Teil II
Wie schon in der Einleitung zu Teil I
beschrieben, bezieht sich der Begriff »Antike« auf das
griechisch-römische Altertum. Die Geschichte Griechenlands und des
Römischen Reiches war bestimmend für viele Jahrhunderte und relevant
auch für eine große Anzahl anderer Völker und Staaten jener Zeit. Diese
brachten ebenfalls eine Reihe von »Großen« hervor, die in unserem
Kontext Erwähnung und Darstellung verdienen. Ihre oft mit einander
verflochtenen oder nur in ihrer gemeinsamen Darstellung verständlichen
Lebensgeschichten zu trennen, wäre nicht sachgerecht, würde zu
umständlichen Wiederholungen der geschichtlichen Umstände führen und
damit nur verwirren. Schon bei Dareios dem Großen wäre zu überlegen
gewesen, ihn in Verbindung mit der griechischen Geschichte zu schildern;
dies wurde jedoch wegen der Bedeutung und Eigenständigkeit des
persischen Reiches unterlassen.
1. Griechenland
Der Gottkönig: Alexander der Große
Die Römer waren es, die ihm, weil sie ihn bewunderten, den Titel »der
Große« verliehen. Zwar gab es auch eine alexanderfeindliche Tradition.
Danach war Alexander nur ein blutdürstiger Eroberer, Schlächter,
Gewaltherrscher, Soldatenschinder und Trunkenbold; so dachten u. a. der
römische Philosoph Seneca (ca. 4 v. Chr.–65 n. Chr. (Selbsttötung)), der
die Frage nach seiner geistigen Gesundheit stellte, und der römische
Kaiser Mark Aurel (geb. 121; reg. 161–180 n. Chr.) der »Philosoph auf
dem Kaiserthron«; und noch vor nicht all zu langer Zeit hat der Autor
Frank Fabian ihn, den »elenden Massenmörder«, den »Bluttrinker«, als
»erbärmlichen Wicht« bezeichnet. Ganz anders aber bedeutende römische
Feldherren wie Lucius Cornelius Sulla, Pompeius und Cäsar, die ihm ihre
Reverenz erwiesen! Und vor allem Augustus, der einen Siegelring mit
Alexanders Bild trug und sich mit einer Zangenlocke auf der Stirn
ähnlich wie Alexander darstellen ließ – er betrachtete Alexander als
Triumphator und Friedensbringer, und er nahm ihn sich gewissermaßen als
Vorbild.
Ursprünglich waren seit Beginn des 2. Jahrtausend v. Chr.
indogermanische Stämme ins heutige Griechenland eingewandert, Ionier,
Äoler und Achaier, die sich mit den alteingesessenen Völkerschaften
vermischten. Im Lauf der Zeit entstanden seit etwa 1550 v. Chr. unter
dem Einfluss der minoischen Kultur Kretas die mykenische Kultur und
größere Territorialherrschaften mit befestigten Mittelpunkten, wie
Mykene, Athen, Theben, Pylos und Argos. Seit etwa 1100 v. Chr. kamen die
Dorier auf ihrer »dorischen Wanderung« nach Mittel-Griechenland und den
Peloponnes, wo sie sich – unter Abdrängung der Ionier und Äoler nach
Kleinasien – ansiedelten. Nach dieser als Frühzeit bezeichneten Epoche
begann die »archaische«, die von etwa 800 bis 500 v. Chr. dauerte. Die
Hellenen begannen sich auszubreiten und Kolonien zu gründen, wie Syrakus
auf Sizilien, um nur eine berühmte Siedlung zu nennen, aber sie kamen
nicht nur dorthin, sondern auch nach Unteritalien, zum Bosporus, an das
Schwarze Meer, die Küsten des Hellesponts und nach Nordafrika. In
Griechenland selbst kristallisierten sich Sparta, das sich die
Vorherrschaft auf dem Peloponnes sicherte, und Athen, in dem 507 v. Chr.
die Grundlage der Volksherrschaft (Demokratie) gelegt wurde, als
Hauptmächte heraus. Die Kultur in Griechenland war also schon weit
entwickelt, als die Perser unter Dareios I. dem Großen auf den Plan
traten.
Nach dem Sieg der Griechen über die Perser erhöhten sich die Spannungen
zwischen Athen und Sparta. Im Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.)
kämpften beide um die Macht in Griechenland, die Athen verlor. Aber auch
Sparta, von Persien – die inneren griechischen Zwistigkeiten schürend –
im Krieg gegen Athen unterstützt, hatte wenig von dem Sieg; gegen seine
Herrschaft erhoben sich verschiedene Städte wie Korinth, Athen und
Theben, als es gerade gegen die Perser in Kleinasien zu Felde zog. Es
kam zum sogenannten Königsfrieden, in dem die griechischen Städte
Kleinasiens und Zypern Persien unterstellt wurden. Nun war es an den
Thebanern, die spartanische Vorherrschaft endgültig zu vernichten (371).
Nach einer kurzen Übermacht Thebens machte es die innere Zerrissenheit
Griechenlands den Makedoniern unter Philipp II. (geb. um 382, reg. seit
359 v. Chr.) leicht, ganz Griechenland unter ihre Vorherrschaft zu
bringen (338). Zwei Jahre später wurde Philipp von einem Attentäter
aufgrund einer Privatrache getötet. Nun schlug die Stunde des damaligen
zwanzigjährigen Alexander, dem Sohn Philipps, der entgegen
anderslautenden Gerüchten und Unterstellungen sicher nichts mit dem
Attentat zu tun hatte. Er war Schüler des bedeutenden Philosophen
Aristoteles (384–322 v. Chr.) und damit von seinem Geist und Horizont
her seinen Zeitgenossen weit voraus. Anerkannt von Hof und Heer, wurde
er der neue Herrscher. Theben erhob sich gegen ihn, aber er warf den
Aufstand nieder – Theben wurde zerstört, auch die übrigen
Aufständischen, z. B. im Donauraum, wurden in einem raschen Siegeszug
bezwungen. Und nun konnte der Rachezug gegen Persien, den schon Philipp
angefangen hatte vorzubereiten, beginnen.
Die Leistung Alexanders mitsamt seines Heeres
war unglaublich. Zunächst befreite er die ionischen Städte von
persischer Herrschaft. Nach seinem Sieg über das persische Heer am
Granikos im Mai 334 schlug er bei Issos in dem legendären Jahr 333 v.
Chr., im November, den persischen Großkönig Dareios III. Kodomannos
(geb. ca. 380, reg. seit 336 v. Chr.) vernichtend. Dieser musste fliehen
und bot Alexander Frieden und den Tauros als Grenze an. Alexanders alter
General Parmenion (ca. 400–330 v. Chr.) soll damals die Meinung
vertreten haben: »Wenn ich Alexander wäre, nähme ich das Angebot an«,
worauf Alexander geantwortet haben soll: »Das täte ich auch, wenn ich
Parmenion wäre.« Alexander ließ nicht locker. Die Stationen seines
berühmten Eroberungszuges sind bekannt. Er eroberte Tyros und Gaza,
gewann Ägypten, gründete dort Alexandria (es folgten noch viele
Stadtgründungen mit diesem Namen) und wurde in der Oase Siwa von
ägyptischen Priestern als Sohn des Gottes Amun und damit als Nachfolger
der Pharaonen anerkannt – er fühlte sich bereits als König von Asien und
trug den entsprechenden Ornat. Dareios trat ihm nun mit seiner ganzen
Streitmacht entgegen – er verlor 331, vernichtet, bei Gaugamela, und
Alexander besetzte ein Jahr später Babylon, das er zur künftigen
Hauptstadt erkor. Nun strebte er nach der Herrschaft über ganz Persien.
Nach Eroberung des persischen Kronschatzes in Ekbatana, dem heutigen
Hamadan, bezwang er Persepolis, wo er aus Rache für den Brand der
Akropolis durch persische Angriffe den Palast einäschern ließ, und
verfolgte dann gnadenlos den persischen Großkönig, bis dieser von seinen
eigenen Gefolgsleuten getötet wurde (330 v. Chr.). Diese ließ Alexander
allerdings nach persischer Art als Hochverräter hinrichten. Das
Persische Reich hatte aufgehört zu existieren, Dareios III. war der
letze Achaimenide gewesen. Seine Tochter Stateira heiratete 324 v. Chr.
Alexander. Dieser hatte mittlerweile noch weiter ausgegriffen. Er
überquerte 330 den Hindukusch, unterwarf 329/328 Baktrien und Sogdiana,
also den Nordost-Iran, wo er sich mit Roxane, der Tochter des
baktrischen Fürsten, vermählte. Ein Jahr später drang er weiter bis nach
Indien vor, überschritt den Indus, besiegte 326 den König Poros am
Hydaspes und kam noch bis an den Hyphasis. Dort hat ihn angeblich sein
meuterndes Heer zur Rückkehr gezwungen, was aber umstritten ist – es
könnten auch die Unbillen des Wetters gewesen sein. Überhaupt ist
selbstverständlich, dass sich einer derartig herausragenden Gestalt die
Sagen und Legenden annahmen, und das schon zu Lebzeiten. Da ist die
Geschichte vom Durchschlagen des Gordischen Knotens – wer den Gordischen
Knoten löse, würde der Herrscher der Welt oder zumindest Asiens werden,
und tatsächlich hat Alexander ein Weltreich gegründet. Oder da ist die
liebenswerte Geschichte von der Amazonenkönigin Thalestris, die
Alexander bewunderte und ihm entgegen zog, um dann 13 Nächte mit ihm zu
verbringen, weil sie sich von ihm ein Kind, einen Sohn, wünschte. Von
ihm tatsächlich schwanger, fällt sie bald danach in einem Gefecht, und
mit der realen Eroberung der Gebiete, wo man das Amazonenreich
verortete, durch Alexander verschwindet gleichzeitig das mythische
Amazonenreich. Alexanders Rückkehr nach Babylon nach all seinen Erfolgen
und Strapazen wurde als bombastischer Triumphzug ausgemalt. Auch sein
Tod ist von der Legende umwuchert – angeblich ist er durch Gift, das ihm
sein ehemaliger Lehrer Aristoteles, aus Rache für die Hinrichtung seines
Großneffen Kallisthenes als vermeintlichen Verschwörer, verabreicht
haben soll, gestorben. Aber auch das ist unwahrscheinlich. Alexander
starb am 10. Juni 323 v. Chr. in Babylon wahrscheinlich an körperlicher
Erschöpfung. Noch viele andere Legenden ranken sich um ihn, so z. B.,
dass sich vor seinem Heer das Meer an der Küste Lykiens zurückgezogen
haben soll, und vor allem, dass zu seinen Vorfahren Herakles und Achill
gehörten, und auch, dass sich der letzte Pharao bei Alexanders Mutter
Olympia als Zauberer eingeschlichen habe, so dass Alexander also auch
ein unehelicher Sohn des letzten Pharao gewesen sei. Der antike
Alexander-Roman mit all seinen fantastischen Ausschmückungen, Legenden
und Wundern war im Mittelalter so weit verbreitet, dass er nur noch von
der Bibel übertroffen wurde.
Auch wenn Alexanders Reich nach seinem Tod in
der Realität sehr schnell zerfiel und sich in den »Diadochenkämpfen«
zerfleischte, blieb von Alexander tatsächlich ein »Weltreich« mit all
seinen Konsequenzen bis heute, nämlich der Hellenismus, einer, wie ihn
Historiker bezeichneten, neuen Weltepoche, in der sich die griechische
Kultur im ganzen Mittelmeergebiet ausbreitete und dieses dominierte. Die
griechische Sprache wurde universal. Alexanders Absicht war nicht nur
die Gleichstellung, sondern die Verschmelzung der Völker. Er achtete die
Gebräuche und Religionen der von ihm besiegten Völker, opferte ihren
Göttern und reihte ihre Soldaten in sein Heer ein. Dies alles nur als
großartige Propaganda-Show, als Public Relation im Hinblick auf die
Heraushebung des eigenen Gottkönigtums zu interpretieren, wie es Fabian
tut, greift doch etwas kurz. Alexander hat die Bedrohung durch die
Perser endgültig beseitigt und dadurch die weitere Entwicklung des
Demokratiegedankens ermöglicht. Der Historiker Demandt zählt den
Alexanderzug mit Recht zu den Sternstunden der Menschheit, vor allem,
weil »er den großangelegten und zukunftsweisenden Versuch unternommen
[hat], den Gegensatz von Griechen und Barbaren zu überwinden, ein Reich
der Eintracht und der Gleichberechtigung zu errichten und den Kriegsgott
Polemos selbst zu bezwingen.« Ein anderer Historiker bemerkte, dass ohne
die Tat Alexanders das Christentum sich nicht hätte verbreiten können,
denn die Weltsprache war nun griechisch. Wenn einer den Titel »der
Große« verdient hat, dann Alexander.
Alexanders Nachfolger haben seine Ideen nicht
aufgegriffen, wohl aber die Römer, vor allem der erste römische Kaiser
Augustus (ursprünglich Gaius Octavius; geb. 63 v. Chr.; reg. als
Alleinherrscher 31 v. Chr. bis 14 n. Chr.), der den Reichsfrieden
stiftete, den Pax Romana, die andere Voraussetzung für die Ausbreitung
des Christentums. Augustus sah sich in der Nachfolge Alexanders, aber
ihm hat die Geschichte den Titel »der Große« nicht gegeben. Die Römer
eroberten Griechenland endgültig 146 v. Chr., aber damit besiegelten sie
nicht das Ende seiner Ideen.
2. Rom
Von der frühen römischen Geschichte gibt es überwiegend nur
Rekonstruktionen, die meisten aus späterer Zeit. Im 10. und 9.
Jahrhundert v. Chr. lebten im Gebiet des heutigen Rom schon Latiner und
Sabiner. Um 650 fassten die Etrusker die bisherigen Siedlungen zu einer
Stadt mit dem etruskischen Namen Roma (abgeleitet von einem
Geschlechternamen) zusammen. Rom selbst soll am 21. April 753 v. Chr.
gegründet worden sein; die Stadt war also anfangs ein etruskischer
Stadtstaat. Die ersten sieben Könige Roms sind legendär, ihre Namen
weisen aber zum Teil auf die alte etruskische Herrschaft hin. 509 v.
Chr. wurde der letzte etruskische König vertrieben, und Rom wurde
Republik mit dem Senat als höchstem politischen Organ. 507 weihten die
Römer bereits den Jupitertempel auf dem Kapitol, wodurch Rom auch zum
kulturellen Zentrum avancierte. Die nächsten Jahrhunderte waren
gekennzeichnet durch Wachstum speziell im 5. und 4. Jahrhundert (nach
der Zerstörung durch die Gallier 386 v. Chr. musste Rom allerdings erst
einmal wieder aufgebaut werden), den Ständekampf, durch den das »Volk«
immer mehr Rechte gewann, und die Ausdehnung der römischen Macht nach
Mittel- und Süditalien; letztere war mit der Unterwerfung der Messapier
266 v. Chr. endgültig vollendet. Bald danach befinden wir uns schon
direkt in der berühmten Auseinandersetzung mit Karthago, das die
aufstrebende Großmacht Rom tief erschütterte, und hierbei begegnen wir
den ersten »Großen« im Zusammenhang mit der römischen Geschichte, wenn
es sich auch dabei nicht um Römer handelte.
Zwei gegensätzliche Zeitgenossen: Hanno und Antiochus die Großen
Drei Kriege führten die Römer gegen die Punier, d. h. die Karthager, um
die Vormacht im westlichen Mittelmeerraum; darum werden sie die
Punischen Kriege genannt. Im 1.Punischen Krieg, der von 264 bis 241 v.
Chr. dauerte, ging es vorrangig um Sizilien, das 241 an Rom fiel, mit
Ausnahme des mit ihm verbündeten Syrakus. 237 wurde von Rom dann die
Abtretung Sardiniens und Korsikas erzwungen. Alle drei Inseln erhielten
in den Jahren 228/227 Provinzstatus. Zwischen 247 und 241 führte der
karthagische Feldherr Hamilkar Barkas als Meister des Kleinkrieges einen
für die Römer verlustreichen Kampf gegen diese im Westen Siziliens, aber
nach der Niederlage der Karthager bei den Ägadischen Inseln schloss er
Waffenstillstand und legte sein Amt nieder. Als jedoch im selben Jahr,
241, in Libyen ein Aufstand von Söldnern ausbrach, rief ihn die
karthagische Bevölkerung zurück, und er besiegte die Aufrührer rasch.
Mit von der Partie war der karthagische Politiker und Heerführer Hanno,
der den Ehrentitel »der Große« erhielt, nicht zu verwechseln mit dem
karthagischen Entdecker Hanno dem Seefahrer, der in der 1. Hälfte des 5.
Jahrhunderts v. Chr. durch die Straße von Gibraltar segelte und an der
Westküste Afrikas bis in den Golf von Guinea vorstieß. Hanno war um 240
v. Chr. Statthalter in Libyen gewesen, hatte die punische Herrschaft in
diesem Gebiet stark erweitert, musste aber bei der Niederschlagung des
Söldneraufstand den Oberbefehl an Hamilkar abgeben – sein eigenes Heer
enthob ihn des Kommandos, was ihn zutiefst gegen Hamilkar einnahm. Als
Führer der alten karthagischen Adelsgeschlechter wandte er sich mit
diesen gegen die Ernennung Hamilkars zum Gouverneur von Libyen, was die
Aristokratische Partei aber nicht verhindern konnte. 237 ging Hamilkar
dann nach Spanien, dessen südlichen Teil er für Karthago eroberte, und
fiel im Winter 229/228 im Kampf gegen die iberischen Oretaner. Hanno
seinerseits bemühte sich Zeit seines Lebens um friedliche Beziehungen zu
Rom und war diesbezüglich ein erbitterter Gegner von Hamilkar und später
dessen Sohn Hannibal. 218 v. Chr. soll er die Karthager vergeblich vor
einem Krieg mit Rom gewarnt haben. Denn nun brach der 2. Punische Krieg
aus, der bis 201 dauerte. Hamilkars Sohn Hannibal, geboren um 247/246 v.
