Teil III
Die Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts
waren es, die den Begriff des Mittelalters einführten, als Bezeichnung
für die Epoche zwischen dem Ende der Antike und der Renaissance. Für sie
war diese Epoche gekennzeichnet vom Verfall der lateinischen Sprache und
Bildung, während in der Renaissance eine Wiedergeburt antiker
Gelehrsamkeit einsetzte. In der Zeit der Aufklärung sprach man dann vom
»finsteren Mittelalter«, das man verachtete, und umgekehrt wurde diese
Ära von den Romantikern verklärt – sie idealisierten sie als Zeitalter
einer gläubigen und ritterlichen Gemeinschaft eines christlichen
Abendlandes. Und so viele gegensätzliche Ansichten und grundsätzliche
Bedenken es auch dagegen gab: der Begriff hat sich gehalten.
Schwierigkeiten bereitet nach wie vor die zeitliche Abgrenzung. Wir
brauchen diesen Diskussionen im Einzelnen nicht nachzugehen und nur
festzuhalten, dass sich als Ergebnis der Völkerwanderung und der
islamischen Expansion im 8. Jahrhundert eine Mächtekonstellation
herauskristallisierte, in der Byzanz, das Reich der Kalifen und das
Fränkische Reich die führende Rolle spielten. Später übernahmen das
Heilige Römische Reich (deutscher Nation, wie später hinzugefügt wurde)
und Frankreich eine Vormachtstellung, aber auch die übrigen »Reiche« –
ob im Westen, England beispielsweise, Norden (Dänemark), Süden (Spanien,
Portugal) oder Osten (Polen, Russland) erwiesen sich im Laufe der Zeit
als immer mächtiger. Vom 5. /6. Jahrhundert bis zum 10./11. spricht man
vom Frühmittelalter; danach bis etwa Mitte des 13. Jahrhunderts schloss
sich das Hochmittelalter an, berühmt vor allem durch die Blüte des
Rittertums und als Zeitalter der Kreuzzüge; und dann folgte noch das
Spätmittelalter, das mit den großen Entdeckungen (Columbus 1492), der
Reformation (1517) und der Wiederentdeckung der Antike im Humanismus
auslief. Das Mittelalter bildete eine eigenständige Kulturepoche in
Europa, die – trotz nationaler Unterschiede – durch eine gemeinsame
Grundhaltung getragen war. Diese zeigte sich in der Gesellschaft, die
ständisch geordnet war und sich von der naturalwirtschaftlichen
Adelsherrschaft bzw. dem Lehnswesen und dem Rittertum bis zum Aufstieg
des Bürgertums und des Städtewesens mit seiner Geldwirtschaft
entwickelte, in der religiösen Geisteshaltung – die Kirche bewahrte
lange Zeit die Glaubens- und Kultureinheit –, sowie in Kunst,
Wissenschaft und Literatur – man denke hier nur an die Blüte der
Scholastik. Eines kann man mit Fug und Recht sagen: rückständig und
finster war diese Epoche auf keinen Fall, nicht grausamer als unsere
Zeit, sie hatte Licht und Schatten wie alle Epochen der menschlichen
Geschichte, und allenthalben finden wir heutzutage noch ihre Spuren.
Auch sie hatte ihre »Großen«.
1. Das Fränkische Reich
Die Franken, die »Freien« oder »Kühnen«, waren ein germanischer
Stammesverband, der sich durch den Zusammenschluss verschiedener
kleinerer Stämme am mittleren und unteren Rhein herausbildete. Erstmals
in der Geschichte tauchen sie im 3. Jahrhundert auf, als fränkische
Gruppen nach Gallien eindrangen. Ein fränkischer Kernstamm waren die
Salier vom Niederrhein, die im 4. Jahrhundert in Nordbrabant siedelten.
Im 4. und 5. Jahrhundert ließen sich Franken zwischen Lüttich und
Tournai nieder – sie wurden von Kleinkönigen aus der Dynastie der
Merowinger regiert; zu dieser Zeit siedelten die Rhein-Franken am
Niederrhein und hatten ihren Königssitz in Köln. Von Tournai aus
gründete Chlodwig dann um 500 das Fränkische Reich, wovon schon früher
die Rede war, wobei sein Übertritt zum christlichen (katholischen, nicht
arianischen) Glauben eine der wichtigsten Voraussetzungen für die
Einheit des Reiches war. Zwar wurde das Reich nach Chlodwigs Tod 511
unter seinen vier Söhnen aufgeteilt, die in Paris, Reims, Soissons und
Orléans residierten, aber insgesamt wurde es immer mächtiger: 531 geriet
Thüringen unter fränkische Herrschaft, in den folgenden drei Jahren
wurde Burgund erobert, und nach und nach kamen Alemannen, Baiern und
Hessen in fränkische Abhängigkeit. Allerdings schwächten
Auseinandersetzungen zwischen Königtum und Aristokratie die Herrschaft,
und nach dem Tod König Dagoberts I. 639 bröckelten zusehends Ansehen und
Königtum der Merowinger; die eigentliche Herrschaft übten die Hausmeier,
die Verwalter, aus. Als Pippin von Heristal, später genannt Pippin II.
(gest. 714), ein Karolinger, wie das Geschlecht der Arnulfinger später
nach Karl dem Großen genannt wurde, 687 Hausmeier des gesamten
Frankenreiches wurde und in dieser Eigenschaft seinen Zerfall
verhinderte, und als dann noch sein Sohn Karl Martell (ca. 688–741) die
rechtsrheinischen Stämme unterwarf und vor allem durch den Sieg bei
Poitiers über die Araber 732 die muslimische Bedrohung des
Frankenreiches abwehrte, war der Weg frei für seinen Enkel, Pippin III.
(714–768), den letzten merowingischen König abzusetzen und sich 751
selbst zum König der Franken zu erheben. So einfach war das zwar nicht,
denn ihm fehlte das königliche Geblüt, aber durch die kirchliche
Salbung, die die fränkischen Bischöfe vornahmen, und die Anerkennung der
Zeremonie durch den römischen Bischof, also den Papst, damals Zacharias
(Pontifikat 741–752), wurde die Krönung vollzogen. Als er dann noch
Papst Stephan II. (Pontifikat 752–757) gegen die Langobarden
unterstützte und die von den Langobarden besetzten und von ihm
zurückgewonnenen Gebiete dem Papst übereignete (»Pippinsche Schenkung«),
womit er die Grundlage für den späteren Kirchenstaat schuf, war der Weg
für die weitere Erstarkung des Frankenreiches geebnet; der Weg war frei
für eine so bedeutende Herrschergestalt wie Karl den Großen, aber hier
ist auch der tiefste Grund für die verhängnisvolle weitere Geschichte
der Konkurrenz zwischen Kirche/Papsttum und Kaisertum um die weltliche
Vorherrschaft zu sehen: das karolingische Königtum, entstanden von des
Papstes Gnaden, und der Papst, abhängig vom Schutz durch den König
(Patricius Romanorum), und auch für die sicher eher weniger segensreiche
Ausrichtung der deutschen Geschichte im Mittelalter nach Italien.
Vater Europas: Karl der Große
Die Taten Karls des Großen erscheinen im Rückblick so gewaltig, dass
bereits Zweifel an seiner Existenz aufkamen. Hatte es ihn überhaupt
gegeben? Handelt es sich nicht um die größte Geschichtsfälschung in der
Geschichte überhaupt, sind nicht die Jahre 614 bis 911 schlicht dazu
erfunden, weil Kaiser Otto III. (geb. 980; König 983; Kaiser 996; gest.
1002) Kaiser des neuen Jahrtausends sein wollte und Papst Gregor XIII.
(geb. 1502; Pontifikat 1572–1585) dies bei seiner Kalenderreform
kaschierte? Lassen sich damit Ungereimtheiten und Fälschungen, mangelnde
Quellen und Brüche im Kunststil erklären, die den angeblich
eingeschobenen Jahrhunderten zugeschrieben werden? Haben nicht Kirche
und Kaiser einfach einen »Überkaiser« als Ahnherrn gebraucht, auf den
sie sich beliebig für ihre Argumente berufen konnten, wenn es um
Schenkungen oder Ansprüche ging? Tatsächlich umranken kaum eine andere
mittelalterliche Herrschergestalt derart viele Sagen und Legenden wie
Karl den Großen, die im 14. Jahrhundert sogar zu einem regelrechten
»Königszyklus« vereinigt wurden, von denen das wenig
geschichtsträchtige, aber um so traurig-schönere Rolandslied nur eine
ist. Aber ihn – und mit ihm fast 300 Jahre mit all den dokumentierten
Persönlichkeiten aus dieser Zeit (60 Prozent der Quellen aus dieser Zeit
werden für echt gehalten) aus der Geschichte verschwinden zu lassen –
wird von der Zunft der Historiker doch für schlicht unmöglich gehalten;
allein die Möglichkeit einer Koordination einer gleichartigen Fälschung
über derart viele Länder und in derart vielen Dokumenten erscheint
schlicht als absurd. Dazu gesellen sich dann noch Bewertungen des
Kaisers wie die eines »undeutschen Kaisers« oder gar des
»Sachsenschlächters« der Himmlerschen NS-Propaganda (letzteres machte
nicht einmal Hitler mit) einerseits oder dem heiligen Kämpfer gegen die
islamischen Eroberer andererseits, die mit dem wahren Karl auch nicht
viel zu tun haben.
Karl der Große, Idealbild, gemalt 1513 von Albrecht Dürer (Wikipedia)
Manches weiß man über Karl zugegebenermaßen nicht so genau, so kennt man
seinen Geburtsort nicht. Auch das Geburtsjahr Karls war umstritten.
Allerdings geht man heute davon aus, dass er 748 (oder 747?),
wahrscheinlich am 2. April, geboren wurde. Pippin hatte vor seinem Tode
das Reich unter seinen Söhnen geteilt, aber da Karls jüngerer Bruder
Karlmann schon 771, erst zwanzigjährig, starb und Karl dessen Söhne
enterbte, regierte er nun allein über das Frankenreich, das er
zielstrebig vergrößerte. Schon 772 begannen seine Kriege gegen die
Sachsen, die erst 804 völlig ins Fränkische Reich aufgenommen und auch,
zumindest äußerlich, christianisiert waren. Diese Kriege waren grausam
und blutig, aber das sogenannte »Blutbad von Verden«, bei dem Karl 782
angeblich 4500 Sachsen enthaupten ließ, gehört wohl auch zu den
Fälschungen oder Irrtümern, die über ihn kursierten und sich teilweise
bis heute halten. So beruht die »Schlächterei« wohl auf einem simplen
Abschreibefehler: ein Kopist machte im Mittelalter aus dem »delocati«
der um 1100 entstandenen Quelle, was »umgesiedelt« bedeutet, ein
»deloccati«: »hingerichtet«, aus einer schon zu Römerzeiten üblichen
Umsiedlungsaktion also einen Massenmord.
Karl besiegte 773/774 die Langobarden, was ihm
den Titel »König der Langobarden« einbrachte. Nach Südwesten dehnte er
das Reich bis zum Ebro aus; hier holte er sich bei den Basken eine
Niederlage, der historische Hintergrund für die Rolandsage, aber
errichtete die Spanische Mark. 788 beseitigte er das Herzogtum Bayern,
791 bis 811 zerschlug er das Reich der Awaren, Böhmen wurde
tributpflichtig, die slawischen Sorben von seinem Reich abhängig (806).
Im Norden gelang es ihm, die Dänen zu befrieden, wodurch auch dort die
Grenze gesichert wurde. Der Höhepunkt seiner »Karriere« kam dann im
Jahre 800, als ihn Papst Leo III. (Pontifikat 795–816) am 25. Dezember
zum Kaiser krönte. Er war nicht etwa Kaiser des Frankenreiches, sondern
»Römischer Kaiser« – das alte Römische Reich wurde erneuert, erst 812
allerdings kam es zu einer gegenseitigen Anerkennung des östlichen –
byzantinischen – und westlichen – römischen Kaisertums.
Damals, lange vor dem Investiturstreit, war
Papst Leo gewissermaßen Karls Untertan – Karl regelte die kirchlichen
Angelegenheiten, wie es ihm gefiel, und Leo ließ die päpstlichen Münzen
nach den Regierungsjahren Karls datieren. Karls eigentliche Leistung
bestand indes in der Verwaltung seines Reiches und seiner Förderung der
Kultur. Selbstständige Herzogtümer und Stammesorganisationen schaffte er
ab; an ihre Stelle setzte er eine Grafschaftsverfassung, an den Grenzen
richtete er je eine sogenannte Mark, einen das Reich sichernden
Grenzraum, als Grafschaft ein; Königsboten als sein verlängerter Arm
übten die Aufsicht über die örtlichen Grafen und Bischöfe aus, wenn das
auch nicht überall in seinem Riesenreich gelang. Er betätigte sich als
Gesetzgeber, wovon die Kapitularien, die Königsgesetze der Karolinger,
übrigens in lateinischer Sprache (unter Karl wurde das Spätlatein wieder
auf klassisches Niveau gebracht), Zeugnis geben, und er ließ die
Volksrechte der in seinem Reich lebenden Stämme und Völker aufschreiben.
Speziell Wissenschaft und Bildung blühten unter ihm in der sogenannten
»karolingischen Renaissance«: die Liturgie wurde vereinheitlicht, die
karolingische Minuskel entstand als reichseinheitliche Schrift, die in
ihren Kleinbuchstaben in der Antiqua bis heute erhalten ist (Karl
bemühte sich in seinen späteren Lebensjahren rührend um das Erlernen des
Alphabets), es gab eine reichsweit verwendete Währung, den Denar. Die
Ausbildung der Geistlichkeit wurde ebenso reformiert wie das Heerwesen.
An seinem Hof versammelte er berühmte Gelehrte wie den angelsächsischen
Leiter seiner Hofschule und späteren Abt von Tour Alkuin (730–804) oder
seinen Biografen Einhard (770–840). Karl brachte auch die Kenntnis der
Werke der Antike voran. Er lebte seit 794 in seiner Residenz, der Pfalz
Aachen, wohin ihn wohl auch die heißen Quellen zogen – am Ende seines
Lebens litt er unter Gicht und Fieber. Auch das war ungewöhnlich in
seiner Zeit: ein fester Hauptsitz statt der ständigen Rundreise durch
das Reich von Pfalz zu Pfalz. 805 wurde hier die Pfalzkapelle
eingeweiht, die nach dem Vorbild von San Vitale in Ravenna errichtet
war. In ihr wurde er auch nach seinem Tode am 28. Januar 814 beigesetzt.
Karl war fünfmal verheiratet und hatte nebenbei noch Konkubinen; 18
Kinder sind von ihm namentlich bekannt. Die schöne Alemannnin Hildegard,
die er zur Frau nahm, als sie 13 war, schenkte ihm in 12 Ehejahren sechs
Kinder, darunter den einzigen überlebenden Sohn Ludwig (geb. 778; reg.
814–840), später »der Fromme« genannt, den er 813 zum Mitkaiser erhob –
drei Jahre später erfolgte die Kaiserkrönung. Karl maß, wie man durch
die Untersuchung der Skelettreste aus dem Aachener Karlsschrein 1843,
1945 und 1988 feststellte (vorausgesetzt, es handelte sich tatsächlich
um die Skelettreste Karls), stolze 1,90 m und war von ungewöhnlich
kräftigem Körperbau, aber nicht daher hatte er seinen Beinamen Karl der
Große, sondern aufgrund seiner Machtposition und seiner gewaltigen
integrierenden Leistung. Die Aufklärer, die sonst das Mittelalter
verachteten, zollten ihm höchsten Respekt, lobten seine Erfolge auf
allen Gebieten, seinen Charakter und seine Milde und Würde, und hoben
hervor, dass er offenbar seiner Zeit weit voraus gewesen sei. Der
Historiker Demandt zählt auch die Kaiserkrönung Karls zu den
»Sternstunden der Geschichte: »Die karolingische Renaissance leitet
jenen großen Prozess der Antikenrezeption ein, der die abendländische
Kultur zu dem gemacht hat, was sie geworden ist […] Mit der
Kaiserkrönung Karls des Großen zu Weihnachten 800 in Rom übernahmen die
Franken die römische Reichsidee. Dieses Ereignis eröffnet die Folge von
Renaissancen, ohne welche die Geistesgeschichte Europas kaum vorstellbar
wäre. Die Turbulenzen der Völkerwanderungszeit waren überwunden, und es
wurde möglich, auf allen Lebensgebieten an die römischen Traditionen
anzuknüpfen: in Staatsleben und Rechtswesen, in Literatur und Kunst, in
Wissenschaft und Technik. […] Der alte Gedanke eines Vielvölkerstaates
lebt wieder auf und mit ihm die Bemühung um die Aneignung und
Weiterentwicklung der antiken Tradition. Karl wollte die Welt unter
christlichen Vorzeichen vereinigen, wie Alexander unter griechischen,
Augustus unter römischen und Mohammed unter islamischen. Karl der Große
gehört zu den wenigen Gestalten, deren Beiname ‚der Große’ sich ohne
ernst zu nehmenden Widerspruch gehalten hat. Bei den Franzosen und
Engländern ist er Charlemagne, bei den Italienern Carolo Magno, die
slawischen Völker leiten ihr Wort für König Kralj von Karl ab […] Die
von Karl dem Großen erneuerte römische Kaiserwürde endete zwar, als auf
Druck Napoleons Franz II. sie am 6. August 1806 niederlegte. In den
tausend Jahren zuvor aber war sie die höchste weltliche Ehre, die es in
Europa gab, ein Sinnbild seiner Zusammengehörigkeit.« Der anonyme
Verfasser des Karls-Epos hat Karl als pater Europae bezeichnet, zu
Recht. Schon bald nach seinem Tode hieß er »Karl der Große«, was durch
die idealisierte Darstellung von Notker Balbulus (»der Stammler«,
840–912) in seiner Gesta Karoli Magni (um 885) offiziell wurde. Auch das
ist mit Sicherheit gerechtfertigt. Schließlich wurde er auf Veranlassung
Kaiser Friedrichs I. Barbarossas (geb. 1122; König 1152; Kaiser 1155;
gest. 1190) auch noch heilig gesprochen: 1165 bzw. 1176. Sein Tag ist
der 28. Januar, also sein Todestag; allerdings ist seine Verehrung nur
»gestattet, nicht anerkannt«; d. h. dass die Kanonisation
kirchenrechtlich nicht vollgültig ist. Aber sei’s drum: Karl der Große
lebt weiter in seiner Historizität, in den zahlreichen Darstellungen,
die es von ihm gibt, sei es die Metzer Reiterstatuette aus dem 9.
Jahrhundert, die sich im Louvre befindet, das Gemälde von Albrecht Dürer
(1471–1528), die Zeichnung seiner Krönung von Alfred Rethel (1816–1859)
oder das Fresko von Hermann Wislicenus (1825–1899), wie er die
Irminsäule zerstört, um nur ein paar zu nennen, oder in den
Darstellungen in Kirchen oder auf dem Karlsschrein im Aachener Domchor
von 1215, in den Kaiser Friedrich II. (geb.1194; König 1212; Kaiser
1220; gest. 1250) seine Gebeine eigenhändig eingeschlossen hat, und in
den zahlreichen Sagen und Legenden. Wie Kaiser Barbarossa wartet auch
Karl der Große in einem Berg, und zwar im Unterberg zwischen Salzburg
und Berchtesgaden, auf seine Auferstehung. Alle 100 Jahre wacht er auf,
und wenn die Raben immer noch um den Berg fliegen, schläft er weitere
hundert Jahre…Als die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957
gegründet wurde, entsprachen die damaligen Gründerstaaten Frankreich,
Italien, Beneluxstaaten und Deutschland vom Gebietsumfang her in etwa
dem Reich Karls des Großen, und nicht ohne Grund wird jedes Jahr in
Aachen der Karlspreis an eine Persönlichkeit verliehen, die sich um die
Aussöhnung und Einigkeit in Europa verdient gemacht hat …
Keine Epigonen: Hugo, Heinrich, Arnulf, zweimal Wilhelm,
nochmals Hugo und Theobald die Großen
Das Reich der Franken hielt sich nicht lange in der Form, wie es Karl
der Große hinterlassen hatte. Nach dem Tod seines Sohnes Ludwig des
Frommen wurde es im Vertrag von Verdun 843 unter dessen drei Söhnen
aufgeteilt. Der nördliche Teil des mittleren Gebietes (Lotharingen) fiel
später in den Verträgen von Meerssen (870) und Ribemont (880) an die
östliche Reichshälfte. Danach kam es ausgerechnet unter dem schwachen
Kaiser Karl III. dem Dicken (geb. 839; reg. 882–887) noch einmal zu
einer Vereinigung der Teilreiche (885–887), aber danach spaltete sich
das Reich endgültig auf, in das Westfränkische Reich, also das spätere
Frankreich, das Ostfränkische Reich, das spätere »Deutschland« sowie
Burgund und Italien. Die Abfolge von Königen und Kaisern in den rund 70
Jahren bis zum Beginn der Ottonenzeit im späteren deutschen Reichsgebiet
war von einer verwirrenden Vielzahl von Kaisern und Königen bestimmt,
die überwiegend Karl oder Ludwig hießen und mit entsprechenden Beinamen
wie »das Kind«, »der Kahle« u.a. versehen waren. Dann gab es auch noch
zwei Herrscher namens Lothar, einen Karlmann und einen Arnulf, aber das
können wir hier übergehen. Das Westfränkische Reich erstreckte sich
zwischen Rhône-Mündung und Schelde und reichte von den Argonnen bis zur
Saône und den Cevennen. Zwar verfiel die Macht die Karolinger immer
mehr, aber die Monarchie als solche blieb bestehen, überdauerte die
Normanneneinfälle, trotz des Verlustes der Normandie, überstand auch die
Abtrennung des umstrittenen Lothringen, das 925 endgültig an das
Deutsche Reich fiel, bis es dann 987 den Kapetingern gelang, den Thron
zu besteigen. Vorausgegangen war die faktische Ausübung der Macht durch
Hugo den Großen, den Grafen von Paris, der 923 einer der mächtigsten
Männer im Lande wurde, als sein Vater, der westfränkische Gegenkönig
Robert I., im Kampf gegen den eigentlichen König (Karl III. der
Einfältige, geb. 879; reg. 893/898–929) gefallen war. Er erbte nämlich
dessen weiträumigen Besitz zwischen Loire und Seine. Er ist nun schon
der zweite Hugo der Große; der andere, der uns bereits begegnet ist,
lebte später und war mit den kirchlichen Reformen von Cluny verbunden.
Da die Anhänger Roberts siegreich waren (Karl starb in Haft), hätte Hugo
Gegenkönig oder gar König werden können, lehnte aber ab. Hugo war mithin
ein »Robertiner«, die man später «Kapetinger« nannte, und war Herzog von
Franzien, wie der ursprünglich fränkische Teil des Westfrankenreiches im
Nordosten hieß. Eine seiner wichtigsten Taten war, dass er 936 die
Rückkehr König Ludwigs IV. (ca. 921–954) unterstützte. Dieser hatte
seine Kindheit im Exil in England zubringen müssen, um nicht Rudolf II.
von Burgund zum Opfer zu fallen, der zum französischen König gewählt
worden war. Nun war Rudolf gestorben, und der französische Adel, allen
voran Hugo, riefen Ludwig zurück und erhoben ihn zum König. Wiederum
hätte Hugo König werden können, und wieder verzichtete er. Aber Ludwig
der Überseeische, wegen seines Exils so genannt, wurde ein König von
Hugos Gnaden, der zwar sein mächtigster Vasall war, aber ihn
entsprechend lenkte. Er musste ihm sogar den Titel »Herzog der Franken«
(»dux Francorum«) verleihen, ein Rang, der eigens für ihn geschaffen
wurde, womit er eine einzigartige Stellung gleich nach dem König
einnahm. Dieses Amt glich dem der Hausmeier bei den Merowingern. Als
sich Ludwig von Hugos Einfluss befreien wollte, kam es zum Krieg. Hugo
der Große hatte Hadwig, die Schwester Ottos des Großen geheiratet und
konnte dessen Unterstützung sicher sein, vor allem, als Ludwig
Lothringen zurück erobern wollte. Aber auch Ludwig war mit Otto
verschwägert: er hatte 940 dessen Schwester Gerberga in seine Gewalt
gebracht und geheiratet. Am Ende regelte allerdings Otto der Große die
Streitigkeiten, von allen Seiten als Schlichter gerufen, weil er auf
eine Balance der Kräfte im Westfrankenreich bedacht war, und er wurde
sogar von verschiedenen Mächten als Schutzherr angesehen. Doch waren die
Kämpfe nicht beendet, und so zog Otto am Ende gegen Hugo ins Feld. Erst
950 kam es zum Frieden, nachdem sich sogar noch die Kirche gegen Hugo
gestellt hatte und er exkommuniziert worden war. 954 starb Ludwig an den
Folgen eines Reitunfalls, aber auch jetzt wollte Hugo nicht König
werden. Seine Stellung im Reich wurde jedoch noch einmal bedeutsamer,
und er regierte nun auch in Burgund und, wenigstens nominell, in
Aquitanien. Hugo starb im Juni 956. Warum er nie König werden wollte,
sondern sich mit der Stellung des zweiten Mannes im Staate begnügte,
wird sich wohl endgültig nie klären lassen, und sein Beiname beinhaltete
ursprünglich auch nicht politische Größe, sondern »der Ältere«, zur
Unterscheidung von seinem Sohn mit Hadwig, Hugo dem Jüngeren (ca.
940–996), der bald nach dem Tod seines Vaters auch sein Erbe als »Herzog
von Frankreich« antrat und 987 zum König gewählt wurde, womit er die
Dynastie der Kapetinger begründete. Aber der Beiname Hugo der Große hat
sich sogar in den großen Lexika und Enzyklopädien erhalten, und sicher
besaß er auch politische Größe.
Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. In Burgund brachte es Heinrich
I. ebenfalls zu einem »Großen«. Er kam um 946 zur Welt und war zunächst
Graf von Nevers und ab 965 bis zu seinem Tode am 15. Oktober 1002 Herzog
von Burgund. Wie bei Hugo dem Großen bedeutete sein Beiname »der Große«
ursprünglich auch nur »der Ältere«, um ihn von dem späteren Herzog
Heinrich II. (1008–1060) von Burgund, einem Enkel Hugo Capets, zu
unterscheiden – dieser wurde als Heinrich I. seit 1031 König von
Frankreich. Heinrich der Große war der Bruder von Hugo Capet, der älter
war als er, und wohl auf dessen Einfluss hin von den burgundischen Edlen
zum Herzog von Burgund gewählt worden. Er diente als Lehns- und
Gefolgsmann seines Bruders, und als dieser französischer König wurde,
wurde Burgund Kronlehen. Heinrich starb ohne Erben, und so wurde das
Herzogtum von der französischen Krone eingezogen, was im burgundischen
Adel auf heftigen Widerstand stieß.
