Ein Abenteuer aus dem »wilden Westen«
von
Karl Hohenthal.
[Karl May]
Die Both Shatters erschien unter dem Pseudonym Karl Hohenthal im September 1881 in dem Hausblatt ›Für alle Welt!‹ des Verlags Göltz & Rühling. Diese Veröffentlichung war offenkundig eine Art Notlösung, um die Spalten der Zeitschrift zu füllen, nachdem Karl Mays Manuskriptsendungen für Die Juweleninsel ausgeblieben waren, der fünfte und letzte Jahrgang um einige Ausgaben verlängert werden musste. Wahrscheinlich verfasste May das Abenteuer aus dem »wilden Westen« bereits im Sommer 1875, bevor Old Firehand entstand. Somit gehört Die Both Shatters zum Stoffkreis der Reihe Aus der Mappe eines Vielgereisten im Dresdner Münchmeyer-Verlag und ist ein Frühwerk. In dieser strukturell schwachen und mit Grausamkeiten gespickten Ich-Erzählung steht der Westmann Sam Thick im Mittelpunkt, den man als den Ur-Sam-Hawkens bezeichnen kann. Beide wurden skalpiert und tragen eine Perücke. Und der Kentuckymann Josias Parker erinnert augenfällig an Old Firehand. Sie haben eine ähnliche traurige Vergangenheit und halten sich in einem Versteck auf, das als Lagerort dient. Winnetou tritt noch nicht handelnd auf, wird jedoch erwähnt. Es werden die näheren Umstände geschildert, wie der Ich-Erzähler von ihm das Pferd Swallow am Rio Suanca ein Jahr zuvor geschenkt bekam, was in Old Firehand ohne Zeitangabe, aber ebenso rückblickend als bereits geschehen nur angedeutet wird. Auch die Herkunft des Henrystutzens wird thematisiert, was in Old Firehand ebenso unterbleibt. Karl May experimentierte seinerzeit noch mit diversen Figuren, Namen und Handlungssträngen. Er war 1875 längst nicht der routinierte Schriftsteller, wie man ihn aus den späteren Jahren kennt, was dem Wildwestabenteuer Die Both Shatters deutlich anzumerken ist. In der Sekundärliteratur wird bislang eine Entstehungszeit um 1876 angenommen, weil der Erzähler über das Zusammentreffen mit Winnetou ›vor einem Jahre‹ – über die Schenkung des Pferdes Swallow – berichtete. Ausgehend von der Firehand-Veröffentlichung im ›Deutschen Familienblatt‹ ab Oktober 1875 müsste demnach Die Both Shatters ein Jahr später entstanden sein. Diese Annahme ist allerdings nicht stichhaltig, da, wie oben bereits erwähnt, die Zusammenkunft am Rio Suanca auch nur ›rückblickend‹ in Old Firehand erwähnt wird. Wäre Die Both Shatters nach Old Firehand entstanden, wäre Winnetou dort auch handelnd aktiv gewesen. Und warum sollte Sam Hawkens durch eine schlechte Kopie wie Sam Thick ersetzt werden? Und letztlich wurde mit dem Happy-End in Old Firehand, der namenlose Ich-Erzähler hat seine Ellen, die Mappe eines Vielgereisten geschlossen. Bereits 1876 hatte sich Karl May nach seinen Geographischen Predigten schriftstellerisch fortentwickelt, wie auch die orientalische Novelle Leïlet eindrucksvoll belegt. Hätte Karl May Die Both Shatters erst 1876 oder gar 1877 verfasst, so wäre dies ein großer Rückschritt gewesen – kaum annehmbar. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass sich der Verleger H. G. Münchmeyer für sein Familienblatt eine Liebesgeschichte im abenteuerlichen Gewand wünschte, die dann auch umfangreicher sein durfte, weshalb Karl May schließlich Old Firehand verfasste und Die Both Shatters, die ihn vermutlich auch nicht überzeugte, beiseite legte. Die Veröffentlichung von Die Both Shatters erfolgt hier buchstabengetreu in der Textfassung der Zeitschrift ›Für alle Welt!‹. Eine frühere Druckfassung ist nicht bekannt. |
Nummer 53 | Für
alle Welt! Illustrirtes Hausblatt. 5. Jahrgang 1881 |
ca. 3. September 1881 |
Die Both Shatters.