Chr. in Karthago, eroberte zunächst das östliche Spanien bis zum Ebro;
als er diesen überschritt, bot er Rom den Anlass zum Krieg. Was folgte,
ist hinlänglich bekannt. Hannibal, einer der größten Heerführer und
Staatsmänner der Antike, überschritt 218 mit seinem Heer (und 37
Kriegselefanten) die Alpen und vernichtete in den Schlachten von Cannae
(218) und am Trasimenischen See (217) die überlegenen römischen Truppen.
Aber Hannibal wusste aus den Siegen offenbar nicht das Richtige zu
machen. Er unterwarf zwar Süditalien, aber er zersplitterte seine Kräfte
und zog lediglich Jahre lang in Italien umher, einmal 211 sogar gegen
Rom – hierher rührt der Schreckensruf »Hannibal ante portas« – »Hannibal
vor den Toren«. Rom dagegen verfiel auf die Strategie, sich nicht mehr
auf verlustreiche Schlachten einzulassen, sondern Hannibal mehr oder
weniger zu ignorieren, und schon ab 215 war dieser in der Defensive,
trotz diverser Bündnisse mit Gegnern Roms. Ausschlaggebend dafür aber
war vor allem die mangelnde Unterstützung aus Karthago, was von Hanno
dem Großen u. a. betrieben wurde. Schließlich wurde Hannibal 203 nach
Karthago zurückberufen, als die Römer unter Scipio Africanus d. Ä. (ca.
235–183 v. Chr.) die Stadt bedrohten. In der Schlacht bei Zama wurde
Hannibal von Scipio geschlagen. Damit war die Großmachtstellung
Karthagos beendet. Zu denen, die nun mit Scipio über Frieden
verhandelten, gehörte Hanno der Große; seine friedliche Haltung
gegenüber Rom war wohl eine der Gründe, warum er den Ehrentitel erhielt.
Aber auch er konnte nicht verhindern, dass Hannibal weiter eine
bedeutende Rolle spielte und in Karthago eine Neugestaltung der
Verfassung und eine Reform des Finanzwesens durchführte. Schließlich war
allerdings der Druck seiner karthagischen Gegner so groß geworden, dass
Hannibal aus der Stadt fliehen musste. Er begab sich an den Hof von –
Antiochus dem Großen. Dieser gehörte zur makedonischen, also
hellenistischen Dynastie der Seleukiden und schuf in wagemutigen
Feldzügen ein großes Reich, so dass er schon in der Antike seinen
Ehrentitel erhielt. Der Begründer und König der Seleukiden war Seleukos
I. Nikator, der um 358 v. Chr. geboren wurde, als Feldherr unter
Alexander dem Großen Karriere machte, nach dessen Tod 321 Babylon als
Satrapie erhielt, von wo aus er in Syrien als wohl einer der
bedeutendsten Diadochen ein großes Reich gründete – 305/304 nahm er den
Königstitel an. 281 v. Chr. wurde er ermordet, aber zu diesem Zeitpunkt
reichte sein Herrschaftsgebiet über fast ganz Vorderasien bis zum Indus.
In der Folgezeit gingen zwar große Gebiete im Osten wieder verloren,
aber Antiochus der Große stellte das alte Reich noch einmal her. Geboren
242 v. Chr., wurde er 223 König und sicherte zunächst die Herrschaft in
Kleinasien. 217 verlor er im 4. Syrischen Krieg zwar einen Teil von
Syrien (Ägypten und Palästina), den er aber im 5. (201 bis 195) ein paar
Jahre später wieder gewann. Von 212 bis 205 v. Chr. führte er seinen
großen, erfolgreichen und seinen Titel begründenden Feldzug nach Osten;
er unterwarf Armenien; mit Parthern, baktrischen und selbst indischen
Fürsten schloss er Verträge, aber ihre völlige Unterordnung erreichte er
nicht. In Indien ließ er sich so viele Elefanten für künftige Kriege
übergeben, dass das Elefantenmotiv seitdem in seleukidischen Münzen
auftauchte. Natürlich brachte ihn seine Annexionspolitik in die
Konkurrenz und den Konflikt mit Rom, vor allem, als er mit Philipp V.
von Makedonien (geb. 238 v. Chr. ; reg. 221–179 v. Chr.) einen
Geheimvertrag zur Teilung der ägyptischen Küstenländer schließen wollte,
der an der römischen Intervention scheiterte (Philipp wurde von den
Römern im 2. Makedonischen Krieg 197 besiegt, worauf Rom ein Jahr später
alle Griechen für frei erklären ließ), und besonders, als er in Thrakien
196 einfiel. Verhandlungen zwischen den Mächten scheiterten. Und als
Antiochus 192 vom Ätolischen Bund nach Griechenland gerufen wurde,
kämpfte er dort gegen die Römer. Den Kriegsplan dafür erarbeitete
übrigens Hannibal, der seit seiner Flucht aus Karthago bei ihm lebte und
ihn auch nach Griechenland begleitete. Aber Rom war damals schon so gut
wie unbesiegbar: 191 wurde Antiochus bei den Thermopylen und – trotz
erfolgreicher Seegefechte – ein Jahr später vernichtend bei Magnesia in
Kleinasien geschlagen, wohin er sich zurückgezogen hatte. Zwei Jahre
danach, 188, kam es zu dem Frieden von Apameia, in dem sich Antiochus
verpflichtete, Kleinasien bis westlich des Tauros aufzugeben und eine
hohe Kriegsentschädigung zu zahlen. Hannibal war nach der Niederlage zu
König Prusias I. nach Bithynien geflohen; als die Römer auch hier seine
Auslieferung verlangten, brachte er sich 183 v. Chr. mit Gift um.
Antiochus war schon 187 bei der Plünderung eines Tempels in der Nähe von
Susa erschlagen worden. Mit seiner Niederlage und seinem Tod nahm der
Einfluss der Seleukiden rapide ab. Karthago wurde im 3. Punischen Krieg
(149–146) erobert und 146 vollständig zerstört, obwohl es sich Rom
unterworfen hatte, und der letzte Seleukide, Antiochus XIII. Asiaticus,
der seit 69 v. Chr. regierte, wurde 65/64 von Pompeius dem Großen
besiegt und abgesetzt, Syrien wurde römische Provinz, und das Römische
Reich umfasste zwar schon lange, aber nun endgültig den ganzen
Mittelmeerraum und noch weitere Gebiete.
Miteinander verwobene Schicksale: Pompeius, Mithridates,
Tigranes, Herodes, Aretas und Hiyya die Großen
Pompeius erhielt seinen Titel bereits zu Lebzeiten. Er war der große
Gegenspieler des bedeutenden Feldherrn und Staatsmannes Gaius Julius
Cäsar (100–44 v. Chr.), aber im Gegensatz zu diesem, der aus vielerlei
Gründen noch in vieler Munde ist, ist Pompeius, der erste Römer, der den
Titel »der Große« erhielt, heute weit weniger bekannt. Er stammte aus
altrömischem Rittergeschlecht und wurde am 29. September 106 v. Chr.
geboren. In einer Epoche, die bestimmt war von Bürgerkriegen, äußeren
und inneren Bedrohungen, Korruption und Verfall der Autoritäten, in der
der Senat versuchte, den aufkeimenden demokratischen Gedanken zu
unterdrücken, und in der es primär um die Frage ging, wer seine
Autorität beim Senat durchsetzen und wie viel persönliche Macht jemand
herausschlagen konnte – in dieser Zeit kam Pompeius hoch. Man hat ihm
fehlende wahre Überzeugungen, rein individuelles Machtstreben
nachgesagt, aber zweifellos war er ein hervorragender Feldherr und
bedeutender Staatsmann, von großem persönlichen Mut, gewandt in Sport
und Kriegführung; man lobte seine Mäßigung und seine Rechtschaffenheit,
das Volk sah in ihm einen Wohltäter und bewunderte ihn.
Zu Beginn seiner Karriere mischte er sich in
den Kampf zwischen den Befürwortern und Gegnern demokratischer
Bestrebungen ein. Erstere konnten ihre Überzeugung auf den genialen
Feldherrn Gaius Marius (156–86 v. Chr.), den Bezwinger der Kimbern und
Teutonen, zurückführen, letztere hingen dem schon erwähnten, ebenfalls
bedeutenden Feldherrn Cornelius Sulla (138–78 v. Chr.) an, der den
Beinamen »der Glückliche« trug – am Ende machte er seinem Namen alle
Ehre. Wir müssen noch ein wenig bei den beiden verweilen und die
Hintergründe für die Entwicklungen zumindest skizzieren.
Die so unglaublich rasche Ausbreitung des
römischen Reiches brachte jede Menge sozialer und wirtschaftlicher
Probleme und Krisen mit sich, die Dezimierung und den Besitzverlust der
mittleren Bauernschaft einerseits, den wachsenden Reichtum des Adels
(der Nobilität) und der Ritterschaft andererseits, und dazu noch die
Ausweitung des Sklavenbedarfs auf Grund der Latifundienwirtschaft. Dazu
kamen Aufstände in den neu eroberten Gebieten und konkurrierende, die
römischen Interessen bedrohende Eroberungen durch andere Reiche. In
dieser Zeit entstanden die Parteibezeichnungen der Optimaten und
Popularen; erstere, die Senatspartei, standen für die Nobilität,
letztere, die versuchten, den Senat zu umgehen, für das »Volk«, die
Nicht-Adligen, um es verkürzt so auszudrücken. Im Jugurthinischen Krieg
und auch bei den Einfällen der Kimbern und Teutonen versagten die
Optimaten, so dass der nicht adlige Marius hoch kommen konnte. Marius
und Sulla führten 105 v. Chr. gemeinsam den erfolgreichen Feldzug gegen
den König von Numidien Jugurtha (ca. 160–104 v. Chr. (hingerichtet)).
Beide wurden Konsuln; Marius ersetzte das Milizheer, das bislang
überwiegend aus Bauern bestand, durch eine Armee aus Berufssoldaten;
damit allerdings erzeugte er das Problem der Veteranenversorgung. Von 91
bis 89 erkämpften sich die italischen Bundesgenossen in einem weiteren,
die römische Herrschaft bedrohenden Krieg die römischen Bürgerrechte,
die ihnen bis dahin verweigert worden waren. Im Osten bedrohte zudem das
kleine Land Pontos an der Südküste des Schwarzen Meeres die römische
Einflusssphäre, und Sulla erhielt 88 v. Chr. den Oberbefehl im Krieg
gegen den dortigen Herrscher Mithridates VI. Durch Volksbeschluss wurde
das Oberkommando jedoch auf Marius übertragen, und so kam es zwischen
den beiden Nebenbuhlern zum Bürgerkrieg – Sulla marschierte gegen Rom,
Marius musste nach Afrika fliehen. Im nächsten Jahr begann Sulla seinen
Kampf gegen Mithridates, und Marius nutzte die Gelegenheit,
zurückzukehren – mit dem Konsul Lucius Cornelius Cinna (ca. 130–84 v.
Chr.) eroberte er Rom, wo er blutige Rache übte, und beide herrschten
nun in Italien – Cinna übte nach Marius Tod 86 v. Chr. eine wahre
Schreckensherrschaft aus, die sicher nicht im Sinne des »Volkes« war.
Sulla dagegen gelang es, Mithridates erst einmal kalt zu stellen.
Mithridates VI. Eupator, der aus altiranischem
Adelsgeschlecht stammte, kam um 130 v. Chr. im heutigen Sinop (damals
Sinope) zur Welt. Nach der Ermordung seiner Mutter wurde er 112 (oder
schon 120) Alleinherrscher und begann sofort mit der Ausdehnung seiner
Macht. Er besiegte die Krimskythen und eroberte das Bosporanische Reich
(107), die Kaukasusgebiete und Galatien. Er verbündete sich daraufhin
mit Armenien, wo seit etwa 95 v. Chr. sein Schwiegersohn Tigranes I.
(nach armenischer Zählung war er schon der Zweite) herrschte. Beide
nutzten die römische Schwäche infolge des Einfalles der Kimbern und
Teutonen und des Bundesgenossenkrieges, um ihre Herrschaft auszudehnen.
Tigranes eroberte Kilikien und Teile von Mesopotamien und schuf dadurch
ein Großreich mit der neuen Hauptstadt Tigranokerta, das heutige Silvan,
nördlich des Tigris. Es reichte vom Kaspischen Meer bis an die Grenze
Ägyptens, vom Kaukasus bis Ekbatana, dem – wie bereits mehrfach erwähnt
– heutigen Hamadan. Das immer mehr verfallende Seleukidenreich händigte
ihm die Krone aus; Nord- und Süd-Syrien, der Libanon und Palästina
wurden teils Satrapien, teils Vasallenstaaten. Das Reich umfasste viele
unterschiedliche Völker und Sprachen und wurde nur durch Tigranes’
machtvolle Persönlichkeit zusammen gehalten. Er brachte es zu großer
kultureller und wirtschaftlicher Blüte, und die Hauptstadt wurde ein
Zentrum des Hellenismus. Als »der Große« ging er aufgrund seiner
Unternehmungen und seiner nicht nur kriegerischen Erfolge in die
Geschichte ein. Diesen Titel erhielt auch Mithridates VI., wenn auch
beide nur gelegentlich so bezeichnet werden. Immerhin haben sie es mit
diesem Titel in die Encyclopedia Americana geschafft. Während
Tigranes sein gewaltiges Imperium schuf, erweiterte Mithridates sein
Reich nach Süden (Kappadokien) und nach Westen (Paphlagonien und
Bithynien). Nun fühlten sich die Römer gestört, und Sulla zog, wie
erwähnt, gegen ihn zu Felde. Mithridates aber gab so schnell nicht auf;
er eroberte die römische Provinz Asia, ließ im sogenannten Blutbefehl
von Ephesos 80.000 Italiker in Kleinasien ermorden und schloss seinem
Reich Griechenland an. Sulla jedoch gelang es, ihn am Ende dieses 1.
Mithridatischen Krieges in Böothien zu besiegen, und 85 v. Chr. musste
Mithridates im Frieden von Dardanos die eroberten Gebiete zurückgeben
und seine Flotte ausliefern. Aber er forderte die Römer bald abermals
heraus. Als diese 83 v. Chr. in Pontos einfielen, wurden sie von ihm
siegreich abgewehrt. Dieser 2. Mithridatische Krieg dauerte bis 81 v.
Chr. Damals eroberte Tigranes zur Unterstützung seines Schwiegervaters
Kappadokien. Im 3. Mithridatischen Krieg (74–63) schließlich verbündete
sich Mithridates mit Seeräubern einerseits, andererseits mit dem
römischen Feldherrn Quintus Sertorius (ca. 123–72 v. Chr.), der sich in
Spanien von Rom unabhängig gemacht hatte, sozusagen eine eigene nach dem
Vorbild Roms gestaltete Herrschaft ausübte und sich von dem Bündnis
Einfluss in Kleinasien versprach, und besetzte Bithynien. Erst dem
römischen Feldherrn Lucius Licinius Lucullus (ca. 117–57 v. Chr.), dem
wir die Einführung der Süßkirsche in Europa und den Ausdruck
»lukullisches Mahl« verdanken, gelang es, ihm eine entscheidende
Niederlage (bei Kyzikos 74/73) zuzufügen. Noch einmal vermochte es
Mithridates, nachdem er eine Zeitlang bei seinem Schwiegersohn Tigranes,
damals der mächtigste Herrscher in Asien, Asyl gefunden hatte, 67 sein
Reich wiederherzustellen. Doch nun trat Pompeius der Große, wie er
seinerzeit schon genannt wurde, auf den Plan und vernichtete 66 v. Chr.
Mithridates’ Heer am Lykos-Fluss, wie der Große Zab damals hieß. Ein
Jahr zuvor hatte er in nur vier Monaten mit einem Riesenheer und einer
enormen Flotte die Piratengefahr beseitigt – die Piraten, die Angst und
Schrecken verbreiteten, waren damals in dieser Region sehr einflussreich
und beliebte Verbündete – für vier Jahrhunderte war das Mittelmeer nun
piratenfrei. Nun floh Mithridates auf die Krim; als auch noch sein Sohn
Pharnakes II. von ihm abfiel, ließ er sich durch einen Leibwächter
töten. Das geschah 63 v. Chr.; mit Mithridates kam ein Gegner der Römer
ums Leben, den diese als ihren schwierigsten und größten Gegner
betrachteten: daher wohl auch der Titel »der Große«, während ihn
Tigranes, wie wir gesehen haben, auch aus anderen Gründen erhielt.
Tigranes hatte seine Eroberungen 69 und 68 an Lucullus verloren, aber
eroberte sie fast alle zurück, nur um im selben Jahr wie Mithridates
endgültig von Pompeius geschlagen zu werden, dabei sogar unterstützt von
Tigranes eigenem Sohn. Tigranes durfte am Ende König von Armenien
bleiben, musste dafür aber an Pompeius eine Riesensumme bezahlen und
auch dessen Heer finanzieren. Er starb 55 v. Chr., lange nachdem
Pompeius die Provinzen Bithynien-Pontos und Syrien eingerichtet hatte.
Was war zwischenzeitlich alles geschehen in
diesen wirren Zeiten? Sulla hatte 82 v. Chr. die Anhänger des Marius in
Italien besiegt, dabei auch die Schreckensherrschaft von Cinna beendet –
dieser war 84 erschlagen worden (seine Tochter Cornelia heiratete
übrigens Cäsar, der zu den Popularen hielt), die Herrschaft der
Optimaten wiederhergestellt und dann bis 79 als Diktator regiert, worauf
er sich nach Kampanien zurückzog; dort starb er ein Jahr später beim
heutigen Pozzuoli.