Ein Zeitgenosse von Hugo dem Großen war Arnulf
I. der Große von Flandern. Sein Vater war Graf Balduin II. der Kahle von
Flandern, seine Mutter Aelfthryd von Wessex, immerhin die Tochter König
Alfreds des Großen von England (es wimmelte um diese Zeit allenthalben
von »Großen«). Er kam um 900 zur Welt. Als sein Vater 918 starb, erbte
er den nördlichen Teil der Grafschaft Flandern; Zug um Zug vergrößerte
er sein Herrschaftsgebiet, das sich nach der Einahme von Amiens von der
Schelde bis zur Somme erstreckte, und durch eine geschickte
Heiratspolitik sicherte er die Grenzen. Eine seiner bedeutendsten
Leistungen war eine Klosterreform; immerhin war er Laienabt der großen
Abteien seiner Grafschaft und Schirmvogt der geistlichen Herrschaften in
seinem Gebiet. Er zählte zu den mächtigsten französischen Feudalherren
seiner Zeit und nannte sich häufig Markgraf, um seine starke Stellung zu
betonen. Zwar war er französischer Vasall, aber er neigte den Ottonen
zu. Ohne Kriegszüge ging es auch bei ihm nicht; vor allem kämpfte er
gegen die Normannen und ermordete 942 deren Herzog Wilhelm. Seine
Gebietserweiterung und seine Ehepolitik machten ihn »groß«, aber das war
auch eher lokal, denn anders als Hugo der Große hatte Arnulf nicht
Einfluss in ganz Frankreich. Immerhin wehrte er von Flandern alle
Herrschaftsansprüche der lothringischen Herzöge ab. Er starb am 27. März
965.
Es wurde schon erwähnt, dass Hugo der Große seine Herrschaft über
Aquitanien nur nominell ausüben konnte. Hier gab es auch einen »Großen«,
nämlich Wilhelm V. den Großen, nicht zu verwechseln mit dem Ritter und
büßenden Mönch, dem wir schon begegnet sind. Er wurde von seinem Vater
Wilhelm IV. ab 993 an der Regierung beteiligt und folgte ihm zwei Jahre
später als Herzog nach, als er abdankte. Er verstand es wie nur wenige
andere, ein weit verzweigtes Netz aus Heirats-, Verwandtschafts- und
Freundschaftsbündnissen zu knüpfen. So war er dem deutschen Kaiser
Heinrich II. (geb. 973 oder 978; reg. 1002–1024) freundschaftlich
verbunden und hielt Beziehungen zu den Königen von England, Dänemark und
Navarra. Verschwägert war er mit diversen Fürsten Frankreichs. Überall
war er sehr beliebt. Allen französischen Machtansprüchen im Südwesten
widersetzte er sich erfolgreich; durch seine Bündnis-, Lehens- und
Vasallenpolitk gewann er ganz Aquitanien; keiner wagte es, sich gegen
ihn zu erheben. Man hat ihn hochgelobt; er war sehr gebildet – u. a.
gründete er eine Bibliothek; er trat als Gönner von Künstlern und
Gelehrten auf, galt als Förderer und Wohltäter der Kirche – so gründete
er Kirchen oder das Kloster Maillezais, er unterstützte auch die
Cluniazensische Klosterreform – und glich von seinem Auftreten her einem
König, ja, er fühlte sich dem König von Frankreich als ebenbürtig. Er
galt als milde, freigebig, tapfer und weise im Rat, also hatte er alle
Eigenschaften, die einen Großen auszeichneten. Mehrfach pilgerte er nach
Rom oder Santiago de Compestella. Im Jahre 1024, nach dem Tode Heinrichs
II., trugen ihm die italienischen Edlen die Königs- oder gar Kaiserkrone
an, worin sich seine hohe Stellung dokumentiert, aber er lehnte
vernünftigerweise ab. Am Ende seines Lebens, nachdem er seinen Sohn 1025
an der Regierung beteiligt hatte, zog er sich als Mönch in das von ihm
gegründete Kloster zurück und starb im Januar 1030.
Und noch einen Wilhelm den Großen hat es gegeben – er ist Graf von
Burgund und Mâcon gewesen: Wilhelm I. der Große (Tête Hardie). Er kam
1020 zur Welt und wurde 1057 nach dem Tod seines Vaters Graf von
Burgund, 1078 auch Graf von Mâcon und stieg damit zum mächtigsten Mann
in der Region auf. Als der deutsche Kaiser Heinrich IV. im Winter
1076/77 seinen Gang nach Canossa antrat, wurde er von Wilhelm dem Großen
in Besançon empfangen, und Wilhelm emöglichte dem Kaiser auch den Zug
über das Jura-Gebirge nach Savoyen. Ansonsten hat er sich aber offenbar
in den Konflikt zwischen Kaiser und Papst nicht eingemischt. Noch zu
Lebzeiten gelang es ihm, das bedeutendste Bistum der Grafschaft
Burgunds, Besançon, mit seinem Sohn Hugo (gest. 1101) zu besetzen
(1086). Wilhelm starb am 12. November 1087 in Besançon, wo er in der
Kathedrale Saint Ètienne beigesetzt wurde. Mit seiner Frau Stephanie
(gest. nach 1088) hatte er sieben Söhne und vier Töchter. Drei Söhne
nahmen am Ersten Kreuzzug teil, der vierte, Guido, wurde Priester, dann
1088 Erzbischof von Vienne und 1119 sogar Papst. Als Papst Kalixt II.
ordnete er den sogenannten zweiten venezianischen Kreuzzug an, bei dem
1122 Damaskus angegriffen wurde. Er starb 1124. Die Familie Wilhelms des
Großen beteiligte sich in starkem Maße an den Kreuzzügen, für den
Zweiten brachte sie allein zehn Kreuzritter bei. Drei von Wilhelm des
Großen Töchtern ehelichten Männer, die im Ersten Kreuzzug für die
»Befreiuung des Heiligen Landes« gen Osten zogen; sein Sohn Rainald II.
kam 1097 auf dem 1. Kreuzzug ums Leben.
Hinsichtlich der Kreuzzüge ist noch ein weiterer Hugo zu erwähnen, der
den Beinamen »der Große« erhielt: Hugo Magnus von Vermandois. Er kam
1057 als dritter Sohn König Heinrichs I., der eben im Zusammenhang mit
Heinrich dem Großen erwähnt wurde, zur Welt. Schon zu Lebzeiten wurde er
von zeitgenössischen Chronisten und Kreuzugsteilnehmern »der Große«
genannt. Aber es scheint, dass der Beiname Magnus bei den Kapetingern
für ihre »Hugos« nicht ungewöhnlich war. Hugo war einer der Anführer im
Ersten Kreuzzug. Bekannt wurde er vor allem durch sein überaus
arrogantes Auftreten, u.a. dem byzantinischen Kaiser Alexios Komnenos
(geb.1048; reg. 1081–1118) gegenüber. Diesem schrieb er, noch bevor er
mit seiner Flotte zur Mittelmeerüberquerung ablegte: »Wisse, Basileus,
dass ich Basileus aller Basileis bin [d.h. König aller Könige] und der
größte von allen unter dem Himmel. Und es ist angebracht, wenn du mir
gleich bei meiner Ankunft entgegenkommst und mich in aller Pracht und
meinem Adel entsprechend empfängst.« – Hugo also seinem
Selbstverständnis zufolge ein »echter Großer«! Das kam natürlich beim
byzanthinischen Kaiser nicht besonders gut an. Pech war zudem, dass
Hugos Flotte bei der Überquerung der Adria 1096 von Bari aus in einen
Sturm geriet; Hugo verlor viele Schiffe, wurde aber mit samt dem größten
Teil seiner Leute von den Byzanthinern gerettet. Er selbst wurde unter
Hausarrest gestellt und kam erst frei, als er dem byzanthinischen Kaiser
den Treueid geschworen hatte. Das Kreuzfahrerheer durchquerte dann unter
großen Entbehrungen Kleinasien. Nach der Eroberung Antiochas 1098 kehrte
Hugo, zuerst noch zu einer erfolglosen Mission zu Alexios mit der Bitte
um Hilfe gesandt, nach Frankreich zurück. Da er allerdings sein Gelübde,
bis nach Jerusalem vorzudringen, nicht eingehalten hatte, drohte ihm,
abgesehen von der allgemeinen Verachtung, seitens des Papstes sogar die
Exkommunikation, und so machte er sich drei Jahre später noch einmal auf
in Richtung Heiliges Land. In einer Schlacht bei Heraklia wurde er
verwundet, entkam aber nach Tarsus, wo er am 18. Oktober 1101 an seinen
Verletzungen starb.
Beenden wir dieses Kapitel mit Theobald dem Großen, einem Regenten der
Champagne. Er wurde 1093 geboren; sein Vater war Graf Stephan Heinrich
von Blois, seine Mutter Adela eine Tochter Wilhelms I. des Eroberers
(geb. 1027; reg. 1066–1087), und so war er auch der ältere Bruder des
späteren englischen Königs Stephan (geb. ca. 1097; reg. 1135 – 1154).
Theobalds Mutter, unter deren Vormundschaft er zunächst stand, hatte
großen Einfluss auf ihn. 1125 trat er das Erbe seines Onkels an: die
Grafschaft Troyes und den Titel eines Grafen der Champagne. Sein Leben
verlief insgesamt kriegerisch. Er stand im Gegensatz zu seinem
Lehnsherrn König Ludwig VI. (geb. 1081; reg. 1108–1137), gegen den er
sich wegen seines Anspruchs auf eine vakant gewordene Grafschaft erhob,
aber der Aufstand endete ohne Erfolg. Nun folgte ein Hin und Her
zwischen Gefolgschaft und Gegnerschaft, was dahin führte, dass der König
1127 die Champagne verwüstete. Danach, 1135, ging es nach dem Tode
Heinrichs I. um den Königstitel in England; als ältester Enkel Wilhelms
des Eroberers hätte Theobald Anspruch gehabt, doch sein Bruder Stephan
bootete ihn mit des Papstes Hilfe aus, überließ ihm aber als Ausgleich
die Krone der Normandie. Wenig später kam es zu einem neuen Krieg mit
dem König. Diesmal ging es um den Streit zwischen König und Papst über
die Einsetzung eines Erzbischofs, bei dem Theobald für den Papst Partei
ergriff. Dabei ließ der König in barbarischer Weise eine Kirche mit 1000
Menschen darin in Vitry niederbrennen. Auf Vermittlung des Papstes kam
es nun zum zwangsweisen Frieden, Ludwig musste die Champagne räumen und
auch in der Erzbischofsfrage nachgeben. Zu dieser Zeit brach in England
ein Bürgerkrieg aus, was der Graf von Anjou dazu nutzte, in der
Normandie einzufallen; durch den Krieg mit Ludwig gebunden, musste
Theobald tatenlos zusehen, wie ihm die Normandie verloren ging, aber
infolge des Machtzuwachses des Grafen von Anjou, der Ludwig nicht recht
sein konnte, kam es nun zur endgültigen Aussöhnung zwischen König und
Theobald. Letzterer starb am 10. Januar 1152. – Was ist von seinem
kriegerischen Leben geblieben? Nun, er erweiterte den Einfluss der
Champagne im Osten Frankreichs nicht unerheblich; sogar in Burgund waren
ihm mehrere Herzöge untertan. Aber seinen Nachruhm sicherte er sich vor
allem durch seine wirkungsvolle Förderung der Zisterzienser: er stiftete
wichtige Ordenseinrichtungen, wie z. B. die Abtei von Clairvaux. Der
einflussreiche Abt und Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux, dem wir
schon begegnet sind, war ihm ein Vertrauter und Freund. Als der
scholastische Philosoph und Papstlehrer Pierre Abaelard – die
Liebesgeschichte zwischen ihm und Heloise wurde zu den bekanntesten und
ergreifendsten des europäischen Mittelalters gezählt – aus Saint Denis
fliehen musste, gewährte ihm Theobald Asyl. Und nicht zu vergessen:
Theobald stellte die Champagnemessen unter gräfliche Schirmherrschaft;
damit leitete er eine wirtschaftliche Entwicklung der Champagne ein, die
die Region zu einer der am meisten prosperierenden, ja reichsten Europas
werden ließ. Ein Glas Champagner also auf Theobald den Großen!
Die Widerständler: Gralion MUR und Alain die Großen
Am Rande des Fränkischen Reiches, im Nordwesten, lebten kleinbritische
Kelten. Es handelte sich um das Herzogtum Bretagne, das ungefähr der
heutigen französischen Region dieses Namens entsprach. Im Jahre 56 v.
Chr. hatte es Cäsar erobert; als Armorica wurde es Teil des römischen
Galliens. Erst im 5./6. Jahrhundert n. Chr. siedelten dort Briten, die
Bretonen. Auch dieses raue Territorium hatte »Große« in der Geschichte,
über die allerdings nicht viel bekannt ist. Auf das Königreich Armorica
folgte das Königreich Dommonée, dann in der West-Bretagne das Königreich
Cornuailles. Sein erster Herrscher war Gradlon Mur, den man »den Großen«
nannte; er regierte bis 505. Ab Mitte des 9. Jahrhunderts bildete die
Bretagne ein zeitweise unabhängiges Herzogtum. Damals, im 9.
Jahrhundert, 831, hatte Kaiser Ludwig der Fromme den bretonischen
Kleinkönig Nominoë zum Fürsten ernannt. Seine Nachfolger übernahmen den
Königstitel und gingen zum Fränkischen Reich auf Distanz, aber die
ständigen Auseinandersetzungen und Kämpfe zwischen rivalisierenden
Fürsten verhinderten die Entwicklung eines echten mit zentraler Gewalt
ausgestatteten Königtums. In Folge der ständigen Normannenüberfälle im
9. und 10. Jahrhundert näherten sich die Bretonen der Normandie an und
begaben sich in ein Vasallenverhältnis zum dort regierenden Herzog.
Widerstand gegen die Franken, Widerstand gegen
die Normannen und Kriege unter einander – das waren die Hauptlinien der
bretonischen Geschichte. Das Fränkische Reich suchte seine Grenze zur
Bretagne durch eine Mark zu sichern, aber hier begann eine wilde Gegend
mit sich unabhängig fühlenden Bewohnern, und diese Geisteshaltung findet
sich noch heute bei vielen Bretonen.
Nach Nominoë regierte von 851 bis 857 sein Sohn
Erispoë, dann ein Neffe von Nominoë: Salomon der Heilige, der 874
ermordet wurde. Daraufhin kam es zu einer Art Erbfolgekrieg, den die
Normannen beendeten, indem sie beide Thronaspiranten entmachteten. Den
Kampf um den Thron führten nun Verwandte weiter; einer davon, Alain von
Vannes, siegte schließlich in der Schlacht von Questembert 888 und wurde
ein »guter« König, 890 gekrönt, er regierte bis 907, und ihn nannte man
Alain I. den Großen. Nach seinem Tode gingen die Kämpfe unter einander
und gegen die Normannen weiter, die erst 937 aus Nantes vertrieben
werden konnten.
Erst 1297 wurde die Bretagne als französisches
Herzogtum bestätigt, und 1532 fiel es als letztes bedeutendes
Lehnsfürstentum durch Heirat an Frankreich. Bis zur Französischen
Revolution behielt die Bretagne Sonderrechte, und noch im 20.
Jahrhundert machte das Land durch militante Autonomiebestrebungen auf
sich aufmerksam. Widerständler gab und gibt es dort also bis heute.
2. Heiliges Römisches Reich (deutscher Nation)
Die »theodisca lingua« war – mittellateinisch ausgedrückt – die
fränkische Volkssprache im Gegensatz zum Lateinischen. Der Ausdruck ist
seit 786 erstmals belegt. Anfang des 9. Jahrhunderts sprach man auch von
der »rustica lingua romana«, dem Altfranzösischen. Im 7. Jahrhundert war
der Begriff »theudisk, »dem eigenen Stamm zugehörig« (von »thiot«, Volk)
im Fränkischen Reich entstanden, im Unterschied zu »walhisk« gleich
»welsch«, d. h. »romanisch«. Im Lauf der Zeit verdrängte das
althochdeutsche, bei den ostfränkischen Völkern entstandene »diutisc«,
das dem westfränkischen »theudisk« entsprach, das mittellateinische
»theodiscus« und wurde zur allgemeinen Bezeichnung der Sprachen im
ostfränkischen Reichsgebiet; daraus entwickelte sich der Begriff
»deutsch«. Es mussten aber noch an die zweihundert Jahre vergehen, bis
die Bezeichnung auch auf die Menschen angewandt wurde, die das
»Deutsche« sprachen; dies geschah erstmals im um 1080 entstandenen
Annolied.
In den Gebieten, in denen »deutsch« gesprochen
wurde, also im Ostfrankenreich, hatten sich in der späten Karolingerzeit
etliche Umstrukturierungen ergeben. Wie wir gesehen haben, hatten die
Karolinger die Stammesherzogtümer abgeschafft und durch Grafschaften
ersetzt. Nun aber wurden mit dem Verfall der Macht der Karolinger die
alten Herzogtümer wiederbelebt, wenn auch nicht unbedingt in der alten
Form. Das brachte viele neue Konflikte mit sich; starke
Adelsgeschlechter waren die Konradiner (ab 830 im hessischen
Rhein-Main-Gebiet) und die Liudolfinger im Gebiet zwischen Leine und
Harz ab Mitte des 9. Jahrhunderts. Und der erste »deutsche« König, der
nach dem Tode König Ludwigs (IV.) dem Kind (geb. 893; reg. 900–911) von
den bedeutendsten Vertretern des Ostfränkischen Reiches gewählt wurde,
der allerdings noch an der Schwelle zwischen fränkischer und deutscher
Geschichte stand, der glücklose Konrad I. (geb. ca. 880/85; reg.
911–918), scheiterte mehr oder weniger an allen seinen Aufgaben; er war
als König auch nicht gekrönt, »nur« gesalbt worden. Immerhin schlug er
seinen größten Widersacher als Nachfolger vor, den Sachsen
(Liudolfinger) Heinrich, dem es als König Heinrich I. (geb. ca. 876;
reg. 919–936) gelang, aus den verfeindeten Herzogtümern ein neues und
halbwegs einiges Reich zu schaffen: der Beginn des mittelalterlichen
Deutschen Reiches. Vielfach wird dieses Reich ab 911/919 angesetzt,
manchmal sogar schon ab 843. Die Bezeichnung Heiliges Römisches Reich
kam erst später auf: sie wurde als Amtsbezeichnung auf den
Herrschaftsbereich des abendländischen Römischen Kaisers angewandt, d.
h. auf das Deutsche Reich, Italien (seit 951) und Burgund (seit 1033).
Seit 1034 sprach man vom Romanum Imperium, was aber schon zum
Kaisertitel Karls des Großen gehört hatte; vom Sacrum Imperium ist seit
1157 in Königsurkunden die Rede, seit 1254 vom Sacrum Romanum Imperium,
und dies lediglich in lateinischer Sprache. In deutscher Sprache gibt es
das Heilige Römische Reich erst ab den Zeiten Kaiser Karls IV. (geb.
1316; König 1346, Kaiser 1355; gest. 1378); der Zusatz »Deutscher
Nation« (Nationis Germanicae) wurde seit 1512 verwendet und betraf auch
nur das Deutsche Reich und nicht Italien und Burgund. Im Weströmischen
Reich war – im Gegensatz zum Oströmischen, wo in Byzanz das Kaisertum
noch lange erhalten blieb – die Reichsidee mit dem Ende seines Bestehens
476 weitgehend erloschen. Aber mit der Kaiserkrönung Karls des Großen
800 wurden das alte Weströmische Reich und die dahinter stehende Idee
auf die Franken übertragen; mit der Kaiserkrönung Ottos des Großen 962
auf die Deutschen. Von der Idee her war dieses Reich, so jedenfalls
wurde es im Mittelalter gesehen, allen anderen Staaten des Abendlandes
überlegen, auch durch seine übernationale Zusammensetzung und seine
Verbindung mit der römischen Kirche, und trotz ihres Niedergangs im Lauf
der Jahrhunderte lebte die Reichsidee auch nach 1806 in anderer Form, z.
B. als Reichspatriotismus fort. Als Begründer des Heiligen Römischen
Reiches deutscher Nation kann Otto der Große angesehen werden.
Vater des Vaterlandes: Otto der Große
Das Reich von Ottos Vater trug noch keine besondere Bezeichnung; es hieß
allgemein »Heinrichs Reich«. Erst sein Sohn Otto sollte ein »neues«
Reich daraus machen. Dieser hatte sich die Wiederholung der Erfolge
Karls des Großen zum eigenen ehrgeizigen Ziel gesetzt, strebte nach
europäischer Hegemonie, und nach dem grandiosen Sieg über die Ungarn 955
auf dem Lechfeld bei Augsburg gelang es ihm tatsächlich, das Kaisertum
zu erneuern und damit die Grundlagen für das Heilige Römische Reich und
schließlich für Deutschland zu legen und somit auch die Hegemonie in
Europa zu erreichen. Nach diesem Sieg feierte ihn sein Heer bereits als
»Kaiser« (imperator) und als »Vater des Vaterlandes«, und immer öfter
wurde er damals schon als der »Große« bezeichnet.
Geboren wurde Otto am 23. November 912 als
ältester Sohn König Heinrichs I. und seiner Gemahlin Mathilde. Als sein
Vater 936 gestorben war, wurde Otto in Aachen zum König gewählt, eine
Besonderheit, da das Reich nicht unter allen Söhnen aufgeteilt wurde,
wie es die Franken gehandhabt hatten, sondern als Sachse bestimmte
Heinrich seinen Erstgeborenen zum Nachfolger. Doch hatte er damit die
Saat für familiäre Auseinandersetzungen gelegt, mit denen Otto in der
ersten Hälfte seiner Regierungszeit zu kämpfen hatte. Zudem suchte er
von Anfang an, die Zentralgewalt des Reiches zu stärken und die
Machtbefugnisse der Herzöge einzuschränken. Sein älterer Halbbruder
Thangmar erhob sich vor diesem Hintergrund 938 gegen ihn und kam dabei
ums Leben; auch sein Bruder Heinrich (919/920–955) versuchte 939, im
Verein mit den Herzögen von Franken und Lotharingen, ihn zu stürzen,
aber wurde gefangen gesetzt, und die feindlichen Herzöge verloren zwei
Schlachten und fielen. Otto verzieh seinem Bruder bald, ebenso, als
dieser 941 noch einmal einen Anlauf nahm und Otto ermorden wollte, und
er übertrug ihm 947 sogar das Herzogtum Bayern. Dem König war bewusst,
dass er auf Dauer nicht gegen seine Verwandten und gegen die Herzöge
regieren konnte, doch das Resultat seiner Politik bestand in der
Schaffung des ottonisch-salischen Reichskirchensystems des 10. und 11.
Jahrhunderts, d. h. die starke sowohl personelle als auch
institutionelle Verbindung zwischen Königstum und Kirche bzw. ihren
Vertretern. So erhielten meist ihm nahe stehende und loyale Bischöfe
oder auch treue Verwandte als Kirchenvertreter weltliche Aufgaben und
wurden seine wichtigste Stütze. Dieses auf dem Reichstag von Arnstadt
954 endgültig formulierte System sollte allerdings spätestens im 11.
Jahrhundert, während des Investiturstreites, und noch an die hundert
Jahre länger all seine Schattenseiten zeigen. – Dazu betrieb Otto eine
geschickte Heiratspolitik und brachte damit im Laufe der Zeit so gut wie
alle Herzogtümer in königsnahe oder gar königliche Hand. Die Geschichte
seiner Beziehung zu Hugo dem Großen und dem französischen König Ludwig
IV. dem Überseeischen wurde bereits erzählt – ihr Ausgang bestand darin,
dass Otto zum Schützer und Stützer des französischen Königtum wurde,
eine Rolle, die er auch für Burgund und Italien übernahm. Er selbst
hatte die Enkeltochter Alfreds des Großen von England, Edith (eigentlich
Eadgyth), geheiratet, die 946 starb. Fünf Jahre später vermählte er sich
mit Adelheid (ca. 931–999), der Tochter Rudolfs II. von Burgund, die
schon mit sechzehn Jahren mit König Lothar von Italien verheiratet
worden war. Als dieser schon 950 starb, gerade mal 23 Jahre alt, wurde
sie von Berengar von Ivrea gefangen gesetzt, der selbst König werden
wollte, aber vor dem Problem stand, dass Adelheid als Königinwitwe durch
Wahl eines neuen Gemahls die Nachfolge des Königs bestimmen konnte – so
sah es das alte lombardische Gewohnheitsrecht vor. Mit ihren Begleitern,
einem Priester und einer Magd, grub sie einen Fluchttunnel; sie rief
König Otto um Hilfe, dessen Ritter sie retteten, und bald wurde sie an
Ottos Seite Königin. So wurde Otto auch König von Italien. Adelheid
selbst war eine der bemerkenswertesten Frauen der deutschen Geschichte.
Nach dem Tode Ottos beriet sie den neuen Kaiser, ihren Sohn Otto II.
(geb. 955; (Mit-) König 961; (Mit-) Kaiser 967; reg. 973–983). Und,
nachdem Ottos II. Gemahlin Theophano (959 (?)–991) gestorben war, war
sie von 991 bis 994 mit Erzbischof Willigis von Mainz (gest. 1011), dem
Erzkanzler des Reiches seit 975, Regentin für ihren Enkel Kaiser Otto
III. Am Rande bemerkt: Willigis veranlasste den Bau des Mainzer Domes
und wurde später heilig gesprochen. Desgleichen wurde auch Adelheid
schon 1097 heilig gesprochen. Adelheid hätte den Titel »die Große«
allemal verdient gehabt, aber dieser Beiname blieb ihrem Mann
vorbehalten.