Ein Abenteuer aus dem »wilden Westen«
von
Karl Hohenthal.
I.
»Die Prairie schob sich busenähnlich in
den zurücktretenden Urwald hinein, und am äußersten Rande dieser »Bucht,«
wie die Jäger dergleichen Orte nennen, hatte die Gesellschaft, zu welcher
ich gehörte, ihr Lager aufgeschlagen, um für einige Tage von den gehabten
Anstrengungen auszuruhen und bei dieser Gelegenheit einiges »Fleisch zu
machen.« Es war uns auch gelungen, an eine Büffelheerde heranzukommen, und
während die Andern sich eifrig mit den beiden Kälbern, die wir geschossen
und zum Lager geschleift hatten, beschäftigten, hatte ich einen Ausflug
hinaus in die Savanne unternommen, da »Swallow,« mein braver Mustang,
nicht in dem Grade der Ruhe bedurfte wie die andern Pferde.
Ich war am Morgen ausgeritten; die Sonne hatte jetzt schon seit einigen
Stunden den Kulminationspunkt hinter sich, und ich beschloß eben
umzukehren, als ich mehrere Hufspuren bemerkte, auf welche mein Weg im
spitzen Winkel stieß. Ich stieg ab um sie zu untersuchen.
Es war eine eigenthümliche Fährte. In der Mitte derselben ließen sich die
Hufeindrücke zweier Pferde deutlich erkennen; zu beiden Seiten waren je
drei und drei, zusammen also sechs Andere geritten, und ein Siebenter
hatte, bald zu Fuße und bald zu Pferde, bald hüben und bald drüben, seine
Eindrücke hinterlassen. Den Fußspuren nach war es ein Indianer gewesen.
Ich verglich das niedergetretene Gras der einzelnen Fährten und fand, daß
die mittleren zwei Spuren vielleicht um eine Stunde älter waren als die
andern, denn bei ihnen hatten sich die Halme bereits um ein Beträchtliches
mehr erhoben, als bei den übrigen. Es war mir sofort klar, daß die Zwei
von den Sieben verfolgt wurden, deren Spuren so frisch waren, daß sie kaum
vor einer halben Stunde erst vorübergekommen sein konnten.
Da die Fährte ungefähr die Richtung verfolgte, in welcher unser Lager sich
befand, so beschloß ich ihr zu folgen; die Sorge für die Meinigen
erforderte dies. Wir befanden uns in der Nähe des Yellow-Stone- River,
also im Gebiete der den Weißen feindlich gesinnten Sioux, und wenn wir
auch so einige Dutzend tüchtiger Arme besaßen, so konnte ein
Zusammentreffen mit den Indsmen doch nicht in unserem Wunsche liegen. Ich
bestieg also »Swallow« wieder und versetzte ihn in jene ausgiebige
Gangart, welche im Südwesten Sobre-passo genannt wird und darin besteht,
daß das Pferd je die beiden rechten oder linken Füße zugleich, den
Vorderlauf jedoch immer höher als den Hinterlauf erhebt, was eine weit
schnellere und doch sanftere Bewegung ergibt als das Traben.
So legte ich in kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, so daß ich den
Verfolgern schon ziemlich nahe sein konnte, als ich plötzlich zwei
Fußspuren bemerkte, welche von seitwärts herkamen und sich mit der Fährte,
die ich nicht aus dem Auge gelassen hatte, vermischten. Wieder stieg ich
ab um sie zu prüfen.
Sie rührten von zwei Weißen her; das stand fest, denn die Zehen waren nach
auswärts gekehrt, und zugleich sah ich, daß die beiden Männer von sehr
verschiedener Gestalt sein mußten, denn die Fußeindrücke des Einen waren
bedeutend länger als die des Andern. Der Lage der Halme nach waren die
Zwei erst vor wenigen Minuten hier gegangen. Ich stieg auf und folgte
ihnen im Galopp, die Augen bald auf die Fährte und bald in die Ferne
gerichtet, wo ich auch bald zwei schnell vorwärtseilende Punkte bemerkte,
die, als ich näher kam, sich als menschliche Gestalten erwiesen.
Einmal rückwärts schauend erblickten sie mich und blieben halten, um mich
mit zum Schusse erhobenen Büchsen zu erwarten.d
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Als ich so nahe war, daß ich sie genau
zu betrachten vermochte, konnte ich mich eines Lächelns kaum erwehren.
