Nummer 28 Schacht und Hütte.
Blätter zur Unterhaltung und Belehrung
für
Berg - Hütten - und Maschinenarbeiter.
1. Jahrg.

Redaction, Druck und Verlag von H. G. Münchmeyer in Dresden, Jagdweg 14.

Geographische Predigten.

von Karl May.
11. März 1876


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5.
Mensch und Thier.
(Fortsetzung.)

Ebenso bewundernswerth ist die Beziehung, welche zwischen der Gestaltung und Größe eines Landes und derjenigen seiner Thiere stattfindet. Gebirge haben andere Thiere als ebene Länder, vielfach vom Wasser zerrissene Flächen tragen nicht dieselbe Fauna, wie compacte, trockene Striche; große Festländer besitzen auch größere Thiergattungen, kleinere Festländer und namentlich Inseln auch kleiner gestaltete Thiere. So finden sich die Riesen der jetzigen Thierwelt, der Elephant, das Nashorn, das Nilpferd, die Giraffe, der Löwe und Tiger in Asien und Afrika, den breiten, massigen Erdtheilen, während das schmälere Amerika nur den Tapir, das Ljama und einige Rinderarten besitzt, und auf Neuholland das größte Säugethier, das Känguruh, nur in seinen stärksten Exemplaren 140 Pfund schwer wird. Der Tapir ist ein Kälbchen gegen den Elephanten und der Jaguar der neuen Welt nur eine Katze gegen den Löwen der alten Welt.

Auch die Eigenschaften desjenigen Elementes, in welchem das Thier lebt, trägt es an sich. Das Landthier zeigt ein festes Knochengerüste und eine schwere Muskulatur, ganz so, wie sich die Ländermuskeln um das Felsenskelett der Erde legen; das Luftthier ist leicht und voll lebendiger Beweglichkeit, wie die Gashülle, welche uns umgiebt, und dem Bewohner des Wassers ist die schlüpfrige Weichheit und Kälte der feuchten Flüssigkeit eigen.

Dem unbeweglichen, irdischen Stoffe am nächsten verwandt, ist die Koralle für immer an den Boden gebannt; freier schon sind die Muscheln und Schnecken, haben aber für die ganze Zeit ihres Lebens die anerkannt fürchterlichen Lasten eines Hausbesitzers zu tragen; der Krebs wird von seiner »Erdenhülle« so beengt, daß er gezwungen ist, von Zeit zu Zeit buchstäblich aus der Haut zu fahren; der Wurm wird von der festen Materie nicht belästigt, aber »der Schmutz ist seine Welt,« in der er sich bohrend windet; das Reptil hat die Erlaubniß, »den Sonnenstrahl zu speisen,« doch wird es nie befreit von dem Fluche, »Erde zu essen sein Leben lang,« und ob das Landthier einer noch so hohen Classe oder Ordnung angehöre, die Erde hält es fest, hemmt seine Bewegungen und beeinflußt seinen Character, der ein vorwiegend phlegmatischer ist.

Größere Freiheit und Schnelligkeit ist den Bewegungen der Wasserthiere, besonders den Bewohnern der Seen und des Meeres gestattet. Ohne Wärme, wie die Feuchtigkeit, in welcher sie leben, ist das Blut in den Adern der meisten von ihnen kalt; stumm sind sie, wie ihr Element, und giebt sich ihr Dasein dem Ohre zu erkennen, so geschieht es durch dasselbe Plätschern, dasselbe Rauschen, welches das Wanderlied des Baches und die Ode der Meereswogen bildet. Jener Zauber, welchen die geheimnisvolle Tiefe auf das menschliche Gemüth ausübt, theilt sich auch ihren Bewohnern mit, deren Leben wie ein anziehendes und doch ungelöstes Räthsel sich der Betrachtung verbirgt. Wundersam, ungreifbar und gefährlich, wie die Tiefe, über welche »keine Balken« führen, sind auch die Wesen, welche in ihr leben:

»… Von Salamandern, Molchen und Drachen
Regt sich's in dem furchtbaren Höllenrachen.
Schwarz wimmeln da, in grausem Gemisch,
     Zu scheußlichen Klumpen geballt,
Der stachlichte Rache, der Klippenfisch,
     Des Hammers gräuliche Ungestalt,
          Und dräuend weist die grimmigen Zähne
          Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.«

Fröhlich und munter, behend und gewandt, anziehend und freundlich regt sich dagegen das thierische Leben in der Luft, durch deren leicht bewegliche und anschmiegende Fluth der helle Strahl der Sonne flimmert. Das schaukelt und gaukelt, das schwirrt und flirrt, das brummt und summt, das lächelt und fächelt, das ist ein Singen und Klingen, ein Hüpfen und Schlüpfen, ein Necken und Verstecken, ein Lauschen und Rauschen hoch oben, tief unten, bald hier, bald dort, allüberall, wohin sich nur das fleißige Auge wendet, um die Lieblinge des Naturfreundes zu entdecken und ihren blitzesschnellen, zierlichen oder majestätischen Bewegungen zu folgen.