953 brach gegen Otto eine große Empörung aus,
in die auch sein Sohn Liudolf (930–957), der Herzog von Schwaben,
verwickelt war, aber die Stimmung schlug gegen die Aufständischen um,
als die Ungarn 954 bis zum Rhein vorstießen. Nach der vernichtenden
Niederlage der Ungarn auf dem Lechfeld war Ottos Stellung unangefochten;
die Ungarn zogen sich in die pannonische Tiefebene zurück, wo sie
sesshaft wurden und später zum christlichen Glauben übertraten. Mit der
Gründung der bayerischen Ostmark legte Otto nun auch den Grundstein für
das spätere Österreich. Außerdem dehnte Otto die Ostgrenze gegen die
Slawen bis nach Brandenburg und weiter aus und sicherte sie: durch die
Gründung von Bistümern, dessen bedeutendstes das Erzbistum Magdeburg als
Missionszentrum 968 wurde, und mit Hilfe seiner Ritter, vor allem unter
dem tüchtigen Markgrafen der Elbmark Gero, der schon 937 den Oberbefehl
in den Grenzgebieten auf beiden Seiten der Elbe erhalten hatte und 965
starb.
Schon 951/952 war Otto im Zuge seiner
Vermählung mit Adelheid in Italien gewesen. Als er 960 wegen der
unruhigen Zustände in Oberitalien von Papst Johannes XII. (ca. 937–964,
Pontifikat 955–963) zu Hilfe gerufen wurde, brach er 961 mit einem
großen Heer auf und traf im Januar 962 in Rom ein. Hier wurde er am 2.
Februar zum Kaiser gekrönt, mit ihm wurde Adelheid Kaiserin. Damit band
er die Kaiserwürde an das deutsche Regnum, also das spätere Heilige
Römische Reich (deutscher Nation), übernahm aber auch die Schirmvogtei
über das Papsttum und orientierte die Reichspolitik nach Italien, was
Historiker im Lauf der Zeit durchaus auch als zwiespältig angesehen
haben. In der Zeit danach kam es zum Zerwürfnis mit dem Papst, den Otto
963 kurzerhand absetzte. Hatte er im Jahr zuvor noch die Pippinsche
Schenkung bestätigt, bestimmte er nun, dass künftig ein Papst nur mit
kaiserlicher Bestätigung gewählt werden durfte. Es gab noch weitere
Verwicklungen, und so kam er erst Anfang 965 nach Deutschland zurück, wo
sein Bruder Brun (925–965), der Erzbischof von Köln und Herzog von
Niederlothringen, die Regierungsgeschäfte in seinem Sinne geleitet
hatte. Von 966 bis 972 hielt sich Otto noch einmal in Italien auf, also
fast sechs Jahre, obwohl er dort nach dem anfänglichen Zwist mit den
Römern kaum mehr größere Schwierigkeiten hatte. In dieser Zeit ließ er
seinen Sohn Otto 967 zum Mitkaiser und einzigem Nachfolger krönen. Als
diesem auch noch der byzantinische Kaiser seine Nichte Theophano zur
Frau gab – die Hochzeit fand im April 972 in Rom statt – war auch die
Anerkennung seines Kaisertums durch Byzanz gesichert; das Kaisertum war
seitdem an die »deutschen« Herrscher gekoppelt.
Otto kam im August 972 gerade rechtzeitig zurück, um dann auf dem Hoftag
von Quedlinburg zu Ostern 973 die Huldigungen der Gesandtschaften aus
den europäischen Fürstentümern, einschließlich Frankreich, entgegen zu
nehmen, die seine hegemoniale Stellung und seine Vormacht anerkannten.
Wenig später, am 7. Mai, starb Otto in seiner Pfalz Memleben und wurde
im Magdeburger Dom beigesetzt. Er hatte sein Ziel, die Nachfolge Karls
des Großen anzutreten, erreicht. Äußerlich ähnelte er seinem Vorbild
allerdings nicht: Er war klein, untersetzt mit massigem Körper und
breiten Schultern, hatte ein gerötetes Gesicht mit langem roten Bart und
war wegen seiner Zornesausbrüche bekannt und gefürchtet. Er liebte die
Jagd, den Kampf, Reiten und Sport ohnehin. Erst in späteren Jahren
begann er, sich mit geistigen Dingen zu beschäftigen. Er war schon 34
alt, als er lesen und schreiben lernte. Seine Haltung war nicht
königlich, von Erhabenheit war wenig zu spüren. Aber es wäre falsch, ihn
für derb und dem Geistigen gegenüber für unaufgeschlossen zu halten.
Mehr noch als ihm allerdings war es sein Bruder Brun, dem der kulturelle
Aufschwung des Reiches in dieser Zeit zu verdanken war. Die Domschulen,
vor allem die Kölner, errangen einen hohen Ruf. Die Goldschmiedekunst
blühte; dafür stehen kostbare Behältnisse für die Heiligenreliquien,
Kelche, Monstranzen und vor allem die Kaiserkrone selbst und andere
Reichskleinodien. Die Reichskrone, die heute in der Wiener Schatzkammer
aufbewahrt wird, wurde vermutlich bereits von Otto getragen; sie bildet
Jesus Christus mit zwei Engeln und daneben die alttestamentlichen Könige
David und Salomo ab, womit sie den religiös legitimierten
Führungsanspruch des Kaisers dokumentiert. In den Klöstern wurden damals
religiöse Texte von Hunderten von Schreibern nicht nur abgeschrieben,
sondern künstlerisch verziert, mit bunten Bildern versehen. In der
Baukunst entwickelte sich der »romanische« Stil. Und allgemein wurde die
Zeit Ottos zu einem bedeutenden, »großen« Zeitalter. Otto selbst wurde
von seinem Zeitgenossen Widukind als »Caput orbis«, als »Haupt der Welt«
bezeichnet, und von den Zeiten Ottos von Freising (ca. 1112–1158), des
bekannten mittelalterlichen Chronisten, an, also dem 12. Jahrhundert,
der ihn als erster so nannte, hieß er Otto der Große. Nach ihm hat kein
König bzw. Kaiser des Reiches diesen Titel wieder getragen. Dafür gab es
aber in »deutschen« Landen einige bedeutende Grafen und Herzöge, denen
man diesen Titel verlieh, und auch in der späteren Geschichte, in der
Neuzeit, stoßen wir auf sie.
Grafen und Herzöge von Rang und Namen: Konrad, Albrecht, Gerhard
und Amadeus die Großen
Kommt man nach Dresden und besucht bei einer Besichtigung den
Schlossplatz und seine Umgebung, gleich bei den Brühlschen Elbterrassen,
so erreicht man auch den Langen Gang, der den Georgenbau mit dem
Johanneum verbindet. Er wurde zwischen 1586 und 1588 erbaut. An seiner
Außenseite – nach innen begrenzt er den Stallhof, wo im Mittelalter
ritterliche Spiele und Turniere veranstaltet wurden und der mit seiner
Ringstechbahn heute noch die einzige gut erhaltene Turnieranlage in
Europa aufweist – kann man den berühmten, 101 m langen Fürstenzug
bewundern, der, ein Werk von Wilhelm Walther, 1876 hier angebracht wurde
und alle Herrscher des Geschlechts Wettin auf insgesamt 24000 Meißener
Porzellankacheln zeigt. Schreitet man ihn ab, so stößt man auf Konrad
den Großen, einen von jenen wenigen deutschen Fürsten, die diesen Titel
verliehen bekamen und der hier einen Ehrenplatz erhielt. Konrad I. aus
dem Adelsgeschlecht der Wettiner wurde wohl um 1098 geboren. Schon 929
hatte König Heinrich I. auf dem Burgberg von Meißen die Reichsburg Misni
errichtet und sie zum Zentrum der deutschen Herrschaft im mittleren
Elbegebiet gemacht. Sie war Sitz der Markgrafen, der Bischöfe (seit 968)
und seit 1068 der Burggrafen von Meißen. 1089 kam Meißen an die
Wettiner, und bald danach trat Konrad auf den Plan. Nach diversen
Erbstreitigkeiten, in deren Folge er sogar im Kerker landete, aber zum
Glück wieder freikam, erhielt er um 1123/25 die Markgrafschaft Meißen,
ein Lehen von Kaiser Heinrich V. (geb. 1086; König 1089/99; Kaiser 1111;
gest. 1125), das Kaiser Lothar III. von Supplinburg (geb. 1075; König
1125; Kaiser 1133; gest. 1137) 1130 bestätigte Letzteren begleitete er
auf seinem Zug nach Unteritalien 1132. Vier Jahre später wurde er mit
der Mark Lausitz belehnt, und im Jahre 1143 erhielt er auch noch das
Rochlitzer und Milzener Land.
Das Verdienst von Konrad bestand darin, dass er
den späteren Wettiner Territorialstaat und die Wettiner Hausmacht
begründete. Er förderte die Ostkolonisation und verbreitete Macht und
Christentum über die Elbe hinaus bis zur Oder. Am Kreuzzug gegen die
Wenden nahm er 1147 persönlich teil. Auch mit kluger Diplomatie gelang
es ihm, seine Macht zu vergrößern. Er entspannte das Verhältnis zu Polen
und verband durch eine geschickte Heiratspolitik die bedeutenden
Geschlechter der Askanier (Markgraf Albrecht der Bär; ca. 1100–1170) und
Wettiner. Sein gutes Verhältnis zur Kirche, vor allem zu den Magdeburger
Erzbischöfen, war ihm ebenfalls für den Ausbau seiner territorialen
Macht von Nutzen. Die Nachwelt rühmte seine Verbindung aus weltlicher
Tatkraft, irdischem Machtstreben und tiefer Frömmigkeit von Jugend auf
und verlieh ihm die Titel Konrad der Große, aber auch Konrad der Fromme,
zumal er 1156 allem Herrschertum entsagte und als Laienbruder in das von
ihm gegründete Kloster auf dem Lauterberg, dem heutigen Petersberg bei
Halle, eintrat, wo er am 5. Februar 1157 starb.
Albrecht I. der Große, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, stammte aus dem
Hause der Welfen, dem im 12. Jahrhundert Herzog Heinrich der Löwe von
Sachsen und Bayern alle Ehre gemacht hatte, ohne aber den Titel »der
Große« zu erhalten. Braunschweig, an der Oker gelegen, kann seine
Ursprünge auf Kaufmannssiedlungen aus dem 9. Jahrhundert zurückführen.
Seit Kaiser Lothar III. war der Ort welfisch und wurde 1031 als
Braunschweig erstmals erwähnt. Im Laufe der Zeit entwickelten sich hier
insgesamt fünf Stadtteile, meist Kaufmanns- und Handwerkersiedlungen.
Hier wurde auch die Residenz Heinrichs des Löwen, die Burg
Dankwarderode, errichtet. Im 13. Jahrhundert wurden die im Laufe der
Zeiten entstandenen Bezirke Alt- und Neustadt, Burgbezirk, »Hagen« und
»Sack« mit einer Mauer umbaut, mit Burg Dankwarderode und Dom auf der
Okerinsel im Mittelpunkt, und 1227 wurde der Siedlung das Stadtrecht
bestätigt. Bald danach erblickte Albrecht das Licht der Welt, 1236, und
wurde 1252 nach dem Tode seines Vaters, also schon mit 16 Jahren,
Herzog; zusammen mit seinem jüngeren Bruder Johann, über den er zunächst
noch die Vormundschaft gehabt hatte, regierte er das Land. Um einem
Streit um die Herrschaft zu begegnen, teilte Albrecht schließlich 1267
das Territorium und überließ sogar seinem Bruder das Recht, sich seinen
Teil zu wählen. So bekam Johann das Lüneburger Land mit Hannover,
Albrecht das Gebiet um Braunschweig und Wolfenbüttel mit Ländereien um
Göttingen und Calenberg. 1269 wurde die Teilung endgültig rechtswirksam.
Albrecht begründete somit das »Ältere Haus Braunschweig«, Johann das
»Ältere Haus Lüneburg«. Albrecht, der wohl ob seiner weisen, vom Wunsch
nach Frieden und Einigung getragenen Entscheidungen von der Nachwelt
Albrecht der Große genannt wurde, starb am 15. August 1279 und wurde im
Braunschweiger Dom bestattet. Sein Sohn Luther (oder Lothar; 1275–1335),
jüngster von sechs Söhnen, war von 1331 bis zu seinem Tode Hochmeister
des Deutschen Ordens.
Der nächste »Große« führt uns weiter nach Norden, ins heutige
Schleswig-Holstein, das eine wechselvolle Geschichte erlebte.
Ursprünglich handelte es sich bei Schleswig um ein Herzogtum an Eider
und Schlei, das seit der Karolingerzeit zwischen Dänen und Fränkischem
Reich umstritten war. Hier, an der Grenze zu Jütland, ließ der dänische
König Göttrik (Godfred), der 810 starb, eine Wallanlage, das Danewerk,
errichten bzw. eine ältere, die schon seit 737 bestanden haben soll,
ausbauen, um zum Schutz gegen das Frankenreich den Zugang zu Jütland zu
sperren.. Sie war etwa 30 km lang und wurde bis ins 12. Jahrhundert
immer wieder um weitere Wälle erweitert. Zwischen 1025 und 1035 fiel das
Gebiet an den dänischen König Knut den Großen, dem wir bald wieder
begegnen werden, und Schleswig wurde Ende des 11. Jahrhunderts ein
weitgehend selbstständiges Herzogtum, wenn es auch unter der
Statthalterschaft der dänischen Könige verblieb. 1232 wurde Abel
(1218–1252) Herzog von Schleswig, und dieser Abel war auch von 1250 bis
1252 König von Dänemark. Die nächsten Jahrzehnte waren von
Unsicherheiten und Unruhen geprägt. In dieser Zeit brachte es Graf
Gerhard III. der Große von Holstein-Rendsburg zu Macht und Ansehen,
sowohl in Schleswig als auch in Dänemark. Geboren wurde er, aus der
Rendsburger Linie des Hauses Schauenburg stammend, um 1292. Nach dem Tod
seines Vaters 1304 wurde er Graf von Holstein-Rendsburg. In der
Geschichte von Dänemark und Schleswig sollte er bald eine wichtige Rolle
spielen. Als er 1313 seine Schwester Adelheid mit Herzog Erich II. von
Schleswig verheiraten konnte, legte er die Grundlage für die Vereinigung
von Schleswig und Holstein. Und auch in Dänemark spielte er wesentlich
mit auf dem politischen Parkett. Nach dem Tode Erichs 1326 gelang es ihm
nämlich, seine Ansprüche gegenüber König Christoph II. von Dänemark
(geb. 1276; reg. 1319–1332) aufrecht zu erhalten, und gleichzeitig
schaffte er es mit Hilfe des mit ihm verbündeten dänischen Adels, die
Wahl seines noch unmündigen Neffen Waldemar, den Sohn Erichs II., auf
den dänischen Königsthron als Waldemar III. (geb. 1314; reg. 1326–1330;
gest. 1364) unter seiner Vormundschaft durchzusetzen. Christoph II.
musste das Land verlassen. Damit mischte Gerhard in der Innenpolitik
Dänemarks kräftig mit. Gleich als ersten Schritt ließ er sich noch 1326
von Waldemar III. Schleswig als Lehen geben und war damit der erste
Schauenburger, dem das gelang; allerdings war das nicht besonders
schwer, da Waldemar ja unter seiner Vormundschaft stand. Und erstmals
befanden sich nun Schleswig und Holstein in einer Hand; zudem musste
Waldemar zusichern, dass Schleswig und Dänemark nicht mehr gemeinsam
unter derselben Herrschaft stehen sollten. Christoph II. kehrte
allerdings unter Einräumung großer Zugeständnisse 1329/30 nach Dänemark
als König zurück, und Waldemar III., gegen den sich immer mehr innere
Gegner gewandt hatten und der darob 1330 abdankte, erhielt nun die
schleswigsche Herzogswürde. Als König Christoph 1332 starb, übernahm
Gerhard die Regierung über Jütland und Fünen; wegen des Erhalts von
Fünen hatte er schon 1329 auf Schleswig verzichten und es abtreten
müssen. Jedoch erwarb er 1340 gegen die Abtretung von Nord-Jütland
Schleswig erneut. Zu dieser Zeit verlor er aber die Unterstützung des
dänischen Adels, der sich Christophs Sohn Waldemar als Nachfolger
wünschte. Diese immer bedrohlicher werdende Opposition und
Bauernaufstände führten zu chaotischen Zuständen, und am 1. April 1340
tötete Gerhard ein jütländischer Verschwörer, ein Ritter namens Niels
Ebbbesen, in Randers. Gerhards Söhne verzichteten nunmehr in Anbetracht
der blutigen Auseinandersetzungen weise auf alle Ansprüche in Dänemark,
und Christophs Sohn wurde als Waldemar IV. Atterdag (ca. 1320–1375)
dänischer König – er verwickelte sich nach 1361 in einen langen Krieg
mit der Hanse, der erst 1370 endete.
Das Schleswigsche Herzoghaus starb 1375 aus,
daraufhin kam das Gebiet 1386 als dänisches Lehen an die Schauenburger
(Schaumburg). Seine folgende Geschichte schwankte weiterhin zwischen der
Zugehörigkeit zu Dänemark und »Deutschland«, wobei sich die Schleswiger
und Holsteiner immer wieder auf den Ripener Freiheitsbrief von 1460
beriefen, demzufolge Schleswig und Holstein ewig ungeteilt
zusammenbleiben sollten. In den deutsch-dänischen Kriegen 1848/50 und
1864 erreichten die nicht enden wollenden und unerfreulichen
Auseinandersetzungen erneut einen Höhepunkt – hier gewann sogar das alte
Danewerk noch einmal an Bedeutung – dann fiel Schleswig-Holstein
endgültig an »Deutschland« bzw. richtigerweise an Preußen (Nordschleswig
kam 1920 durch Volksabstimmung an Dänemark). Diese Auseinandersetzungen
spiegeln sich auch in der Beurteilung Gerhards III. in der deutschen und
dänischen Geschichtsschreibung wider. In den Querelen und Kriegen des
19. Jahrhunderts wurde die Rolle Gerhards als Vereiniger von Schleswig
und Holstein herausgestellt, für diese Betrachtung war er eben Gerhard
der Große. Die nationalistische dänische Seite sah in ihm dagegen einen
Quertreiber, der Dänemark in einer schweren Krise weiter gedemütigt und
sich einen Teil dänischen Territoriums angeeignet hatte – für sie blieb
er der »kahlköpfige Graf«, der »kullecke greve«, wie »der groote Gert«
in der dänischen Geschichtsschreibung überwiegend genannt wurde.
Die Geschichte des nun folgenden Grafen hätte auch im Zusammenhang mit
dem Reich der Franken geschildert werden können, aber sein Gebiet
Savoyen gehörte nun mal zum Heiligen Römischen Reich, und daher müssen
wir ihn an dieser Stelle nennen. Savoyen, ein historisches Gebiet in den
heute französischen Alpen an der Grenze zu Italien, war im Altertum von
keltischen Stämmen besiedelt und kam 121 v. Chr. unter römische
Herrschaft. Die von den Römern hier 443 n. Chr. angesiedelten Burgunder
wurden 532 durch die Franken niedergeworfen, und ihr Land gehörte
seitdem zum Fränkischen Teilreich Burgund. 1032/34 wurde Savoyen Teil
des Heiligen Römischen Reiches. Als Graf von Savoyen regierte von 1285
bis 1323 Amadeus V., den man den »Großen« nannte. Geboren um 1250 in Le
Bourget, bestand seine Hauptleistung in der Vereinigung und Erweiterung
der Herrschaft über die savoyischen Länder. Dafür regelte er nach innen
die Unteilbarkeit und Vererbung nach dem Erstgeburtsrecht in männlicher
Linie. Nach außen gewann er die Oberhoheit Savoyens über die Gebiete der
Grafen von Genf, ja, ließ sich zum Beschützer der Stadt Genf erklären.
Zum einen beendete er die Streitigkeiten um das Wallis, zum anderen
unterstützte er die Städte der Westschweiz gegen Rudolf I. von Habsburg
(geb. 1218; reg. 1273–1291), der nach dem für die deutsche Geschichte so
trostlosen Interregnum zum König des Heiligen Römischen Reiches gewählt
worden war. So schloss er sich auch dem französischen König Philipp IV.
dem Schönen (geb. 1268; reg. 1285–1314) an und erhielt nach einem
erfolgreichen Feldzug in Flandern die Normandie als Vizegrafschaft.
Philipp der Schöne war, wie allgemein bekannt, der treulose Urheber des
schnöden Verrats an dem Orden der Templer, offenbar, weil es ihm um den
Schatz der Templer ging, und im Palast von Amadeus in Paris wurden 1309
auch siebzehn Tempelritter verhört, nachdem 1307 die führenden
Persönlichkeiten des Ordens festgenommen worden waren. Aber Savoyen war
nach wie vor Teil des Heiligen Römischen Reiches, und so blieb Amadeus
auf Dauer nichts anderes übrig, als sich ihm anzunähern. Anlass bot der
Tod von König Albrecht I. von Habsburg (geb. 1255; reg. 1298–1308); der
neue König Heinrich VII. von Luxemburg (geb. 1274/75; reg. 1308–1313)
wollte entgegen den Wünschen von Philipp dem Schönen das alte Königreich
Burgund-Arelat wieder errichten. Philipp ließ daraufhin die Stadt Lyon
besetzen, Grund für Amadeus, Partei für Heinrich VII. zu ergreifen, aber
Heinrich hatte keinen Erfolg, und so scheiterte auch Amadeus und gab den
Versuch einer Ausdehnung nach Westen in Richtung Frankreich auf. Dafür
richtete er sein Augenmerk nun auf Italien. Als Heinrich nach Rom zog,
wo er 1312 zum Kaiser gekrönt wurde – die erste Kaiserkrönung seit 92
Jahren, schloss sich ihm Amadeus an, und zum Dank wurde er noch im
selben Jahr zum Reichsfürsten und zum Generalvikar der Lombardei
ernannt; auch die Grafschaft Asti, heutzutage aus anderen Gründen vom
Namen her bekannt – man denke an den entsprechenden Sekt! – erhielt er
als Lehen. Am 16. Oktober 1323 starb Amadeus V. der Große in Avignon;
Anna, seine Tochter aus 2. Ehe, heiratete 1325 den nachmaligen
byzantinischen Kaiser Andronikos III., der von 1328 bis zu seinem Tode
1341 regierte und sich, nachdem er durch einen Staatsstreich gegen
seinen Großvater an die Macht gekommen war, vor allem seinen
Vergnügungen widmete, unterbrochen allenfalls durch Kriegszüge gegen
Bulgaren, Serben und Türken. Amadeus’ bedeutendste Leistung bestand
hauptsächlich in der Sicherung Savoyens. Ob er daher den Titel »der
Große« erhielt und verdiente? Aber so findet man ihn noch heute in den
großen Enzyklopädien. Und vielleicht bereitete er auch den Boden dafür,
dass Savoyen einen bedeutenden Platz in der Geschichte behielt. Die
Grafen, die 1416 zu Herzögen wurden, erkoren das oberitalienische
Piemont zu ihrem Kernland. Seit 1720 stellte das Haus Savoyen die Könige
von Sardinien, ab 1861 die Könige von Italien. Und der edle Streiter
gegen die Türken, Prinz Eugen von Savoyen-Carignan (1663–1736), ist
ohnehin bis heute ein Begriff …
Böhmische Kämpfer: Grabissa, Slauko und Prokop die Großen
Unter Böhmen versteht man bekanntermaßen eine historische Landschaft in
Mitteleuropa, die heute das Kernland der Tschechischen Republik bildet.
Der Name leitet sich von den ursprünglichen Siedlern her, den keltischen
Boier, die um 60 v. Chr. von germanischen Stämmen verdrängt wurden. Etwa
ein halbes Jahrhundert später erschienen die Markomannen, und als diese
nach rund 500 Jahren ins heutige Bayern zogen, wanderten slawische
Stämme ein. Unter ihnen setzten sich die Tschechen durch, die im 9./10.
Jahrhundert die Führung übernahmen. Ihre Herzöge stammten aus dem
Geschlecht der Přemysliden, das der Legende nach von dem Bauern Přesmyl
begründet worden war. Dieser war angeblich mit Libussa verheiratet, der
legendären Gründerin von Prag, die die Ehre hatte, in Schauspielen von
Clemens Brentano (1778–1842) und Franz Grillparzer (1791–1872) sowie in
einer Oper des tschechischen Komponisten Bedřich (Friedrich) Smetana
(1824–1884) wieder aufzuerstehen, und in deren Sage die ursprüngliche
Dominanz der Frauen in einem Matriarchat, «tschechische Amazonen« und
die Gleichberechtigung der Geschlechter ihre feste Rolle haben, wie es
der Historiker Patrick J. Geary beschreibt. Im 9. und bis zu Beginn des
10. Jahrhunderts (906/907) war Böhmen Teil des Großmährischen Reiches,
um im 10. Jahrhundert dann zum Heiligen Römischen Reich zu kommen.
Anfangs des 11. Jahrhunderts wurde Böhmen mit Mähren und Schlesien
vereinigt.
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts verfasste Cosmas
von Prag seine Chronik Böhmens, die bis 1125, dem Jahr seines Todes,
reicht. Während er Libussa eher zwiespältig und sagenverklärt schildert,
so versucht er bei anderen Sujets die »Wahrheit« darzustellen. Eine
Gestalt, die bei ihm auftaucht, ist Grabissa der Große, aber auch bei
diesem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er als eine
widersprüchliche Persönlichkeit geschildert wird. Viel erfährt man
ohnehin nicht über ihn. Er war ein böhmischer Adliger aus dem Geschlecht
der Hrabischitz, auf den offenbar nicht viel Verlass war und der für
Unstimmigkeiten sorgte und sich selbst in Schwierigkeiten brachte. In
die Auseinandersetzungen zwischen dem böhmischen Herzog Boňvoj und dem
Přemysliden-Herzog Vladislav I. (reg. 1109–1117 und 1120–1125)
hineingezogen, musste er, während sich Boňvoj in Sicherheit brachte, die
Prager Burg verteidigen, die Boňvoj, von Vladislav kurz vorher gestürzt,
1109 zurückeroberte. Aber dieser triumphierte zu früh. Mit Hilfe Kaiser
Heinrichs V. gewann Vladislaw I. seine Herrschaft zurück, und die
Gefolgsleute Boňvojs wurden hart bestraft. Was aus Grabissa wurde,
berichtet Cosmas nicht. Erst für das Jahr 1116 erwähnt er ihn erneut,
mit dem Hinweis, dass er im mährischen Vlčnov eine stark befestigte Burg
erbaute. Noch einmal nennt er ihn: für das Jahr 1121, und schildert ihn
als vorbildlichen Vater und guten Christen. Schließlich soll er an der
Seite des böhmischen Herzogs und späteren Königs Vladislavs II. (reg.