Es waren zwei Männer, welche die Natur als schroffe Gegensätze neben
einander gestellt zu haben schien.
Der Eine war klein, aber von einem ganz ungemeinen Körperumfange. Ein
dichter struppiger Bart bedeckte sein Gesicht so, daß von dem letzteren
nur eine fürchterliche, in allen Farben spielende Nase und zwei kleine,
listig blinzelnde Aeuglein zu erkennen waren. Die verschobene Perrücke,
welche auf seinem breiten Schädel lag, hatte jedenfalls seit langen Jahren
weder Kamm noch Bürste gefühlt und glich einem umgekehrten und zerzausten
Vogelneste. Auf ihr saß ein Ding, welches früher einmal eine Pelzmütze
gewesen sein konnte, jetzt aber alle Haare verloren und ganz das Aussehen
eines umgestülpten faltenreichen Bärenmagens hatte. Der Jagdrock, in dem
das Männlein stak, war jedenfalls für eine bedeutend längere
Persönlichkeit angefertigt worden, denn er hing ihm fast bis an die
Knöchel herab und ließ von der unteren Partie des possierlichen Trappers
nur zwei vielfach zerrissene und zerfetzte Mokkassins erblicken.
Der Andere war fast um die Hälfte höher als sein Gefährte. Seine Glieder
waren so dünn und lang gezogen, daß man befürchten mußte, sie könnten beim
ersten Windstoße wie Fäden auseinandergetrieben werden. Alles an ihm war
lang und dünn oder schmal: die Stirn, die Nase, die Lippen, das bartlose
Kinn, der Hals, der Leib, die Arme und Beine; auf seinem Hinterkopfe
balancirte ein eigenthümlicher Gegenstand, dessen hundertster Urenkel nach
der Darwin'schen Lehre wahrscheinlich Hut zu nennen sein würde; das
lederne Jagdwamms reichte ihm nur wenige Zoll über die dürren Hüften
herab, und die unendlichen Beine staken in zwei weit heraufgezogenen
Futteralen, von denen sich kaum entscheiden ließ, ob sie Strümpfe,
Gamaschen oder Stiefel zu nennen seien.
Ihre Ausrüstung war ganz die bei einem Prairiejäger gewöhnliche und bot,
außer der Büchse des Dicken, keinen Stoff für eine besondere Betrachtung.
Diese aber sah einem im Walde abgebrochenen Prügel ähnlicher als einer
Feuerwaffe. Das Holzzeug an ihr hatte durch Kerben, Sprünge und
abgeschlagene Splitter seine ursprüngliche Gestalt verloren; Lauf, Schloß
und Beschlag waren vom Roste zerfressen, und ein europäischer Schütze
hätte wohl nur mit der größten Vorsicht einen Schuß aus ihr gewagt. Doch
sah ich hier nicht das erste derartige Schießinstrument, mit dem ein
Fremder absolut nichts anzufangen weiß, während der Besitzer aus dem alten
verlaufenen Rohre sicher keinen andern als einen Meisterschuß thut.
»Stop, Sir,« rief mich der Dicke an; »in welcher Absicht reitet Ihr hier
in der alten Wiese spazieren?«
»Spazieren?« wiederholte bekräftigend der Lange, indem er den Lauf seines
Gewehres gerade auf meine Nase richtete.
»Thut Eure Gun's (Flinten) beiseite, Mesch'schurs,« antwortete ich. »Ich
habe nicht die Absicht Euch aufzufressen!«
»Wollts Euch auch nicht gerathen haben, die two Sams anzubeißen, Sir!
Würdet Nichts zu schmecken bekommen als ein paar runde Stücke Blei! Ihr
seid doch jedenfalls nicht allein in der Savanne, schätze ich. Zu wem
gehört Ihr?«
»Meine Gesellschaft liegt da vorn in einer 'Bucht,' fünf Meilen ungefähr
von hier. Wir machen Fleisch, und ich bin ein wenig fortgeritten, um im
richtigen Gang zu bleiben.«
»Das ist einen ganzen Kürbis (Trapperausdruck für viel oder sehr)
unvorsichtig von Euch, Sir, schätze ich. Wißt Ihr nicht, daß es hier auf
der alten Wiese Rothhäute gibt?«
»Rothhäute gibt?« nickte bekräftigend der Lange.