Pompeius hatte all die Jahre treu zu Sulla
gestanden. Mit eigenen Truppen hatte er sich ihm schon früh
angeschlossen; er gewann gegen die Anhänger des Marius manche Siege in
Italien und wurde darob von Sulla nach Sizilien und Nordafrika gesandt,
das er von den Anhängern des Marius säuberte. Daraufhin nannte ihn Sulla
Magnus, »den Großen«. Sulla war humoristisch veranlagt, aber trotzdem
meinte er den Beinamen ernst, zumal er Pompeius auch noch entgegen allen
damaligen Regelungen einen Triumphzug durchführen ließ. Pompeius sah
sehr gut aus, war dabei scheu und empfindlich, aber von ungestümer
Tapferkeit. In späteren Jahren neigte er zur Korpulenz, gepaart mit
Furchtsamkeit und Unentschlossenheit. Scharfer Versand und geistige
Tiefe waren ihm nicht in dem Ausmaß gegeben wie vielleicht Cäsar und auf
jeden Fall Augustus, und er neigte, vor allem später, dazu, sich zu
überschätzen und war über alle Maßen eitel. Er führte die Politik aus,
die andere vorgaben, denen er sich anschloss. Schon sein großes Vermögen
brachte ihn davon ab, sich zu sehr in die Politik einzumischen. Erst in
reiferen Jahren versuchte auch er, die Politik mitzugestalten.
Pompeius in seinem damaligen Alter war aber
höchst erfolgreich. Von 76 bis 71 v. Chr. kämpfte er gegen den eben
erwähnten Sertorius in Spanien, den er ebenso wie dessen Nachfolger
besiegte. Nach Italien zurückgekehrt, beendete er endgültig den
Sklavenaufstand der Anhänger des Spartacus, der damals – 71 v. Chr. –
bereits gefallen war. Auch wenn er in der Folgezeit die Optimaten
stützte, erneuerte er zusammen mit dem Feldherrn und Politiker Marcus
Licinus Crassus (ca. 115–53 v. Chr.) die von Sulla zu Gunsten des Senats
aufgehobene römische Verfassung. Und so erfreute sich Pompeius auch beim
Volk großer Beliebtheit.
Pompeius’ größter Triumph war sein Feldzug gegen Mithridates VI., als
dessen Konsequenz er den größten Teil von Pontos der Provinz Bithynien
zuschlug, aus Syrien 64 v. Chr. eine römische Provinz (das bedeutete das
endgültige Aus für die Seleukiden-Dynastie) und Armenien als
abhängiges Königreich zu einem Gegengewicht zum Reich der Parther
machte. Wieder war Pompeius ein Triumphzug vergönnt, und er galt damals
als berühmtester General der Welt, stand auf dem Gipfel seiner Macht,
doch der Senat sanktionierte durchaus nicht alle seine Maßnahmen, z. B.
seine bewunderungswürdigen Provinzgründungen im Osten und die von ihm
geforderte Versorgung der Veteranen. Und im Hintergrund warteten Crassus
und Cäsar auf ihre Chance.
Nun, der Rest der Geschichte ist bekannt.
Crassus schloss 60 v. Chr. mit Cäsar und Pompeius das 1. Triumvirat,
inoffiziell, um ihre persönlichen Ziele in Ruhe verfolgen zu können.
Cäsar erhielt endlich die ihm bisher vom Senat verweigerte Konsulwürde
und eroberte von 58 bis 51 Gallien. Pompeius heiratete Cäsars Tochter
Julia, die aber schon 54 starb. Während sich Cäsar als Eroberer
profilierte, lebte Pompeius im Luxus in Rom und tat sich mit der
Unterstützung von Bauwerken wie dem Theater im Campus Martius hervor. In
dieser Zeit nahmen die Spannungen mit Cäsar zu, doch 56 wurde das
Triumvirat noch einmal erneuert. Als Crassus bei einem Feldzug gegen die
Parther fiel, bedeutete dies allerdings das Ende des Triumvirats.
Unterstützt von dem Politiker, Philosophen und berühmten Redner Marcus
Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) neigte Pompeius, auch aus Furcht vor
Cäsar, zum Senat, der ihm schließlich diktatorische Vollmachten
zubilligte und Cäsar zum öffentlichen Feind erklärte. Pompeius war nun
der erste Mann im Staat, aber Cäsar duldete das nicht und überschritt im
Jahre 49 v. Chr., wie es sprichwörtlich geworden ist, den Rubikon. Damit
war der Bürgerkrieg eröffnet. Die Pompeianischen Truppen wurden trotz
ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit bei Pharsalos in Thessalien am 9.
April 49 von Cäsar vernichtend geschlagen. Pompeius floh nach Ägypten
und wurde dort am 28. September 48 v. Chr. von einem ehemaligen Anhänger
verräterisch ermordet. Weitere Niederlagen der Pompeianer folgten 46 bei
Thapsus in Tunesien und 45 in Spanien in der Provinz Córdoba; dann war
Cäsar Alleinherrscher in Rom, aber schon ein Jahr später, gerade
Imperator und Diktator auf Lebenszeit geworden, wurde auch er ermordet.
Vorläufige Ruhe kehrte erst mit Kaiser Augustus ein.
Pompeius’ ältester Sohn Gnaeus, legte sich
selbst sich den Titel »der Große« nach dem Tod seines Vaters zu. Auf dem
Weg nach Griechenland eilte er noch seinem Vater mit einer Flotte aus
Ägypten zur Hilfe herbei. Er zerstörte ein paar Transportschiffe Cäsars,
machte aber nichts aus dem Erfolg. Nach der Niederlage von Pharsalus
floh er nach Spanien, um dort die unabhängige römische Herrschaft aus
der Zeit der Marianer zu erneuern, und hier schloss sich ihm nach Cäsars
Sieg bei Thapsus sein Bruder Sextus an. Cäsar verfolgte die Brüder und
schlug sie im März 45 v. Chr. vernichtend in der erwähnten Schlacht in
der Provinz Córdoba (bei Munda), obwohl er nur halb so viele Soldaten
hatte. Bald wurde Gnaeus gefasst und ermordet, nach anderen Quellen ist
er in den Kämpfen gefallen, erst 33 Jahre alt. Sextus, zwei Jahre jünger
als Gnaeus, gab sich ebenfalls den Titel Magnus. Nach der Niederlage in
Spanien konnte er auf Grund der Ermordung Cäsars dort bleiben, ohne mit
Angriffen rechnen zu müssen. Das 2. Triumvirat zwischen Octavian (dem
späteren Augustus), Markus Antonius (ca. 82–30 v. Chr.) und Marcus
Aemilius Lepidus (ca. 87–13/12 v. Chr.) erklärte ihn jedoch zum
Verbrecher und beschlagnahmte sein Vermögen. Daraufhin ging Sextus nach
Sizilien, schlug dort die Truppen Octavians und wurde so mächtig, dass
ihn das Triumvirat 39 zum Gouverneur von Sizilien, Sardinien und Achaea
unter römischer Oberhoheit ernannte. Aber das war eher eine
Verlegenheitslösung. Schon ein Jahr später brachen die Feindseligkeiten
wieder aus, und Sextus besiegte Octavian auf See. Erst 36 konnte Sextus
in der Nähe der Straße von Messina in einer Seeschlacht geschlagen
werden. Sextus floh nach Kleinasien, fiel aber dort den Römern in die
Hände und wurde 35 v. Chr. exekutiert. –Gnaeus und Sextus Pompeius: Zwei
Römer, die sich den Titel »der Große« lediglich anmaßten, indem sie ihn
von ihrem Vater entlehnten, der den Titel aber wohl doch verdient hatte!
Im Mittelalter werden wir noch einmal auf verschiedene Fürsten treffen,
die Magnus hießen, aber das war dann kein Titel, sondern der echte Name.
Während seines größten militärischen Erfolges, nämlich bei der Eroberung
von Syrien und Palästina, nahm Pompeius im Jahre 63 v. Chr. auch
Jerusalem ein, nach dreimonatiger Belagerung. Damals war ein weiterer
Zeitgenosse der hier geschilderten »Großen« etwa zehn Jahre alt,
Herodes, der später selber diesen Titel erhielt. Die Zeiten in Judäa
waren wirr. Wie wir gesehen haben, waren die Juden durch Kyros den
Großen aus der babylonischen Gefangenschaft befreit worden und in ihre
angestammten Gebiete zurückgekehrt. Die Heimkehrer hielten nun umso
fester an ihrer Religion fest und richteten sich streng nach der Thora.
Sie hatten eine theokratische Verwaltung mit Hohepriester und Hohem Rat
(Synedrion) und grenzten sich von der zurückgebliebenen und mit Fremden
vermischten Landbevölkerung ab, die dann ihrerseits eine eigene
Religionsgemeinschaft gründeten – sie wurden zu den Samaritern. Später,
332 v. Chr., wurde Judäa Teil des Alexander-Reiches, 198 unterwarfen es
die Seleukiden. Und erst 164 erreichte Judäa unter der Führung der
Makkabäer (Hasmonäer) wieder Religionsfreiheit und 141 seine politische
Unabhängigkeit. Doch der nun wieder souveräne Staat kam nicht zur Ruhe.
Schwere innere Kämpfe zerrütteten das Land, die Makkabäer büßten ihre
Macht ein, und so war es für Pompeius nicht besonders schwer, Judäa und
Jerusalem zu erobern. Herodes’ Vater Antipater – mit einer arabischen
Fürstentochter verheiratet – hatte sich in den makkabäischen
Bürgerkriegen auf die Seite des seit 78 v. Chr. als Herrscher von Judäa
amtierenden Hohepriester Hyrkanos II. gegen dessen jüngeren Bruder und
Rivalen Aristobulus II. geschlagen. Der junge Herodes zeichnete sich in
diesen Kämpfen als Militärkommandeur aus, indem er rivalisierende
jüdische Truppen gefangen nahm, die unter römischer Oberhoheit stehende
syrische Dörfer überfielen. Diese Tat befremdete die Juden, aber kam dem
römischen Gouverneur entgegen, und als der Hohe Rat Herodes als
Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte, wurde dieser von den Römern
gerettet. Herodes gelang es dann doch, die sich bekriegenden Parteien
wieder zu versöhnen, indem er als seine zweite Frau Mariamne, die
makkabäische Prinzessin, heiratete, die aus beiden rivalisierenden
makkabäischen Familien Vorfahren und Verwandte hatte. Damit sicherte er
sich auf Dauer auch die Herrschaft gegen die Parther.
Herodes’ Vater wurde durch Pompeius auf Kosten
von Hyrkanos Prokurator von Judäa, Herodes in dieser Zeit Gouverneur von
Galiläa (47 v. Chr.). Hyrkanos, zwischenzeitlich noch einmal durch
Cäsars Gnade Tetrarch, also Mitherrscher, verschleppten später die
Parther nach Babylon, er kam aber auf Bitten von Herodes nach Jerusalem
zurück, wurde jedoch dort 30 v. Chr. umgebracht. Nachdem Antipater 43 v.
Chr. ermordet worden war, brachte es Herodes gemeinsam mit seinem Bruder
Phasael zum »Tetrarchen« (41), also zum Herrscher über einen Teil der
Provinz, eigentlich nur über ein Viertel, aber sein Bruder fiel schon im
nächsten Jahr bei einem Angriff der Parther, und Herodes floh nach Rom.
Dort ernannte ihn der Senat nach entsprechenden Bemühungen seitens
Octavians und Markus Antonius’ zum König der Juden (40) und unterstützte
ihn 37 auch militärisch bei der Sicherung seiner Herrschaft.
Herodes, nun römischer Vasallenkönig, regierte
mit eiserner Faust, aber er brachte dem zerrissenen Judäa Stabilität und
wirtschaftliche Blüte. Allerdings entfremdete er sich den Juden umso
mehr, je mehr er den Einfluss hellenistischen Kulturgutes förderte, und
natürlich durch seine Tyrannei. Andererseits ließ er den jüdischen Kult
unangetastet und unterstützte das Diasporaljudentum. Im ersten Teil
seiner Herrschaft litt Herodes unter vielfachen persönlichen
Anfeindungen und Verfolgungen, und gnadenlos ließ er alle potenziellen
Rivalen ausschalten. Obwohl er seine Frau Mariamne liebte, war er für
ihre Hinrichtung und die von Mitgliedern ihrer Familie 29 v. Chr.
verantwortlich, und radikal unterdrückte er alle Ansätze von Opposition.
Im Gegensatz dazu lehnte er sich stark an Kaiser Augustus nach dessen
Sieg über Markus Antonius 31 v. Chr. an und stand er voll in dessen
Gunst. In der nächsten Phase seiner Herrschaft, die von etwa 25 bis 13
v. Chr. dauerte, ließ er viele berühmte Bauwerke errichten, die ganz in
seinem Sinne, den hellenistischen Einfluss zu stärken, entstanden, aber
auch, um den Kaiserkult in ganz Palästina zu verbreiten. So entstand ein
Tempel für Augustus in Sebaste; der Hafen von Caesarea, der Palast und
die Burg von Herodium sowie der Winterpalast in Jericho dienten auch,
zum Teil wenigstens, diesem Zweck. Herodes’ besonderes Anliegen war
jedoch der Wiederaufbau und die Erweiterung des Tempels in Jerusalem,
was auch zu seinen größten Projekten gehörte. Aber mit all diesen
architektonischen Leistungen erzeugte er eher Hass bei seinen
Untertanen. So war es kein Wunder, dass seine letzten Lebensjahre
überschattet waren von Intrigen jeder Art gegen ihn, privaten und
politischen, und viele Verdächtige fielen ihm zum Opfer. Als sich sein
Leben schon dem Ende näherte, ließ er zwei Söhne aus der Ehe mit
Mariamne hinrichten, von denen er den Fortbestand der Herrschaft einer
neuen Herodianisch-makkabäischen Dynastie erhofft hatte; und fünf Tage
vor seinem Tod wurde sein ältester Sohn Antipater aus dem Weg geräumt.
Auch andere potenzielle Rivalen ließ er töten – er war insgesamt achtmal
verheiratet. Vielleicht ist hier auch eine der Grundlagen für die
Legende vom Bethlehemer Kindermord zu suchen, denn wenn man Herodes auch
vieles vorwerfen und nachsagen konnte, eines mit großer
Wahrscheinlichkeit nicht: einen Kindermord von Bethlehem in der in der
Bibel überlieferten Form hat es nach allen neueren Forschungen nicht
gegeben. Herodes hat seinem Land eine dreißigjährige Zeit des Friedens
und der wirtschaftlichen Blüte verschafft, daher auch sein Beiname »der
Große«, aber die Erinnerung an ihn ist eher durch seine Tyrannei
geprägt. Nach seinem Tod 4 v. Chr. wurde das Land geteilt und kam mit
der Zeit vollends unter römische Herrschaft. 70 n. Chr. wurden Jerusalem
und der Tempel zerstört und die Juden in alle Welt zerstreut. Herodes
seinerseits lebte fort in der literarischen Verarbeitung, auch des
Mariamne-Stoffes. Der »Meistersinger von Nürnberg« und Dichter Hans
Sachs (1494–1576) war der erste (1552), 1635 folgte der spanische
Dramatiker Pedro Calderón de la Bạrca (1600–1681), 1724 der französische
Schriftsteller und Philosoph François-Marie Arouet Voltaire, 1844 der
deutsche Dichter Friedrich Rückert (1788–1866); sie u. a. haben sich
seines Schicksals und das seiner Gemahlin angenommen. Besonders bekannt
wurde die Tragödie »Herodes und Mariamne« von Friedrich Hebbel
(1813–1863), die 1849 in Wien uraufgeführt wurde. Und zu Weihnachten
begegnet uns Herodes alle Jahre wieder …
Der Historiker Johannes Fried nennt in seinem
Buch Jesus oder Paulus den
Nabatäer-König Aretas IV. (reg. 9 v. Chr. bis 40 n.Chr.) Aretas den
Großen. Tatsächlich war Aretas ein bedeutender Herrscher, er besiegte
den Sohn Herodes des Großen, Herodes Antipas (geb. 20 v. Chr.;
reg. 4–39
n. Chr.; gest. danach), der angeblich Johannes den Täufer töten ließ – Aretas Tochter
war die erste Frau von Herodes Antipas; als er sie verstieß, brach der
Krieg aus, und Aretas gelang es, sein Reich auch unabhängig von Rom zu
erhalten. Er wurde in alten Inschriften als »rahēm ammēh« bezeichnet – »der
sein Volk liebt«.
Er regierte in Damaskus, als Paulus seine Bekehrung erlebte (um 30 n.
Chr.). Nun ist der Titel für Aretas den Großen nicht offiziell
eingeführt, aber es ist schon bemerkenswert, dass ein Professor für
mittelalterliche Geschichte ihn so einstuft.
In diesem Zusammenhang sollte auch Hiyya der
Große (ca. 180–230) erwähnt werden, eigentlich Hiyya bar Abba, ein
jüdischer Rabbi und Weiser aus Israel. Geboren in der Stadt Kapri in
Babylonien, lebte er zunächst in Babylonien und war mit einer Frau
namens Judith verheiratet; die Ehe war den Überlieferungen zufolge sehr
unglücklich, auch wenn zwei Zwillingssöhne (beide wurden angesehene
Rabbis) und zwei Zwillingstöchter daraus hervor gingen. Später zog Hiyya
nach Tiberias, wo er ein Seidenhandelsgeschäft gründete. Er hatte einen
hervorragenden Ruf, auch als Arzt. Aber vor allem bereicherte er die
jüdische Religion; er gilt als der ursprüngliche Kompilator der
›Tosefta‹, des Kommentars (eigentlich ›Hinzufügung‹) zur Mischna, der
mündlichen Lehre, die Mose auf dem Berg Sinai neben der schriftlichen
Lehre (den fünf Büchern Mose) ebenfalls offenbart worden sein soll und
die mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Diese
Sammlung früher rabbinischer Traditionen ergänzt die Mischna,
widerspicht ihr aber auch teilweise und ist insgesamt breiter angelegt.