1061–1092) 1158 gefallen sein, der für Kaiser Friedrich Barbarossa in
den Krieg zog, als dieser 1158 seinen zweiten Italienfeldzug unternahm,
u. a. um Mailand zu unterwerfen.
Als deutsche Reichsfürsten erhielten die Přemysliden 1198 die erbliche
Königswürde, der 1290 die Kurwürde folgte. Ottokar I. (geb. ca. 1155;
reg. 1198–1230) konnte sich erfolgreich bei König Philipp von Schwaben
(geb. 1176/77; ermordet 1208), der 1198 in Mainz gekrönt wurde, dafür
einsetzen und erhielt auch die Bestätigungen des Papstes (1203) und 1212
die des späteren Kaisers Friedrich II. Böhmen wurde von ihm kulturell
und wirtschaftlich sehr gefördert. Im 13. Jahrhundert gründeten die
Přemysliden viele Städte, lockten vor allem deutsche Siedler an und
förderten die deutsche Kultur. Einer der Städtegründer war Slauko der
Große, ein böhmischer Fürst, der um 1207 Burggraf in Bilin war und es
zum höchsten Kämmerer unter Ottokar I. brachte; er füllte dieses Amt von
1198 bis 1202 und noch einmal von 1212 bis 1226 aus, nachdem Ottokar I.
gegen den Kaiser opponiert hatte und der damalige Kämmerer Cernin aus
Böhmen verbannt worden war. Slauko gründete die Städte Schlackenwerth
und Schlaggenwald sowie das Zisterzienserkloster Ossegg, wohin er Mönche
aus dem bayerischen Waldsassen holte. Der Titel »der Große« tauchte zum
ersten Mal 1211 auf. Als loyaler Gefolgsmann des Königs, dessen
Vertrauen er in hohem Maße gewann, zeigte er auch diplomatisches
Geschick. Im Konflikt Ottokars mit dem Prager Bischof Daniel II., der
den Einfluss der Kirche gegenüber dem König stärken wollte, wurde Slauko
1219 ausersehen, mit fünf anderen Abgesandten mit dem Bischof einen
Kompromiss auszuhandeln. Sowohl einer positiven Würdigung durch den
König als auch selbst durch den Papst, damals Honorius III. (Pontifikat
1216–1227), konnte er sich rühmen. So beschenkte Honorius auch das von
Slauko 1206 gegründete Kloster der Jungfrau Maria Ossegg 1221 mit
Reliquien von heiligen Märtyrern wie Kosmas und drei weiteren sowie der
seligen Jungfrau Petronilla, und der Prager Bischof und der Papst nahmen
das Kloster unter ihren Schutz. Slauko selbst schenkte dem Kloster noch
viele Ländereien, einschließlich der dazu gehörigen Dörfer, wie das eben
in dieser Zeit so Brauch war, befreite es von Zöllen und sicherte ihm
weitere Einnahmen. Er starb 1226 in Ossegg; den Ehrentitel verliehen
diesem besonnenen und edlen Kämpfer für Kultur, Religion und Wirtschaft
schon seine Zeitgenossen.
König Ottokar II. (geb. 1233; reg. 1253–78) gelang es, Böhmen zur
Großmacht zu erheben. Die Přemysliden starben indes 1306 aus, und Böhmen
fiel an die Luxemburger (1310–1437). Deren bedeutender Abkömmling, der
schon erwähnte Kaiser Karl IV., Enkel von Kaiser Heinrich VII., regierte
das Heilige Römische Reich von Prag aus, wo er 1348 die erste deutsche
Universität gründete, und Böhmen wurde durch ihn zu hoher Blüte geführt.
Allerdings brachen 1419 die Hussitenkriege aus, die sich bis 1433/34
hinzogen. Bekanntermaßen hatte der tschechische Theologe und Reformator
Johannes Hus (oder Huß; ca. 1370–1415) seine Lehren mit dem
Scheiterhaufen bezahlt. Der Name Hussiten leitete sich zwar von ihm ab,
aber von den Zielsetzungen her gab es unter dieser Bezeichnung diverse
kirchenreformerische und revolutionäre Bewegungen in Böhmen. Allenfalls
gemeinsam war ihnen der Laienkelch als Zeichen eines
Eucharistieverständnisses, das allein als bibelgemäß angesehen wurde.
Neben den Kalixtinern bzw. Ultraquisten, die vor allem in der
Abendmahlslehre von der Kirche abwichen, gab es als zweite bedeutende
Strömung die Taboriten, benannt nach dem Berg Tabor in Israel, wo Jesus
in Versuchung geführt oder nach einer späteren Tradition verklärt wurde.
Während die erst genannte Richtung vor allem von Adel und Bürgertum
getragen wurde, standen hinter den Taboriten die Unterschichten. Hier
verbanden sich soziale Forderungen mit religiösen. Es handelte sich um
eine sozialrevolutionär-chiliastische Bewegung, die über die Forderungen
der anderen Richtung nach Laienkelch, freier Predigt, strenger
Kirchenzucht, Säkularisation des Kirchenguts und Verzicht des Klerus auf
Reichtum noch hinausging und Gütergemeinschaft, also eine Art
Kommunismus, Abschaffung der kirchlichen Einrichtungen und Gebräuche und
sogar die Aufrichtung eines Reiches Gottes mit Waffengewalt forderte.
Hier kam also die soziale Not der Bauern als Auslöser der Kriege 1419
noch dazu. Beide Bewegungen standen im Widerstreit. Gemeinsam war ihnen
vielleicht die Volkswut gegen die Geistlichkeit und die Gegnerschaft
gegen Kaiser Sigismund (Siegmund; geb. 1368; König 1410; Kaiser 1433;
gest. 1437) als »Hus-Mörder«; dieser wiederum warb für den
erbarmungslosen »Kreuzzug« gegen die Hussiten. Um die seit dem 13.
Jahrhundert bestehende Burg Tabor entstand 1420 ein Hussitenlager, aus
dem sich später die im Süden der Tschechischen Republik liegende Stadt
Tabor mit heute etwa 35000 Einwohnern entwickelte. Der anfänglich
bedeutendste Führer der Taboriten war J. Žiška z Trocnova (Johann
Schischka von Trocnow), aber er starb schon 1424 an einer pestartigen
Krankheit, nachdem ihm vorher, vor allem 1422, glorreiche Siege gegen
Sigismund und seine Heere gelungen waren, er hatte es auch immer
verstanden, die Zwistigkeiten zwischen einzelnen hussitischen Führern zu
schlichten. Ihm folgte für einen Teil seiner ehemaligen Anhänger Prokop
nach, der heute als Prokop der Große in den Enzyklopädien zu finden ist.
Geboren in Böhmen um 1380, wurde er Feldhauptmann und nach dem Tode
Žiškas Anführer der Taboriten. Er führte sie auf seinen Kriegszügen, die
im Lauf der Zeit zu immer brutaleren Raubzügen ausarteten, mit denen er
Böhmen und benachbarte Länder verheerte, bis nach Österreich und Ungarn,
Brandenburg und Sachsen, in die Lausitz und die Pfalz, nach Schlesien,
Franken und Ungarn. Besonders in Schlesien hinterließen die Hussiten
auch Besatzungen, mit denen sie das Land immer wieder aufs Neue
ausraubten. Das ganze Heilige Römische Reich zitterte vor ihnen. Lange
behaupteten sie sich gegen die kaiserlichen Truppen, die natürlich in
der Übermacht waren, und wurden zum Schrecken der Obrigkeit und der
Geistlichkeit. Kaiser Sigismund, der sein Versprechen auf freies Geleit
gegenüber Hus gebrochen hatte, musste Kompromisse eingehen. Nach der
Schlacht bei Taus 1431 erkannte das Basler Konzil 1433 die Forderungen
der gemäßigteren Kalixtiner, die in den sogenannten »Vier Prager
Artikeln« niedergelegt waren, weitgehend an, d. h. Laienkelch, freie
Predigt des Wortes Gottes, frommer Wandel des Klerus und Herstellung
christlicher Zucht. Aber die Taboriten kämpften weiter. Auch die
Kalixtiner verbanden sich nun mit den Kaiserlichen. So wurden die
Taboriten in der Schlacht bei Lipan am 30. Mai 1434 geschlagen. Prokop
der Große, den man auch Prokop den Geschorenen bzw. den Kahlen nannte,
kam dabei ums Leben. Die Taboriten ergaben sich unter denselben
Bedingungen wie die Ultraquisten und erkannten zwei Jahre später auch
Sigismund als König an. Und was ist geblieben? Die taboritische
Tradition lebte teilweise fort in der Lehre der Böhmischen Brüder. In
Böhmen erstarkte der tschechische Pronationalismus, was sich für die
weitere Entwicklung als sehr bedeutsam herausstellte, vor allem, als
Böhmen zu Ungarn (1471 – 1526) und dann zum habsburgischen Österreich
(1526 – 1918) gehörte. Der Dreißigjährige Krieg nahm hier seinen
Ausgang. Nach vielen Kriegen und schwankendem Schicksal entstand in der
1. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine tschechische Nationalbewegung, und
das alte Böhmen ging nach dem Ersten Weltkrieg in der
Tschechoslowakischen Republik auf. Da aber gab es auch schon lange kein
Heiliges Römisches Reich mehr …
3. Westliches und nördliches Europa
Kelten waren es, die im 1. Jahrtausend v. Chr. im heutigen
Groß-Britannien siedelten. Der Zinnreichtum des Landes, der für den
Handel im Altertum wichtig war, zog die Römer an, die, nachdem zwei
Feldzüge Cäsars (55 und 54 v. Chr.) keinen großen Erfolg gebracht
hatten, ab 43 n. Chr. das Land eroberten. Aber sie konten weder Irland
noch Schottland zu ihrer Provinz Britannia hinzu gewinnen, und ihnen
gelang es auch nie, die Einwohner zu romanisieren, was ihnen in Gallien
durchaus glückte. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts zogen fast alle
römischen Truppen ab, und nun, der Überlieferung nach ab 449, drangen
nordwestgermanische Stämme ein, die »Angelsachsen«, und unterwarfen mit
der Zeit den Hauptteil Englands. Schottland und Wales blieben allerdings
in keltischer Hand. Sieben Königreiche entstanden, deren Bewohner, dank
der gemeinsamen Sprache und Kultur, auch dank des sich allmählich
ausbreitenden Christentums, das von Irland und Rom aus schon seit dem
6./7. Jahrhundert eingeführt worden war, mit der Zeit zu einem Volk, dem
angelsächsischen, zusammenwuchsen. Gefahr drohte ihm allerdings im 9.
und 10. Jahrhundert von den dänischen und norwegischen Wikingern, den
Normannen.
Die Dänen werden im 6. Jahrhundert zum ersten
Mal erwähnt; sie kamen wohl aus Südschweden und drangen in das von
Germanen bewohnte Land ein, wo sie mehrere kleine Königreiche gründeten.
Über ein Jahrhundert nach König Göttrik, der, wie beschrieben, das
»Danewerk« hatte errichten lassen, fasste der König den größten Teil des
heutigen Dänemark unter seiner Herrschaft zusammen, der als eigentlicher
Gründer des dänischen Staates gilt: Gorm der Alte, der um 950 starb. Nur
rund ein Jahrzehnt später nahm sein Sohn Harald Blauzahn (»Blåtand«) 960
das Christentum an, womit er die Geschicke des Landes entscheidend
bestimmte; er starb um 987. Aber auch das Christentum konnte die
dänischen Wikinger nicht davon abhalten, die englischen Küsten zu
verheeren, womit sie schon 793 begonnen hatten. Hier standen sie den
norwegischen Wikingern in nichts nach. In Norwegen hatten bis ins 9.
Jahrhundert ebenfalls mehrere Kleinkönigtümer existiert, die um 872 von
König Harald I. Harfågre erstmals vereinigt wurden. Norwegische Wikinger
kamen auf ihren Raub- und Handelszügen, die schließlich auch
Erkundungsfahrten wurden, über England hinaus nach Nordwest-Frankreich,
Grönland und schließlich im Jahre 1000 unter Leif Ericsson (ca. 975–ca.
1020) bis nach Nordamerika, nach »Vinland«, in die Gegend, wo heute die
Stadt Boston steht. In die andere Richtung segelten die schwedischen
Wikinger, die Waräger. Im heutigen Schweden hatte das Stammeskönigtum
des Geschlechts der Ynlingar schon früh die Svear geeinigt, um 600
hatten sie die Gauten (Göten) in Götaland besiegt, und der
Ynglingarkönig Erich VII. Segersäll (»der Siegreiche«; gest. 994)
herrschte am Ende des 10. Jahrhunderts auch in Dänemark. Die Waräger,
man kann sie auch als Kriegerkaufleute bezeichnen, kamen auf der Wolga
und dem Dnjepr bis nach Byzanz; sie waren die eigentlichen Gründer des
Kiewer Reiches und daher maßgeblich auch für die Geschichte Russlands
und der Ukraine, und sie beherrschten große Teile des nordeuropäischen
Fernhandels. Das Christentum fasste erst spät in Schweden Fuß; erst
Anfang des 11. Jahrhunderts breitete es sich nach Norden aus; und als
der Sohn Erichs VII., König Olaf III. Skötkonung (»Schoßkönig«), der
etwa 995 bis 1022 regierte, 1008 den Schritt wagte und sich taufen ließ,
gelang ihm der Durchbruch, zumal er gleich noch die staatlichen
Verwaltungsformen, die sich in den Staaten Mitteleuropas herausgebildet
hatten, und die Bischofsverfassung übernahm. Das Erzbistum Uppsala wurde
1164 begründet. Zu jener Zeit hatten sich auch die Einfälle der Wikinger
in anderen europäischen Ländern weitgehend beruhigt. In diesen rauen
Zeiten hatten sich verschiedene Herrscher als »Große« ins Buch der
Geschichte geschrieben …
Bedeutende Gründer von Reichen: Alfred und Knut die Großen
Den dänischen Wikingern, unter denen die Bewohner des späteren England
zu leiden hatten, erwuchs ein bedeutender Widerpart: König Alfred, der
wohl volkstümlichste angelsächsische Herrscher, den man »den Großen«
nannte. Er wurde 848 oder 849 in Wantage in der heutigen County
Berkshire geboren und 871 nach dem Tode seines Vaters Aethelwulf (reg.
838–871) zum König gekrönt – er war der Herrscher des zu der Zeit
letzten unabhängigen Königreiches auf angelsächsischem Boden, nämlich
des südlich der Themse gelegenen Wessex. Alfred galt als hübscher und
eleganter Mann und als hervorragender Jäger. Auch als klug und
kriegstüchtig ist er überliefert. Man sagte ihm allerdings auch nach,
dass er an epileptischen Anfällen gelitten habe, z. B. in seiner
Hochzeitsnacht. Im Frühsommer 878 musste er nach einer Niederlage vor
den Dänen unter ihrem Anführer Guthrum, die seit sieben Jahren sein
Reich immer stärker bedrohten, flüchten – sie hatten damals schon Teile
von Wessex in ihrer Gewalt – und zog sich auf eine Flussinsel zurück.
Aber ihm sollte es schließlich beschieden sein, die Dänen in
langwierigen Kämpfen zurückzuwerfen. Er sammelte alle Truppen, die er
auftreiben konnte. Bei Edington in der County Wiltshire besiegte er dann
die Dänen im Sommer 878 in einer aufreibenden Entscheidungsschlacht; so
waren sie bereit, einen Vertrag abzuschließen, mit dem sie sich in die
Gebiete nordöstlich von London (Ostanglien) zurückziehen sollten. Zwar
verblieben den Dänen weite Ländereien, aber Alfred verhinderte damit,
dass ganz England dänisch wurde, wie es eine Zeit lang gedroht hatte,
und er schuf damit auch eine Basis für eine etwaige Rückeroberung der
übrigen von den Dänen gehaltenen Gebiete. Interessant ist, dass Alfred
den Dänen auch das vertraglich festgelegte Versprechen abnahm, sich
taufen zu lassen. Tatsächlich hielt sich Guthrum an die Zusage, doch die
meisten seiner Anhänger folgten ihm wohl nicht, sondern zogen in andere
Länder, z. B. nach -Frankreich, um ihre Beutezüge dort weiter zu führen.
Von den Dänen, die im Lande verblieben, siedelten die meisten im
äußersten Osten.
Alfred aber ging mit seinen Sicherungsmaßnahmen
noch darüber hinaus. Ihm war daran gelegen, alle angelsächsischen
Gebiete zu vereinigen. Er ließ planmäßig ein System von
Befestigungsanlagen errichten – in zwölf Jahren entstanden 33 Burgen im
ziemlich gleichmäßigen Abstand von 30 Kilometern, sogenannte »burhs«,
woran die Endung von Städtenamen »burough« noch heute erinnert – ordnete
das Heer neu und machte sich an den Aufbau einer Flotte. Alle Maßnahmen
waren gegen die Dänen und etwaige sonstige Aggressoren gerichtet. Und
das war auch gut so, denn 886 zeigte sich Guthrum erneut feindselig.
Doch für Alfred war der Sieg jetzt kein großes Problem mehr. Er eroberte
sogar das von den Dänen besetzte London. Nun zwang er den dänischen
Anführer zu einem Vertrag, in dem das angelsächsische Königtum in Wessex
und im westlichen Mercien anerkannt wurde. Den Dänen blieben die Gebiete
nordöstlich einer Linie London-Chester. So hatte Alfred eines seiner
Ziele erreicht und konnte sich als König aller »Engländer« bestätigen
lassen. London überließ er dem König von Mercia, Aethelred, aus dessen
Haus auch seine Frau stammte, und seine älteste Tochter Aethelflaed gab
er ihm zur Frau. Von seinen Enkelinnen heiratete, wie schon erwähnt,
eine den Westfranken-König Karl den Einfältigen, die andere den späteren
Kaiser Otto den Großen. Aber Alfred dachte auch daran, den Bildungsstand
in seinem Reich zu heben, um sein Volk kulturell zu einigen. Er selbst
war immer schon sehr an Bildung interessiert gewesen, hatte sogar 884
begonnen, Latein zu lernen. Er wusste auch, dass gemeinsame Literatur
und höherer Bildungsstand grundlegend für die gemeinsame Identität eines
Volkes sein würden. Ein Achtel seiner Einkünfte verwendete er für das
Bildungswesen (ein weiteres Achtel übrigens für die Armenfürsorge). An
seinen Hof zog er angelsächsische und auch fremde Gelehrte, wie Grimbald
von St. Bertin oder seinen Biografen Bischof Asser (gest. 909/910), der
allerdings nicht als ganz verlässlich gilt, wo sie u. a. die Werke von
Augustin, Gregor dem Großen, Boëthius, oder dem berühmten Beda
Venerabilis (673–735), dem bedeutendsten angelsächsischen Gelehrten
seiner Zeit, übersetzten; ja, er selbst beteiligte sich sogar an den
Übersetzungen. Er gab damit der Entwicklung des Altenglischen einen
gewaltigen Anschub. Als einer der ersten europäischen Häupter erkannte
er die zunehmende Bedeutung der Volkssprachen und sammelte auch
Volkslieder, die er mit den Spielleuten an seinem Hof sang. Wichtig war
auch die von ihm veranlasste Zusammenstellung des angelsächsischen
Rechtes, das auf den bisherigen Rechtsgewohnheiten basierte und die
dahin wichtigsten Rechtstexte aus dem 7. Jahrhundert ablöste. Mit diesen
kultur- und rechtspolitischen Maßnahmen suchte er das Volk zu einen,
aber auch für die neuen Zeiten zu rüsten. »Er lässt sich«, wie Will
Durant schreibt, »mit einem Riesen wie Karl dem Großen nicht
vergleichen, denn seine Unternehmungen erstreckten sich nur auf ein
kleines Gebiet; aber in seinen sittlichen Eigenschaften – seiner
Frömmigkeit, seiner bescheidenen Redlichkeit, Mäßigkeit, Geduld und
Höflichkeit, seiner Hingabe an das Volkswohl und seinem Bestreben, die
Bildung zu fördern – gab er seinem Volke Vorbild und Antrieb …« Als er
am 26. Oktober 899 nach fast dreißig Regierungsjahren starb, hatte er
für sein Land Unglaubliches geleistet, und der Titel »der Große« stellte
sich bald nach seinem Tode mehr oder weniger von selbst ein. Sein
Gesetzbuch wurde erst um 1020 erneuert, und dann durch einen anderen
»Großen«, nämlich Knut den Großen.
Der angelsächsische König Aethelstan (reg. 924–939) drängte die Wikinger
weiter zurück und herrschte fast über das ganze heutige England. Damit
legte der den Grundstock für ein nationales Königtum und Reich. Aber
erneut brachen die Dänen, die Wikinger, in einem zweiten Ansturm über
England herein, und diesem waren die Angelsachsen dann doch nicht mehr
gewachsen. Die von dem dänischen König Sven Gabelbart (reg. 986–1014)
eingeleitete Eroberung Englands brachte Knut II. von Dänemark zum
Abschluss, dem die Nachwelt ebenfalls den Titel »der Große« zugesprochen
hat. Geboren um 995, eroberte er zusammen mit seinem Vater Sven
Gabelbart 1013 England. Vorausgegangen waren der erfolglose Versuch des
schwachen Königs Aethelred des Ratlosen (reg. 978–1013), die das Land
verheerenden Wikinger mit horrenden Zahlungen (»Danegeld«) friedlich zu
halten, und dann die »dänische Vesper« am 13. November 1002, bei der auf
geheime Anordnung des Königs die meisten waffenfähigen Dänen umgebracht
wurden. Unter den Ermordeten befand sich auch die Schwester des
dänischen Königs Sven. Dieser schwor Rache und fiel 1003 und vor allem
1013 mit ungeheurer Wucht in England ein. Er konnte sich seiner
englischen Krone allerdings nur ein Jahr erfreuen, denn er starb bereits
im Februar 1014 an den Nachwirkungen der Feldzüge. Knut bemühte sich um
die Anerkennung seiner eigenen Königswürde, aber diese blieb ihm
versagt, zumal er nur von seiner eigenen Flotte zum König ausgerufen
worden war; er konnte sich gegen den alten und neuen englischen König
Aethelred, der in die Normandie zu Herzog Richard II., dem Bruder seiner
Frau Emma, geflohen war, und den seine Anhänger aus dem Exil
zurückriefen, nicht durchsetzen. So zog er sich erst einmal fluchtartig
nach Dänemark zurück, wo sein Bruder Harald Svensson regierte. Hier war
für ihn auch weiter nichts zu gewinnen, obwohl ihn Harald als Mitkönig
anerkannte. So nahm er im Spätsommer 1015 einen neuen Anlauf, England zu
erobern. Diesmal hatte er Erfolg: Er konnte London unterwerfen und im
Oktober 1016 den neuen englischen König Edmund II. Ironside, den Sohn
des im April 1016 während der Belagerung Londons verstorbenen Aethelred,
in der Schlacht bei Ashingdon schlagen – hinterher behauptete man, er
habe durch Verrat gesiegt. Edmund kämpfte allerdings so verbissen, dass
die Dänen trotz Ashingdon schon um den Sieg fürchteten. Zunächst als
Herrscher von Mercia Mitkönig (eine weise Entscheidung, nicht auch noch
Edmund zu stürzen; denn nur so konnte er allmählich im Volk Vertrauen
aufbauen), wurde Knut nach Edmunds baldigem, noch 1016 – im November –
erfolgtem Tod im nächsten Jahr alleiniger und vor allem allgemein
akzeptierter König. England war nun ganz in seiner und dänischer Hand.
Seine Stellung nutzte er allerdings zunächst brutal aus. Eine ganze
Reihe englischer prominenter Führer wie Edmunds Bruder ließ er
hinrichten oder ermorden, und Mitglieder der Königsfamilie wie die
Kinder von Edmund Ironside schickte er ins Exil. Aber als er erfuhr,
dass Aethelreds Witwe Emma mit ihren Kindern noch am Leben war und in
Rouen bei ihrem Bruder lebte, erkannte er die Chance zur Versöhnung und
bot ihr seine Hand (1017). Er war erst 23 Jahre alt und Bezwinger, wenn
auch nicht Mörder ihres Mannes, sie immerhin schon 33, aber sie willigte
ein. Seine erste Lebensgefährtin Aelgifu (seine »Konkubine«, nicht
Gemahlin, aber Mutter zweier Söhne von ihm) hatte zu verzichten, ohne
aber die Verbindung zu ihm ganz aufgeben zu müssen. Als Knuts Bruder
Harald in Dänemark 1018 starb, wurde er auch unangefochtener König von
Dänemark. In Schweden war der bereits erwähnte König Olaf Schoßkönig an
der Macht. Hatte Knuts Vater in Schweden noch mächtig hinein regiert,
verweigerte Olaf Knut die Unterwerfung und sicherte sich ganz im
Gegenteil eine Allianz mit dem norwegischen König Olaf Haraldsson (reg.
1016–1028). Beide Olafs versuchten eine Invasion in Dänemark, aber ohne
eine Entscheidung zu ihren Gunsten zu erreichen. Knuts Stellung als
König von England und Dänemark blieb unangefochten, und 1027 konnte er
sogar in Rom Seit’ an Seit’ mit den mächtigsten Herrschern seiner Zeit
an der Kaiserkrönung Konrads II. (geb. ca. 990; König 1024; Kaiser 1027;
gest. 1039) teilnehmen. Durch ein Bündnis mit Konrad II. gegen Polen
gelang es Knut noch, sich Schleswig zu sichern. Seine spätere Beendigung
von Grenzstreitigkeiten hier wurde besiegelt durch die Verlobung seiner
Tochter Gunhild (oder Kunigunde) mit Konrads Sohn, dem späteren Kaiser
Heinrich III., 1035; die Hochzeit erfolgte ein Jahr später; Gunhild
starb aber schon 1038, erst 20jährig. Überhaupt betrieb Knut eine auf
Verständigung ausgerichtete Heiratspolitik. Er selbst hatte, wie
erwähnt, Emma, die Witwe Aethelreds, geehelicht, um die dynastische
Kontinuität in England sicherzustellen und zum Ausgleich beizutragen,
aber auch, um die konstruktiven Verbindungen zur Normandie fortzusetzen
– schließlich war Emma die Schwester des dortigen Grafen Richard II. Als
dieser 1026 starb, drohten die guten Beziehungen allerdings in die
Brüche zu gehen, aber da verheiratete Knut seine Schwester Estrith mit
Robert I. (gest. (Gift?) bei Schiffspassage vor Palästina 1035), der nun
Graf der Normandie war, und sorgte wieder für bessere Verhältnisse,
jedenfalls eine Zeit lang; denn 1034 sandte Robert I. eine Flotte gegen
Knut zur Invasion in England aus, die allerdings bei der Insel Jersey
vom Sturm zerstreut wurde. Robert I. war tapfer, aber grausam, und hieß
nicht von ungefähr Robert der Teufel.