»Haben seit mehreren Wochen keine Spur von irgend einem red-man zu sehen
bekommen.«
»So könnt Ihr heut genug sehen, Sir. Die two Sams sind von Sieben verfolgt
worden von den Big Horns herab, und ist wohl noch eine ganze Heerde
Yankatous hinter ihnen her, schätze ich.«
»Ihr seid die beiden Reiter, deren Spur ich gesehen und verfolgt habe?«
frug ich erstaunt und besorgt zugleich, denn die Yankatous bilden den
unversöhnlichsten und kriegerischsten Stamm der Sioux. »Wo habt Ihr denn
Eure Thiere, und wie kommt Ihr zu Fuß auf Eure eigene Fährte zurück?«
Die Aeuglein des Kleinen blinzelten mit halb pfiffig, halb mitleidig
entgegen.
»Sam Thick schätzt, Ihr seid ein Greenhorn (Neuling), Sir, da Ihr noch
nicht wißt, was ein ächter rechter Westmann thut, wenn er sehen will, ob
seine Spur verfolgt wird oder nicht! Er schlägt einen Bogen auf sie
retour; ist sie frei geblieben, so liegts gut, findet er aber den Feind
auf ihr, so weiß er nun doch, woran er ist und hat die Verfolger vor sich
statt hinter sich. Seht Ihr das ein?«
»Danke für die Belehrung, Master; war nicht gerade nothwendig! Konnte mir
nur nicht sagen, warum Ihr abgestiegen seid und Eure Thiere nun den Rothen
schenkt.«
»Schenken? Zounds, seid Ihr verrückt, Sir?«
»Verrückt, Sir?« schnarrte auch der Andere.
»Nun, Mesch'schurs?«
»Wären die 'two Sams' den Bogen geritten, so hätten sie die Yankatou
sicher hinter sich behalten; sie haben aber ihre Pferde angehobbelt (an
den Vorderbeinen gefesselt) stehen lassen, damit die dummen Indsmen
denken, sie machen Lager und sind nur in den Wald gegangen, um Aeste für
das Feuer zu holen.«
»Feuer zu holen,« bestätigte das lange Echo.
»Ah!« dehnte ich überrascht. »Ists weit von hier?«
»Blos einige Stecken (Trapperausdruck für nicht weit), schätze ich. Wie
viel Mann zählt Eure Gesellschaft, Sir?«
»Zwölf.«
»Nur Weiße?«
»Ja. Könnt Ihr unsere Büchsen brauchen, Master?«
»Jetzt nicht, bei den Sieben; es ist zu spät. Aber Euch können wir
gebrauchen. Wollt Ihr mit, oder fürchtet Ihr Euch?«
»Sehe ich so furchtsam aus?«
»Hm, Euer Pferd ist gut, sehr gut,« meinte er mit bewunderndem Blicke auf
Swallow, »aber der Mann, der Mann könnte besser sein, schätze ich. Ihr
sitzt mir zu parademäßig im Sattel, Euer Rock hat weder Flick noch Flock,
Euer Gürtel und was daran hängt, glänzt von Metall und Lack, und Eure
Fowling-piece (Vogelflinte) ist so blank geputzt, als käme sie soeben erst
aus dem Store. Seid doch wohl ein Greenhorn, Sir?«
»Greenhorn, Sir?« ließ sich auch der Andere vernehmen.
Ich wußte, welches Vorurtheil der richtige Woodsmann gegen eine gut
gehaltene Ausrüstung hat, und lächelte.