Sie ist wie die Mischna in sechs Ordnungen geteilt. Auch später müssen
noch Ergänzungen dazu gekommen sein. Es gibt zwei Handschriften der
Tosefta, in Erfurt und Wien, und einen gleichwertigen Erstdruck von 1521
in Venedig. Hiyya leistete noch mehr für die jüdische religiöse
Überlieferung. Es hieß von ihm auch, dass seit seiner Ankunft in
Palästina dort keine Stürme mehr aufkamen und Wein nicht mehr sauer
wurde. Seine Gebete sollen während Dürrezeiten Regen gebracht und einen
Löwen, der die Gegend unsicher machte, veranlasst haben, das Land zu
verlassen. Also ingesamt ein wahrhaft »Großer« der Geschichte …
Förderer des Christentums: Abgar, Konstantin und Theodosius die
Großen
Dass die Glaubens- und Religionsstifter nicht den Beinamen »der Große«
erhielten, versteht sich von selbst; dieser blieb Sterblichen
vorbehalten, die durch große Leistungen auffielen. Zur Zeit des
römischen Kaisers Gaius Octavius, nach seiner Adoption durch Cäsar
Octavian genannt und 27 v. Chr. mit dem Ehrentitel Augustus belegt, was
immerhin »der Erhabene« bedeutet und dem Titel »der Große« nahe kommt,
schließlich 2 n. Chr. »pater patriae« – »Vater des Vaterlandes«
betitelt, wurde bekanntlich Jesus geboren. Augustus stellte, wie bereits
erwähnt, den inneren Frieden des seit Jahrzehnten von Kriegen und
Bürgerkriegen zerrütteten Römischen Reiches wieder her (»Pax Augusta«)
und begründete neben seiner Ausweitung und Sicherung der Grenzen des
Reiches auch mit seiner Förderung von Kunst und Wissenschaft das
»Augusteische Zeitalter«. Die Niederlage seines Feldherrn Varus (ca. 46
v. Chr.–9 n. Chr.) in der Schlacht im Teutoburger Wald 9 n. Chr. gegen
verbündete germanische Stämme unter Arminius dem Cherusker (zw. 18 und
16 v. Chr. – ca. 21 n. Chr.) verwies aber schon auf das Bevorstehen
anderer Zeiten. Es sollte allerdings noch Jahrhunderte dauern, bis der
Ansturm der germanischen Stämme wirklich zur Gefahr wurde. Die von
Augustus begründete Kaiserzeit dauerte bis 476 n. Chr. Ab 106 n. Chr.
regierten die sogenannten Adoptivkaiser. Der erste war Trajan (geb. 53;
reg. 106–117), unter dessen Herrschaft das Reich seine größte Ausdehnung
erfuhr – er eigentlich auch ein Anwärter auf den Titel »der Große«, den
ihm die Geschichte aber nicht gegeben hat. Nach der Ermordung des letzen
Adoptivkaisers Commodus 192, dem Sohn von Mark Aurel, dem »Philosphen
auf dem Kaiserstuhl«, der allerdings ganz unphilosophisch durch die
Bestimmung seines Sohnes zum Nachfolger dem Reich schweren Schaden
zugefügt hat, konnte erst nach langem Bürgerkrieg eine neue Dynastie
begründet werden, die der Severer durch den Afrikaner Septimius Severus
(geb. 146; reg. 193–211), die sich von 193 bis 235 hielt. In dieser Zeit
treffen wir auf Abgar den Großen, der vermutlich heute nur noch in
Fach-, speziell in Kirchenkreisen bekannt ist, und vielleicht nicht
einmal das. Damals hatte das Christentum schon eine erhebliche
Ausbreitung erfahren. Und immer wieder waren die Christen als Feinde des
Staates auch verfolgt worden, zuerst 64 unter Kaiser Nero (geb. 37; reg.
54–68 (Selbsttötung)), wenn auch nur in Rom und als angebliche
Verursacher des berühmten Brandes, später – 95 – unter Domitian (geb.
51; reg. 81–96 (ermordet)). Aber das gesamte Römische Reich umfassende
Christenverfolgungen gab es erst 249 unter Decius (geb. ca. 200; reg.
249–251) und 257 unter Valerian (geb. ca. 200; reg. 253–260; gest. in
persischer Gefangenschaft nach 260). In den Zwischenzeiten konnte es
örtlich zu Verfolgungen kommen, aber Anfang des 4. Jahrhunderts waren
wohl schon 15 % der Bevölkerung im Römischen Reich christlich.
Im Osrhoenischen Reich von Edessa, dem heutigen
Urfa, regierten Könige, von denen viele den Namen Abgar trugen und deren
Geschichte sich bis in den Zeitraum vor Christi Geburt zurückverfolgen
lässt. Abgar (II.) soll seine Regentschaft von Pompeius dem Großen 64 v.
Chr. nach der römischen Eroberung zurückerhalten haben. Edessa lag
nördlich von Syrien und östlich des Euphrat, nicht weit von Anatolien
und etwa 50 km nördlich der alten Kultstadt Harran, die den Mittelpunkt
einer Religion des Mondgottes Sin und der Verehrung von Planeten
darstellte; als Sabier wurden ihre Anhänger später wie die Christen von
den Muslimen anerkannt, weil sie zu Bekennern einer Buchreligion, also
einer Religion, die über schriftliche Aufzeichnungen oder Heilige Bücher
verfügte, gehörten. Am bekanntesten der Könige in Edessa mit dem Namen
Abgar wurde wohl Abgar (V.), der von 4 v. Chr. bis 7 n. Chr. und dann
wieder von 13 bis 50 regiert haben soll, nach anderen Quellen von 9 bis
46. Er trug den Beinamen Ukkama, »der Schwarze«; der Legende nach soll
er Jesus um Heilung von einer schweren Krankheit gebeten und mit ihm in
Briefwechsel gestanden haben; angeblich war er auch im Besitz eines
authentischen Bildes von Jesus, ihm nach dessen Himmelfahrt überbracht,
das 944 nach Konstantinopel überführt und dort hoch verehrt wurde. Die
Legende entstand wohl zur Zeit Abgars des Großen, und den Urheber der
Brieffälschung kennt man offenbar, der berühmte Kirchenhistoriker
Eusebius von Caesarea (260/265–339), der »Vater der Kirchengeschichte«.
Wahrscheinlich sollte die Legende als eine Art Legitimationsstrategie
die Position der Christen gegenüber anderen Strömungen wie die der
Gnosis stärken. Edessa war allerdings nicht von Anfang an christlich.
Etwa ab 100 begann das Christentum hier Fuß zu fassen, aber erst ab
180/190 konnte es sich entfalten. Und um 205 führte Abgar (VIII.) das
Christentum in seinem Stadtstaat als Staatsreligion ein – Edessa war
wohl das erste Königreich der Geschichte, in dem dieser Akt vollzogen
wurde, noch dazu im Orient. Abgar, der von etwa 177 bis 212 regierte,
erhielt darob den Titel »der Große«, und er war sicher bedeutender als
sein Vorfahr, der mit Jesus korrespondiert haben soll. Abgar der Große
war römischer Klientelkönig, König einer Enklave; gegen die Römer hatte
er gekämpft, war aber schließlich von Septimius Severus besiegt worden
(195). In Rom huldigte er dem neuen Kaiser, dem er fortan die Treue
hielt und der ihn nach den Partherkriegen »König der Könige« benannte.
Die einheimische Bevölkerung blieb zwar ihrer alten Sternenreligion
überwiegend treu, aber viele Christen strömten nun nach Edessa, auch
wegen der Legende um Brief und Bild von Jesus. Abgar der Große war wohl
der erste christliche König der Welt, der religiösen Fragen gegenüber
aufgeschlossen war, auch wenn er vielleicht nur nominell Christ war; er
huldigte auch noch dem alten Kult, der sich sogar noch in die Zeiten des
Islam retten sollte. Auf dem Zitadellenhügel von Edessa stehen noch
heute zwei – korinthische – Säulen, die dereinst die Statuen von König
Abgar und Königin Shalmaths trugen; die Inschrift auf der Säule der
Königin gibt Zeugnis von der hohen sozialen Stellung der Frau, die diese
in dem ersten Königreich der Geschichte innehatte, das christlich war.
Der eben erwähnte Eusebius von Caesarea förderte nicht nur das
Geschlecht Abgars, sondern mehr noch den Ruf des Kaisers Konstantin des
Großen. Die von Eusebius begründete christliche Überlieferung feierte
ihn als das Vorbild des wahren Herrschers. Durch die Beisetzung in der
Apostelkirche in Konstantinopel wurde er zum 13. Apostel erhoben. Die
russische, griechische und armenische Kirche verehren ihn als Heiligen –
sein Namenstag ist der 21. Mai. Nach den antiken folgten vor allem
Darstellungen an französischen Kirchenfassaden des 12. und 13.
Jahrhunderts in Form von Reiterstatuen. Selten blieben Einzelfiguren,
aber auf Wandgemälden und Altartafeln sieht man Konstantin neben seiner
Mutter Helena (ca. 250–329 (?)), die seit 306 am Hofe Konstantins lebte
und die er 325 zur Augusta, zur Kaiserin, erhob. Sie hatte sehr großen
Einfluss am kaiserlichen Hof und für die Förderung und Ausbreitung des
Christentums – ihr schreibt die Legende die Auffindung des Kreuzes
anlässlich einer Wallfahrt zu, an dem Jesus gestorben sein soll. Sie
wurde erst 313 Christin, angeblich durch den Zuspruch ihres Sohnes, der
ein Jahr vorher begonnen hatte, das Christentum zu tolerieren, und
später ebenfalls heilig gesprochen (Namenstag: 18. August). Was war
geschehen? Nach dem Ende der Severer-Dynastie begann die Ära der etwa 40
stets vom Heer ausgerufenen »Soldatenkaiser«. In dieser Zeit kam es im
Römischen Reich zu Prestige- und Gebietsverlusten, vor allem in den
Kriegen gegen die Sassaniden, die Alemannen und Goten. Erst Diokletian
(245–305), der seit 284 regierte und Heer, Wirtschaft und Verwaltung
reformierte, versuchte nicht ohne Erfolg, das Reich zu stabilisieren. Er
allerdings befahl 303 noch einmal eine allgemeine Christenverfolgung,
und erst Konstantin, eigentlich Flavius Valerius Constantinus, änderte
die Lage der Christen vollständig. Ihn, der in der Nachfolgeordnung nach
Diokletians Tod übergangen worden war, riefen die Truppen 306 im
heutigen York in England zum Augustus aus. Und nachdem er sich seiner
Rivalen Maxentius (ca. 279–312) und Licinius (250 (?)–325), die
zeitweise Verbündete, Mitregenten, dann wieder Konkurrenten und Feinde
waren – die Einzelheiten dieser verwirrenden Epoche können wir hier
übergehen – entledigt hatte, wurde er 324 Alleinherrscher. Damals, 306,
war er etwa 30 Jahre alt gewesen – geboren wurde er 272, 273 oder erst
280. Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings sein Sieg 312 über
Maxentius an der Milvischen Brücke. Angeblich soll er in mehreren
Visionen das Christusmonogramm gesehen haben, schon in Gallien und
später in Rom, und es soll ihm geweissagt worden sein: »Unter diesem
Zeichen wirst Du siegen – in hoc signo vinces!« Konstantin ließ das
Christogramm auf den Schilden seiner Soldaten, später auch auf einer
Standarte, dem Labarum anbringen, und sein Sieg war überwältigend.
Seitdem begünstigte er das Christentum – 313 erließ er das Toleranzedikt
von Mailand. Vermutlich hatte Konstantin aus wohlüberlegtem Machtkalkül
heraus gehandelt: das Christentum war in seinem Reich eine nicht mehr zu
übersehende Macht geworden. Konstantin hat nicht, wie später oft
behauptet, das Christentum zur Staatsreligion gemacht, aber er hat den
Weg dahin geebnet. Die Bischöfe erhielten Gerichtshoheit, die Kleriker
Steuerbefreiung, der Sonntag wurde heilig, und viele Kirchenbauten
entstanden, besonders in Rom, Trier und Palästina. Das unter Diokletian
eingezogene Kirchengut wurde restituiert, und das Christentum wurde mit
den antiken Religionen gleichgestellt. Konstantin berief 325 auch das
für die Zukunft des Christentums mit entscheidende Konzil nach Nikäa
ein, das Erste Ökumenische Konzil, um den Arianischen Streit um das
Verhältnis von Gott und Jesus als seinem Sohn zu klären (im Gegensatz zu
Athanasius lehrte Arius, dass Christus nicht gottgleich, sondern
vornehmstes Geschöpf Gottes sei, als ‚Logos’ eine Art Zwischenstellung
zwischen Gott und der Welt einnehme), und er, der als Vorsitzender
amtierte, beeinflusste die Ergebnisse wesentlich. Das Nikäische
Glaubensbekenntnis wurde daraufhin grundlegend für die christliche
Lehre. 330 verlegte Konstantin den Kaisersitz von Rom nach
Konstantinopel, das er an der Stelle des alten Byzanz neu gründete – es
wurde am 11. Mai eingeweiht und als ‚Neues Rom’ mit eigenem Senat zur
zweiten Hauptstadt des Reiches ausgebaut. So wurde Konstantin auch der
Vorbereiter des byzantinischen Cäsaropapismus, der sich auf ihn berief.
Konstantin hat die Reformen des Diokletian
weitergeführt, modifiziert und für seine Zeit in gewisser Weise
vollendet, damit auch die innere Ordnung des Römischen Reiches weit
gehend wieder hergestellt und eine positive Neugestaltung erreicht. Nach
außen sicherte er die Grenzen gegen Sarmaten und Germanen. Auf ihn gehen
die Kirchen Alt-St.-Peter in Rom, die Grabeskirche in Jerusalem, die
Geburtskirche in Bethlehem und die heute nicht mehr erhaltene
Apostelkirche in Konstantinopel zurück, wo er auch die Grundlage für die
Sophienkirche legte, den Urbau dafür errichten ließ. Zwar ließ er seinen
Sohn Crispus und seine Gemahlin Fausta hinrichten, und sein Kampf gegen
echte und vermeintliche Rivalen war äußerst blutig, aber die Nachwelt
verdankte ihm eine Neuordnung des Römischen Reiches und das Christentum
seinen Aufstieg. Kurz vor seinem Tode ließ er sich taufen, ausgerechnet
von einem Arianer; er starb am 22. Mai 337 bei Nikomedia, als er zu
einem Kriegszug gegen die Perser aufbrechen wollte.
Konstantin (Kapitolinische Museen, Rom,
Wikipedia)
Seinen Titel »der Große« hat Konstantin sicher zurecht verdient. »Als
‚großer’ Konstantin ist er eine byzantinische, östliche Heldengestalt
geworden. Im christlichen Abendland hat ihn erst eine katholische
Rezeptionsgeschichte, die ihn von allen Brüchen und unerwünschten
Eigenschaften, Haltungen und Handlungen befreit hat, zum großen Vorbild
europäischer Herrscher werden lassen.« So urteilt der Historiker Hartwin
Brandt in dem Sammelband Sie schufen Europa. Im gleichen Band
schreibt Hartmut Leppin, gleichfalls Historiker: »Für den Nachruhm des
Theodosius war es vielleicht ein Vorteil, daß er so früh, mit 47 Jahren,
starb. Denn so blieb er der Nachwelt als derjenige Herrscher in
Erinnerung, dem es gelungen war, das Römische Reich noch einmal unter
seiner starken Hand zu vereinen.«
Theodosius I. der Große wurde 347 im heutigen
Coca in Spanien geboren. 379 Augustus, also Kaiser, des östlichen Teil
des Reiches geworden, konnte er den Weg beschreiten, das Reich zu einen,
nachdem er 382 den Konflikt mit den Westgoten beigelegt – er siedelte
sie nach zwei siegreichen Schlachten als Föderaten, also eine Art
Bundesgenossen, vertragsmäßig in Thrakien an – und die Usurpatoren
Maximus 388 und Eugenius 394 entscheidend geschlagen hatte. Durch diesen
Sieg wurde er auch Herrscher des westlichen Reichteils, damit gab es ein
letztes Mal ein ungeteiltes Römisches Reich. Maximus, der zwar außer
Clemens den Vornamen Magnus trug, aber nicht einen entsprechenden Titel,
hatte sich selbst zum Kaiser ernannt, während er römische Streitkräfte
in Britannien kommandierte. Er hatte Kaiser Gratian (geb. 359; reg. seit
375) 383 geschlagen, der in den Kämpfen ums Leben kam, eben jenen
Gratian, der Theodosius zum Augustus des Ostens erhoben hatte, und war
von letzterem anerkannt worden, aber als er dann in Italien einfiel,
besiegte ihn Theodosius, und er wurde von seinen eigenen Leuten getötet
(388).
Schon 381 berief Theodosius, erst 380 getauft,
ein Konzil nach Konstantinopel, das als Zweites Ökumenisches Konzil in
die Geschichte einging. Dieses war für die christliche Kirche endgültig
richtungsweisend. Theodosius beendete den Kirchenstreit, der seit 325
immer wieder ausgebrochen war – unglaublich, wie sich einzelne
Glaubensüberzeugungen gegenseitig bekämpften – indem er die Beschlüsse
von Nikäa sanktionierte (daher auch Nizänokonstantinopolitanum genannt),
und erklärte das Christentum zur Staatsreligion. Aber das Konzil erregte
nicht nur Freude unter den Christen – zu sehr gab es Rivalitäten u. a.
zwischen den Bischofssitzen, und das Klima zwischen den Reichshälften
verschlechterte sich auch in religiöser Hinsicht.