Knut regierte in England gerecht und schenkte
dem Land eine Ära des Friedens. Seine Herrschaft war für England ein
Segen. Hier unterstützte er auch die Kirche – er nahm das Christentum an
– und erwies sich ihr als Wohltäter. Seine englischen Untertanen haben
es nie bereut, dass sie ihn ohne große Widerstände akzeptiert haben. Er
achtete ihre Gebräuche und Gesetze, aber brach auch die Macht der
Adligen zu Gunsten des Volkes. Der von ihm aufgebaute
Verwaltungsapparat, den er zumeist Engländern überließ, sicherte die
Beständigkeit und Qualität der Regierung. Anders sah es in Schweden und
Norwegen aus. Sein klares Ziel war die Unterwerfung Norwegens. Nachdem
die Invasion der beiden Olafs in Schonen, wie erwähnt, nichts gebracht
hatte, schickte Knut nach seiner Rückkehr aus Rom den norwegischen König
1028 ins Exil nach Russland (damals war Olaf schon 12 Jahre König in
Norwegen); mit Olafs strengem Regiment und Vorgehen unzufriedene
Freibauern und Edle hatten Knut ins Land gerufen und sich mit ihm
verbündet, aber im nächsten Jahr kehrte Olaf zurück und nahm den Kampf
auf. Olaf hatte das Land streng, wenn auch meist gerecht regiert und
rigoros die Christianisierung vorangetrieben. Auch jetzt standen
Engländer und Dänen sowie norwegische Bauern gegen ihn. Es kam zur
entscheidenden Schlacht am 29. Juli 1030 bei Stiklestad, Olaf starb an
seinen Verletzungen, gerade einmal 35 Jahre alt, aber seitdem als
Norwegens Nationalheiliger verehrt – schon 1031 wurde er heilig
gesprochen. Nun war Knut auch König von Norwegen; er überließ die
Regentschaft seiner ehemaligen Gefährtin Aelgifu und ihrer beider noch
minderjährigem Sohn Sven. Auch sonst konnte Knut sein Reich nur über
Regenten und Vizekönige regieren, was ihm ziemlich viel Verdruss
bescherte. In Norwegen beendete Olafs Sohn Magnus der Gute (reg.
1035–1047) die Herrschaft von Aelgifu schon 1035, aber wie vorher schon
in ihrer Heimat Nordengland war sie bei den Norwegern sehr beliebt
gewesen. Knut selbst starb am 12. November 1035 in Shaftesbury in
England und wurde im Old Minster in Winchester beigesetzt. Winchester
war gewissermaßen seine Hauptstadt geworden.
Eine Zeit lang war Knut der mächtigste
Herrscher in West- und Nordeuropa, der noch dazu, sieht man von seiner
dünnen Hakennase ab, sehr gut aussah. Wirklich nachhaltig war seine
Regentschaft aber nur in England, wo er Verwaltung und Recht
reformierte, z. B. durch die Erneuerung der Gesetzestexte von Alfred dem
Großen. In Dänemark begründete er Bischofssitze; die Einführung der
ersten dänischen Münze geht auf ihn zurück. Sein »Nordsee-Großreich«
zerbrach allerdings schon kurz nach seinem Tode, 1035 löste sich
Norwegen ab, 1042 England, als Knuts jüngster Sohn Hardeknut – 1037
König von Dänemark und 1040 nach dem Tod seines Bruders Harald Hasenfuß
König von England – starb. Aufgrund eines Erbvertrages stand Dänemark
von 1042 bis 1047 sogar selber unter norwegischer Herrschaft. Knut
selbst wurde ob seiner Taten und Leistungen zu Knut dem Großen. Er ist
heute noch aus einem anderen Grund bekannt. Der Legende nach soll er
versucht haben, vom Meer Gehorsam für seine Anordnungen zu fordern. Als
sich dieses trotz seines Befehls nicht zurück zog, sondern seine Füße
und Beine überspülte, soll er die Macht von Königen für wertlos erachtet
und nur noch Gott als den wahren Herrn anerkannt haben; er soll sogar
von da ab nie wieder seine goldene Krone aufgesetzt haben. »Basierend
auf der Geschichte von Knuts Überzeugung, den aufbrandenden Wellen
Einhalt gebieten zu können, spricht man in England auch heute noch vom
»Knut-Syndrom« (Canute Syndrome). Gemeint ist der Glauben vor allem von
Politikern und Managern, in ihrer großen Macht selbst das schlichtweg
Unabwendbare noch abwenden zu können.« (Fraesdorff). Resümierend urteilt
Will Durant über Knut den Großen, dem er Sympathie entgegenbringt, wenn
auch nicht so viel wie Alfred dem Großen: »Er war als Däne gekommen und
starb als Engländer…Knut war mehr als nur ein Eroberer; er war ein
Staatsmann.«
Nach Alfred und Knut erhielt kein englischer
Herrscher mehr den Beinamen »der Große«. Königin Elisabeth I. (geb.
1533; reg. 1558–1603) hätte den Ehrentitel sicherlich verdient gehabt,
aber das wollte die Geschichte nicht…
Dem Gedächtnis weit gehend entschwunden: Maelgwn, Rhun, Rhodri,
Llywelyn und Gregor die Großen
Als germanische Stämme ins heutige Großbritannien eindrangen, durchlief
Wales eine politische Entwicklung, die sich vom Rest der Insel abhob.
Einer der Ursprünge der berühmten Arthus-Sage ist offenkundig in Wales
zu suchen – viele Historiker vermuten in Arthus, dessen reales Vorbild
vielleicht im 6. Jahrhundert lebte, mehr als nur eine Sagengestalt, und
es gibt auch Stimmen, die im Sagenkranz um Arthus Wales’ möglicherweise
bedeutendsten Beitrag zur europäischen Kultur sehen, so jedenfalls
nachzulesen in der Encyclopedia Americana. In Wales gab es
etliche unabhängige Fürstentümer, wie die Königreiche Gwynedd, Powys,
Deheubarth, Brycheiniog und Morganwg, die in steter Fehde mit einander
lagen. Der letzte Herrscher eines vermutlich mehr oder weniger
vereinigten Britanniens war Cadwaladr, der 664 starb. Seine Standarte,
ein roter Drache auf grünem Grund, stellt noch heute die Flagge von
Wales dar. Ein Jahrhundert später befestigte Offa, der angelsächsische
König von Mercia seit 757, gestorben 796, die Grenze zwischen den
Engländern und den Walisern, den Kelten, durch einen nach ihm benannten
Damm. Nach zwei Kriegszügen gegen Wales ging es ihm nicht mehr um
Eroberung, sondern um die Markierung der äußersten Grenzen seiner Macht.
Die Spuren des Dammes sind noch heute sichtbar, und auch heute noch
spricht man oft in England von Wales als »hinter Offas Damm gelegen«.
Von den Königreichen in Wales stach Gwynedd
hervor. Von etwa 520 bis etwa 549 regierte hier Maelgwn, dem die
Nachwelt den Titel »der Große« verlieh. Ihm folgte Rhun, der bis etwa
580 an der Macht war, und auch ihn ehrte man mit dem Beinamen »der
Große«. Im 9. Jahrhundert gelang es dann dem Gwynedder König Rhodri dem
Großen, der seit 844 herrschte und 878 starb, Wales unter seiner
Herrschaft zu vereinen. Er zeichnete sich vor allem durch seine
Verteidigung von Wales gegen die Normannen aus, und als Rhodri den
Großen findet man ihn auch in der Encyclopedia Americana.
Sein Reich hatte nicht lange Bestand, und erst im nächsten Jahrhundert
gelang die Einigung von Wales noch einmal einem Gwynedder, nämlich
Howell dem Guten (Hywel Dda, 942–950), auf den auch das erste
Gesetzeswerk von Wales zurückgeht. 1066 eroberten die Normannen nicht
nur England, sondern auch Südwales. Während sie in diesen Gebieten
Grenzmarken mit Rittern oder Grafen als Herren einrichteten,
widerstanden ihnen die Waliser im Norden. Rhodris des Großen Fürstentum
Powys, das er innerhalb von Gwynedd begründete, hielt sich selbstständig
bis 1075, aber auch nach Verlust der Unabhängigkeit brachte es
bedeutende Könige hervor. Einer davon war Llywelyn der Große (Llywelyn
ab Iorwerth), also noch einmal ein Gwynedder, der, 1173 geboren, von
1200 bis 1240 regierte und als geschickter Krieger und Staatsmann fast
ganz Wales unter seine Herrschaft brachte. Mit König Johann I. von
England (Johann ohne Land; geb. 1167, reg. von 1199–1216; gest. 1217),
dem Bruder und Nachfolger von König Richard I. Löwenherz (geb. 1157,
reg. 1189–1199) schloss er ein Abkommen, das ihm zehn Jahre gute
Verhältnisse mit dem Nachbarland ermöglichten; er heiratete auch 1205
Johanns uneheliche Tochter Johanna. Aber 1210 verschlechterten sich die
Beziehungen, und er verlor einige Gebiete an England. Nun baute er gute
Verhältnisse zu englischen Baronen auf, und dadurch und über Bündnisse
mit anderen walisischen Fürsten gewann er die Gebiete zurück. In der
englischen Politik, die schließlich 1215 zu der dem König Johann
aufgezwungenen Magna Charta Libertatum führte, der »großen Urkunde der
Freiheiten«, der im Lauf der Zeit wichtigsten Grundlage des englischen
Verfassungsrechtes, spielte er eine bedeutende Rolle. Nach Johanns Tod
gab es Auseinandersetzungen mit der englischen Krone, auch wenn diese
ihn in seiner Stellung in Wales bestätigt hatte, aber vor allem Kämpfe
mit anderen walisischen Herrschern, die 1234 mit einem Friedensschluss
beendet wurden, und Llywelyn war unangefochten zum mächtigsten
walisischen Herrscher aufgestiegen. Er starb am 11. April 1240. Sein
Enkel Llywelyn ap Gruffydd, der 1246 an die Macht kam, konnte, nachdem
»des Großen« Söhne nur Chaos ins Land gebracht hatten, die Einheit noch
einmal herstellen, aber König Eduard I. von England (geb. 1239; reg.
1272–1307) trachtete danach, Wales und Schottland unter der englischen
Krone zu vereinigen. Mit Schottland gelang es ihm nur vorübergehend,
aber Wales eroberte er 1282. Llywelyn, der 1267 noch mit Billigung der
englischen Krone den Titel Prinz of Wales angenommen hatte, fiel; sein
Kopf wurde am Tower von London aufgehängt, Wales kam zu England, und
1301 wurde der Titel eines Prinzen von Wales von Eduard I. auf den
englischen Thronfolger übertragen – von diesem wird er noch heute
getragen, aber wer kennt schon noch Rhodri oder Llywelyn die Großen? …
Gregor den Großen (ca. 540–604) sollte man
dagegen kennen. Er war ein bedeutender Papst und einer der sogenannten
vier lateinischen Kirchenlehrer; im Teil ‚Intermezzo‘ ist er uns bereits
im 2. Kapitel ›Die Kirchenlehrer‹ begegnet. Was aber den wenigsten
bekannt sein dürfte, ist, dass es noch einen Träger dieses Titels gab:
den schottischen König Gregor den Großen, der in der Encyclopedia
Americana beschrieben ist. Das vereinigte schottische Königreich
war 844 durch Kenneth MacAlpine gegründet worden; Gregor folgte 878 als
fünfter König dessen Sohn Aed und übernahm die Herrschaft für den
eigentlichen Erben, den noch nicht volljährigen Eocha, mit dem er elf
Jahre lang regierte, bis beide vertrieben wurden. Während seiner
Herrschaft eroberte er Teile von Northumbria. Vor allem soll er der
erste gewesen sein, der der schottischen Kirche ihre Freiheit gab, die
bis dahin unter Knechtschaft gestanden hatte. Ob damit die Befreiung von
säkularer Herrschaft verbunden war oder nur die Übertragung von
Privilegien von einer Kirche, Dunkeld, zur Kirche von St. Andrews,
darüber diskutieren die Historiker immer noch. Gregor der Große, zur
Zeit des englischen Königs Alfred des Großen ein bedeutender Herrscher,
starb 889 in Schottland. Leider fiel auch er, im Gegensatz zu seinem
berühmten Namensvetter, dem Papst, dem Vergessen anheim …
Um Frieden und Einheit bemüht: Waldemar und Margarete die Großen
Das Ringen Dänemarks mit England, aber auch mit Schweden und Norwegen um
Macht und Einfluss, hatte am Ende Dänemark eher geschadet als genützt.
Wie wir gesehen haben, hat England die dänische Herrschaft wieder
abgeschüttelt, nachdem Knut der Große gestorben war, und Dänemark war
eine Zeit lang sogar Norwegen untertan. Erst unter Waldemar I. gewann
Dänemark wieder an Ansehen; man hat ihn daher »den Großen« genannt.
Geboren wurde er am 1. Januar 1131, acht Tage, nachdem sein Vater Knut
Laward ermordet worden war. Seinen Namen erhielt er nach dem Großvater
seiner Mutter, dem russischen Grandprinzen Vladimir. Als König Erich
III. 1147 starb, beanspruchte Waldemar den Thron und übernahm schon
einmal die Macht über Jütland. Es vergingen zwar zehn Jahre bis zu
seinem Sieg über seine Widersacher, aber dann war er unangefochtener
König von Dänemark. Seine erste Aufgabe sah er darin, die Küstengebiete
vor den räuberischen Wenden zu schützen. Die nicht enden wollenden
Thronstreitigkeiten hatten diese dazu benutzt, ständig in Dänemark
einzufallen und das Land zu verheeren. Die Wenden lebten an der Ostsee
und waren zu dieser Zeit noch Heiden. Sie fanden fast keinen Widerstand
vor, da die Bauern geflohen waren. Waldemar baute ein schlagkräftiges
Heer auf und schaffte wieder Ruhe und Frieden, nachdem er die Wirren im
eigenen Land beendet hatte. Im Bunde mit dem Sachsenherzog Heinrich dem
Löwen und unterstützt von seinem Freund, dem kriegerischen Bischof von
Roskilde, Absalon (1128 (?)–1201), zog er 1168/69 gegen die Wenden in
ihrem eigenen Land zu Felde, eroberte die Insel Rügen, machte sie
lehnspflichtig und zwang die Wenden, den christlichen Glauben
anzunehmen. Schon vorher – 1162 – hatte er die Lehnsoberhoheit Kaiser
Friedrichs I. Barbarossa anerkannt. Damals war es ihm noch darum
gegangen, des Kaisers Hilfe gegen Heinrich den Löwen zu erhalten, dessen
Expansionspolitik im Norden auch an seiner Herrschaft gerüttelt hatte.
Trotzdem: Als Waldemar 1168 das wendische, gut verteidigte Arkona
eroberte, womit er Heinrich zuvor gekommen war, bekam Heinrich die
Hälfte des Tempelschatzes und des Tributes der Insel Rügen. Aber
wichtiger war, dass er die slawische Gefahr beseitigt hatte. Absalon,
der 1177 auch Erzbischof von Lund wurde, konnte nun die dänische Kirche
stärken und ihren Einfluss bis Rügen und Pommern ausdehnen. Schon 1167
hatte er die Burg Havn errichten lassen, die Keimzelle für die spätere
Hauptstadt Kopenhagen. Absalon, der nach Waldemars Tod ebenfalls
einflussreicher Berater von dessen Sohn Knut VI. (reg. 1182–1202) wurde,
unterstützte Waldemar auch in anderer Hinsicht: Mit Erzbischof Eskil von
Lund gab es offenen Konflikt und Streit; die meisten Bischöfe hielten
unter Führung von Absalon zu Waldemar. Am 25. Juni 1170 kam es zur
Aussöhnung zwischen Kirche und Krone; sie wurde symbolisiert durch die
Weihung von Waldemars Vater Knut Laward zum Heiligen, und Waldemars Sohn
Knut wurde beim selben Anlass gekrönt. Es war der im ersten Anlauf
erfolgreiche Versuch, aus dem Wahlkönigtum in Dänemark ein erbliches zu
machen, aber der Erfolg war nur vorübergehend. Waldemar der Große starb
am 5. Dezember 1182. Seine Regierung hatte seinem Land zwölf Jahre
Frieden und Wohlstand gebracht, und auch wieder Macht und Ansehen –
sichtbares Zeichen dafür war auch seine Erweiterung des Danewerks.
Nach dem Tode Waldemars des Großen knüpften seine Söhne Knut VI. und
Waldemar II. (geb. 1170; reg. 1202–41) an seine Erfolge an: sie
eroberten weitere wendische Gebiete an der mecklenburgisch-pommerschen
Ostseeküste, 1201 das deutsche Holstein und 1219 Estland. Allerdings
gingen diese deutschen und wendischen Eroberungen wieder verloren, und
Estland wurde 1346 dem Deutschen Orden verkauft. Waldemar IV. Atterdag,
der diesen Verkauf tätigte, andererseits aber 1361 Gotland erwarb, ist
uns schon in Verbindung mit dem Grafen Gerhard III. dem Großen von
Schleswig und Holstein begegnet. Er unterlag im Krieg gegen die Hanse
und musste 1370 Frieden schließen. Seine Tochter war Margarete die
Große.
Margarete ergeht es wie Hatschepsut von
Ägypten: Offiziell trägt sie den Titel »die Große« nicht, aber
inoffiziell wird sie so genannt. So haben Dunbar, Petersen und Jessen
das Werk Christine von Schweden. Karoline Mathilde von Dänemark und
Norwegen. Margarete die Große von Dänemark in drei Bänden
(Paderborn 2004) herausgebracht. Damit gibt es ein eigenständiges Werk
mit dem Titel Margarete die Große,
und sicher wird sich diese Ehrbezeichnung in Anbetracht ihres
Lebenswerkes mit der Zeit auch durchsetzen.
Margarete die Große von Dänemark, Abbild auf Margarethes Sarg (Wikipedia)
Unter Waldemar IV. hatte Dänemark begonnen, im Konzert der großen
europäischen Mächte wieder mehr Einfluss zu erhalten. Von allen
Herrschergestalten, die das nördliche Europa in dieser Epoche
hervorgebracht hat, war Margarete I. ganz eindeutig die bedeutendste.
Geboren wurde sie in Søborg auf der Insel Seeland im März 1353. Als sie
zehn Jahre alt war, verheiratete sie ihr Vater mit König Haakon VI.
Magnusson (geb. 1339; reg. 1355–1380) von Norwegen und Schweden.
Waldemar IV. starb 1375. Margarete begab sich daraufhin mit ihrem damals
erst fünfjährigem Sohn Olaf nach Kopenhagen, wo sie sich dem
Königswahlkollegium, bestehend aus Adligen und Geistlichen, stellte;
tatsächlich gelang es ihr, zu erreichen, dass der Prinz zum König
gewählt und sie selbst als Regentin Dänemarks anerkannt wurden.
Glückliches oder unglückliches Skandinavien – wie dem auch sei: Haakon
VI. starb 1380, und nun wurde Olaf gerade in dem Alter, in dem seine
Mutter geheiratet hatte, König von Norwegen, aber da er noch unmündig
war, übernahm seine erst 27 jährige Mutter nun auch die Regentschaft in
Norwegen »und erweckte mit ihrem Mut und ihrer taktvollen Klugheit das
Erstaunen ihrer an männliche Unfähigkeit und Brutalität gewohnten
Zeitgenossen, so dass die dänischen und norwegischen Barone, die mit
ihren Königen oftmals so wenig Federlesens gemacht hatten, der weisen
und um das Landeswohl besorgten Fürstin ehrerbietige Gefolgschaft
leisteten.« (Will Durant). Dank ihres diplomatischen Geschicks erhielt
Olaf dann 1385 auch noch den schwedischen Thron. Leider starb Olaf schon
zwei Jahre später, erst 17 Jahre alt. Für Margarete hätte dies den
Verlust ihrer Macht bedeuten können. Aber es kam anders: Sie hatte
inzwischen schon so viel Ansehen erworben und so viele Erfolge
vorzuweisen, dass die dänischen Wahlmänner sie 1387 zur Regentin
Dänemarks erkoren, unter Missachtung des von der Verfassung vorgesehenen
Ausschlusses der weiblichen Thronfolge. Ein Jahr später folgte Norwegen
trotz des dort gegebenen Erbkönigtums, und wiederum ein Jahr später auch
Schweden, dieses Land allerdings, weil hier der Adel mit König Albrecht
von Mecklenburg (ca. 1340–1412; als Albrecht III. Herzog von Mecklenburg
1385–88 und seit 1395) unzufrieden war – man hatte ihn 1364 auf den
Thron gesetzt, ein schwacher Herrscher, der sich aber nun anmaßte, gegen
den sich als Herren aufspielenden und das Volk unterdrückenden Adel mehr
Gewicht zu erhalten – Margarete schickte ein Heer, das Albrecht schlug
und bis 1395 gefangen setzte. Nun war sie Königin aller drei
skandinavischen Reiche. Und 1397 wurden diese Erfolge sogar noch einmal
getoppt: In Kalmar in Schweden traten die Wahlkollegien aller drei
Länder zu einem gemeinsamen Reichstag zusammen und krönten ihren
Großneffen Erich von Pommern (ca. 1382–1459), der schon 1388 in Norwegen
als Erbkönig anerkannt worden war, zum gemeinsamen König. Dabei wurde
auch die ewige Vereinigung aller drei Länder proklamiert – dabei sollten
allerdings Gesetzgebung oder gar Autonomie der Einzelstaaten
unangetastet bleiben (Kalmarer Union). Margarete übernahm nun auch für
den damals fünfzehnjährigen Erich die Regentschaft (Generalvollmacht für
die Reichsverweserschaft) und regierte weise und vorausschauend. Ihr
nordisches Großreich umfasste neben Dänemark, Schweden und Norwegen auch
Schleswig, Holstein, Grönland, Island, die Faröer und die
Shetland-Inseln. Als sie plante, das Herzogtum Schleswig noch fester an
ihr Reich zu binden, begab sie sich mit Erich nach Flensburg. Dort
herrschte allerdings die Pest. Sie starb, gemessen an ihren Aufgaben zu
früh, an dieser Seuche am 28. Oktober 1412 auf einem Schiff im
Flensburger Hafen. In Flensburg ist sie noch heute unvergessen, da sie
hier die Duburg hatte errichten lassen. Im Dom von Roskilde ist ihr
Sarkophag an exponierter Stelle zu besichtigen. Die von ihr geschaffene
Kalmarer Union der drei Staaten hielt sich mit Unterbrechungen bis 1523,
die dänisch-norwegische Personalunion von 1380 sogar bis 1814. »Kein
europäischer Monarch jener Zeit hat ein so ausgedehntes Reich regiert,
und keiner mit solchem Erfolg«, hat Will Durant resümiert. Sie brachte
dem Reich Ruhe und Ordnung, und auch der Adel hielt zu ihr. Sie war auf
jeden Fall eine ganz ungewöhnliche Frau. Den Ehrentitel »die Große« auch
offiziell hätte sie auf jeden Fall verdient, aber immerhin wird sie
manchmal – und das offiziell – »die Semiramis des Nordens« genannt.
Leider gelang es Erich, der als Erich XIII.
regierte, nicht, in die Fußstapfen seiner Großtante zu treten. Seine
Politik war denkbar unglücklich. Er – wie alle seine Nachfolger –
blieben im Grunde dänische Könige und vernachlässigten Norwegen und
Schweden. Es kam zum Aufruhr, vor allem in der Bauernschaft. Schon 1439
wurde er erst in Dänemark, dann in den anderen Reichsteilen abgesetzt.
Sein Neffe schwesterlicherseits Christoph von Bayern (man höre und
staune: ein Bayer im Norden), der alle ihm gestellten Bedingungen
annahm, wurde als Christopher III. zum König gewählt. Als er schon 1448
starb, bedeutete das auch das vorläufige Ende der Kalmarer Union…
Exkurs: Namentlich »Große«
Vorgestellt werden in diesem Buch Persönlichkeiten, die mit dem Titel
der oder »die Große« geehrt wurden. Es gab aber auch einige, die
wirklich diesen Namen trugen, die tatsächlich »der Große« hießen. Da sie
in erster Linie in Norwegen anzutreffen waren, sollen die bedeutendsten
von ihnen in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Sie hießen Magnus, und
das bedeutete (von lateinisch magnus »groß«) »der Große«. Magnus I. der
Gute (geb. 1024; reg. 1035–1047) war der Sohn Olafs des Heiligen, dem
wir weiter oben bei seinem verlorenen Kampf gegen Knut den Großen
begegnet sind. Als die Norweger den Sohn Knuts vertrieben hatten, holten
sie den im russischen Exil lebenden Magnus auf den Thron, und sieben
Jahre später wurde er auch – durch Erbvertrag – König von Dänemark. 1043
verteidigte er Schleswig erfolgreich gegen einen Wendeneinfall. Ein
späterer König mit diesem Namen war Magnus V. Erlingsson (1156–1184); er
wurde 1163 norwegischer König, allerdings unter Festlegung von
Thronfolgerechten für Magnus, bei der die Kirche maßgeblichen Einfluss
gewann: die dänische Krone wurde als »Lehen des heiligen Olaf« vergeben.
Dagegen empörten sich 1180 dänische »Nationalisten«; Magnus musste
fliehen und kam vier Jahre später in einer Schlacht am Sogneford ums
Leben. Magnus VI. Lagabøter (1238–1280), der »Gesetzesverbesserer«, war
ein weiterer Träger dieses Namens – er regierte seit 1263 als König. Das
Land- und Stadtrecht, das er ausarbeiten ließ (1274), blieb bis 1604 in
Kraft; die Kirche durfte zwar ihre eigene Gerichtsbarkeit behalten, aber
Norwegen bekam damit dennoch eine Rechtseinheit. Für Schweden stellte
diese Rechtseinheit Magnus VIII. Eriksson (1316–1374), König von
Norwegen (1319–55) und – als Magnus II. Eriksson – König von Schweden
(1319–64), im Jahr 1350 her. Er ertrank im Hardangerfjord.
Der Name Magnus war seinerzeit nicht unüblich.