»Habt keine Sorge, Master Sam! Habt Ihr von einem gewissen Jake Hawkins in
St. Louis gehört?«
»Sollte meinen! Er ist ja der beste Büchsenmacher in den Staaten!«
»Nun, von ihm ist diese Büchse, dieser Henrystutzen, der fünfundzwanzig
Kugeln bei nur einmal Laden schießt, und diese beiden Revolver hat er auch
gemacht. Und der Mann, der sie trägt, ist zwar kein Kentucky-Shooter, aber
ein Deutscher, der heut nicht seinen ersten Schuß thun würde.«
»Behold, Sir, das läßt sich hören, schätze ich! Die Waffen sind gut, und
Sam Thick hat schon gar manchen Mann aus Germany da drüben kennen gelernt,
der den Grizzly in das Auge zu treffen wußte. Kommt mit; aber steigt vom
Pferde, denn die Indsmen haben verteufelt gute Augen, und ein Mann hoch zu
Roß ist leichter zu sehen als einer, der nur auf den Sohlen reitet!«
Ich stieg ab, nahm Swallow am Zügel und frug im Vorwärtsschreiten:
»Nun sagt auch Ihr wer Ihr seid, Master! Ich habe auch Auskunft über mich
gegeben und muß natürlich wissen, wem ich meine Kugel leihen werde.«
»Wer wir sind, Sir? Hm, das wäre eine verteufelt lange Geschichte; aber
ich heiße Sam, und Der hier heißt Sam, und darum werden wir von den
Unsrigen nur die 'two Sams' genannt. Wir gehören zur Gesellschaft der
'Both Shatters' und haben da oben am Wasser unser Hide-spot (Versteck.)«
Ich blieb überrascht stehen und sah die beiden Männer staunend an. Die
»Both Shatters,« Vater und Sohn, waren die berühmtesten Jäger zwischen den
Seen und dem mexikanischen Busen, Niemand kannte ihren eigentlichen Namen,
Niemand wußte woher sie stammten, aber Jeder wußte irgend ein
außerordentliches Abenteuer von ihnen zu erzählen. Sie waren die
furchtbarsten Feinde der Indianer, und obgleich kein Fremder ihren
Lagerplatz betreten hatte, sagte man sich doch, daß dort mehr Nuggets
(größere Waschgoldstücke) und Indianerskalps zu finden seien, als man auf
einen Ochsenkarren laden könne.
»Zu den 'Both Shatters'? Ists wahr, Master?«
»Natürlich, Sir! Und wenn Ihr einmal mit ihnen zusammenkommt, so werden
sie Euch gern von Sam Thick und Sam Thin erzählen, die immer beisammen
sind und schon manchem rothen Schuft das Fell vom Kopf gezogen haben.
Nicht wahr, Sam Thin, altes Coon?«
Coon ist Abkürzung von Raccoon, der Waschbär, und wird von den Jägern
unter den verschiedensten Bedeutungen als Anrede gebraucht.
Sam Thin grunste zustimmend; Sam Thick aber hatte den Weg wieder
aufgenommen, und so schritten wir, die Spur verfolgend, rüstig vorwärts.
Nach einiger Zeit sahen wir eine Waldzunge sich lang und
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schmal in die Prairie hinausschieben. Die beiden Trapper wurden vorsichtiger. Sie verließen die Fährte, welche sich um die Zunge herumzog und eilten, zwischen den Vorbüschen so viel wie möglich Deckung suchend, rasch und in gerader Richtung auf die hochstämmigen Robinien und Weymouthskiefern zu. Als wir sie erreicht hatten, blieb Sam Thick halten.(Schluß folgt.)
Für alle Welt! |
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Nummer 54 |
ca. 10. September 1881 |
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Der kleine Mann sprang mit einer
Behendigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hatte, bis an die Spitze der
Waldeszunge vor und blickte in die Prairie hinaus. Im Nu war er wieder
zurück, schob drei der erbeuteten Skalpe unter den Gürtel, riß seine
Waffen von der Erde empor und sprang über den Bach.
»Have care, Sam Thin, altes Coon, nimm die drei andern Felle und mach Dich
davon. Die Yankatou's kommen Dir sonst zwischen die ewigen Beine.«
Auch ich nahm meine Büchse auf, die ich vorhin weggeworfen hatte, und
folgte den Beiden. Als ich die Büsche jenseits des Baches durchbrach,
saßen sie schon im Sattel. Wir waren zum Widerstande viel zu schwach, denn
ich schätzte die Zahl der Feinde auf gegen hundert, und durften uns
unmöglich auf der offenen Prairie sehen lassen. So schnell wie möglich
ging es an dem vielfach ausgebuchteten Waldesrande dahin, indem wir bald
quer über die offenen Stellen jagten und bald zwischen den Büschen,
Sträuchern und Bäumen hindurch die schmalen Waldesspitzen durchschnitten.
Die Pferde der »two Sams« erwiesen sich als vortrefflich, obgleich Swallow
seine ganze Schnelligkeit nicht entwickeln durfte wenn ich ihnen nicht
vorankommen wollte, und so ging der rasche Ritt eine ziemliche Weile lang,
bis wir einen zweiten Wasserlauf erreichten, an welchem Sam Thick sein
Thier parirte.