Vielleicht unter dem Einfluss des heiligen
Ambrosius (ca. 340–397), der seit 374 Bischof von Mailand und
bedeutender Kirchenlehrer war, verschärfte sich Theodosius’ Gegnerschaft
zu den antiken heidnischen Religionen. Ambrosius zwang ihn 390 wegen
eines Massakers in Thessaloniki zur Kirchenbuße (»Bußakt von Mailand«) –
hier hatten Soldaten in seinem Namen etwa 7000 Einwohner umgebracht,
weil einem Volksaufstand der Gouverneur und etliche Offiziere zum Opfer
gefallen waren. War Theodosius zunächst in religiösen Angelegenheiten
moderat geblieben – es gab auch keinen Zwang, sich der christlichen
Kirche anzuschließen, er verfolgte auch keine konsequente
Christianisierungspolitik und erhöhte sogar den kirchlichen Rang von
Konstantinopel – so kam es nach dem Massaker und des Kaisers
Reuebekundung (er berief sich ob dieser Demütigung gern auf das Vorbild
König Davids im Alten Testament) zum Verbot aller heidnischen Kulte
(391/392) und 394 sogar zum Verbot der Olympischen Spiele.
Theodosius starb am 17. Januar 395 in Mailand.
Nach seinem Tod wurde das Reich unter seinen beiden Söhnen in ein Ost-
und ein Westreich geteilt – diese hatten übrigens eine hervorragende
Erziehung durch einen gewissen Arsenius den Großen genossen, der uns
später wieder begegnen wird, aber das bedeutete das Ende eines geeinten
Römischen Reiches. Theodosius erhielt den Beinamen »der Große« wohl
zuerst, weil er unter den Kaisern mit diesem Namen der älteste war.
Später überwog dann bei den nizänischen Christen das Bild, dass – wie
bei Konstantin – sein Name mit einem großen Konzil verbunden war – beide
Konzilien verhalfen dem Christentum zum Durchbruch. Doch mit Recht
schreibt Leppin über ihn: »Doch wäre er in der Lage gewesen, die
nachfolgenden Krisen zu überstehen? Hätte er die Germanen, die 406/07 in
das Römische Reich eindrangen, abwehren können?... Aber er blieb der
westlichen wie der östlichen Christenheit gemeinsam als ein guter Kaiser
in Erinnerung, da er den Glauben, den sie teilten, förderte.«
Nicht nur Eroberer: Leo, Leon, Theoderich und Justinian die
Großen
Das römische Westreich zerbröckelte mit dem Einbruch der Germanen. Es
hielt sich nach dem Tod von Theodosius nicht einmal mehr hundert Jahre.
Es endete mit der Entthronung des Romulus Augustus 476 durch den
germanischen Heermeister Odoaker. Das Oströmische Reich dagegen hatte
noch ein Jahrtausend lang weiter Bestand, wenn es auch überging ins
Byzantinische Reich, und erhob auch zunächst immer wieder Anspruch auf
das Weströmische.
Mit zwei Eroberern hatte ein Papst zu tun, der
als erster von nur zwei Päpsten (oder dreien, falls man Nikolaus I. noch
dazu rechnet) den Titel »der Große« erhielt. Man kann ihn auch als den
»ersten echten Papst« bezeichnen. Geboren wurde Leo I. in der Toskana,
er wurde Diakon und war für seine Vorgänger Coelestin I. (Pontifikat
422–432) und Sixtus III. (Pontifikat 432 – 40) tätig. Als er sich im
August/September 440 gerade in diplomatischer Mission in Gallien
aufhielt, wurde er zum Papst gewählt. Als wiederum erster Papst
formulierte er, ausgehend vom Neuen Testament (Mt. 16, 18), den
Anspruch, als Papst und Bischof von Rom Stellvertreter des Apostels
Petrus zu sein und eine überregionale Gesamtverantwortung und Vollmacht
als ‚Princeps apostolorum’, d. h. ‚Erster der Apostel’ über den
Episkopat und die gesamte Kirche auszuüben. Er gewann bald die
Unterstützung des römischen Kaisers Valentinian III. (geb. 418; regierte
ab 425 – bis 437 führte seine Mutter die Amtsgeschäfte; gest. 455), der
diesen Anspruch in einem Edikt 445 bestätigte. Vor diesem Hintergrund
ging Leo energisch gegen abweichende Lehren seiner Zeit vor. So kam es
449 zu dem Konzil von Ephesos, in dem über die Lehre eines gewissen
Eutyches verhandelt wurde, der die Lehre von der alleinigen göttlichen
Natur Christi gepredigt hatte. Leos Vertreter beharrte auf den beiden
Naturen Christi, der göttlichen und der menschlichen, und verkündeten:
»Rom hat gesprochen, die Angelegenheit ist erledigt.« Das war der neue
Anspruch des römischen Bischofs! Mit seinem die Lehre des Eutyches
betreffenden berühmten dogmatischen Send- bzw. Lehrschreiben (‚Tomus’)
vom 13. Juni 449 griff er in den damaligen christologischen Streit um
die Natur Christi ein. Erst darin entwickelte er die Lehre von den ‚zwei
Naturen Christi’, und damit wirkte er auch entscheidend auf das Ergebnis
des Konzils von Chalkedon 451, die dort mehr oder weniger vollzogene
Schlichtung der christologischen Streitigkeiten, ein. Von Leo sind etwa
100 Predigten und zahlreiche Briefe erhalten, in denen er sich an den
theologischen Diskussionen seiner Zeit beteiligte und sie maßgeblich
beeinflusste. In seinen Predigten ging er auf Spenden für die Armen ein,
auf die Verbreitung des Fastens und selbst so banale Dinge wie das
Sonnenbaden auf den Stufen der Peterskirche. Er war ein fleißiger
Prediger und selbst beileibe nicht hochmütig, sondern blieb bei all
seiner Autorität doch bescheiden. Er bestellte auch einen ständigen
Gesandten am byzantinischen Kaiserhof für die Berichterstattung nach Rom
und schuf damit die Grundlage für das spätere Amt der päpstlichen
Legaten.
Leos große Bewährungsproben kamen 452 und 455.
Im ersteren von beiden Jahren zog er dem nach Oberitalien einfallenden
Hunnenkönig Attila (gest. 453) bei Mantua entgegen und bewog ihn,
zusammen mit Bischof Lupus, zur Umkehr und zum Rückzug aus Italien.
Attila soll der Legende nach neben Leo Paulus und Petrus mit gezücktem
Schwert gesehen haben und von ihnen geblendet worden sein– der
italienische Maler und Baumeister Raphael Raffael (1483–1520) hat es
1512/15 auf einem Fresko in den Stanzen des Vatikans dargestellt; und im
17. Jahrhundert errichtete der italienische Bildhauer und Architekt
Alessandro Algardi (1598–1654) im Petersdom eine Skulptur dazu.
Vermutlich half ein üppiges Lösegeld zu Attilas Einsicht dazu. Drei
Jahre später standen die Vandalen unter König Geiserich (geb. ca. 390;
reg. 428–477) vor den Toren Roms; wieder trat ihnen Leo mutig entgegen
und erreichte, dass Rom von Feuer, brutalen Metzeleien und Plünderung
der Hauptkirchen verschont blieb, wenn auch sonst alles von »Wert«
abtransportiert wurde, einschließlich Sklaven, Spezialisten und
Senatoren. Attila soll gesagt haben: »Ich kann Menschen unterwerfen,
aber nicht den Löwen (Leo) und den Wolf (Lupus).«
Leo fühlte sich allen anderen Bischöfen und
Patriarchen übergeordnet. Er starb am 10. November 461 in Rom. Später
wurde er heilig gesprochen. Sein Todestag ist auch sein Namenstag. Er
wurde erst in der Vorhalle von St. Peter beigesetzt, 668 im Inneren der
Basilika, wo ihm als erstem Papst auch ein Denkmal errichtet wurde. Dass
das Papsttum fortbestand und bis in unsere Zeit überdauerte, war sicher
großteils Leo dem Großen zu verdanken.
Es gab noch einen Leo den Großen, den man aber auch Leon den Großen
nennt, vielleicht der besseren Unterscheidung wegen. Er war ein
oströmischer Kaiser, und während man bei Papst Leo den Titel für gerecht
halten darf, kann man bei dem Kaiser wenigstens Fragen stellen. Geboren
wurde er um 400 in Thrakien, daher trug er auch den Beinamen Leon der
Thraker. Als General im oströmischen Heer kam er 457 durch den Einfluss
des Oberbefehlshabers, Aspar, auf den Thron; Senat und Klerus
bestätigten ihn; er war der erste Kaiser, der vom Patriarchen gekrönt
wurde. Aspar, ein arianischer Germane, wollte selbst nicht Herrscher
werden und lehnte das Angebot des Senats eloquent ab, aber erhoffte
sich, indem er Leon begünstigte, ihn als Marionette benutzen und mittels
seiner regieren zu können. Das war aber nicht im Sinne Leons. Dieser
baute Rivalen auf, um Aspar zu schwächen, umgab sich mit einer Leibwache
aus Isauriern, Angehörigen eines Volkes, das in der Antike im Taurus um
den Suglasee lebte und vor seiner Unterwerfung durch die Römer 78/77 v.
Chr. räuberische Wanderhirten gewesen war – und vergrößerte den Anteil
der Isaurier in der Armee, um den Einfluss der Germanen, vor allem der
Goten, zurückzudrängen. Er brachte den Anführer der Isaurier,
Tarasicodissa (426–491), nach Konstantinopel und verheiratete ihn mit
seiner Tochter Ariadne. Als Zenon wurde sein Schwiegersohn später Kaiser
(474/475 und 476 bis 491) und verfolgte dann eine ganz anders geartete
Politik.
Leon folgte der Politik seiner Vorgänger, den
Einfluss des Adels einzudämmen. Er bestätigte die Ergebnisse des Konzils
von Chalkedon 451 und unterdrückte strikt die Bewegung des Eutyches in
Ägypten. Es gelang ihm auch, die Invasion der Hunnen in Dakien
zurückzuwerfen. Schließlich wurde einer seiner Generale, Anthemius, zum
Kaiser des Weströmischen Reiches gewählt (467–472). Zusammen versuchten
sie den Einfluss der Vandalen in Afrika zu untergraben. 467 boten sie
eine Armee von 100 000 Mann auf und eine Flotte von rund 1100 Schiffen.
Es war die größte je von einer römischen Regierung aufgestellte Flotte.
Ihre Hauptmacht unter Basiliscos (gest. 478), der später Zenon für zwei
Jahre als Kaiser verdrängen würde, sollte den Hauptstützpunkt von
Geiserich direkt angreifen. Aber entweder war es Inkompetenz oder
Verrat: Geiserichs vorher durch die Vandalen selbst in Brand gesetzten
Schiffe zerstörten mehr als die Hälfte der bei Cap Bon vor Anker
liegenden Invasionsflotte 468 – es war Geiserichs größter Sieg zur See,
wenn auch infolge eines Überraschungsangriffes während einer Waffenruhe.
Ebenso brachen die Angriffe über Land von Ägypten aus, sowie über
Sizilien und Sardinien, nach anfänglichen Erfolgen schnell zusammen.
Wieder zurück in Konstantinopel steigerten sich die Auseinandersetzungen
zwischen Leon und Aspar, die zur Ermordung des letzteren 471 führten.
Die feindlichen Goten, die allerdings Aspar unterstützten, blieben in
Thrakien aktiv, aber noch hatte das Reich keinen Schaden erlitten, es
blieb wohlhabend und weiterhin blühend. Als Leon der Große, wie er
später tituliert wurde, vielleicht eben deshalb, weil das Reich unter
ihm prosperierte und er sich für den »wahren Christlichen Glauben«
einsetzte (die Arianer nannten ihn allerdings Leon den Schlachter), 474
starb, war sein Schwiegersohn Zenon der mächtigste Befehlshaber und
wurde, obwohl unbeliebt, sein Nachfolger. Und Zenon, der unbedingt die
in der Ostkirche verbreiteten Monophysiten wieder einbinden wollte,
sprach ein kaiserliches Machtwort: in einem »einigenden« Brief, dem
›Henotikon‹, dass es nämlich nur eine einzige Natur in Christus gäbe –
damit rief er eine tiefe Spaltung zwischen dem lateinischen und
östlichen Christentum hervor. Er stellte sich nämlich damit auf die
Seite der Monophysiten, die lehrten, dass es in Jesus Christus nur eine
Natur gegeben habe, nämlich die göttliche des »fleischgewordenen
Logos«, und nicht zwei, nämlich eine wahre göttliche und eine
wahre menschliche, worauf das lateinische Christentum beharrte. Im Jahre
451 war die monophysitische Richtung auf dem Konzil von Chalkedon
verurteilt worden, und es bildeten sich im Lauf der Zeit eigene
orientalische Kirchen wie die armenische oder die koptische und andere.
Diese wiederum beharrten allerdings darauf, dass sie Miaphysiten seien
und nicht Monophysiten, da sie eine vereinigte Natur Christi lehrten. In
unserem weiteren Bericht wird aber nicht zwischen Mono- und Miaphysiten
unterschieden. Mit der Handlung Zenons zeigte sich erneut, was ein
Kaiser nicht alles weiß und beurteilen kann … Immerhin legte Zenon noch
in Leons Todesjahr den Konflikt mit den Vandalen bei und schloss mit
ihnen ein »Ewiges Bündnis«.
Wie gesagt, Leon und dann Zenon hatten auf dem Balkan heftig mit den
Goten zu tun. Erst als sich ihr Anführer Theoderich 488 nach Italien
wandte, beruhigte sich die Situation. Es war die Zeit der
berühmt-berüchtigten Völkerwanderung mit den damit einhergehenden großen
Umwälzungen in Europa. Theoderich, einer der bedeutendsten Gestalten in
dieser Epoche, sollte später ebenfalls den Titel »der Große« erhalten.
Die Sage machte aus ihm den sympathischen Recken Dietrich von Bern, der
nicht nur im Nibelungenlied eine Rolle spielt, sondern um den sich ein
eigener Sagenkreis gebildet hat.
Theoderich wurde um 451 oder 453 geboren und
entstammte dem berühmten Geschlecht der Amaler. Sein Vater war der
Gotenkönig Thiudimir, ein Arianer, während seine Mutter später mit dem
Taufnamen Eusebia Katholikin wurde und ihrem Sohn nach Italien folgte,
wo sie als Königin galt. Damals lebten die Goten vom Südufer des
Plattensees bis in die Umgebung des heutigen Belgrad. 459/60 erneuerte
Kaiser Leon den Frieden mit ihnen, und Theoderich kam 459 zur Garantie
dafür als Geisel an den Hof in Konstantinopel, wo er bis 469 blieb. Dass
er in Konstantinopel seine besten Lehrjahre verbrachte und von dieser
Zeit stark geprägt wurde, hat sich in seiner weiteren Laufbahn immer
wieder gezeigt. Er lernte hier auch Aspar kennen, der auf der Höhe
seiner Macht stand und, selbst alanisch-gotischer Herkunft, seine
Hausmacht auf Goten stützte und eine gotenfreundliche Stimmung förderte.
Er wollte auch den großen Krieg gegen die Goten, das »Gift des Staates«,
verhindern, den der Kaiser 469 begann. Aber die Goten waren damals schon
zu stark und nicht zu besiegen. Als Zeichen seiner friedlichen Absichten
ließ Leon Theoderich nach Hause kehren. Zu der Zeit übernahm Thiudimir
die Oberhoheit über die drei pannonischen Gotenreiche; er starb 474.
Nach einem Sieg über die Sarmaten 471 fühlte sich Theoderich, der
persönlich unglaublich tapfer war, bereits als König oder wurde auch
schon gewählt – jedenfalls feierte er sein dreißigjähriges
Herrschaftsjubiläum im Jahre 500. Die Jahre von 476 bis 488 waren
verwirrend ereignisreich. Theoderich zog mit seinem Volk an die untere
Donau, wo sie wieder als Foederati lebten. Zenon, nunmehr Kaiser,
ernannte ihn 476 zum Heermeister und 483 zum Patricius, ein Jahr später
zum Konsul, was mit der Verleihung der römischen Bürgerrechte verbunden
war. Aber auf Dauer konnte er, so wusste Theoderich, dem Römischen Reich
nicht standhalten und seinem Volk nicht den nötigen Status erhalten. So
rückte er 488 auf Zenons Weisung hin nach Italien gegen den dortigen
Machthaber Odoaker vor. Dieser, aus dem germanischen Stamm der Skiren,
geboren etwa 433, hatte 476 den letzten weströmischen Kaiser Romulus
Augustus abgesetzt und war im August dieses Jahres von den germanischen
Söldnern in Italien zum (Heer-)König ausgerufen worden. Zwar erkannte er
die Oberhoheit des oströmischen Kaisers an, aber Zenon war seine
Herrschaft ein Dorn im Auge. Theoderich warf Odoaker nach Verona (d. i.