In Sachsen hieß Magnus der letzte aus dem Geschlecht der Billunger, der
seit 1072 Herzog von Sachsen war und sich am Sächsischen Fürstenaufstand
1070 bis 1075 gegen den unglückseligen Heinrich IV., den durch den Gang
nach Canossa 1077 traurig-berühmten Kaisser, beteiligte, ja sogar an
führender Stelle, was dann zu seiner mehrfachen Gefangensetzung führte.
Durch seine Heiratspolitik baute er dynastische Verbindungen zu den
Askaniern und Welfen auf. Magnus starb hoch geehrt im Jahre 1106.
Zur Zeit der Regierung von Kaiser Lothar III.
von Supplinburg, einem von der Nachwelt vielfach unterschätzten Kaiser,
der aber den deutschen Landen immerhin für zehn Jahre so etwas wie ein
»Goldenes Zeitalter« bescherte, wüteten in Dänemark wieder einmal
heftige Thronstreitigkeiten. Knut, der Herr zwischen Schleswig und
Lübeck, sächsischer Lehnsmann, den Lothar mit Wagrien belehnt hatte, war
von einem weiteren Magnus heimtückisch, bei friedlichem Treffen,
ermordet worden; Magnus wiederum war der Sohn von Niels, dem Onkel von
Knut, der ihn, als er noch unmündig war, beiseite geschoben hatte, um
selbst den dänischen Thron zu besteigen. Knut hatte dies nicht
akzeptiert, Magnus strebte ebenfalls nach dem Thron, und Knuts
Halbbruder Erich Edmund nun nach Knuts Tod ebenso. Schon standen sich
Lothar, der zu Erich hielt, und Niels 1131 am Danewerk gegenüber, zur
Schlacht bereit. Aber Niels und Magnus verhandelten und sühnten die Tat;
drei Jahre später schwor Magnus Lothar den Lehnseid. Noch 1134 wurden
Niels und Magnus jedoch erschlagen, und Erich Edmund als letztendlicher
Sieger, wenn auch kaum als »lachender Dritter«, erhielt nun den
dänischen Thron und Dänemark als Lehen Kaiser Lothars.
Und das Fazit? Der Name Magnus sagt nichts über
tatsächliche Größe, auch wenn die eine oder andere große Tat von den
Trägern dieses Namens begangen wurde. Da war Jarl Haakon (ca. 937–995)
aus anderem Holz geschnitzt. Jarl war in Skandinavien die Bezeichnung
für einen Freien, später für einen hohen königlichen Beamten. Jarl
Haakon führte zwar selbst seine Abstammung auf Odin zurück, war aber
kein König, und doch regierte er Norwegen als de facto – König von etwa
975 bis zu seinem Tode. Man nannte ihn nicht selten Haakon, den »großen
Jarl« …
4. Vom östlichen Europa bis zum Balkan
Slawen und Finnen waren schon im 9. Jahrhundert die Gründer der
befestigen Stadt Nowgorod, die zu den ältesten russischen Städten
gehört. Beherrscht wurde sie wohl ursprünglich von den Normannen, den
Warägern, die uns bereits begegnet sind. In Nowgorod vertrieben die
Bewohner die Normannen wieder, aber bald waren die finnischen und
slawischen Bevölkerungsgruppen so zerstritten, dass die Stadt leicht
abermals den Skandinaviern in die Hände fiel. Deren Anführer Rurik (ca.
830–879), ein vom Mythos verklärter normannischer Held, begründete um
862 eine feste Herrschaft in Nowgorod, legte hier den Grundstock für das
russische Reich und wurde zum Ahnherr des russischen
Herrschergeschlechtes. Von Nowgorod aus, das durch weite
Handelsbeziehungen mit der muslimischen und byzantinischen Welt in
Verbindung stand und zu einer Zeit immer mehr zu Wohlstand gelangte, als
Städte wie Genua oder Pisa schon an Einfluss verloren, wurde das
russische Reich bis weit nach Süden ausgedehnt. Oleg, später ein
Lieblingsheld der Zarin Katharina der Großen, eroberte weite
Landesteile, unterwarf die slawischen Nachbarn, machte nach der
Eroberung 882 Kiew zum Mittelpunkt des Reiches und beherrschte, als er
912 oder 922 starb, ein Reich, das vom Bug bis zur Wolga und vom
Schwarzen Meer bis zum Nordmeer reichte. Sein Enkel Swatoslaw
vergrößerte abermals das russische Reich um ein beträchtliches Ausmaß,
unter anderem durch die Eroberung des Chasarenreiches. Zwar endete er
unrühmlich, er wurde 973 erschlagen, und sein Bezwinger ließ sich aus
seinem Schädel ein Trinkgefäß machen, aber durch Swjatoslaw ist
Alt-Russland große und mächtig geworden – so mächtig, dass der schon
unter Rurik begonnene Versuch, Konstantinopel zu erobern, bis 1043 noch
fünfmal wiederholt wurde, wenn auch immer ohne Erfolg. Sein Sohn
Wladimir der Heilige brachte Russland unter den Einfluss der
griechischen Kirche und Gedankenwelt; bis zum Ende des Zarentums war
Russland in Religion, Kunst, Münzwesen, Kultur und Alphabet von diesem
Gedankenkreis geprägt. Unter Wladimirs Sohn Jaroslaw dem Weisen (geb.
978; reg. 1016–1018 und 1019–1054) erreichte das Kiewer Reich (»Kiewer
Rus«) seinen Höhepunkt, aber durch das von ihm eingeführte unglückliche
Erbrecht säte er Zwietracht zwischen die Großfürsten, und nach seinem
Tode zerfiel das Reich sehr schnell. Russland erlebte dann bis zur
Ankunft der Mongolen (ab 1223) 83 Bürgerkriege, 293 Fürsten, die um 64
Fürstentümer stritten, 46 Invasionen und 16 Kriege gegen nicht-russische
Völker; Kiew sank nach der Zerstörung durch die Mongolen 1240 (und schon
vorher) allmählich zur Bedeutungslosigkeit herab.
Im 10. Jahrhundert war auch für Polen der Beginn der Staatswerdung. Im
Jahre 966 trat Herzog Mieszko (reg. ca. 960–992) aus dem Geschlecht der
Piasten zum Christentum über, allerdings nicht zum
griechisch-byzantinischen, sondern zum lateinischen, d. h.
römisch-katholischen. Sein Reich umfasste vor allem das Gebiet um die
mittlere Weichsel und die mittlere Warthe. Unter seinen Nachfolgern
vergrößerte es sich immer mehr; der Raum um Krakau, Schlesien, Mähren,
Böhmen, die Westslowakei, die Lausitz und Pommern kamen, wenn auch
teilweise nur vorübergehend, dazu. Kaiser Otto III. erhob Herzog
Boleslaw den Tapferen (Chrobry; geb. ca. 967; Herzog 992; gest. 1025)
zum »Bruder und Mitarbeiter des Reiches« und begründete mit ihm das
direkt dem Papst unterstellte Erzbistum Gnesen mit den drei Bistümern
Krakau, Breslau und Kolberg. Im Jahr seines Todes wurde Boleslaw zum
König gekrönt. Sein Reich lag – eine nicht ganz einfache Situation –
zwischen dem Heiligen Römischen Reich, Dänemark, Böhmen und im Osten dem
Kiewer Reich. Aber wie auch in Russland schwächten
Erbfolgestreitigkeiten und Teilungen das polnische Reich in den
kommenden Jahrzehnten. Dazu trat der Angriff der Mongolen, die trotz
aller Legenden nicht in der Schlacht von Liegnitz 1241 von einem
deutsch-polnischen Heer aufgehalten wurden, sondern sich wegen interner
Schwierigkeiten um die Herschernachfolge zurückzogen. Zwar wurde Polen
1320 dauerhaft zum Königreich erhoben, aber wenig später (1339/53)
schied Schlesien aus dem Staatsverband aus und wurde ein Teil Böhmens
und damit auch indirekt Teil des Heiligen Römischen Reiches.
Noch ein Reich erstarkte im Osten Europas in diesem Zeitraum: Litauen.
Baltische Litauer, die von Slawen von der oberen Oka und Wolga
vertrieben worden waren, nahmen wohl zu Beginn des 9. Jahrhunderts vom
heutigen Litauen Besitz. In zahlreiche Kleinfürstentümer zersplittert,
wurde das Gebiet im 14. Jahrhundert unter Großfürst Gedimin (reg.
1316–41) geeinigt; er machte Wilna zur Hauptstadt seines Reiches, das er
nach Osten vergrößerte, wo er z. B. Minsk unter seine Oberhoheit
brachte. Sein Sohn Algirdas (reg. 1345–77) erweiterte das inzwischen als
Großreich zu bezeichnende Reich bis zur Oka und zum Dnjepr. Großfürst
Jagiello (reg. 1377–1434) verbündete sich mit Polen, um eine Union gegen
den Deutschen Orden zu schaffen – er ließ sich taufen und heiratete die
polnische Thronerbin Hedwig; so war der Weg bereitet, dass er 1386 die
polnische Königskrone als Wladyslaw II. erhielt, womit er die Dynastie
der Jagiellonen begründete. Seinem Vetter Witold (Vytautas), dem man den
Ehrentitel »der Große« verlieh, überließ er die Großfürstenwürde in
Litauen. 1410 besiegte dann das litauisch-polnische Heer den Deutschen
Orden in der berühmten Schlacht von Tannenberg.
So sieht der geschichtliche Rahmen aus, in dem
mehrere »Große« eine Rolle spielten.
Krieger, Diplomaten und ein Heiliger: Wladimir, Mstislaw,
Kasimir und Witaut die Großen
Wladimir der Heilige wurde gerade erwähnt. Ihm wurde ebenfalls der
Ehrentitel Wladimir der Große verliehen; so jedenfalls wird er auch in
der Enyclopedia Americana genannt. Er wurde um 956 geboren und
erhielt nach dem Tod seines Vaters Swjatoslaws einen Teil dessen
Reiches; die übrigen Teile bekamen die anderen Söhne Swjatoslaws,
nämlich Oleg und Yaropolk. Natürlich entbrannte sofort Streit zwischen
den Brüdern. Oleg wurde schon bald getötet, und Wladimir musste nach
Skandinavien fliehen. Von dort kehrte er mit Warägern zurück, brachte
seinen verbliebenen Bruder verräterisch um und wurde somit 978 Großfürst
von Kiew. Wladimir, dem die Geschichte nachsagt, er habe ursprünglich
neben fünf rechtmäßigen Frauen noch 800 Nebenfrauen in verschiedenen
Städten gehabt und sei ein wilder, Götzen anbetender Barbar gewesen,
ließ sich 988 taufen. Vorausgegangen war, dass die Kirchen der
benachbarten Staaten nach seiner Machtkonsolidierung zunächst
versuchten, ihn von ihrem jeweiligen Glauben zu überzeugen. Daraufhin
beriet sich Wladimir mit seinen Adligen und sandte Beobachter in die
anderen Länder, um herauszufinden, wie die Menschen unter den
Bedingungen der verschiedenen Religionen, sei es römisch-katholisches
oder griechisch-orthodoxes Christentum, Islam oder Judentum, lebten. Als
seine Abgesandten aus dem Bereich der griechisch-orthodoxen Kirche
zurückkehrten und berichteten, sie wüssten nicht mehr, ob sie im Himmel
oder auf Erden gewesen seien, entschied er sich für diese Religion.
Verstärkt wurde diese Entscheidung durch seinen Wunsch, die Schwester
des byzantinischen Kaisers Basileios (geb. 958(?); reg. 976–1025),
Prinzessin Anna, zu heiraten. Basileios II. gilt als einer der
bedeutendsten byzantinischen Kaiser schlechthin; er führte Byzanz zur
einer damals ganz hervorragenden Macht in der christlichen und
muslimischen Welt; unter ihm erreichte das byzantinische Reich seine
größte Ausdehnung. Interessanterweise hat kein byzantinischer Herrscher
je den Titel »der Große« erhalten; auch Basileios II. nicht, der es
»nur« zu einem Basileios »der Bulgarentöter« brachte. Er stimmte der
Heirat unter der Bedingung der Taufe von Wladimir zu, und die Hochzeit
wurde auf der Krim gefeiert. Russland stieg somit endgültig zu einem
Teil der »zivilisierten Welt« auf. Das Christentum wurde zur
Staatsreligion und Wladimir durch seine Taufe innerlich so verwandelt,
dass er später in der russischen Kirche zum Heiligen erkoren wurde –
sein Tag in der russisch-orthodoxen Kirche ist der 15. Juli, der Tag
seines Todes – er starb am 15. Juli 1015. Den Rest seines Lebens widmete
er der Verbreitung von Kultur und Zivilisation in seinem Reich. Unter
seinem Sohn und Nachfolger Jaroslaw dem Weisen, unter dem das Kiewer
Reich seinen Höhepunkt erreichte – er starb 1054 – gab es dann rund
vierhundert prachtvolle Kirchen; auf acht Märkten trafen sich Händler
aus Byzanz und Holland, aus Skandinavien, Deutschland und Ungarn. Es
entstanden schon unter Wladimir Klöster und Schulen – Bildung und
Erziehung waren Wladimir ein großen Anliegen – und ein Gesetzbuch, das
die Todesstrafe ausdrücklich nicht vorsah. Auch die Armenfürsorge wurde
schon unter ihm aufgebaut.
Wladimir vergrößerte sein Reich, dessen Einheit
er bewahrte. Seine zwölf Söhne dienten ihm als Gouverneure der
verschiedenen Distrikte, waren ihm aber tributpflichtig. Sein Tod
bedeutete für sie allerdings leider das Signal zum Krieg um das Reich,
aber zu dessen Glück setzten sich Jaroslaw und Mstislaw durch, die das
Reich bis 1036 gemeinsam regierten. Den eigentlichen Anfang vom Ende
begründete Jaroslaw durch die Teilung seines Reiches unter seinen fünf
Söhnen…
Wladimir hat den Titel »der Große« sicher
verdient. Warum ihn ein anderer russischer Fürst, Mstislaw I., erhielt,
wissen vermutlich nur wenige. Er wurde 1076 geboren und war von 1125 bis
zu seinem Tode 1132 Großfürst des Kiewer Reiches. Schon 1088 war er
Fürst von Nowgorod geworden, wo er zahlreiche Kriege gegen die Esten
(Tschuden) führte. Über ihn ist insgesamt wenig bekannt. Im Rahmen
weiterer Feldzüge kämpfte er auch gegen die Litauer und verheerte das
Gebiet von Polzk, aber er machte sich auf der anderen Seite um den Bau
von Kirchen und Klöstern in Nowgorod verdient. Nach seinem Tod und dem
seines ihm in der Regierung folgenden Bruders Jaropolk II. 1139
beschleunigten Nachfolgestreitigkeiten den weiteren Zerfall des Kiewer
Reiches. Es musste eine lange Zeit vergehen, Jahrhunderte dauerte es,
bis wieder russische Herrscher den Titel »der Große« erhielten: Die
Zaren Iwan und Peter sowie Zarin Katharina die Großen. Warum er nicht
dem hervorragenden Fürsten von Nowgorod (1236–1251) und Großfürsten von
Wladimir (seit 1252) Alexander Newski (geb. ca. 1220; gest. 1263)
verliehen wurde, der 1240 an der Newa die Schweden, zwei Jahre später
den Deutschen Orden auf dem Eis des Peipussees und 1245 in drei
Schlachten litauische Heere besiegt hatte und durch seine kluge Politik
Nowgorod vor der Zerstörung bzw. Plünderung durch die Mongolen bewahrte,
bleibt ein Rätsel der Geschichte, aber immerhin wurde er Heiliger der
russisch-orthodoxen Kirche; sein Tag ist der 23. November, und er gilt
als der bedeutendste Nationalheld der russischen Geschichte…
Die Entwicklung Polens seit seinen Anfängen wurde bereits skizziert.
Polen gehört nicht zum östlichen Europa, sondern zum östlichen
Mitteleuropa, aber seine Geschichte ist so sehr mit der Russlands und
Litauens verknüpft, dass wir sie getrost in diesem Zusammenhang erzählen
können. Auch Polen hat einen »Großen«, und zwar Kasimir III. den Großen.
Als letzter der Dynastie der Piasten kam er 1310 zur Welt. Als er 1333
den Thron bestieg, erbte er ein von ständigen Kriegen zermürbtes Land,
das zwar von seinem Vater weitgehend vereinigt worden und immerhin vom
Heiligen Römischen Reich anerkannt war, aber es gab noch genug zu tun,
und so sah er sich gezwungen, mehr auf Diplomatie als auf Krieg zu
setzen. Zunächst erkannte er 1335 im Vertrag von Wischegrad die
Oberhoheit über Schlesien durch den König von Böhmen an und gab ihm noch
ein stolzes Sümmchen Geldes dazu, und dieser verzichtete im Gegenzug auf
alle Ansprüche auf den polnischen Thron. Dann, acht Jahre später,
schloss er im Frieden von Kalisch einen Vertrag, in dem er das
umstrittene Gebiet Pommerellen (Westpreußen), das Michelauer und das
Kulmer Land dem Deutschen Orden überließ, dafür aber die Region Kujawien
und das Dobrziner Land zurück erhielt. Zwar brachte er im Westen solche
territorialen Opfer, aber dafür erwarb er schrittweise 1349, 1352 und
1366 die ostgalizischen bzw. rotreußischen Fürstentümer Lemberg,
Halitsch und einen Teil Wolhyniens, sicherte sie endgültig für Polen und
gliederte Masowien (1351–1356) und Chelm (1366) Polen als
Lehensfürstentümer an, indem er alte rechtliche Forderungen teilweise
auch militärisch durchsetzte. Sein Neffe König Ludwig I. von Ungarn
(Ludwig von Anjou) unterstützte ihn dabei – er wurde bei einem Treffen
in Buda 1355 in einem Erbvertrag unter einigen für Polen günstigen
Randbedingungen als Nachfolger des kinderlosen Kasimir auf dem
polnischen Thron bestätigt – auch er ein »Großer«, dem wir in Kürze
wieder begegnen werden. Unter Kasimir dem Großen machte Polen rasante
Fortschritte auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Er hatte die
Zeichen der Zeit erkannt, sah, dass das alte Rittertum sich überlebt
hatte – die Feuerwaffe war bereits erfunden – und das Volk in anderen
Kategorien dachte. So gab er Anstöße für Handel und Gewerbe und weitete
sie aus. Er unterstützte die unteren Schichten, stärkte die Bauern
gegenüber dem Adel und wurde darob als »Bauernkönig« bezeichnet,
allgemein eher als Ehrentitel verwendet, und umgekehrt suchte er die
großpolnische Adelsopposition zu spalten, auch wenn er den Adel als
Kronrat brauchte. Zu seiner Zeit ließen sich viele Juden in Polen
nieder, und Kasimir stattete sie mit Privilegien aus. Er gründete Städte
und Dörfer, die deutsches Recht erhielten – schließlich siedelte dort
auch jede Menge Deutsche, vereinheitlichte das Münzwesen und mit einer
Zusammenstellung der gebräuchlichen Gesetze auch das Rechtswesen, zumal
er auch neue Gerichtshöfe gründen ließ. Er schuf eine einheitliche
Verwaltung durch neue Reichsämter und führte eine Reorganisation des
Kriegswesens durch. War bisher nur der Adel zum Kriegsdienst
verpflichtet gewesen, wurde nun auch der Bürger waffenfähig, und die
Kirche musste Stellvertreter entsenden. Im Jahre 1364 gründete er die
Universität von Krakau nach dem Modell italienischer Rechtsschulen. Als
Kasimir am 5. November 1370 starb, hatte er Polen zu einer bedeutenden
Macht in Europa gemacht, »war das vordem erschöpfte und verachtete Polen
ein reiches und angesehenes Kulturland« geworden, wie es ein Historiker
ausdrückte; er legte damit den Grundstock für die Macht seiner
Nachfolger, der Jagiellonen, und er hatte den Weg zur Union mit Litauen
geebnet, kurzum ein tatsächlich »großer« Herrscher.
Mitbegründer des litauisch-polnischen Großreiches war Vytautas der
Große, der auf Polnisch Witold hieß und auch als Witaut in der Literatur
bezeichnet wird. Als in Litauen 1930 ein Orden für besondere Verdienste
um den Staat geschaffen wurde, nannte man ihn den »Orden des Vytautas
des Großen«. Witold kam 1350 zur Welt. Zu der Zeit war das
Großfürstentum in zwei Teile geteilt. Gedimin, den wir bereits erwähnt
haben, hatte zwei Söhne: Kestutis, der von 1345 bis 1382 regierte,
herrschte im westlichen Teil, an der Grenze zum Deutschritterorden, und
Algirdas (1345–1377) regierte im östlichen Teil, von wo aus er dreimal
gegen Moskau zog und es belagerte. Der Ausbreitung der Litauer wurde
wenig Widerstand entgegengesetzt, so dass sie relativ friedlich
erfolgte, zumal die bisherigen Fürsten ihre Position behalten durften,
wenn sie Tribut entrichteten. Litauen wurde römisch-katholisch, als
Großfürst Jagiello, der Sohn Algirdas’, die polnische Königin Hedwig
(Jadwiga; ca. 1374–1399) heiratete, eine der Bedingungen für die 1386
erfolgte Union zwischen Polen und Litauen. Witold, der Sohn von Kestutis
und damit Cousin von Jagiello, war damit nicht einverstanden, weil er um
Litauens Einfluss fürchtete, und revoltierte zunächst dagegen mit
Waffengewalt. Schließlich akzeptierte er jedoch das Bündnis und wurde
Großfürst von Litauen. Unter ihm erreichte die Ausdehnung von Litauen
ihren Höhepunkt, als seine Truppen an die Küste des Schwarzen Meeres
gelangten. Im Laufe seines Zuges an den unteren Dnjepr 1396 schlug er
die dort ansässigen Tataren entscheidend; über zehntausend Familien
brachte er nach Litauen; aus der gleichzeitig unterworfenen, im 8.
Jahrhundert entstandenen jüdischen Sekte der Karaiten (Karäer, davor
Ananiten nach dem Gründer Anan Ben David genannt) – 500 verschleppte er
nach Litauen – rekrutierte er später seine Leibwache. Zwar musste er
drei Jahre danach eine herbe Niederlage gegen die Tataren einstecken,
aber sein Einfluss auf die Goldene Horde, wie die Bezeichnung für den
Verbund der Tataren in Russland lautete, blieb nach wie vor sehr stark.
Mittlerweile nahmen die Spannungen mit dem Deutschen Orden zu; dieser
hatte stark an Macht gewonnen und große Ländereien erworben. Er hetzte
allenthalben bei den deutschen Fürsten und in Rom gegen Polen und
Litauen. So kam es zum Krieg, den vor allem Witold betrieb. Am 15. Juli
1410 wurde der Orden in der Schlacht von Tannenberg vernichtend
geschlagen. Zum ersten Mal, so ist überliefert, hat damals das polnische
Heer das Tedeum in polnischer Sprache gesungen. Auch wenn der Friede von
Thorn 1411 für den Orden einigermaßen glimpflich aussah, war dessen
Macht im Osten gebrochen, und auch der Einfluss des Deutsche Reiches auf
Osteuropa. Wiltolds Werk und Sieg bedeutete eine Wende – nämlich die
Wiedererneuerung und Stärkung des Slawentums. Wiltold selbst stieg zum
einflussreichsten Herrscher in Osteuropa auf. Auch innenpolitisch hat er
für sein Land Großes geleistet. So gab er der jüdischen Bevölkerung
Privilegien, unterstützte die Katholiken und ließ die Schriftkultur
verbreiten. Die Union blieb, trotz vieler Wechselfälle und eines
mehrfachen Hin und Her – Witold richtete sich häufig neu aus – erhalten
und er selbst recht eigenständiger Großfürst von Litauen. Er starb am
27. Oktober 1430 ohne Nachkommen. Als »Großer« blieb er der polnischen
und litauischen Bevölkerung in Erinnerung, vor allem in den schweren
Zeiten. Denn die weitere Entwicklung hielt für Polen noch viele
Wechselfälle des Glücks und schlimme Schicksalsschläge bereit, man denke
nur an die vielfältigen polnischen Teilungen und Freiheitskämpfe. Aber
das ist eine andere Geschichte.
Glänzende Herrscher auf dem Balkan: Simeon, Petar Krešimir,
Stefan Uroš, Basarab und Mirtschea die Großen
Auf der Balkanhalbinsel findet sich eine Reihe teils uralter Staaten:
Bulgarien, Kroatien, Serbien und Rumänien, dazu noch Griechenland,
Albanien und die europäische Türkei, um nur eine grobe Aufzählung zu
geben. Bulgarien zählte im Altertum zur Landschaft Thrakien. Nachdem es
einige Jahrhunderte zum Mazedonischen Reich gehört hatte, kam es im 1.
Jahrhundert unter römische Herrschaft. Slawische Einwanderer siedelten
hier seit Ende des 5. Jahrhunderts. Die Protobulgaren, von
turktatarischer Herkunft, richteten in dem Gebiet nach 675 eine
Herrschaft auf, und schon 681 erkannte das Byzantinische Reich die
Gründung des ersten Bulgarischen Reiches an, dessen Herrscher Khan
Asparuch (gest. 701) war. Rund zweihundert Jahre später, um 865, nahm
das Land unter Boris I. das orthodoxe Christentum an und führte seit 885
das kyrillische Alphabet ein. Ihm sind wir im Zusammenhang mit Papst
Nikolaus dem Großen bereits begegnet. Boris dritter Sohn war Simeon, der
864 geboren worden und am kaiserlichen Hof von Byzanz aufgewachsen war,
wo er eine umfassende Ausbildung erhalten hatte. Mit Byzanz hatte der
Friede lang angedauert, aber als Simeon 893 den Thron des bulgarischen
Reiches bestieg, endete er aus wirtschaftlichen Gründen und wegen
Handelsfragen. Simeons Regierungszeit bis zu seinem Tode 927 bedeutete
den Höhepunkt des mittelalterlichen Bulgariens. Auch wenn der größte
Teil davon in fruchtlosen und teilweise für die durchquerten Länder wie
Griechenland verheerenden Kriegszügen gegen Konstantinopel bestand – er
belagerte es 913, und erneut 924; bei dieser Gelegenheit wurde er zum
bulgarischen Zaren ausgerufen – gelang es Simeon, die bulgarische Grenze
in Richtung Adria auf serbisches Gebiet voranzuschieben. Adrianopel
wurde von ihm zweimal erobert. Er nannte sich »Kaiser und Autokrat aller
Bulgaren und Griechen« und bei anderer Gelegenheit »Zar der Bulgaren und
Rhomäer« (d. h. Oströmer, wie sich die Byzantiner selbst nannten) und
versuchte, aus seiner Hauptstadt Preslaw ein Zentrum zu machen, das mit
Byzanz in Glanz und Reichtum konkurrieren sollte.Tatsächlich hat man
hier schöne Überreste byzantinischer Architektur und Skulptur entdeckt.