»Wollt Ihr noch zu den Euren, Sir?«
»Versteht sich, Master Sam! Ich habe nur wenig über zwei Meilen noch zu
ihnen und darf sie nicht in Sorge über mich lassen. Ihr macht doch mit?«
»Nein. Wir sind hier auf dem Wege zu den 'both Shatters' und in einer
Viertelstunde in Sicherheit. Reitet Ihr weiter, so bringt Ihr Euch und
Eure Gesellschaft in Gefahr, schätze ich. Unsere Spuren verschwinden hier,
die Eurigen aber bleiben und werden von den Indsmen entdeckt. Kommt mit!
Es ist uns zwar verboten, Fremde nach dem Hide-spot zu bringen, Ihr aber
habt eine Ausnahme verdient. Entscheidet rasch, Sir!«
»Rasch, Sir!« bat auch Sam der Dünne.
»So gehe ich mit Euch!«
Dieser Entschluß war etwas rasch gefaßt, doch ließ er sich entschuldigen.
Sollte ich die prächtige Gelegenheit, die »both Shatters« kennen zu
lernen, ungenützt vorübergehen lassen? Ich brachte wirklich die Meinen in
Gefahr, wenn ich durch meine Spur die Wilden zu ihnen führte, und wenn,
was mit Hilfe des Baches allerdings recht gut möglich war, unsere Spuren
wirklich hier verschwanden, so ließ sich vom Hide-spot aus doch vielleicht
ein Weg finden, auf welchem ich ohne Bedrohung ihrer Sicherheit zu ihnen
gelangen konnte.
Wir lenkten unsere Pferde in das Wasser, um den Lauf desselben aufwärts zu
verfolgen. Mich noch einmal umschauend, sah ich einige Zweige am
Buschrande, durch den wir gekommen waren, sich bewegen und glaubte das
dunkle Gesicht eines Wilden zwischen ihnen zu erblicken.
»Master Sam, schlagt einen andern Weg ein und verrathet Euern Hide-spot
nicht, die Indsmen sind schon da!«
»Egad, Sir? Das ist nicht möglich, denn unser Vorsprung war zu groß. Folgt
schnell, Ihr habt Euch getäuscht!«
Ich ritt hinter ihnen her, machte mich aber schußfertig und blickte
fleißig zurück. Da sich jedoch nicht das geringste Verdächtige bemerken
ließ, so beruhigte ich mich in dem Gedanken, daß mir nur meine aufgeregte
Phantasie jenes Gesicht vorgemalt habe. -
II.
Das Bett des Baches war
hart und felsig, so daß nicht der mindeste Eindruck eines Pferdehufes
zurückblieb. Der Wald wurde dichter und immer dichter, trat vollständig
bis an das Wasser heran und war so mit Unterholz bestanden, daß sich kein
offenes Plätzchen finden ließ, an welchem wir hätten landen können. So
ritten wir wohl eine Viertelstunde lang gegen den Wellenlauf, bis die
ringsum herrschende Stille plötzlich unterbrochen wurde:
»Who is there?« rief uns eine Stimme an, ohne daß ich den Frager bemerken
konnte.
»The two Sams, altes Coon!« antwortete Sam Thick, indem
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er mit dem Laufe seiner Büchse in das Buschwerk stach. »Mach' auf, Jim Polter!«// 852 //
starken Riegel. Dann nahm er eine Lunte vom Nagel und drehte sie in ein kleines im Boden der Hütte befindliches Loch.// 853 //
flackerndem Lichte die Stätte des Ueberfalles und der Verwüstung. Josias begrüßte die neuen Gäste, die zu so passender Zeit gekommen waren, mit dankbarer Herzlichkeit. Die Sorge um mich hatte sie auf die Pferde und hinaus in die Prairie getrieben. Dort war ihnen das entflohene Pferd des von mir getödteten Indianers begegnet; sie hatten die Fährte desselben zurückverfolgt, waren auf die Spuren der Yankatous gestoßen und von ihnen bis an den Bach geführt worden, wo die Indsmen ihre Pferde unter Bedeckung zurückgelassen hatten. Eben war diese letztere von ihnen niedergestoßen worden, als sie die Explosion vernahmen und vom Schall und Flammenscheine den Weg nach dem Orte gezeigt bekamen, wo ihre Hilfe vielleicht zu gebrauchen war.
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