Bern) zurück und schlug ihn dort 489; Odoaker floh nach Ravenna;
Theoderich belagerte ihn dort zwei Jahre lang – die »Rabenschlacht« der
Sage – und tötete ihn, nachdem man sich in einem Vertrag über die
gemeinsame Herrschaft in Italien und Ravenna geeinigt und Odoaker die
Tore geöffnet hatte, 493 bei einem Gastmahl eigenhändig. Nun hatte
Theoderich nach viermaligem Anlauf sein Ziel erreicht: ein eigenes Reich
für sein Volk. 497 erhielt er die kaiserliche Anerkennung; er sollte als
Vertreter des Kaisers – er nannte sich »Flavius Theodoricus rex« – über
das westliche Reich herrschen. Die Römer sahen ihn als Herrn an, nannten
ihn bisweilen Augustus und stellten ihn mit Trajan auf eine Stufe. Man
errichtete ihm Statuen, und er sah sich als wahrer Kaiser. Tatsächlich
führte er eine unabhängige Herrschaft, die er durch Bündnisse bis in den
Alpen- und Donauraum ausdehnte. Aber die erhoffte Vereinigung mit den
benachbarten germanischen Königreichen wie Westgoten, Burgunder und
Franken gelang trotz einer intensiven Heiratspolitik nicht. Er selbst
heiratete in zweiter Ehe Audofleda, die Schwester des Frankenkönigs
Chlodwig (geb. ca. 466; reg. 481/482–511), die ihm die Tochter
Amalasuintha gebar, seine Erbin. Von seiner ersten Frau hatte er zwei
Töchter, und von anderen Frauen noch weitere – er hatte viele Töchter,
aber nicht einen einzigen Sohn. Übrigens war Chlodwig für die
europäische Geschichte von wesentlicher Bedeutung, da er ein fränkisches
Einheitsreich vom Rhein bis zur Garonne mit dem Mittelpunkt Paris
gründete. Während er den Rest der Römerherrschaft in Gallien beseitigte,
setzte Theoderich ganz auf die römischen Traditionen und versuchte,
Römer und Goten in Eintracht mit einander leben zu lassen. Theoderichs
Regierungszeit galt als »goldene Epoche«. Da er sich in der Nachfolge
der früheren römischen Kaiser sah, behielt er die römischen
Staatseinrichtungen bei. Unter ihm erlebte die antike Kultur noch einmal
eine Blüte. Ravenna wurde auf hervorragende Weise durch Bauwerke
verschönert, und der berühmte Codex Argentius, eine Prunkhandschrift der
gotischen Bibelübersetzung des Wulfila, die heute in Uppsala liegt,
zeugt von der regen Geistestätigkeit in Theoderichs Reich. Zu einer
Vermischung von Römern und Goten kam es allerdings nicht, und das
Heerwesen blieb allein den Goten vorbehalten. Aber hervorragende Römer
wie Cassiodor (ca. 490–ca. 583) und Boethius (ca. 480 – ca. 524)
erhielten unter ihm hohe Ämter; Cassiodor wurde der Leiter seiner
Kanzlei und Verfasser einer Geschichte der Goten wie auch einer
Weltchronik, der Philosoph Boethius Konsul und »Magister Palatii«;
allerdings wurde er, wohl infolge einer Intrige, des Hochverrats
bezichtigt und hingerichtet; heutzutage gilt er durch seine Übersetzung
und Kommentierung der logischen Schriften des Aristoteles als
wichtigster Vermittler zwischen Altertum und Mittelalter.
Theoderich griff auch in die trotz der
Ergebnisse des Konzils von Chalkedon weiter schwelenden und immer wieder
ausbrechenden Streitigkeiten der Christen um die Natur Christi ein.
Obwohl Arianer, ließ er dennoch die Katholiken gelten. »Die
gotisch-arianische Konfession und Verfassung, die lex Gothica,
erlebte im italischen Reich Theoderichs des Großen ihre Blütezeit«,
urteilt der Historiker Herwig Wolfram, und zu Theoderichs behutsamen
Versuchen, die langwierigen Auseinandersetzungen zu beenden, bemerkt er:
»Die Früchte seiner Bemühungen und der von ihm geschaffenen
Voraussetzungen zählen heute noch zu den schönsten und wertvollsten
Leistungen des europäischen Geistes.« Auch seine Außenpolitik war
insgesamt durchaus erfolgreich, von manchen Rückschlägen wie bezüglich
der Vandalen oder der Franken abgesehen. Theoderich starb am 30. August
526 in Ravenna und wurde in der Stadt bestattet und mit einem Grabmal
geehrt. Zum Zeitpunkt seines Todes war er der mächtigste Herrscher im
westlichen Mittelmeerraum. Die Nachwelt verlieh ihm den Titel »der
Große«, den sie dem Frankenkönig Chlodwig verweigerte, obwohl dessen
Reichsgründung um ein Vielfaches dauerhafter war als die Theoderichs.
Vielleicht lag dies aber auch an den die unterschiedlichen
Persönlichkeiten auszeichnenden charakterlichen Eigenschaften und
Tugenden, in denen Theoderich Chlodwig bei weitem überlegen war …
Die Ostgoten brachten in den letzen Jahren
ihres dem Ende entgegen gehenden Reiches noch einmal einige Helden
hervor, wenn auch eher tragische: vor allem der »Heldenjüngling« Totila,
der als fähiger Feldherr weite Teile Italiens abermals der gotischen
Herrschaft unterwarf, aber im Mai 552 fiel, und der »Schwarze Graf«, wie
er früher hin und wieder genannt wurde, Teja, der etwa fünf Monate
später bei Neapel besiegt und getötet wurde. Das Ostgotenreich wurde von
den Feldherren Belisar (um 505–565) und vor allem Narses (um 490–574)
des oströmischen Kaisers Justinian des Großen zerstört – wenn auch nicht
unbedingt geschichtlich treu, aber doch spannend nachzulesen in Felix
Dahns Ein Kampf um Rom.
Justinian, eigentlich Flavius Petrus Sabatius,
kam 482 in Tauresium bei Skopje zur Welt. Er war der Neffe von Kaiser
Justin I., der ihn unter dem Adoptivnamen Justinian zum Berater (521)
und Mitkaiser (527) erkor. Als Justin noch in diesem Jahr starb, wurde
Justinian Augustus, also Kaiser; seine Gemahlin Theodora, eine ehemalige
Schauspielerin von ungewöhnlicher Begabung und Intelligenz, angeblich
auch Grausamkeit, die er 525 geheiratet hatte, als sie etwa 28 Jahre alt
war, wurde zur Augusta erhoben, und beide übten bis zum Tode Theodoras
548 eine Doppelherrschaft aus. Theodora gewann großen Einfluss auf die
Politik, der fähige Narses, ein Eunuch, war ihr Günstling, und sie
rettete ihrem Mann im sogenannten Nika-Aufstand sogar den Thron. 532
revoltierten die beiden Zirkusparteien von Konstantinopel, die »Grünen«
und die »Blauen«, gegen die Zentralgewalt; ihre Parole war »Nika –
Siege!«, daher die Bezeichnung. Theodora beauftragte die Feldherrn
Belisar und Narses mit der Niederschlagung, die dann recht blutig
erfolgte – angeblich zählte man an die 30 000 Tote. Der erste Bau der
Hagia Sophia ging – wie ein großer Teil von Konstantinopel – bei dem
Aufstand in Flammen auf. Nicht nur die berühmte Hagia Sophia stammt aus
Justinians Bautätigkeit, er ließ die alte, abgebrannte, herrlich neu
errichten – sie sollte sein bedeutendstes Bauwerk werden. Auch sonst
konnte er auf viele Erfolge zurückblicken. Belisar unterwarf das
Vandalenreich in Nordafrika, Sardinien und Korsika (534) und schlug die
Westgoten in Spanien (554), Narses beendete die ostgotische Herrschaft
und reorganisierte anschließend die Verwaltung in Italien. Im Norden
wurden erfolgreich die Slawen bekämpft. Das Ziel von Justinians Politik
bestand darin, das Römische Reich zu erneuern, diesmal als Ökumene und
unter Wiederherstellung der Orthodoxie. Das Oströmische Reich konnte er
halten, und große Teile des Weströmischen fielen ihm wieder zu.
Tributleistungen sicherten den Frieden gegenüber den Persern, gegen die
Belisar 523 und 529 siegreich und 541/542 mehr oder weniger erfolgreich
gekämpft hatte, und gegenüber den Hunnen, vor denen Belisar 559
Konstantinopel verteidigen musste. Alle diese Eroberungen und Leistungen
waren aber mit großen finanziellen Auswendungen verbunden und führten zu
einer Schwächung des Reiches. Nach Justinians Tod gingen die erneut
gewonnenen Gebiete bald wieder verloren.
Nicht erst seit dem Sieg im Nika-Aufstand hatte Justinian an Autorität
gewonnen. Er hatte auch begonnen, eine Rolle als Oberherr der Kirche
einzunehmen. Er bekämpfte Häretiker und Heiden, was z. B. zur Schließung
der Philosophenschule in Athen 529 und im selben Jahr zu dem Edikt
führte, dass alle Heiden sich zu bekehren hatten, wenn sie nicht mit
schweren Sanktionen rechnen wollten, und er beteiligte sich, zum Teil
auch schriftstellerisch, an den dogmatischen Diskussionen. Nach außen
hin, kirchenpolitisch, verteidigte er die Orthodoxie, suchte aber, wie
andere Kaiser schon vor ihm, den Ausgleich mit den Monophysiten, nach
deren Lehre Christus, wie gesagt, nicht zwei, sondern nur eine Natur,
eine göttliche, hatte; insgeheim hing er wohl den Monophysiten oder
Miaphysiten an und starb angeblich sogar als einer der ihren. Theodora
stützte offen die Monophysiten. Durch die Einberufung des 5.
Ökumenischen Konzils 553 in Konstantinopel, dem zweiten in dieser Stadt,
suchte der Kaiser, die Streitigkeiten zu beenden – in Konstantinopel kam
es zu Straßenschlachten um diese Fragen. Er selbst nahm, im Gegensatz zu
Konstantin beim ersten Ökumenischen Konzil 325 in Nikäa, selbst nicht
teil, aber er ließ die Beschlussrichtung vorgeben. Seine Devise war, den
Gegnern der Beschlüsse des Konzils von Chalkedon entgegenzukommen, aber
ohne dessen Ergebnisse ins Gegenteil zu verkehren. Es ging dabei auch um
den sogenannten Drei-Kapitel-Streit – Justinian hatte 544, um den
Monophysiten einen Gefallen zu tun, die Schriften dreier Theologen
verworfen, die von monophysitisch dominierten Konzilien verurteilt, aber
in Chalkedon anerkannt, ihre Verfasser rehabilitiert worden waren. Von
den 168 anwesenden Bischöfen waren nur drei Nicht-Orientalen. Zwar
wurden entsprechende Beschlüsse gefasst, aber am Ende saß Justinian in
seiner Selbstherrlichkeit, mit der er auch sonst in religiösen
Angelegenheiten agierte, z. B. bei der Ein- oder Absetzung von
Bischöfen, zwischen allen Stühlen – alle fühlten sich mehr oder weniger
verprellt. Weniger glücklos blieben Justinians gesellschaftliche und
verwaltungsmäßige Reformen. Vor allem mit dem Corpus Iuris Civilis, der
von ihm in Auftrag gegebenen, mit Gesetzeskraft verbundenen Sammlung des
römischen Rechts (528–542), überdauerte er die Zeiten; in großen Teilen
Europas entwickelte sich das Corpus, nachdem es schon im Mittelalter mit
Kommentaren und Erläuterungen versehen worden war, zur Grundlage der
Rechtsordnung. Teilweise galt es in Deutschland bis zum Inkrafttreten
des BGB im Jahr 1900.
Was ist geblieben? Die ersten Regierungsjahre
Justinians waren sicherlich von großen Erfolgen gekrönt, aber von den
Ergebnissen der außenpolitischen Unternehmungen war nichts von Dauer,
wirtschaftlich wurde das Reich geschwächt, wie die Ressourcen waren auch
die militärischen Kräfte erschöpft, schon 568 eroberten die Langobarden
weite Teile Italiens; auch die Eroberungen in Spanien konnten nicht
gehalten werden; Katastrophen wie die Pest 540 brachen herein; die Kluft
zwischen den Kirchen im Westen und Osten war so tief wie nie. Mitten in
theologischen Auseinandersetzungen starb Justinian am 11. November 565.
Als die islamischen Araber im 7. Jahrhundert Syrien und Ägypten
unterwarfen, wurden sie von den Monophysiten als Befreier begrüßt.
Justinians Hagia Sophia, deren Kuppel 558 einstürzte und nicht mehr in
der alten Pracht wieder aufgebaut wurde, glänzt allerdings noch immer,
und die Studenten des Rechts müssen sich weiterhin mit seinem Corpus
Iuris Civilis befassen. Aber das antike Römische Reich existierte nicht
mehr, Justinian der Große gilt als letzter oströmischer und eher schon
als byzantinischer Kaiser … Das Mittelalter stand bevor.
Intermezzo
Geschichte der Christenheit
Jesus Christus wurde zwischen 30 und 33 unserer Zeitrechnung
gekreuzigt. Seine Geburt fand wohl um 6 oder 7 statt. Dass sie nicht
im Jahre 1 erfolgte, wie man annehmen sollte, hängt mit der
fehlerhaften Berechnung des skythischen Abtes Dionysius Exiguus im
Jahre 525 zusammen, der von etwa 500 bis 550 in Rom lebte. Somit wurde
Saulus, der Anfang des 1. Jahrhunderts geboren worden war, zwischen 33
und 35 zum Paulus bekehrt; seine Missionsreisen unternahm er in den
Jahren 45 bis 58; schon 48/49 bestätigte das Apostelkonzil in
Jerusalem die Heidenmission, und Paulus erlitt sein Martyrium, wenn es
denn eines war, 60 oder 62 in Rom. Johannes starb als Letzter der
Apostel 98 in Ephesus.
Abgesehen von Verfolgungen durch lokale
jüdische und römische Behörden, was zum Ausweichen der christlichen
Gemeinden in benachbarte Regionen führte, kam es unter Nero 64 zu den
ersten als solche angesehenen Christenverfolgungen im Zusammenhang mit
dem Brand Roms; sie waren allerdings auf Rom beschränkt und können,
weil es hier auch um die Bestrafung tatsächlicher oder vermeintlicher
Brandstifter ging, nicht mit den späteren reichsweiten Verfolgungen
verglichen werden. Diese setzten unter Domitian ein (81–96); die erste
wirklich auf alle Teile des Reiches ausgedehnte Verfolgung gab es
dann, wie bereits erwähnt, 249–251 unter Kaiser Decius. Jerusalem und
der Tempel waren im Jahre 70 durch die Römer zerstört worden; seitdem
lebten die meisten Juden in der Diaspora, mit all den schrecklichen
Konsequenzen für ihre und die christlich-jüdische Geschichte…
Die Urchristengemeinden konnten sich langsam, aber unaufhaltsam
entwickeln und über das ganze Römische Reich verbreiten, sogar bis
nach England. Erst um 150 entstanden erste Christusbilder, von 200 bis
250 Wandbilder in den Katakomben Roms. Wie wir gesehen haben, kam es
um 200 zur ersten christlichen Staatsreligion in Edessa unter Abgar
dem Großen, und Konstantin der Große sorgte mit seinem Toleranzedikt
von 313 für den großen und rasanten Aufbruch in der Geschichte des
Christentums. Damals betrug, wie schon erwähnt, der geschätzte
Bevölkerungsanteil der Christen im Römischen Reich bereits um die 15
%. Erst mit der »Konstantinischen Wende« begannen der eigentliche
Aufstieg des Christentums und die Entstehung der Kirche.
1. Das Mönchtum
Mönchtum, Nonnenwesen und Klosterwesen entwickelten sich schon in der
frühen Christenheit. Das Wort »Mönch« kommt aus dem Griechischen und
bedeutet »Einsiedler«. Mönche und Nonnen gab und gibt es in vielen
Religionen. Es handelte und handelt sich um Menschen, die asketische
Ideale vertreten, z. B. Ehelosigkeit und Verzicht auf persönlichen
Besitz, die in der Regel religiösen Motiven folgen und ihre Ideale als
Einsiedler, wie zu Beginn in der Christenheit, in der Wanderaskese
oder später in klösterlichen Gemeinschaften zu verwirklichen suchten
und suchen. In der frühen Christenheit begaben sich immer mehr
Menschen in die Einöde, oft in die Wüste, auf der Suche nach der
Jesusnachfolge, in Verbindung mit strenger Askese, um ein
gottgefälliges Leben zu führen und sich dadurch selbst zu
verwirklichen. Das christliche Kloster im eigentlichen Sinne
begründete der ägyptische Mönch und Kopte, der heilige Pachomius (ca.
292–ca. 346) als Zusammenschluss der als Einsiedler in Höhlen oder
verlassenen Gräbern, selbst auf Säulen hausenden Mönche unter einer
festen Regel, die für alle im Kloster Lebenden verbindlich war. Auch
diese Zeiten haben ihre »Großen« hervorgebracht. Es ist nicht
auszuschließen, dass »Große« in der Geschichte der Christenheit im
Folgenden unberücksichtigt bleiben, weil sie schlicht unter den vielen
so betitelten nicht gefunden wurden. Der Vollständigkeit sollte aber
erwähnt werden, dass die beiden Jünger Jesu, die Apostel und Heiligen
mit Namen Jakobus im Deutschen »der Ältere« und »der Jüngere« genannt
werden; im Amerikanischen heißen sie James »the Greater«, also der
Größere, und James the Lesser, also »der Kleinere«.