Byzanz seinerseits gelang es, die Kroaten, Serben und Ungarn gegen
Simeon aufzuhetzen, und auch die Griechen kämpften gegen ihn einen
langwierigen Zermürbungskrieg. Nachdem er Zar geworden war, kehrte
endlich mehr oder weniger Frieden ein. Simeon holte verschiedene
Gelehrte und Theologen an seinen Hof. Sie begannen mit der Übersetzung
der byzantinischen geistlichen Literatur ins Altslawische, das
kyrillische Alphabet setzte sich endgültig durch, und 923 wurde das
Slawische zur offiziellen Staats- und Kirchensprache erhoben. Hier und
in der Vergrößerung des Reiches, das vom Schwarzen Meer bis zur Adria
und Ägäis reichte und die stärkste Macht auf dem Balkan darstellte, lag
die große Bedeutung von Simeon, den die Nachwelt »den Großen« genannt
hat, ein Titel, der sich allerdings nicht in allen Quellen findet. Er
bescherte, zumindest in seinen letzten Jahren, seinem Reich etwas wie
ein »goldenes Zeitalter«, aber nach seinem Tod verlor das alte
bulgarische Reich sehr schnell an Bedeutung, 972 bzw. 1018 fiel es an
Byzanz, und erst 1185/87 entstand es als 2. bulgarisches Reich neu.
Ein weiteres bedeutendes Land auf dem Balkan
ist Kroatien. Das ist heute so, und das war auch schon in der
Vergangenheit der Fall. In römischer Zeit, seit kurz vor der
Zeitenwende, war Kroatien ein Teil Pannoniens bzw. Illyriens. Ab dem 7.
Jahrhundert wanderten slawische Stämme ein und besiedelten das Land. Ab
845 herrschte dort ein Fürst, 924 wurde es ein Königreich mit Tomislaw
als erstem König, und die kroatische Herrscherdynastie gewann Slawonien
und die dalmatinischen Städte hinzu. Damals existierte Kroatien
gewissermaßen schon in der heutigen Form, bestand also aus der
Küstenregion und den nördlichen Gebieten, die damals Pannonien hießen.
1102 wurde eine Personalunion mit Ungarn begründet, die sich bis 1918
halten konnte. Auf Tomislaw ging die kroatische Dynastie zurück, und
einer seiner Nachfolger war Peter Krešimir IV., den die Nachwelt »den
Großen« nannte, wenn sich der Titel auch – wie bei Simeon – nicht
durchgängig findet. Er regierte von 1059 bis zu seinem Tod 1074. Unter
ihm erhielt Kroatien im Mittelalter seine größte Ausdehnung, daher der
Titel, den sonst in der kroatischen Geschichte kein Herrscher mehr
bekam. Bedeutsam war auch, dass Petar die katholische Kirche förderte,
im Widerspruch zu einem großen Teil des Klerus und des Volkes, die der
griechisch-orthodoxen Kirche zuneigten. Er schenkte der Kirche
Ländereien, baute Kirchen und Klöster, wie das Kloster der Hl. Maria in
Zadar. Aber auch zu Byzanz pflegte er gute Beziehungen; dagegen nahmen
ihn die Normannen bei einem Überfall gefangen, und er musste die Städte
Zadar, Split und Trogir abtreten, um wieder frei zu kommen; diese Städte
gliederte dann Venedig seinen Machtbereich ein, nachdem es die Normannen
vertrieben hatte. Die Auseinandersetzungen mit Venedig blieben ein Teil
der kroatischen Geschichte.
Auch Serbien weist einen »Großen« in seiner
Geschichte auf, und diesem ist sogar ein eigener Artikel in der Encyclopedia
Americana gewidmet. Er stammte aus der prominenten serbischen
Nemanya-Dynastie: Stephen Nemanya V. bzw. Stevan Uroš I. der Große.
Geboren um 1220, kam er 1243 an die Macht. Er heiratete Helena, eine
französische oder deutsche Prinzessin, die Schulen, Bibliotheken und
Kirchen gründete, während er Befestigungsanlagen baute und sein Reich
vergrößerte; u. a. gewann er durch Eroberungszüge große Gebiete in
Mazedonien dazu. Helene war ihm eine wichtige Stütze und legte wie er
auf Pomp wenig Wert. Er galt als Volkskönig, dem es auch daran gelegen
war, Unterschiede in seinem Reich, seien es kirchlicher oder regionaler
Art, auszugleichen. Unter ihm entwickelte sich bemerkenswerterweise das
Bergwesen in Serbien; hierin lag für Serbien eine Haupteinnahmequelle,
und bald belieferte Serbien ganz Europa mit Silber, was fast ein Drittel
des europäischen Silbermarktes ausmachte. 1276 stürzte ihn sein ältester
Sohn; er zog sich in ein Kloster zurück und starb am 1. Mai 1277, von
der Nachwelt mit dem Ehrentitel »der Große« geehrt.
Werfen wir noch einen Blick nach Rumänien. Die
ehemaligen Donaufürstentümer Moldau und Walachei sowie Siebenbürgen
bilden im Großen und Ganzen das heutige Rumänien. Die Urbevölkerung, die
Daker und Geten, wurden durch die römische Herrschaft seit dem 1.
Jahrhundert weitgehend romanisiert, daran änderten auch die vielen in
der Folgezeit durchziehenden Völker wie Goten, Alanen, Hunnen, Awaren
und andere nichts, noch wurden sie von ihnen oder auch den im 6./7.
Jahrhundert einfallenden Slawen vertrieben. Als Volk tauchen die Rumänen
im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich auf. Die Siebenbürger Sachsen
siedelten hier ab 1150, nachdem sich vorher schon Ungarn (Magyaren) in
dem Gebiet niedergelassen hatten. Aber erst im 14. Jahrhundert wurden in
diesen Regionen, nämlich in der Walachei und in der Moldau, die ersten
Staaten gebildet. Angeblich wurde die Walachei als Staat von einem
gewissen Radu Negru, einem Woiwoden aus Transsylvanien, gegründet, der
ab 1290 mit seinen Anhängern in die Tiefländer des heutigen Rumänien
zog. Die Geschichte ist mit vielen Legenden ausgeschmückt; vielleicht
hieß er auch Ivancu oder Tihomir. Interner Streit in Ungarn gab Basarab
dem Großen, der auch Basarab der Gründer hieß (reg. 1330–1352), den
Anstoß, 1330 die Walachei von ungarischem Vasallentum zu befreien –
dasselbe geschah dann 1359 in der Moldau, und Basarab und seine
Nachfolger konnten in der Folge über mehrere Dekaden ihre Unabhängigkeit
bewahren. Der bedeutendste unter ihnen war Mirtschea (Mircea, Mrtschea)
der Große, der 1386 bis 1394 und dann noch einmal von 1397 bis 1418
regierte. Er wird auch Mirtschea der Ältere genannt, aber in der
Geschichte hat sich doch der Titel »der Große« erhalten. Er war kein
König im westlichen Sinn, sondern betitelte sich als Groß-Woiwode. Für
sein Volk war er der »Herr«, und er verlangte nur den Zehnten,
gelegentliche Geschenke und Heeresfolge – nicht Untertanen war das Volk
für ihn, sondern eher Gefährten. Er führte den byzantinischen
Doppeladler auf seiner Bekleidung, die einer fürstlichen in nichts
nachstand, er trug einen roten Mantel und rote Schuhe; sein Name
erschien in roter Schrift auf den Urkunden. Mit Unterstützung aus Polen
eroberte er die Dobrudscha. Ein Teil seines Heeres kämpfte auch 1389 im
Kosovo. Fünf Jahre später gelang es ihm, die Türken zu besiegen, aber
1417 konnte sich die Walachei nicht mehr gegen den türkischen Ansturm
wehren – kein Verbündeter kam Mirtschea zu Hilfe – und wurde ein
tributpflichtiger Staat. Insgesamt haben aber die Walachei, die Moldau
(ab 1513) und Siebenbürgen (ab 1538) mehr Glück im Umgang mit den Türken
gehabt als andere Fürstentümer – sie wurden nie zu türkischen Provinzen,
sondern konnten sich durch Tributzahlungen bis zum Beginn des 18.
Jahrhunderts eine weit reichende innere Selbstständigkeit bewahren, und
der Moldau erwuchs in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch
einmal ein bedeutender Herrscher, Stefan III. der Große, der zum
rumänischen Nationalheiligen avancierte – ihm werden wir in der
»Neuzeit« wieder begegnen.
Herr von Nord bis Süd: Ludwig der Große
Wir hätten ihn im Zusammenhang mit der polnischen Geschichte behandeln
können, im Rahmen der Erbfolge von Kasimir dem Großen, aber das wäre ihm
nicht gerecht geworden. Er hätte auch zur Geschichte des Balkans
gepasst, aber auch nicht völlig adäquat, und auch in die Geschichte der
südeuropäischen Länder hätte man ihn einordnen können, aber eben auch
nicht ohne jeden Zweifel. So erscheint es am besten, ihm ein eigenes
Kapitel zu widmen, das dann auch schon zu den südeuropäischen »Großen«
überleitet.
Ludwig der Große (Wikipedia)
Geboren wurde Luwig am 5. März 1326 im ungarischen Visegrád. Sein Vater
war König Karl Robert von Ungarn, der 1342 starb. Zu dieser Zeit war
Ungarn ein mächtiges, unabhängiges Königreich. Hier, im mittleren
Donautal, dem alten römischen Pannonien, hatten sich nach dem Rückzug
der Römer um 400 germanische und hunnische Stämme niedergelassen. Unter
Attila, der 453 starb, wurde es Mittelpunkt des Hunnenreiches. Nach
Langobarden, Wandalen und Gepiden, letztere für längere Zeit, kamen Ende
des 6. Jahrhunderts die Awaren; deren Herrschaft beendete Karl der Große
spätestens Anfang des 9. Jahrhunderts, und nun, seit 896, erschienen die
Magyaren auf der Bildfläche und nahmen das Pannonische Becken für sich
ein. Ursprünglich aus der Gegend zwischen Ural und Wolga, dem
finno-ugrischen Sprachraum, stammend, assimilierten sie die
einheimischen Völker und gingen auf Raubzüge gegen die Nachbarländer, in
denen sie Angst und Schrecken hervorriefen. Ihre Niederlage auf dem
Lechfeld 955 und später noch eine weitere vor Byzanz 970 beendeten
diesen Teil der ungarischen Geschichte. Großfürst Géza (ca.
940/945–997), der seit etwa 970 regierte, bereitete die
Christianisierung und Sesshaftwerdung seines Volkes vor und festigte die
fürstliche Macht. Sein Sohn war der berühmte ungarische König Stephan I.
der Heilige (geb. ca. 970/975; Fürst 997; König 1000; gest. 1038), ein
Schwager Kaiser Heinrichs II. – er christianisierte sein Volk teils mit
Gewalt, unterdrückte aber auch den Widerstand der Stammesfürsten und
errichtete eine zentralistische Königsherrschaft. Nach ihm ist die
Stephanskrone benannt, das ungarische Staatssymbol, und er selbst wurde
zum Schutzpatron Ungarns und 1083 heilig gesprochen. Ungarn behauptete
sich seine Macht in Europa, auch wenn es Mitte des 11. Jahrhunderts
vorübergehend vom Heiligen Römischen Reich lehensabhängig war. Ab 1102
kam es zur Personalunion mit Kroatien; um 1150 begann die ungarische
Krone mit der Ansiedlung von Deutschen in Siebenbürgen. 1222 erzwang der
ungarische Adel vom König in der »Goldenen Bulle« die Festlegung seiner
Vorrechte. Nur rund 20 Jahre später drangen die Mongolen ein und
eroberten und besetzten das Land. Aber auch sie zogen sich eines Tages
wieder zurück, und die Ungarn konnten ihre Herrschaft und ihr Land
festigen. In dieser Situation betrieb Ludwig I. der Große eine Politik
der immensen Ausweitung seiner Herrschaft. Diese Expansion hatte aber
durchaus auch sehr starke dynastische Hintergründe. Ludwig war der
Ururenkel Königs Karl I., Graf von Anjou (1226–1285), der seit 1246 Graf
der Provence und 1263 vom Papst mit dem bislang staufischen Königreich
Sizilien belehnt worden war. In Verteidigung dieser neu verliehenen
Rechte gegen die Staufer ließ er auch den Staufererben Konradin 1268
hinrichten. Seine Hauptstadt verlegte er nach Neapel, Sizilien selbst
sollte ihm, worauf wir bald zurückkommen, nicht lange erhalten bleiben.
Karls langfristiger Plan war eine Herrschaft über das Mittelmeer, in die
auch Ungarn mit einbezogen werden sollte. Daraus sollte zwar nichts
werden, aber immerhin gelang es dem Haus Anjou, die Macht über Sizilien,
Neapel und Ungarn zu gewinnen. Ludwigs Vater Karl Robert wurde noch in
Neapel geboren und hieß allgemein Caroberto; er verlor zwar die
Herrschaft über Süditalien, aber gewann dafür immer mehr Einfluss im
östlichen Mitteleuropa. Er heiratete Elisabeth, die Tochter des
polnischen Königs und begründete damit die ungarisch-polnische Allianz,
die im mittleren Europa eine bedeutende Rolle spielte. Für Karl Roberts
Pläne war der Verlust Süditaliens nicht entscheidend, er hatte auch die
ungarische Residenz nach Visegrád verlegt – anders aber für Ludwig.
Dieser war zwar in Ungarn geboren und machte das von den Mongolen 1241
zerstörte Budapest 1361 zur Hauptstadt des ungarischen Reiches, mit
einem Hofe der Könige von Anjou, der an Glanz nichts zu wünschen übrig
ließ, aber an seinem Plan, auch Neapel und Sizilien für seine Krone
zurück zu gewinnen, ließ er nicht rütteln. Seine Ansprüche auf die Krone
von Polen sind schon erwähnt worden. 1370 wurde er nach dem Tod seines
Onkels Kasimir des Großen König von Polen. Das Hauptaugenmerk seiner
Politik lag aber in ganz anderer Richtung. Polen war für ihn
uninteressant. Er setzte seine Mutter Elisabeth, die ja aus Polen
stammte, als Regentin von Polen ein und übertrug dem polnischen Adel
viele Rechte; für seine polnischen Untertanen galt er nur als »Ludwig
der Ungar«. Ansonsten trug er den Ehrentitel »Ritterkönig«, und in den
vierzig Jahren seiner Herrschaft ist er überwiegend von einem Feldzug
zum nächsten geeilt. Sein großer Traum war eine Machtkonstellation in
Europa, die von Polen und Ungarn über Dalmatien auf dem Balkan bis nach
Neapel und Sizilien reichen sollte. Dabei waren Polen und Ungarn für ihn
zweitrangig; von Bedeutung war für ihn vor allem das Mittelmeer. Hier
stieß er aber auf den Widerstand der Republik Venedig, die sich als
aufblühende Handels- und Wirtschaftsmacht ebenso für die
Handelsstützpunkte Dalmatiens interessierte wie er. Von 1345 bis 46,
1356 bis 58 und 1378 bis 81 kämpfte Ludwig siegreich gegen Venedig; im
Frieden von Zadar 1358 gewann er Dalmatien mit Ragusa, und für das Land
begann nun eine Zeit der wirtschaftlichen Blüte, zumal die
dalmatinischen Städte von ihm – anders als unter venezianischer
Herrschaft – weit gehende Autonomie erhielten. Zum abermaligen Krieg
gegen Venedig kam es von 1378 bis 1381 an der Seite Genuas im
sogenannten Chioggiakrieg, dessen Ende Ludwig erneut die Herrschaft über
Dalmatien sicherte. Zudem festigte Ludwig die Oberhoheit über Bosnien,
die Walachei, die zwischen 1344 und 1369 unter seine Lehenshoheit
geriet, und die Moldau, die er für seinen Onkel unter polnische
Herrschaft brachte; von 1365 bis 69 unterwarf er das westbulgarische
Vidin und machte aus dem alten bulgarischen Zarentum ein ungarisches
Banat. Auf den Thron von Neapel verhalf er 1380 dem letzten männlichen
Vertreter der Nebenlinie Anjou-Durazzo. Das Großreich, das Ludwig nun
regierte, reichte vom Baltikum bis zur Adria. Aber er war nicht nur im
Felde unterwegs. Er suchte, den katholischen Glauben zu verbreiten, und
– keine weitsichtige Entscheidung – verweigerte dem Kaiser von Byzanz
aus Glaubensgründen Militärhilfe gegen die anstürmenden Osmanen – auch
sein Herrschaftsbereich sollte den Osmanen nicht lange standhalten
können. Vor dem Hintergrund seiner Förderung des Katholizismus war ihm
die Sekte (»Häretikergruppe«) der Bogomilen in Bulgarien ein Dorn im
Auge, die er daher bekämpfte. 1367 gründete er die Universität
Fünfkirchen (Pécs), womit er sich auch ein kulturelles Andenken schuf.
Ludwigs erste Frau Margarete von Luxemburg, eine Tochter Kaiser Karls
IV., war 1349 nach kinderloser Ehe an der Pest gestorben; seine zweite
Frau Elisabeth, die Tochter Stjepans II., des Banus von Bosnien, gebar
ihm drei Töchter, von denen die älteste schon als Kind starb. Maria, die
zweitälteste, wurde als seine Nachfolgerin »König« von Polen und
heiratete dann Kaiser Sigismund, und seine jüngste Tochter Hedwig wurde
als seine Nachfolgerin »König« von Polen, wo sie dann als Gemahlin
Wladyslaws II. Jagiellos, des Begründers der Jagiellonen, zur
Großfürstin von Polen-Litauen avancierte. Ludwig starb am 10. September
1382 in Tyrnau. Bei seinem Volk blieb er lebendiger Erinnerung als
Ludwig der Große, und das bis heute.
5. Südliches Europa
Die frühen Siedler auf der Iberischen Halbinsel waren die Iberer, später
– seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. – siedelten auch Kelten dort; seit etwa
1100 v.Chr. kamen die Phönikier und gründeten ihre Kolonien, danach auch
Griechen, und schließlich kam das Land unter römischen Einfluss, wurde
Teil des Römischen Imperiums, mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung –
nicht nur Gold und Silber, sondern auch Wein und Öl waren hier
ausschlaggebend. Als Rom an Macht und Einfluss verlor, kamen Sweben,
Alanen und Wandalen auf die iberische Halbinsel, und im Anschluss daran
die Westgoten. Für deren Geschichte war vor allem ihr Übertritt vom
Arianismus zum Katholischen Glauben 587 entscheidend. Innere Wirren
schwächten ihr Reich, in dem sie ohnehin mit der Zeit in der
ursprünglichen (romanischen) Bevölkerung aufgingen, so dass es 711 für
die muslimischen Araber, die Mauren, von Nordafrika her im heutigen
Spanien einfallend, nicht all zu schwer war, sie zu besiegen und das
Land zu erobern. 756 entstand das selbstständige Emirat von Córdoba, das
von 929 bis 1031 Kalifat war. Für das Land war die Maurenzeit eine gute
Zeit; Handwerk, Landwirtschaft und vor allem das geistige, kulturelle
Leben blühten, erreichten einen Höhepunkt. Dennoch fühlten sich die
Christen einer fremden Macht untertan, unselbstständig, abhängig auch
von einer religiös ganz anders denkenden Herrschaft.
Der Gedanke an die Reconquista, an die
Rückeroberung der ursprünglich christlichen Gebiete durch christliche
Heere, wurde nie aufgegeben. Im Norden des Landes, am Kantabrischen
Gebirge, war die arabische Eroberung stecken geblieben; der
Pyrenäen-Raum war nach wie vor fränkisch. In den asturischen Bergen
begann schon bald nach dem entscheidenden Sieg der Mauren der
Widerstandskampf. Pelayo, wahrscheinlich ein westgotischer Adliger,
begründete das Königreich Asturien. Er besiegte bereits 718 oder 722 die
Araber bei Covadonga und gilt damit als derjenige Fürst, der die
Reconquista einleitete. Er starb im Jahre 737 und wird heute als
spanischer Nationalheld verehrt. Den Ehrentitel »der Große« erhielt er
nicht, aber andere nach ihm.
Kämpfer für Ehre und Reich und gegen die Mauren: Alfons,
Sancho, Ferdinand und Raimund Berengar die Großen
In Asturien erhielt über 150 Jahre nach Pelayo der erste Herrscher in
diesem Raum den Beinamen »der Große«: Alfons III. wurde um 848 geboren
und 866 König von Asturien. In verschiedener Hinsicht vergrößerte er
sein Reich, u. a. eroberte er Navarra und drang nach Alt-Kastilien vor;
er dehnte die Grenze seines Territoriums über den Douro aus und besetzte
Coimbra im heutigen Portugal; die Hauptstadt Asturiens verlegte er nach
León, seiner beliebtesten Residenz, und schuf damit den Grundstock für
die Entstehung des Königreiches León. Seine erfolgeichen Kämpfe gegen
die Mauren und seine Politik der Wiederbesiedlung der Gebiete, aus denen
die Mauren vertrieben worden waren, brachten ihm den Titel »der Große«
ein. Als er schon älter war und eigentlich das Recht gehabt hätte, seine
Erfolge zu genießen, erhob sich sein Sohn García gegen ihn. Zwar gelang
es Alfons, die Rebellion zu unterdrücken, aber nun erhoben sich auch
seine Frau und seine jüngeren Söhne gegen ihn – sie setzten ihn ab und
teilten sich das Reich unter einander auf. García sollte zum Begründer
der Dynastie der Könige von León werden. Alfons ging nach der Absetzung,
die sich im Sommer 910 ereignete, in die Verbannung und starb bald
danach. Interessant ist er, abgesehen von seinen Kämpfen gegen die
Mauren, noch aus einem anderen Grunde: er hinterließ eine Chronik,
entweder von ihm selbst verfasst oder doch zumindest in Auftrag gegeben
und von ihm überwacht, die Crónica Alfonso III. Sie stellt
die Geschichte des Westgotenreiches ab 672 und die des asturischen
Reiches bis zu Alfons’ Regierungsantritt dar, sozusagen des asturischen
als Fortsetzung des Westgotenreiches. Trotz aller Fälschungen und der
tendenziösen Propaganda zu Gunsten des Könighauses oder vielleicht
gerade deswegen wurde das Werk zu einer ideologischen Grundlage der
Reconquista und diente ihr als Ansporn.
Wesentlich erfolgreicher als Alfons der Große
war bald nach ihm Sancho III. der Große von Navarra. Geboren um 990,
stand er bis 1004 unter der Vormundschaft seines Onkels
väterlicherseits. Er gründete im Norden des heutigen Spanien ein großes
Reich um Navarra. 1028 fiel ihm Kastilien durch Heirat zu – er heiratete
die Erbin Mayor, die ihm vier Söhne gebar, und 1029 eroberte er das
nördliche Kastilien und das östliche León; Aragonien, Sobrarbe und
Asturien huldigten ihm ebenfalls. Damit herrschte er praktisch über den
nördlichen Teil der iberischen Halbinsel. Den Mittelpunkt seines Reiches
bildete Navarra. Durch Förderung der Bildung und Stärkung der Kirche
versuchte er, dieses Reich zu festigen. Aber nach seinem Tode zerfiel es
schnell, ja, kurz vor seinem Ableben schuf er dazu noch selbst durch die
Teilung die Grundlage; alle Teile, die er mühsam geeint hatte, wurden
bald wieder selbstständig. Kastilien und León wurden seinem Sohn
Ferdinand zugesprochen, der wie sein Vater den Titel »der Große«
erhielt, eine der seltenen Beispiele in der Geschichte, dass ein Vater
und sein Sohn mit diesem Ehrentitel bedacht wurden. Nerses und Isaak von
Armenien sind das andere Beispiel. Ferdinand I. wurde um 1016/1018
geboren und 1029 von seinem Vater mit der Grafschaft Kastilien belehnt.
Nach dem Tod von Sancho am 18. Oktober 1035 wurde er dort
Alleinherrscher und erbte dann auch noch 1037 das Königreich León. Die
Krönung erfolgte 1038, und Ferdinand führte nun den Titel »König von
León und Burgos«. Ferdinand war eine Kämpfernatur. Er hatte 1037 schon
seinen Schwager Bermudo III. von León besiegt. Im Jahre 1054 erweiterte
er Kastilien nach dem Sieg über seinen Bruder García von Navarra bis zum
Ebro und ging dann gegen die Mauren vor. Ihnen nahm er Teile Portugals
ab und dehnte die Grenzen seines Reiches bis fast zum Tejo aus. Von
daher wurde er seit 1054 sogar »Kaiser« genannt, und seine militärischen
Erfolge waren es auch, die ihn zu Ferdinand den Großen machten. Er starb
am 27. Dezember 1065 in León.
Portugal löste sich 1075 von Kastilien, 1137
wurden Katalonien und Aragonien vereint, und Kastilien und León
endgültig 1230. Mit dem Zerfall des Kalifats von Córdoba nach 1031
begann auch die entscheidende Phase der Reconquista. In dieser Zeit gab
es noch einmal einen »Großen«: Raimund Berengar III. von Barcelona. Er
wurde 1082 in Rodez geboren und schon mit 15 Jahren alleiniger Regent
als Graf von Barcelona, Girona und Osona. Unter seiner Herrschaft gelang
es ihm, das katalanische Gebiet erheblich auszuweiten. Fast alle
katalanischen Grafschaften konnte er in seinen Machteinfluss bringen.
Durch seine Heirat mit Dulcia, der Erbin der Provence, fiel auch diese
reiche Region an ihn. Mit den italienischen Seerepubliken Genua und
Pisa, mit denen er Beziehungen knüpfte, griff er 1114 und ein Jahr
später die maurischen Piratenfestungen von Mallorca und Ibiza an, womit
er vielen christlichen Sklaven das Leben rettete. Auch maurische
Festlandsstützpunkte wie Valencia bekämpfte er mit der Unterstützung
durch Pisa.
Am Ende seines Lebens wurde Raimund Berengar
der Große zum Templer. Er hatte in erster Ehe Maria, die zweite Tochter
des spanischen Nationalhelden El Cid (Rodrigo Ruy Diaz; 1043–1099)
geheiratet, seine dritte Frau war die eben erwähnte Dulcia aus der
Provence. Als er 1131 in Barcelona starb, konnte er ein gewaltiges Reich
vererben – es erstreckte sich im Osten bis nach Nizza. Sein Sohn aus der
Ehe mit Dulcia war Raimund Berengar IV. (geb. ca. 1113; reg. 1131–1162),
der die Grundlage für das mächtige Doppelreich Barcelona/Aragonien
schuf, die »Krone Aragon«, wie dieses Gebilde genannt wurde.