Leise, wie das Säuseln des Zephyrs, klingen die süßen, abgerissenen Laute des träumenden Rothkehlchens; scharf und heiser, wie der Windstoß durch die Felsenenge pfeift, dringt der Schrei des Adlers über die Steinschluchten dahin; schrill und ängstlich, wie die Stimmen der den Sturm verkündenden Luftstöße tönt der warnende Ruf der Möven, die in wirbelndem Fluge das Riff umkreisen; in ruhig klarer Bewegung, wie der Strom des hohen Aethers, passiren die scheidenden Zugvögel in dicht geschlossenen Phalanxen oder gabelförmigen Schwadronen den lichten Horizont; in wellenförmigen Intervallen oder spielendem Wiegen, in kühnen Exercitien oder in souverainer Würde badet der Tagvogel seine Brust in der goldenen Luft, während Käuzchen und Uhu, die Katzen der Lüfte, mit gespenstischem Flügelschlage durch die Schatten des nächtlichen Dunkels schwimmen, um dem Aberglauben Stoff zu tausend furchterweckenden Mährchen zu geben.

Aber wie die Nacht, die dunkelgewandige, sich bei unbedecktem Himmel mit Millionen von Sternen schmückt, so entfaltet auch, wenn die Sonne ihre Purpurgluth im Meere gelöscht, das Thierreich sein phosphorisches Leuchten, um dem Strahle zu antworten, welcher den Gruß des Firmamentes zur Erde bringt. Die Tiefe des Meeres flammt in magischem, geheimnißvollem Lichte, in welchem sich die gefräßige Tintorera, der pfeilschnelle Hummer, die kugelnde Qualle und die vielarmigen Stelleriden baden; am Buge des Schiffes springt die schäumende Spiegelung mit demantischem Flimmer empor, und hinter dem Steuer öffnet sich eine breite, hellflammende Furche; die Schaar der Delphinen wälzt sich in siedendem Golde; wie flüssigem Metalle entschlüpft, werfen sich fliegende

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Fische in die Luft, und um jeden Felsen, um jede Klippe, an jedem Orte der Küste kocht, wallt und spritzt es wie zerflossene Sternenmasse.

Und wie im feuchten, so auch im luftförmigen und auf dem festen Elemente. Im tiefen Dunkel des tropischen Urwaldes entzünden zahllose Insecten ihre Leuchten und erfüllen Luft, Gebüsch und Erde mit zauberischem Glanze. In gradlinigem Fluge trägt der Elater zwei Punkte beständigem Lichtes auf dem Brustschilde; die Lampyris wiegt sich mit ab- und zunehmendem Schimmer des Unterleibes in unsicheren Linien zwischen den Zweigen, während die große Fulgura den blasenartigen Kopf in eine Laterne verwandelt, so hell, daß man dabei lesen könnte. Daher nennt man dieses cicadenartige Insect auch »Laternenträger.« Zahllose andere Feuerträger gesellen sich zu ihnen, und als sei man in einen Mährchenforst versetzt, so zucken die lebenden Funken und Blitze in der Nähe und Ferne, in Höhen und Tiefen und schlingen ihre glänzenden Arabesken durch die Nacht. Und dazu flackert das Irrlicht über dem Sumpfe, und dem Gewirre der vom Alter oder Sturme niedergerissenen oder todt und faulend in den Lianen hängenden Stämme entströmt ein nebelnder Schein, welcher die barocken Gestalten der Pflanzenreste in den abenteuerlichsten Contouren erscheinen läßt. Der bescheidene Schimmer, welchen wir an unserm Johanneswürmchen bemerken, ist nicht im Stande, uns ein Bild jenes »nächtlichen Feuerwerkes im Urwalde« zu geben.

Und dieses an Gestaltungen und Wundern so reiche Thierleben wurde von der Vorsehung mit einem Geschenke begnadigt, welches zu den köstlichsten Gaben der irdischen Natur gehört - mit einer Stimme.

Die Thätigkeit des Auges hat es mit den äußeren Gestaltungen zu thun und ist fast ausschließlich auf die Erkenntniß nur der körperlichen Eigenschaften eines Wesens gerichtet; das Ohr aber dient einer höheren Aufgabe, indem es die Wirkung eines inneren, eines seelischen Lebens in sich aufnimmt und an die geistige Erkenntniß weiter befördert. Das Auge giebt dem menschlichen Gemüthe weniger Nahrung als das Gehör, erst durch dieses Letztere wird der Mensch mitfühlendes Wesen aller anderen mit Empfindung begabten Geschöpfe. Auch die angenehmste, die schönste Landschaft ist leblos, wenn sie nicht durch das Erbrausen des hohen Waldes, das freundliche Murmeln der Quelle, das lustige Plätschern des Baches, das rollende Getöse des Stromes, das Summen der Käfer und Bienen, den Gesang der Vögel und die verschiedenen Töne der vierfüßigen Thiere eine Seele erhält, welche sich dem lauschenden Ohre zu erkennen giebt. Wie uns das Schweigen des Todes mit Schauder erfüllt, so erfreut die Stimme der Natur das menschliche Herz. Sie erweckt uns zu großen Gedanken und Empfindungen und beschäftigt uns mit dem Gedanken von der allgemeinen Verbindung der erschaffenen Wesen. Alles wird zum Psalm des Geschöpfes auf seinen Schöpfer. Wer hat dieses Loblied von tausend und abertausend abwechselnden Tönen, wiederholt vom Echo der Felsen und Wälder nicht schon vernommen? Wen ließ es ungerührt, der für zartere Empfindungen noch ein Herz im Busen trug? Wer hätte nicht oft selig in das Freudengetümmel der Schöpfung hineinjauchzen mögen und rufen mit dem königlichen Dichter des jüdischen Alterthums: »Lobet den Herrn auf Erden Alle, die sein Wort ausrichten; denn sein Name allein ist hoch!«