Hervorragende Vertreter des Mönchtums: Antonius, Bessarion,
Makarios, Poimen, Onuphrius, Arsenius, Euthymius und Babai die
Großen
Am ehesten dürfte noch vielen Gläubigen Antonius der Große ein Begriff
sein. Er wurde unter die besonders verehrten und dargestellten
Heiligen aufgenommen und gilt als der Patriarch der Mönche. Geboren
251/252 in Kome, dem heutigen Keman, in Mittelägypten als Sohn reicher
Eltern, zog er sich mit etwa zwanzig Jahren gemäß dem Wort Jesu:
»Verkaufe alles, was Du hast« (Matth. 19, 21), nachdem er all seinen
Besitz den Armen gegeben hatte, in die Wüste in ein Felsengrab zurück,
um dort als Eremit zu leben; aber lange war er nicht allein, da sich
bald Schüler um ihn sammelten. Ihnen versuchte er sich nach 20 Jahren
auf einen Berg am Nil zu entziehen, aber da seine Jüngerschar immer
noch wuchs, gab er ihr schließlich nach und gründete eine
Einsiedlerkolonie, eine Art Kloster. Gegen Ende seines Lebens verließ
er die Einöde vollends und predigte auf Bitten seines Freundes
Athanasius in Alexandria gegen die Arianer. Auf Athanasius, der auch
Antonius’ Leben beschrieb, kommen wir noch zurück. Antonius hat keinen
Orden gegründet und auch keine Ordensregel erlassen, aber durch ihn
ist das Anachoretentum, die Vorform des Mönchtums, entstanden, also
das asketische Leben christlicher Mönchen in Einsiedlerkolonien in der
Einsamkeit. Aus ihm entwickelte Pachomius die erste echte klösterliche
Mönchsgemeinde. Antonius der Große starb um 356 in der ägyptischen
Wüste. Viele Legenden sind von ihm überliefert, z. B. die Versuchung
durch den Teufel in Gestalt schöner Frauen, oder der heftige Angriff
auf ihn durch den Teufel und andere Widersacher, die ihn schwer
verwunden, in die Lüfte heben und seine Zelle in Flammen aufgehen
lassen, denen er jedoch allen widersteht. Die schönste Geschichte ist
aber die von seinem durch einen Traum ausgelösten Besuch bei dem 110
Jahre alten Eremiten Paulus von Theben – heute noch als Heiliger am
15. Januar verehrt als »Vater des Einsiedlerlebens«. Antonius, damals
selbst schon 90, wird von einem Wolf durch die Wüste zu Paulus
geführt, und diesem brachte der Rabe, der ihm sonst ein Brot am Tag
bringt, diesmal zwei. Auch von Paulus Tod erfährt Antonius durch eine
Vision. Er findet ihn tot in betender Haltung, und zwei Löwen helfen
Antonius bei der Bestattung, indem sie ein Grab für ihn ausscharren. –
Antonius wurde heilig gesprochen, und sein Festtag ist der 17. Januar.
Nach der Gründung des Antoniterordens 1059 kamen seine Reliquien als
Dank eines französischen Edelmannes namens Gaston für die Heilung
seines Sohnes von einer ansteckenden Seuche, dem sogenannten
»Antoniusfeuer«, nach St. Didier-de-la-Motte in Frankreich und
befinden sich heute in der Kirche St. Julien in Arles. Der Orden
widmete sich seit 1217 vor allem der Krankenpflege und baute viele
Spitäler; als Entgelt für die Krankenpflege durfte er seine Schweine
frei weiden lassen; daher wurde das Schwein eines von Antonius’
Attributen, mit denen er auf den zahlreichen Abbildungen, die es von
ihm gibt, gezeigt wird. Auch das Glöckchen, das die Schweine zur
Erkennung trugen, gehört zu seinen Kennzeichen. Berühmt wurde vor
allem seine Darstellung auf dem Isenheimer Altar (1515 fertiggestellt)
durch den deutschen Maler, Bau- und Wasserkunstmeister Matthias
Grünewald (ca. 1480 (?)–1528) in Colmar – hier der Besuch bei Paulus;
in der Mitte des Schreins befindet sich eine vergoldete Schnitzerei
von ihm, angefertigt von Niclas Hagnower (Nikolaus von Hagenau; ca.
1445–vor 1538) . Noch im 20. Jahrhundert kam es zu Lithografien seiner
Versuchungen, z. B. 1945 durch den französischen Maler und Grafiker
deutscher Herkunft Max Ernst (1891 – 1976) und ein Jahr später durch
den spanischen Maler und Grafiker Salvador Dali (1904–1989). Antonius
der Große wurde zum Patron gegen ansteckende Krankheiten, nicht nur
bei den Menschen, ebenso bei den Haustieren, und wird oft auch zu den
14 Nothelfern gezählt. Er hilft auch gegen Feuer, da ihm die Flammen
nichts anhaben können. Dargestellt wird er meist mit gegürtetem,
härenem Gewand und einem schwarzen Mantel mit T-Zeichen. Als ihn seine
Jünger begruben, sahen die Anwesenden Engel, die um ihn standen …
Im vierten Jahrhundert lebte in Ägypten auch
ein gewisser Bessarion, ein Schüler des Isidor von Pelusium, der
Reisen zu verschiedenen Einsiedlern unternommen hatte, um von ihnen zu
lernen und selbst Einsiedler zu werden. Als Anachoret lebte er in der
Wüste und wurde im ganzen Land als Wundertäter bekannt. Angeblich trug
er immer eine Abschrift der vier Evangelien mit sich und verkaufte sie
schließlich, um das Geld unter die Armen zu verteilen. Auch soll er
sein einziges Kleidungsstück an einen Bettler verschenkt haben. Das
Volk nannte ihn Bessarion den Großen, und er wurde heilig gesprochen –
in der griechisch-orthodoxen Kirche ist sein Tag der 6. Juni, in der
russisch-orthodoxen der 20. Februar. Nach ihm nannte sich der
byzantinische Theologe und Humanist, Kardinal und Titularpatriarch von
Konstantinopel, Basilius Bessarion (1403–1472), der einen wichtigen
Anteil an der Erschließung antiker griechischer Autoren wie Platon für
das Abendland und damit weitreichenden Einfluss ausgeübt und der
zunächst als Mönch gelebt hatte. Er besaß eine private Bibliothek mit
746 Bänden, davon 482 griechische und 264 lateinische Handschriften,
dazu noch etwa 300 Drucke. Er schenkte sie 1468 der Republik Venedig,
wo sie den Grundstock der Biblioteca Marciana bildete. So kam
Bessarion der Große noch einmal zu späten Ehren.
Um 300 kam in Oberägypten Makarios zur Welt. Er wurde mit 30 Jahren
aus ähnlichen Gründen wie Antonius Einsiedler in der Arabischen Wüste.
Auch um ihn scharten sich Nachahmer und Jünger, und so wurde er zum
Mittelpunkt, geistigen Vater, Gründer und Führerpersönlichkeit einer
großen Eremitenkolonie in der Skelettwüste in Libyen. Ihm wurden durch
die spätere Überlieferung vierzig »geistliche Homilien« zugeschrieben,
mystische Literatur, die aber wohl aus Kreisen der Messalianer
stammten, wahrscheinlich von einem Symeon von Mesopotamien. Die
Messalianer, was syrisch »Betende« bedeutet, griechisch Euchiten
genannt, breiteten sich von ihrem Ursprung in Nordsyrien auch in die
griechische Kirche aus. Nach ihrer mystisch-asketischen Lehre, die 431
vom Konzil von Ephesos verurteilt wurde, können unablässiges Gebet und
ekstatischer Tanz das Böse im Menschen ausmerzen, was dazu führt, dass
der Heilige Geist sinnlich erfahren und die Trinität geschaut werden
können. Die angeblich auf Makarios zurückgehenden Schriften besitzen
hohen Stellenwert in der mystisch-asketischen Literatur des
ostkirchlichen Mönchtums; ihr Gedankengut wirkte auf die Entwicklung
der Derwisch-Bewegung im Islam – waren die Euchiten nicht so etwas wie
die Vorläufer der Derwische? – und indirekt über Makarios bis hin zum
Pietismus im Christentum. Makarios ging schließlich als »der Große« in
die Geschichte ein.
Zu den »Wüstenvätern« wird auch Poimen der Große (ca. 340–450)
gezählt, ein ägyptischer Mönch. Neben Antonios und Makarios gehörte er
zu den bedeutendsten und bekanntesten Mönchen der späten Antike. Er
gilt als Meister der Askese; als er mit zwei seiner sechs Brüder in
einem ägyptischen Kloster lebte, zeigten sie sich nicht einmal ihrer
Mutter, wenn sie das Kloster besuchte – so sehr gingen sie in ihrer
Askese auf. Mehr als hundert Sinnsprüche werden ihm zugeschrieben, z.
B.: »Eigenwille und Bequemlichkeit und die Gewöhnung daran bringen den
Menschen ins Verderben.« Poimen der Große wird heute in der
katholischen und in den orthodoxen Kirchen als Heiliger verehrt.
Als »Großer« wurde auch der heilige Onuphrius bezeichnet, der sogar
ein abessinischer Fürstensohn war, aber auf ein fürstliches Leben
verzichtete, von seinem Vater verstoßen wurde und nach seiner
Erziehung im Kloster Hermopolis Mönch wurde. Die Einsamkeit, die er
suchte, fand er in der herrlichen Landschaft von Kappadokien in
Anatolien in der heutigen Türkei, in einem der abgelegenen
Felsenklöster von Göreme. Hier lebte er der Überlieferung zufolge 40
Jahre lang in andächtiger Anbetung, aber er blieb nicht
weltabgeschieden, sondern lehrte in den klösterlichen Siedlungen der
Umgebung. Da ihn ein Esel über die weiten Entfernungen getragen haben
soll, soll er davon (»onos«) seinen Namen Onuphrius erhalten haben.
Nach anderen Quellen kommt der Name aus dem Ägyptischen: »Un-nofer«,
»das vollkommene Sein«, war eine Bezeichnung des auferstandenen
Osiris. Wie dem auch sei, ein Engel brachte ihm der Legende nach
regelmäßig an Sonn- und Feiertagen die Heilige Kommunion; angeblich
erst kurz vor seinem Tode, etwa im Jahre 400, als Onuphrius wohl an
die achtzig Jahre alt war, soll er vom heiligen Paphnutius, einem
Bischof in Ägypten, der ein Schüler des heiligen Antonius war und als
Gegner des Arianismus auf verschiedenen Konzilien auftrat, gefunden
worden sein; Paphnutius soll ihm bei dieser Gelegenheit die Heilige
Kommunion gereicht und später eine Lebensbeschreibung über ihn
verfasst haben. Das aber kann nicht sein, da Paphnutius schon um
350/360 während einer Christenverfolgung sein Martyrium erlitt.
Bedenkt man allerdings, dass Onuphrius auch als Einsiedler in Ägypten
und Syrien gelebt haben soll, vielleicht sogar in Syrien gestorben
ist, und ihn Pahphnutius nicht kurz vor Onuphrius’ Tod, sondern schon
vor seinem eigenen auffand und besuchte, dann lassen sich Legende und
Wirklichkeit eher in Einklang bringen. – Die älteste Darstellung von
Onuphrius dem Großen, wie er, der seit etwa dem 7. Jahrhundert in der
koptischen Kirche als Heiliger verehrt wurde, später genannt wurde –
sein Tag ist der 12. Juni – findet sich als Ritzzeichnung in einem der
Felsenräume von Göreme, in der Yilanli-Kirche im heutigen
Freilicht-Museum, zusammen mit dem heiligen Basilius und dem heiligen
Thomas. In Kappadokien erzählt man sich seine Geschichte allerdings
ganz anders: Danach war er ursprünglich ein leichtsinniges Weib, das
zu Gott betete, er möge sie vor den Männern schützen, und Gott erhörte
sie und ließ ihr lange Haare und einen langen Bart wachsen. Neben
vielen ostkirchlichen gibt es von ihm zahlreiche deutsche
Darstellungen, vor allem aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Er ist
darauf nur mit einem Blätterschurz oder Laubkranz um die Lenden
bekleidet, mit langem wallenden Haar und Bart, zu sehen, trägt eine
Krone oder ein Zepter, und ein Doppelkreuz verweist auf seine
Tätigkeit als Eremit und kappadokischer Kirchenlehrer. In diesem
Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Onuphrius der Schutzpatron für
die Prostituierten, die Hermaphroditen und die von sexuellen
Übergriffen Bedrohten sowie auch der Weber ist – auch im Zusammenhang
mit den Vorwürfen der sexuellen Übergriffe an die Kirche nicht ganz
uninteressant ...
Heiliger Onophrius
(Albrecht Dürer, Kunsthalle Bremen, Wikipedia)
Eine Besonderheit ist noch speziell hervorzuheben: Onuphrius
gilt als alter Schutzpatron Münchens, eine Rolle, die er sich mit
dem bekannteren Heiligen Benno von Meißen (ca. 1010–1106) teilt. Der
Papst persönlich hat Onuphrius’ Schädelreliquie (Hirnschale)
anlässlich der Gründung von München 1158 an Heinrich den Löwen (ca.
1129–1195), den Herzog von Sachsen (1142–1180) und von Bayern
(1156–1180) und als letzterer Gründer von München gesandt, oder
dieser hat sie von einem seiner vielen Feldzüge mitgebracht, und
Heinrich ließ die Reliquie in feierlicher Prozession am 14. Juni
1158 in seine Burgkapelle tragen; von da ab war Onuphrius sein
Schutzpatron. Das einzige, was von all dem »erhalten« blieb (die
Spur der Reliquie verliert sich nach dem 1816 erfolgten Abriss der
Kapelle St. Laurenz, wo sie nach ihrer Erbauung 1324 aufbewahrt
wurde), ist die Erinnerung in Form einer – allerdings recht großen –
Mosaiktafel am Marienplatz, Haus Nr. 17, schräg gegenüber vom
Rathaus und direkt gegenüber vom Traditionsgeschäft Ludwig Beck (»am
Rathauseck«), am Alten Rathaus. Das erste Bildnis hier stammt von
1497, das derzeitige von 1960. Es ist allerdings nicht das einzige
in München. Es gibt auch Bilder von ihm in der St. Peterskirche, im
Dom und ein Fresko in der Kapelle der Blutenburg in Obermenzing.
Leider hat die Stadt München keine Erklärungstafel am Mosaik am
Marienplatz anbringen lassen, so dass sich der nicht eingeweihte
Tourist in Anbetracht der Namensinschrift vergebens fragt, um wen es
sich hier handelt – selbst echte Münchner halten ihn eher für den
heiligen Christopherus, aber immerhin – Onuphrius der Große ist zwar
in Vergessenheit geraten, aber dennoch unvergessen, wenn auch selbst
kaum ein Münchner um ihn weiß, es sei denn, er ist im Himmel …
Ein weiterer Heiliger brachte es ebenfalls zum Beinamen »der Große«.
Arsenius war Römer und entstammte einer sehr vornehmen Familie.
Geboren wurde er 354, er war äußerst interessiert an griechischer
und römischer Literatur, befleißigte sich der Tugendübungen und
wurde nach allerdings umstrittenen Quellen Diakon der römischen
Kirche. Sicher ist, dass Kaiser Theodosius der Große von ihm und
seiner Tugend und Gelehrsamkeit hörte, ihn 383 nach Konstantinopel
kommen ließ und ihm seine beiden Söhne Arkadios (geb. ca. 377; reg.
395–408) und Honorius (geb. 384; reg. 395–423), ersterer der erste
oströmische Kaiser, letzterer weströmischer nach des Vaters Tod, zur
Erziehung anvertraute. Dafür empfing er ihn mit großen Ehren und
erhob ihn zum Senator. Allerdings kam es nach vielen erfolgreichen
Jahren zu Zwistigkeiten. Arsenius unterrichtete stehend und war sehr
streng; seine Schüler mussten sitzen, und als Arkadios schon zum
Augustus erklärt war, empfand er angeblich diese Situation als
erniedrigend. Da es darob sogar zu Mordplänen gekommen sein soll,
verließ Arsenius fluchtartig den Hof. Es gibt aber auch Historiker,
die diese Version ganz und gar ablehnen. Danach hörte Arsenius, der
immer schon zur Abgeschiedenheit neigte, eine innere Stimme, die ihm
sagte, er solle die Gesellschaft der Menschen fliehen und würde dann
erst richtig leben. So verließ er heimlich den Palast, nach elf
Jahren und im Alter von 40, und fuhr nach Alexandria, um sich von
dort in die Skelett-Wüste in Libyen zu begeben. Dort wurde er nach
einer Prüfung in die Gemeinschaft aufgenommen. Bald danach hörte er
wieder eine Stimme, die ihm bedeutete, nun in vollständiger
Abgeschiedenheit zu leben. Tatsächlich verbrachte er von da ab
vierzig Jahre in seiner Einzelzelle in höchster Askese, mit Gebet,
Nachtwachen, harter Arbeit und unter tränenreicher Bereuung seines
früheren Lebenswandels. Bei Angriffen eines räuberischen Volkes, der
Maziken, flohen die meisten Mönche; Arsenius blieb und wurde nicht
behelligt. Erst bei dem nächsten Angriff entfernte auch er sich,
begab sich zuerst in die Gegend von Memphis, zu dem Felsen Troe oder
Petra, dann nach Canope bei Alexandria, aber hier wurde er ob der
vielen Menschen und »Zerstreuungen« nicht glücklich, und so kehrte
er nach drei Jahren zu seinem Felsen zurück, wo er noch zwei Jahre
lebte und tränenreich im gesegneten Alter von 95 starb. Man schrieb
das Jahr des Herrn 450. Anderen Quellen zufolge wurde er sogar 120.
Arsenius wurde in der Ostkirche heilig gesprochen – sein Tag ist der
19. Juli, die Griechen verehren ihn am 8. Mai, und er erhielt den
Titel »der Große«.
Ein weiterer »Großer« der Kirchengeschichte war Euthymius von
Melitene. Er wurde 377 in Melitene in der heutigen Türkei geboren
und wird als einer der bedeutendsten Asketen der judäischen
Gebirgswüste angesehen. Auch er war einer der Väter des Mönchtums.