Die Reconquista erzielte bald große Erfolge.
Nach einander fielen Toledo (1085), Saragossa (1118), nach längerer
Atempause 1236 Córdoba und dann noch 1248 Sevilla. Aragonien-Kastilien
brachte es bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts zur Vormacht im westlichen
Mittelmeer; es beherrschte die Balearen, Sizilien, Sardinien und das
Königreich Neapel. Hören wir Sizilien und Neapel, so werden wir an
Ludwig den Großen erinnert, und nicht nur ihn als »Großen« treffen wir
hier.
Streiter um Macht und Ansehen: Hugo, Waimar und Peter die Großen
Begeben wir uns in den Mittelmeerraum, nach Italien, genauer gesagt in
die Toskana, eines der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen
heutzutage. Nach dem Niedergang des Römischen Reichs stand Tuszien, wie
das antike Etrurien nun hieß, erst unter ostgotischer, dann unter
byzantinischer, langobardischer und schließlich fränkischer Herrschaft,
letzteres seit 774. Unter den Franken wurde die Toskana Grafschaft, dann
Markgrafschaft, und einer der Markgrafen war wiederum ein Hugo, nun
schon der dritte, den man »den Großen« nannte. Hugo von Tuszien wurde um
945 geboren. Ab 970 war er Markgraf von Tuszien und als solcher die
bedeutendste Stütze der Ottonen in Italien. Hugo nahm am Reichstag zu
Quedlinburg zu Ostern 991 teil und wurde auch drei Jahre später zum
Reichstag nach Sohlingen bei Höxter eingeladen, auf dem der spätere
Kaiser Otto III. für volljährig erklärt wurde. Otto III. schenkte ihm
ein Grundstück in Ingelheim. Bekannt aus seinem Leben ist die
Einzelheit, dass er zusammen mit Konrad von Spoleto 996 zum Schutz von
Papst Gregor V. in Rom zurück gelassen wurde. Dieser war ein Cousin von
Kaiser Otto III. und hieß eigentlich Bruno. Mit 24 wurde er im Mai 996
zum Papst gewählt und war damit der zweite (oder sogar der erste?)
Deutsche auf dem Stuhl Petri. Seine erste (und insgesamt wichtigste) Tat
war die Krönung Ottos III. zum Kaiser. Aber er überwarf sich mit diesem,
hatte auch in Rom keine Freunde und wurde aus Rom vertrieben, was Hugo
und Konrad nicht verhindern konnten. Er zog sich in die Lombardei
zurück. Nun, man wählte, wie in diesen Fällen üblich, einen Gegenpapst,
aber mit Hilfe kaiserlicher Truppen konnte Gregor als ordentlicher Papst
zurückkehren und unterstützte nun seinen Cousin in der Politik, wenn
auch nicht besonders gern. Schon im Jahre 999 starb er, möglicherweise
an Malaria. Hugo der Große von Tuszien verschied am 21. Dezember 1001 in
Pistoia.
Während die deutschen Kaiser in Ober- und
Mittelitalien immer mehr an Einfluss gewannen – Otto der Große hatte 951
den italienischen König Berengar II. (ca. 900–966) nach nur einjähriger
Regierungszeit zur Lehensnahme gezwungen und nach Deutschland verbannt,
wurden Unteritalien und Sizilien im Laufe des 11. Jahrhunderts von den
Normannen erobert. Nach den Phönikiern und Griechen waren die Römer nach
Sizilien gekommen und hatten aus Sizilien eine fast 700 Jahre
überdauernde römische Provinz gemacht (241 v. Chr. bis 440 n.Chr.). Von
827 bis 1061 herrschten die Araber auf Sizilien, die 901 Palermo zur
Hauptstadt machten. Und 1061 kamen nun die Normannen, die rund 30 Jahre
für die Eroberung brauchten. Unter ihrer Herrschaft bildete sich eine
glanzvolle Hochkultur, die europäische mit byzantinischen und arabischen
Elementen und Traditionen verband.
In Salerno in Unteritalien regierte Anfang des
11. Jahrhunderts Fürst Waimar; er trug den Ehrentitel »der Große«. Zu
dieser Zeit lebten in Süditalien unter anderem Griechen, Reichsdeutsche,
Araber und langobardische Fürsten, die sich alle unter einander
bekämpften. Eine ständige Bedrohung stellten die »Ungläubigen« dar, die
Sarazenen. Waimar begab sich als »patricius« in ein
Abhängigkeitsverhältnis zu Byzanz, um sich vor ihnen zu schützen. 1017
kamen normannische Pilger auf ihrer Rückreise vom Gelobten Lande nach
Salerno, eher zufällig, aber sie halfen Waimar dem Großen zum Sieg in
dessen Krieg gegen die Sarazenen. Er hätte sie gern noch länger in
seinen Diensten gehabt, aber sie zog es nach Hause, nicht ohne Waimar
den Hinweis zu geben, dort gäbe es noch viele tüchtige und tapfere
Männer. Durch entsprechende, ausgesucht wertvolle Geschenke, die seine
Boten in die Normandie brachten, gelang es Waimar dann doch, Ritter zum
Kampf gegen seine Gegner anzuwerben. Warum auch immer, wahrscheinlich
aufgrund besserer Bezahlung, traten sie bald in die Dienste des Herzogs
von Neapel. Dieser schenkte ihnen Land (1029), wo sie ein Jahr später
unter Graf Rainulf die befestigte Stadt Aversa (la Normanna) gründeten.
Kaiser Konrad II. übertrug Waimar 1038 die Städte Capua, Gaëta und
Aversa, und als Waimar als hiesiger Vertreter des Kaisers den Besitz der
letzteren Stadt dem Grafen Rainulf bestätigte, wurde aus dieser
normannischen Gründung sogar ein Reichslehen, und Rainulf erweiterte es
1043 zur Grafschaft Aversa. Von nun ab strömten immer mehr Normannen
nach Sizilien; die Flut war nicht mehr aufzuhalten, aber Waimar der
Große hat durch seine Initiative unwissentlich einen bedeutenden Beitrag
zur sizilianischen und abendländischen Geschichte geleistet.
Sizilien wurde Teil des Königreiches Neapel und
kam mit diesem 1194 an die Staufer, die hier abermals, vor allem unter
Kaiser Friedrich II., dem wir schon mehrfach begegnet sind, einen Staat
von hoher Kultur gründeten. Wie schon erwähnt, erhielt nach dem Tode
Friedrichs II. Karl von Anjou Sizilien als Lehen des Papstes, aber er
wurde damit nicht froh. Am Ostermontag 1282 brach zur Vesperzeit ein
Aufstand der Bürger Palermos gegen Karl von Anjou aus, der bald auf die
ganze Insel übergriff; in dieser »Sizilianischen Vesper« wurden fast
alle Franzosen umgebracht oder von der Insel vertrieben, mit ihnen das
Haus Anjou. Wer nun aber kam, waren die – Spanier. Als Schwiegersohn des
Staufers Manfred (1232–1266), des zweiten Sohnes Friedrichs II., erhob
der König von Aragon Peter III., später der Große genannt, Anspruch auf
dessen Erbe. Manfred hatte nach dem Tode König Konrads IV. (geb. 1228;
König 1237; reg. 1250–1254), des Sohnes und Erben Friedrichs II.,
zunächst auf Nachfolge und Herrschaft spekuliert, obwohl auch der Sohn
Konrads IV., Konradin, Ansprüche erhob, aber die Päpste Urban IV. (geb.
um 1200; Pontifikat 1261 – 64) und Clemens IV. (geb. um 1195; Pontifikat
1265–68) strebten eine andere Lösung an. Wie erwähnt, erhielt Karl von
Anjou Sizilien als Lehen. Er schlug Manfred entscheidend; dieser fiel in
der Schlacht von Benevent 1266, und Konradin wurde hingerichtet. Für
Karl diente Sizilien lediglich als Quelle für Steuern und Soldaten, er
beutete das Volk gnadenlos aus, und selbst der Aufstand 1282 nagte kaum
an seinem Selbstbewusstsein. Im Kampf gegen Karl von Anjou eroberte
Peter III. wenige Monate später Sizilien.
Peter III., geboren zwischen 1238 und 1243,
wurde 1276 König von Aragon und Graf von Barcelona. Erst kurz auf dem
Thron, musste er einen Aufstand der maurischen Bevölkerung Valencias
niederschlagen. 1281 zog er mit einer großen Flotte, die rund 15.000
Mann umfasste, gegen die arabischen Piratennester und sonstigen
Stützpunkte in Tunis aus, als er von dem Aufstand der Sizilianer gegen
Karl von Anjou hörte. Aus Palermo erreichte ihn ein Hilferuf. Sofort
dirigierte er seine Streitmacht um und landete am 30. August 1282 bei
Trapani. Die sizilianischen Adligen boten ihm die Krone an, die er
annahm, und am 4. September wurde er in Palermo zum König Peter I. von
Sizilien ausgerufen, nur um noch im selben Jahr von Papst Martin IV.
(geb. zw. 1210 und 1220; Pontifikat 1281–1285) in den Bann getan zu
werden – das galt sogar noch rund ein Jahrhundert lang für die Herrscher
Siziliens, und Karl von Anjou rüstete zu einem großen Kriegszug gegen
Aragon. Aber vergeblich bemühte er sich um eine Rückeroberung.
Französische und päpstliche Truppen fielen in Spanien ein, doch gelang
es Peter, sie zurückzuschlagen. Karl von Anjou starb am 7. Januar 1285,
und auch Peter, der, um die Kriegskosten decken zu können, den
aragonischen Ständen mehr Einfluss auf die Regierung zubilligen musste,
im sogenannten »Privilegio general« – die starke Stellung, die er den
Ständen gewährte, gewähren musste, um ihren Widerstand aufzufangen, hat
die Geschichte Aragonien nachhaltig geprägt – starb in diesem Jahr, am
10. November 1285. Er ging als Peter der Große in die Geschichte ein,
lange vor dem russischen Peter dem Großen, den wir vor Augen haben, wenn
wir den Ehrentitel bei einem »Peter« hören. Peter III. hat mit dazu
beigetragen, Spanien als größte Mittelmeermacht zu etablieren. Als 1469
durch die Heirat der Erben der beiden spanischen Hauptreiche, Isabella
I. von Kastilien (geb. 1451; reg. 1474–1504) und Ferdinand II. von
Aragonien (geb. 1452; reg. seit 1468 (Sizilien) bzw. 1479–1516
(Kastilien und León)) die Basis für den Spanischen Staat geschaffen war,
bedeutete das auch den Aufstieg Spaniens zur Weltmacht. Das Reich konnte
in ferne Länder und Kontinente aufbrechen…
6. Asien
Von fernen Ländern wusste man im Europa des Mittelalters nur wenig. Die
Beziehungen Karls des Großen zu Harun ar-Raschid (geb. 763 oder 766;
reg. 786–809), die Einfälle der Araber, später die Kreuzzüge, die
Eroberungen der Mongolen und die (immer noch umstrittenen) Reisen Marco
Polos (1254–1324) 1271 bis 1295 ins Chinesische Reich weiteten dann doch
allmählich den Blick. Der Begründer des riesigen Weltreiches der
Mongolen, Dschingis Chan, eigentlich Temüdschin (geb. ca. 1155, 1162
oder 1167; reg. 1206–1227) hätte den Titel »der Große« aus europäischer
Sicht sicher verdient gehabt, aber er, den man den »ozeangleichen
Herrscher«, den »Weltherrscher« nannte, hätte darüber wohl nur müde
gelächelt. Aber ein paar »Große« in fernen Ländern außerhalb Europas gab
es durchaus.
Einzelne bedeutende Fürsten in Asien: Aschot, Gurgen, David,
Alexander, Parakrama Bahu und Sejong die Großen
Georgien war schon im Altertum bedeutend. Der westliche Teil stand unter
griechischem, der östliche unter persischem Einfluss. Der östliche wurde
als Iberien bezeichnet, was aber nichts mit der Iberischen Halbinsel zu
tun hat. Ab 65 v. Chr. war Georgien dann römisch, und schon im 4.
Jahrhundert hielt das Christentum Einzug. Erst bedrohte Byzanz die
georgische Unabhängigkeit, dann die persischen Sassaniden, und
schließlich eroberten das Land die Araber im 7. Jahrhundert. Während die
Muslime in Georgien weit gehend die Macht innehatten, gelangte dort ein
bedeutender Fürst zu Ansehen, dem die Nachwelt den Titel »der Große«
verlieh. Es handelte sich um Aschot I., einen Prinzen aus Iberien, der
ab 813 als Großherzog und später erster iberischer König des georgischen
Fürstentums Tao-Klardschetien, der Gegend von Artvin in der heutigen
Türkei, regierte. Er entstammte dem nachmals so berühmten Geschlecht der
Bagratiden, die Georgien im 12. und 13. Jahrhundert zur Blütezeit
führten. Auch Aschot erweiterte seinen Machtbereich. Um ohne offene
Flanke gegen die muslimischen Eindringlinge kämpfen zu können, stellte
sich Aschot unter den Schutz der Byzantiner, die ihm den Titel
»Kuropalates« von Iberien verliehen, der etwa dem des fränkischen
»Hausmeier« entsprach. Er förderte das Christentum und ließ zahlreiche
Kirchen und Klöster errichten. Auch war ihm daran gelegen, die von den
Arabern oder von Choleraepidemien entvölkerten und verwüsteten Regionen
wieder zu beleben und erneut zu besiedeln. Im Kampf gegen die Araber,
deren Kalif Aschot als Prinzen Iberiens anerkannte, konnte er manche
Erfolge verzeichnen, eroberte einige Gebiete und vertrieb den
gegnerischen Stamm der Kacheten aus Zentraliberien. Aber als der
Vizekönig des Kalifen in Armenien um 827/828 einen Feldzug in den
Kaukasus führte, wendete sich sein Glück. Die Araber vertrieben ihn aus
Zentraliberien, und er wurde am Altar einer von ihm selbst erbauten
Kirche in seiner Burg in Artanugi (Ardanue in der Türkei) im Januar 830
von Abtrünnigen getötet. Von der georgisch-orthodoxen Kirche wurde
Aschot I. der Große heilig gesprochen; sein Gedenktag ist der
wahrscheinliche Tag seiner Ermordung: der 29. Januar.
Nach Aschot erhielte noch weitere Fürsten
Georgiens den Titel »der Große«: Gurgen II. , der von 918 bis 941
regierte, David III., der von 961 bis 1000 die Macht inne hatte und dem
Byzanz 989 ebenfalls den Titel Kuropalat verlieh – beide waren
Großherzöge von Tao, und schließlich noch Alexandre I. aus der Dynastie
der Bagratiden, König in Georgien von 1412 bis 1442.
In einem ganz anderen Teil der Welt gelangte ein Herrscher ebenfalls zum
Ehrentitel »der Große«, der ihn nun wirklich verdient hat: Parakkama
bzw. sanskritisch Parakrama Bahu I. von Ceylon. Nicht von ungefähr wurde
er in der Einleitung zu diesem Buch zitiert. Der Titel ist nicht
jüngeren Datums. Schon um 1910 schrieben Historiker über ihn: »[er) war
von allen denen, die auf dem singhalesischen Königsthrone gesessen
haben, der größte. Man muß sich das Elend vergegenwärtigen, dem das Land
zur Zeit seiner Jugend fast erlag, um zu würdigen, was dieser Mann, den
die Geschichte mit Recht d e n G r o ß e n nennt,
durch Geist, Willen und Vaterlandsliebe gewirkt hat.« Ceylon hatte eine
unruhige und blutige Geschichte hinter sich. Im Hochmittelalter, etwa ab
1000, entstanden Reiche – meist unter südindischem Einfluss – und
vergingen wieder. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts gab es ein
singhalesisches Königtum so gut wie nicht mehr. Kleine Fürstentümer
regierten in ihren Regionen. Eines davon, das Land der »zwölftausend
Dörfer«, gehörte dem Vater Parakramas. Letzterer wuchs in den Bergen
auf: »Er wurde in Religion, in den verschiedenen Systemen des Rechtes,
in Rhetorik, Poesie, in Tanz und Musik, im Reiten, im Gebrauche von
Schwert und Bogen gründlich ausgebildet und erlangte darin den höchsten
Grad von Vollkommenheit«, so die Überlieferung. Im Jahre 1153 übernahm
er die Macht. Hören wir noch einmal die eben zitierten Historiker (Emil
Schmidt / Richard Schmidt) im Teil über Indien in Helmolts
Weltgeschichte: »Nach dem Tode seines Oheims zur Herrschaft über das
kleine Fürstentum gelangt, gab er diesem eine treffliche Verwaltung,
führte ein geordnetes Steuerwesen ein, sorgte für möglichste Ausnutzung
alles Regen- und Flußwassers zu künstlicher Bewässerung des Bodens;
zugleich aber übte er im Hinblick auf eine Einigung seines größeren
Vaterlandes die waffenfähige Mannschaft.« Parakrama gelang es, die
übrigen Fürstentümer der Insel zu erobern. Jedoch beließ er die
ursprünglichen Herrscher in ihrer Machtposition und erwarb dadurch ihre
Freundschaft; sie setzten schließlich den Sieger als Nachfolger ein.
Nach nicht allzu langer Zeit war Parakrama der Herr der gesamten Insel.
Gegen Burma und Südindien unternahm er erfolgreiche Feldzüge und
verlangte dabei die Wiedergutmachung von Unrecht, das Ceylon früher
zugefügt worden war.
Parakramas Hauptleistung bestand darin, dass er
aus Ceylon, einer verödeten Insel, ein wohlhabendes Land, eine Insel
voller Wohlstand und Frieden, machte. Er ließ tausende von Stauseen
anlegen – die größten wie das »Meer des Parakrama« erreichten die
Ausdehnung des Vierwaldstätter Sees – bzw. wiederherstellen. Tausende
von Kanälen wurden neu gebaut oder ausgebessert. Wo bis vor kurzem noch
fieberschwangeres Sumpfland und undurchdringlicher Dschungel die
Landschaft beherrscht hatten, erstreckten sich nun riesige Reisfelder
und Fruchtbaumpflanzungen. Verfallene Dörfer wurden renoviert, die alte,
heruntergekommene Hauptstadt Polonnaruwa erstand in neuem Glanz, mit
herrlichen Palästen, Gartenanlagen und Klöstern. Ordnung schuf Parakrama
auch in der Verwaltung; sein Steuersystem war milde und gerecht, er
beseitigte die Übelstände in der Religionsgemeinschaft (der Buddhismus
war die tragende Religion), bemühte sich um die Hebung der Sittlichkeit
der Priesterschaft und beendete die Feindschaft zwischen den
Hauptsekten. Als er 1186 starb, hatte er eine der bedeutendsten
Leistungen in der Geschichte seines Landes und weit darüber hinaus
erbracht. »Was gibt es in der Welt, das nicht von beharrlichen Männern
ausgeführt werden könnte?« war sein Wahlspruch. Misst man seine Taten an
denen vieler waffenklirrender, kriegslüsterner Recken, die den Titel
»der Große« erhielten, so fallen diese neben ihm reichlich ab. In der
Hauptstadt Polonnaruwa befindet sich eine Monumentalstatue des Königs,
die manchmal für eine Statue Buddhas gehalten wird.
Nach seinem Tode zerfiel das Reich
bedauerlicherweise schnell. Nur kurze Friedensperioden unterbrachen die
ständigen Thronstreitigkeiten und sonstigen inneren Unruhen. Im Norden
entstand im 14. Jahrhundert ein unabhängiges tamilisches Königreich –
die Spannungen zwischen Tamilen und Singhalesen dauern an bis in unsere
Zeit. König Parakrama Bahu VI. (reg. 1415–1467) gelang es noch einmal,
ganz Ceylon zu einen; auch er förderte Religion, Kunst und Wissenschaft,
aber nach seinem Tod zerfiel das Reich erneut, und unter Parakrama Bahu
VIII. (reg. 1484–1509) landeten die Portugiesen auf Ceylon, was für die
alten Strukturen endgültig das »Aus« bedeutete.
Einen Herrscher, der den Titel »der Große« erhielt, und das sicher auch
zu Recht, gab es auch in Korea. Auch dieses Land hatte – wie überall auf
der Welt – eine wechselvolle und blutige Geschichte hinter sich. Das
erste, noch ganz von der Legende verklärte Reich soll schon 2333 v. Chr.
gegründet worden sein, aber geschichtlich fassbar wurde Korea erst ab
ungefähr 400 v. Chr. Im Lauf der Jahrhunderte bildeten sich hier drei
Reiche: Koguryŏ, Paekche und Silla, die im 1. Jahrhundert Gestalt
annahmen. Von ihnen setzte sich Silla am Ende durch, das mit
chinesischer Hilfe die beiden anderen Reiche 660 bzw. 668 unterwarf.
Aber auch dessen Herrschaft war nicht von Dauer, und es folgte eine
lange Zeit der Zersplitterung. Erst das 918 im Norden gegründete Reich
Koryŏ, woher die Bezeichnung Korea rührt, brachte bis 936 ganz Korea
unter seine Herrschaft. Ab etwa 1231 herrschten dann bis Mitte des 14.
Jahrhunderts die Mongolen in Korea, die auch 1274 und 1281 Waffenhilfe
bei ihren Angriffen auf Japan erzwangen. Diese »Bruderschaftshilfe«
hatte aber nur zur Folge, dass nun japanische Piraten die Küsten Koreas
unsicher machten. Erst Ende des 14. Jahrhunderts fand Korea wieder einen
starken Mann, General Yi Songgye (1335–1408), der den letzten König von
Koryŏ stürzte und die Yi-Dynastie begründete. Nachdem er eine radikale
Landreform durchgeführt hatte, erlaubte er seinen Anhängern, ihn auf den
Thron zu setzen. Als König T’aejo (oder Taejong) zeigte er viel
Tatkraft. Er verlegte den Regierungssitz ins heutige Seoul und teilte
das Reich in acht Provinzen. Der bis dahin in Korea sehr einflussreiche
Buddhismus wurde vollständig unterdrückt (kein buddhistischer Priester
durfte Seoul mehr betreten); an seine Stelle trat der Konfuzianismus,
aber in einer derart strikten Form, wie er selbst in China nicht
ausgeübt wurde, und er wurde fast zur Staatsreligion. Auch ansonsten
lehnte sich Korea sehr stark an China an, sei es hinsichtlich Tracht und
Verwaltung, Kalender oder Zeitrechnung. Menschenopfer und das
Lebendigbegraben von Dienern anlässlich vornehmer Begräbnisse, bis dahin
angeblich noch üblich gewesen, schaffte der neue Herrscher völlig ab.
Seine Nachfolger waren allesamt tüchtige Leute, denen das Wohl des
Volkes am Herzen lag. Einer von ihnen war Sejong der Große.
Sejong kam am 6. Mai 1397 im heutigen Südkorea
zu Welt und wurde zunächst Yi Do genannt. Als er 21 Jahre alt war, trat
sein Vater, der wie der Dynastie-Gründer auch den Namen Taejong trug, zu
seinen Gunsten zurück. Sejong, der vierte König der neuen Dynastie,
zeigte sich schon als Kind als sehr wissbegierig. Er war an allen
wissenschaftlichen Bereichen außerordentlich interessiert und für die
Verbreitung des Wissens und des Konfuzianismus überaus aufgeschlossen.
So gründete er schon 1420 die sogenannte »Halle der Verdienstvollen«,
eine Art königlicher Akademie, deren Ziel genau darin bestand, den
Konfuzianismus zu verbreiten, die wissenschaftliche Forschung zu
unterstützen und junge Talente zu fördern. Die »Halle« bildete einen
Anziehungspunkt für viele Wissenschaftler und Gelehrte, und aus ihren
Reihen erwuchsen wiederum neue Gelehrte, die viele Neuerungen
entwickelten. Sejong selbst nahm aktiv daran teil; zusammen mit
verschiedenen Wissenschaftlern erarbeitete er das koreanische Alphabet
Hanguel, das 1443 vollendet war und 1446 veröffentlicht wurde. Im selben
Jahr gründete er auch ein linguistisches Forschungsinstitut in seinem
Palast, und in den folgenden Jahren ließ er eine Reihe von Kommentaren
und Büchern, darunter auch Sammlungen von chinesischen Gedichten mit
koreanischer Übersetzung veröffentlichen. Von all diesen Arbeiten wirkte
die Entwicklung der koreanischen Schrift am meisten nach.
Sejong starb am 18. Mai 1450. Er gilt als der
weiseste König in der Geschichte Koreas und war auch der einzige, der in
Korea den Ehrentitel »der Große« erhielt. Seit 1990 wird »für
außergewöhnliche Projekte oder Programme im Bereich der Grundbildung und
Alphabetisierung« der König-Sejong-Preis verliehen, und zwar von
niemandem Geringerem als der UNESCO.
Unter der Yi-Dynastie erlebte Korea, nunmehr
Chosŏn genannt, das »Land der Morgenstille«, vor allem im 15.
Jahrhundert eine kulturelle Blüte. Nach erfolglosen Invasionsversuchen
der Japaner Ende des 16. Jahrhunderts kam Korea ab 1627 unter
chinesische Oberhoheit, die bis 1894 bestand und zu einer rigorosen
Abschottung Koreas nach außen führte, deren Ende die Japaner 1876
erzwangen. Die Yi-Dynastie überdauerte bis 1910. Man kann sich fragen,
ob das mehr als ein Zeichen ihrer Stärke oder eher als ein Zeichen ihres
Festhaltens an bestimmten Traditionen, ihres »Einfrierens« und
»Konservierens« gewisser politischer, wirtschaftlicher und
gesellschaftlicher Ordnungen mit einem überaus konservativ
interpretierten Konfuzianismus als Leitbild zu interpretieren ist. Die
Entwicklung Koreas im 20. Jahrhundert und die jüngste Geschichte
Südkoreas zeigen im Gegensatz dazu durchaus eine starke Flexibilität und
ungeheure Dynamik der Gesellschaft und Kultur. Sejong der Große hat in
seiner Zeit noch sehr viel dafür getan, sein Land an die neuen
Verhältnisse anzupassen, es an die »Neuzeit« heranzuführen, in der die
Wissenschaften eine immer größere Rolle spielten.