Nicht alle Thiere besitzen eine eigentliche Stimme, und zwar, weil nicht alle mit einer Lunge und den mit ihr verbundenen Stimmwerkzeugen versehen sind; aber dennoch wissen die meisten von ihnen nach ihrer Art ein Geräusch hervorzubringen, um nach den ihnen verliehenen Kräften auch mit in das hörbare Legen einzugreifen. Einige geben durch das bloße Aneinanderschlagen ihrer Glieder einen Ton von sich, wie die Feldgrillen oder die Heimchen, welche ihr weithin tönendes Gezirpe dadurch verursachen, daß sie die trockenen, häutigen Flügeldecken ein wenig erheben und über einander hin- und herschieben. Andere lassen ein Getöse laut werden, indem sie mit gewaltiger Kraft Flüssigkeiten aus Höhlungen ihres Körpers hervorstoßen, wie der Walfisch, welcher brausend Fontainen in die Höhe treibt. Andere erregen das ihnen eigenthümliche Summen und Brummen entweder durch den behenden Flügelschlag oder durch die Reibung, welche die Luft in den Luftlöchern ihres Körpers hervorbringt. Lungenlose Thiere können nur ein Geräusch, einen Schall, einen Ton hervorbringen, welchem der Mensch keine Articulation abgewinnen kann, trotzdem aber muß er sich vor der Behauptung hüten, daß in diesem Geräusche nicht das Mittel zur Verständigung, zur Sprache liege. Wir kennen die Wunder der Thierwelt noch zu wenig, und es ist anzunehmen, daß sogar Thiere niederer Ordnungen, von denen unser grobes Gehörorgan nie einen Laut vernimmt, doch vielleicht Töne besitzen, welche für uns unhörbar sind; wenigstens ist es zweifellos, daß jedes Thier eine Art und Weise besitzt, sich mit Seinesgleichen zu verständigen. Das Gegentheil wäre nur von solchen Thieren zu behaupten, welche, wie viele Arten der Thierpflanzen und Gewürme, sich nicht unter einander begatten, sondern jedes ohne Zuthun eines andern sein Geschlecht durch sich selbst vermehrt. Sie haben nicht nöthig, einander zu suchen oder ihre Triebe zu erkennen zu geben und leben, mit ihren Begierden in sich selbst verschlossen, allein und in tiefster Einsamkeit.

Jede der so unendlich verschiedenen Arten von Geschöpfen, ungeachtet sie allesammt bei und durcheinander wohnen, bildet für sich gleichsam nur ein eigenes Reich, und keine von ihnen versteht die Sprache, die Sitte oder das Zeichen der anderen. Die Ameise hat Verständniß nur für die anordnenden Winke von Ihresgleichen; die Biene unterhält sich nur mit der Biene; der Rabe folgt nur dem Raben, die Schwalbe der Schwalbe, der Storch dem Storche. Gott trennt durch unzerstörbare Schranken, und wie der Mensch nur den Menschen versteht, so auch jede Gattung der Thiere nur die zu ihr Gehörigen. Was in dieser Gattung vorgeht, wie sie denkt, wie sie fühlt, nach welchen Gesetzen sie handelt, wie sie das ansieht, was außerhalb ihres Kreises ist, das weiß kein anderes Wesen, das nicht in diesen Kreis gehört. Alles ist in sich abgeschlossen, und nur der Gottheit bleibt das Verborgenste jeder Creaturenfamilie offenbar. Wäre der Mensch in das Wesen, in die Triebe, Instincte und Mittheilungszeichen nur einer einzigen Thierart eingeweiht, welch' ein unermeßlicher Schatz von neuen Kenntnissen und Ansichten würde da vor ihm aufgethan sein. Das ganze All der Dinge würde ihm neu erscheinen und so manches unerforschte und tief in sein Leben greifende Räthsel enthüllt vor seinem Auge liegen! Das Mährchen konnte die Weisheit Salomo's nicht größer erscheinen lassen, als durch die Behauptung, daß er die Sprachen aller Thiere verstehe.


Ende des dreizehnten Teils – Fortsetzung folgt.



Karl May: Geographische Predigten

Karl May – Leben und Werk