshalb nennen ihn die Mexikaner
»Cencontlatolli«, d.h. den Vogel mit 400 Zungen. Am Schönsten aber ist seine
eigene Stimme, die an Umfang und Wohllaut nicht ihres Gleichen hat und alle
Kehlen des Waldes überbietet.
Einige Vögel haben das Vermögen, Töne hervorzubringen, welche denen der
menschlichen Sprache nahe kommen. Unter den Papageien giebt es sogar Arten,
welche vielfach menschliche Geberden annehmen und räuspern, gähnen, husten,
schnarchen, niesen, seufzen und lachen wie ein wirkliches Menschenkind.
Selbst zum Gesange stimmen sie vorher ihre widerstrebende Kehle, und vermöge
ihrer Gelehrigkeit geben sie ganze Sätze wieder, die sie gehört haben.
Ebenso außerordentlich wie diese Gelehrigkeit ist auch ihr Gedächtniß. Ein
Papagei wurde von seinem Herrn, einem Spanisch-Amerikaner, an einen
Engländer verschenkt und lernte von diesem mehrere englische Worte und
Redensarten. Nach langen, langen Jahren besuchte ein Spanier den Engländer,
und beide bedienten sich der spanischen Sprache zu ihrer Unterhaltung. Der
Papagei vernimmt nach so vielen Jahren zum ersten Male wieder die Klänge
seiner alten Heimath, horcht auf, richtet sich empor, sträubt das Gefieder,
stößt mit krampfhafter Heftigkeit einige spanische Worte aus, die er früher
gelernt hat, und - stürzt leblos hernieder. Die Aufregung, die Freude hat
ihn getödtet.
Es ist kein Wunder, daß die Luft, das leichte, lichte, tonzeugende Element,
die vorzugsweise in ihr lebenden Geschöpfe mit der Gabe des melodischen
Gesanges ausstattet; hören wir doch auch in der kräftigen, machtvollen aber
eckigen und ungelenken Stimme des Landthieres die Eigenschaften seines
Elementes characterisirt. Ebenso entspricht es dem Character der kalten,
nassen Tiefe, daß ihre Bewohner stumm sind, wie sie selbst; wo aber eine
Stimme an ihnen vernommen wird, da flößt sie ebenso Furcht und Schrecken
ein, wie das Meer, wenn es laut wird, um mit dem Sturme ein donnerndes
Zwiegespräch zu halten. Selten tönt diese Stimme so herzhaft lustig wie bei
unserm Frosche, oder so metallisch wie bei manchen südamerikanischen
Sumpfbewohnern, darunter ellenlange Frösche mit Ochsengebrüll. Manche Kröten
haben nur einen heulenden, klingenden Ton, durch welchen sie an den Ufern
von Gewässern mancherlei Sagen vom Glockengeläut im Walde oder von
versunkenen Kirchen verursacht haben.
Aehnlich wie Laub- und Wasserfrösche unsere Sommernächte mit ihren
wunderlichen Serenaden erfüllen, so ertönen auch die herzzerreißenden
Stimmen ihrer liebenswürdigen südlichen Verwandten ganz besonders gern in
naßwarmen Nächten, wenn die Luft den nahen Regen verkündigt. Das ist dann
ein Quaken und Seufzen, ein Pfeifen und Schwirren, ein Bellen, Blöken und
Brüllen, das einen musikalischen Europäer verrückt machen könnte. Aus diesem
Wüthen und Toben schneidet das unheimliche Schnarren riesiger Laubfrösche
heraus und wird begleitet von dem Basse ungeheurer Kröten, die ihre Wander-
und Studentenlieder mit einem schallenden Hohngelächter schließen.
Dazwischen tönt die Stimme des Kohlenfrosches wie ein lautes, einförmiges
Gehämmer, die Bauskröte heult und klagt zum Verzweifeln, die große
Kreuzkröte schreit gellend um Hülfe; die Trapicherokröte antwortet mit einem
viertelstundenlangen, schneidenden Grunzen, und die Aqua- oder Riesenkröte
giebt mit tiefem Brummen den Grundbaß zu diesem Katzenjammer mit solcher
Genauigkeit an, als hätte sie Contrapunkt studirt.
Ende des vierzehnten Teils –
Fortsetzung folgt.
Karl May: Geographische Predigten
Karl May – Leben und
Werk