Seine Mutter soll unfruchtbar gewesen sein; ein Engel sagte ihr dann
jedoch die Geburt eines Jungen voraus und prophezeite ihr auch, mit
ihrem Sohn werde Friede für die Kirche heraufziehen und jeder
Aberglaube abgeschafft werden. Daher der Name Euthymius –
Freudenbringer, erst recht, da eine Verbindung zwischen der
Engelsvoraussage und dem gleichzeitigen Beginn der Regentschaft
Kaiser Theodosius I. des Großen hergestellt wurde! Nach seiner
Ausbildung durch den Bischof Otreius von Melitene wurde er zum
Presbyter geweiht, und man übergab ihm die Aufsicht über die Klöster
in Melitene. Später, zwischen 406 und 411, ging er nach Jerusalem;
in der Nähe zog er in die Einsiedelei des Theoktistos bei Pharan,
der die sich bildende Mönchskolonie auf Wunsch von Euthymius leitete
und 467 starb. Hier blieb er bis 415, um anschließend fünfzehn
Kilometer östlich von Jerusalem in Marda bei Salfit als Einsiedler
zu leben. In dieser Gegend wurde dann bis etwa 420/428 ein Kloster
erbaut, wo Euthymius bis zu seinem Tode wirkte. Viele Wunder werden
ihm zugeschrieben. So soll er etwa 400 Armenier mit sehr wenig Brot
gespeist haben; er konnte es angeblich regnen lassen, und während
der Messe sahen die Besucher einen göttlichen Schein um sein Haupt.
Dass er nomadische Araber zum christlichen Glauben bekehrte, ist
aber wohl keine fromme Legende. Als er am 20. Januar 473 starb,
wurde er wie ein König bestattet. Sein Festtag ist der 20. Januar,
der in der gesamten Ostkirche begangen wird. In den byzanthinischen
Kirchen wird er als einer der großen Väter des Mönchtums
dargestellt, zumeist als Greis, kahl am Haupt, aber mit langem Bart
bis über die Hüften. In der Ostkirche ist Euthymius der Große nach
wie vor lebendig.
Zum Abschluss des Blickes auf die frühchristlichen Mönche sei noch
der später in Erscheinung getretene syrisch-nestorianische Mönch und
Klostervorsteher Babai genannt. Die Nestorianer haben eine eigene
Lehre zur Natur Christi entwickelt. Ihr Gründer Nestorius lebte von
ca. 381 bis 451 und war von 428 bis 431 Patriarch in Konstantinopel.
Er betonte das Menschsein Christi; daher war Maria für ihn auch
nicht eine »Gottesgebärerin«, sondern eine »Christusgebärerin«.
Seine Lehre wurde 431 auf dem 3. Ökumenischen Konzil von Ephesus als
Irrlehre verworfen und er selbst als Häretiker verurteilt und
abgesetzt. Aber seine Anhänger blieben ihm treu und gründeten um 500
in Persien außerhalb des byzantinischen Reiches eine eigene Kirche,
eben die nestorianische. Von Persien aus wurde das Christentum dann
bis ins ferne Indien (die sogenannten Thomaschristen) und nach
China, nach Tibet und Mittelasien getragen. Während des Höhepunktes
der Kirche hatte sie bis zu 80 Millionen Anhänger. Babai brachte es
zu einem der bedeutendsten Theologen der Nestorianer; zeitweilig war
er auch Leiter der nestorianischen Kirche in einer Zeit, in der der
persische Großkönig aus der Dynastie der Sassaniden die
Wiederbesetzung des Patriarchatenstuhles verhinderte. Er war um 540
im Sassanidenreich, in Beth Ainata, geboren worden, also nicht lange
nach der Gründung der Kirche, und starb 628 im Kloster auf dem Berg
Izla, wo er der dritte Abt geworden war. In dieser Funktion stellte
er ein von Einsamkeit und Gebeten geprägtes Leben in den
Vordergrund, wandte sich gegen die von seinen Vorgängern erlaubte
und ermutigte Heirat von Mönchen und Nonnen und formulierte, wie
schon viele vor ihm, abermals Regeln für das mönchische
Zusammenleben. Als er zusammen mit dem Erzbischof Mar Aba die Kirche
»regierte«, stärkte er die Orthodoxie der Klöster und der Mönche im
nördlichen Mesopotamien und sorgte für Gesetz und Ordnung. In
syrischer Sprache hinterließ er ein umfangreiches literarisches
Werk, in dem er orthodoxe Lehren vertrat. In seinen 84 Schriften
erklärte er die nestorianische Religion und Kultur und verteidigte
sie gegen die Monophysiten und gegen den Kirchenlehrer Origines.
Viele seiner Schriften sind verloren gegangen, aber was erhalten
blieb, z. B. das Buch der Einheit zu christlichen Gebräuchen oder
zwei Hagiographien zum asketischen Leben und zur Mythologie, zeigt
ihn als den einzigen Kirchenlehrer im nestorianischen Mesopotamien,
der eine systematische Christologie entwickelte. Unter ihm errang
die sogenannte »nestorianische Mönchsmystik« einen derartigen
Einfluss, dass sie über Konfessionsgrenzen hinweg zu wirken begann
und offenbar selbst den islamischen Sufismus beeinflusste. Als Babai
den Großen findet man ihn noch heute in den großen Enzyklopädien.
Onuphrius, Babai und in gewisser Weise auch Makarios waren neben
ihren Aktivitäten als Mönch auch schon »Kirchenlehrer«, wenn auch
nicht mit diesem Ehrentitel belegte, und von den so Benannten gab es
etliche »Große«.
2. Die Kirchenlehrer
In unserer Zeit (Stand 2006) verehrt man 33 sogenannte
Kirchenlehrer, die »Doctores ecclesiae«. Dieser kirchliche
Ehrentitel wurde in der Katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert
von den Päpsten verliehen, 1970 erstmals an Frauen. Die Bezeichnung
kam im 4. Jahrhundert auf und wurde auf Theologen angewandt, die
Gelehrtheit, Heiligkeit des Lebens, Rechtgläubigkeit und vor allem
Normgebung für die kirchliche Lehre miteinander verbanden. Damals
versuchte man, die Richtigkeit eigener Lehren mit Hilfe der
Auffassung allgemein anerkannter theologischer Autoritäten zu
rechtfertigen oder zu beweisen. Daraus entstand im Lauf der Zeit der
Status des Kirchenlehrers, und zu ihnen zählen Anselm von Canterbury
(1033–1109), Augustinus (354–430), Bernhard von Clairvaux
(1091–1153), Johannes von Damaskus (zw. 650 und 670–vor 754),
Katharina von Siena (ca. 1347–1380) oder Thomas von Aquin (ca.
1225–1274), um nur ein paar zu nennen. Einige aus dieser »Elite«
werden uns noch begegnen, andere wurden bedeutend, auch ohne den
Titel »Kirchenlehrer« offiziell zu erhalten. Einer von ihnen war
Dionysius der Große.
Bedeutende kirchliche Lehrer: Dionysius, Athanasius,
Basilius, Nerses, Isaak und Gregor die Großen
Ursprünglich war Dionysius Schüler des berühmten griechischen
Theologen und Philosophen Origines (ca. 185–ca. 254), der schon zu
Lebzeiten als bedeutendster und umstrittenster Theologe der
griechischen Kirche galt. Er leitete von 204 bis 215 die
Katechetenschule in Alexandria, die sogenannte alexandrinische
Theologenschule. Seine bedeutendsten Leistungen bestanden in der
Schaffung einer Arbeitsgrundlage für die wissenschaftliche
Bibelexegese, einer Darstellung der christlichen Lehre in der
Begrifflichkeit der hellenistischen Philosophie, womit die Lehre
Platons für die christliche Theologie fruchtbar gemacht werden
sollte (Neuplatonismus) – sie wurde zum ersten christlichen
Lehrsystem, sowie in der von ihm entwickelten Lehre vom dreifachen
Schriftsinn: dem buchstäblichen, dem moralischen und dem
allegorischen – in Alexandria folgte man vor allem dem
allegorischen. Origines hatte ungeheure Wirkung, vor allem auf die
Theologie des griechischen Ostens, und erst auf dem Konzil von 553
wurden seine Lehren endgültig verworfen. Dionysius kehrte sich
selbst ebenfalls gegen seinen Lehrer, der schon 212 exkommuniziert
worden war, 215 die Leitung der Schule aufgab, aber zwanzig Jahre
später eine eigene Schule in Caesarea gründete. Dionysius wurde 247
oder 248 Bischof von Alexandria und war auch Leiter der
alexandrinischen Schule. Er entwickelte sich ebenfalls zu einem
bedeutenden Lehrer und mischte sich in theologische
Lehrstreitigkeiten ein, in denen er zu vermitteln suchte. Während
Rom und weite Kirchengebiete die Gültigkeit der Ketzertaufe, z. B.
in einer schismatischen oder häretischen Gemeinde, anerkannten und
auf eine Wiederholung der Taufe bei einer Konversion verzichteten,
forderten große Teile der Kirche, vor allem in Nordafrika, eine
Wiederholung der Taufe im Falle einer Konversion. In den 50er Jahren
des 3. Jahrhunderts bestand dann der Bischof von Rom Stephan I.
(Pontifikat 254–257) auf der Sichtweise Roms. Dionysius floh 250
während der Christenverfolgungen unter Decius, und Kaiser Valerian
verbannte ihn. Er starb 264 oder 265. Leider sind nur Fragmente
seiner Werke erhalten. In weiten Kreisen bekannter wurde er wohl
auch durch seine Auseinandersetzung mit dem Papst gleichen Namens.
Dieser Dionysius, der von 260 bis zu seinem Tod 267 oder 268 als
Papst agierte, baute nach der Beendigung der von Kaiser Valerian
angeordneten Christenverfolgungen unter Kaiser Galliẹnus (geb. 218;
reg. 260–268 (ermordet)) die Kirche wieder auf und unterstützte
Hilfslieferungen für die Not leidenden Christen im ganzen Reich. Er
verteidigte das trinitarische Dogma gegen seinen Namensvetter in
Alexandria; damit kündigte sich schon der Streit um den Arianismus
an. Dionysius der Große wurde heilig gesprochen; sein Tag ist der
17. November. Sein Namensvetter in Rom wurde ebenfalls heilig
gesprochen; sein Tag ist der 30. Dezember.
Über die Auseinandersetzungen mit dem Arianismus wurde schon früher
berichtet. Wie gesagt, lehrte der Arianismus, dass Gott und sein
Sohn Jesus Christus nicht wesensidentisch, sondern wesensunähnlich
(oder nur wesensähnlich, wie es Anhänger milder formulierten) seien.
Dies rief große Widerstände hervor, da dadurch das mit der
Menschheit Gottes begründete Heil für die Menschen verringert würde.
Einer der Hauptgegner des Arius war der Patriarch von Alexandria,
Alexander (gest. 326), ebenfalls später heilig gesprochen, der Arius
schlicht exkommunizieren ließ. Mit dem Namen von Alexanders Sekretär
Athanasius (ca. 295 oder ca. 298–373) wurde später dieser Streit um
das Wesen Christi verbunden. Alexanders Enzyklika gegen Arius von
321 dürfte von Athanasius stammen, der auch schon 318 zwei Werke
verfasst hatte, die Gottes Inkarnation in Jesus Christus lehrten.
Mehrere Konzilien wurden zu diesem Streit einberufen, römische
Kaiser schalteten sich ein; Athanasius, der 328 Patriarch von
Alexandria wurde, hatte mit zahlreichen Anfeindungen, Verleumdungen
und Intrigen zu kämpfen, ja, er trat einzelnen Kaisern offen
entgegen, wurde fünfmal in die Verbannung geschickt, vielleicht
sogar siebenmal, und wieder eingesetzt, so dass der Spruch aufkam:
Athanasius contra mundum – Athanasius gegen die Welt. Und am Ende
hat dieser von Gestalt kleine und dunkelhäutige (vielleicht war er
ein Kopte) griechische Kirchenlehrer einen hervorragenden Ruf als
Vorkämpfer für die Kirchenfreiheit und ungeheure Bedeutung für die
Entwicklung des Christentums erlangt – verschiedentlich, wenn auch
nicht offiziell wird er als Athanasius der Große bezeichnet. Seine
Lebensbeschreibung des Antonius des Großen wirkte sich entscheidend
auf die Integration des Mönchtums in die Kirche und seine kirchliche
Anerkennung aus. Er selbst lebte in den Verbannungszeiten häufig in
der Wüste bei den Mönchen, und auch seine Feinde achteten ihn für
seine Selbstdisziplin und seine Enthaltsamkeit; er war der Hort der
Orthodoxie im Sinne der Lehre der Wesenseinheit von Gott und Jesus
Christus, und dass man ihn inoffiziell als »der Große« betitelt,
dürfte wohl verdient sein. Am Ende setzte er sich durch, wenn sich
auch der Arianismus bei einzelnen germanischen Völkern wie den
Langobarden bis ins 7. Jahrhundert hielt. Athanasius wurde heilig
gesprochen, sein Tag ist der 2. Mai. Viele Schriften wurden ihm
aufgrund seines hohen Rufes zugesprochen, aber es ist nicht klar, ob
sie alle von ihm stammen.
Offiziell erhielt ein anderer Kirchenlehrer
den Titel »der Große«: Basilius (ca. 330–379); ihn zählt man zu den
vier großen griechischen Kirchenlehrern. Er stammte aus einer
christlichen Aristokratenfamilie in Caesarea, dem heutigen Kayseri,
und wurde dort 370 zum Bischof und Metropoliten von Kappadokien
ernannt, wo noch heute seine Spuren zu finden sind. Mit seinem
jüngeren Bruder Gregor von Nyssa (ca. 331 – nach 394; Heiliger: 10.
Januar Ostkirche, 9. März Westkirche) und seinem Freund Gregor von
Nazianz, dem Patriarchen von Konstantinopel und »Vater der
Ostkirche« (ca. 325 oder 330–389/390; Heiliger: 25. und 30. Januar
in der Ostkirche, 9. Mai in der Westkirche), zählt er zu den »Großen
Kappadokiern«. Diese drei bedeutenden Kirchenlehrer (Basilius und
Gregor von Nazianz tragen den entsprechenden Ehrentitel) vertieften
die Lehre von der Trinität und trugen damit entscheidend zu dem Sieg
über den Arianismus auf dem Konzil von Konstantinopel 381 bei.
Basilius hinterließ eine eigene Liturgie, die allerdings heute
seltener als andere Überlieferungen gefeiert wird, aber noch nicht
aufgegeben wurde. Vor allem förderte er als Kirchenpolitiker auch
das Mönchtum. Nach seinem Besuch bei den Anachoreten in Syrien und
Ägypten 357 erließ er die (zwei) sogenannten Basiliusregeln, die das
Mönchsleben in Form von Frage und Antwort ordneten; sie standen
unter dem Einfluss der neuplatonischen Philosophie, der stoischen
Ethik und vor allem der Tradition der Askese. Während sich in
Ägypten die Priester fern von den Menschen in Klöstern Gott
widmeten, hielten es Basilius und seine Freunde für besser, wenn sie
ein Gemeinschaftsleben führten und auch Gottesdienste für die
Menschen hielten. Jeder, der mit anderen zusammenlebe, könne zum
Multiplikator für seine eigenen Gaben werden, ein gegenseitiges
Geben und Nehmen. Basilius hinterließ zahlreiche Schriften und
Werke, Briefe und Predigten; er wurde heilig gesprochen, und sein
Tag ist in der Ostkirche der 1. Januar (sein Todestag), in der
katholischen der 2. Januar. Natürlich ranken sich um solch eine
bedeutende Persönlichkeit, die auch als Seelsorger wirkte, viele
Legenden. Unter anderem soll er eine junge Frau, die einen Jüngling
heiratete, der mit dem Teufel einen Vertrag geschlossen hatte, um
sie gewinnen zu können, von dem Fluch befreit haben – der Teufel
gibt nach langem Gebet des Basilius und des jungen Mannes den
Vertrag heraus, den dann Basilius zerstört. Im Dom von Meißen wurde
Basilius dem Großen auf einem ihm 1357 geweihten Altar eine Statue
errichtet. Der Forscher und Kunsthistoriker Emile L. Jarre schreibt
in seinem für Touristen gedachten Buch über Kappadokien: »Diese neue
Religion«, also das Christentum, »stammt zwar aus Palästina, aber
sie hat sich [in] Anatolien entwickelt und vergrössert,
beziehungsweise hat das Christentum seine(n) Existenz Anatolien,
insbesondere Kappadokien zu verdanken.«
Während Athanasius und Basilius die Großen
heutzutage nicht ganz in Vergessenheit geraten sind, dürfte wohl
kaum noch jemand etwas von Isaak dem Großen wissen; dabei leistete
er seinem Vaterland Armenien unschätzbare Dienste. Sahak, den man
später Isaak den Großen nannte, wurde um 338/340 in Süd-Armenien
geboren, war der Herkunft nach Parther und hieß daher auch Sahak der
Parther. Er stammte aus einer Linie, die auch zwei Heilige umfasste.
Sein Vater war der eine, Nerses (auch Narses), und auch er wurde mit
dem Ehrentitel »der Große« ausgezeichnet. Bei diesem müssen wir kurz
innehalten. Geboren 335 als Prinz aus dem Haus der Gregoriden, war
er von 353 bis 373, mit einer Unterbrechung von 359 bis 363,
Katholikos aller Armenier, blieb aber auch Fürst der gregoridischen
Domänen. Seine Hauptleistung bestand in der Durchführung kirchlicher
Reformen sowie darin, dass er die Kirche dem Volk nahebrachte; bis
dahin war sie mehr eine Angelegenheit des Adels und des Königtums
gewesen. Er organisierte bald nach seinem Amtsantritt die erste
Synode der Armenischen Apostolischen Kirche, wo er seine
Überlegungen vortrug. Viele Punkte, die z. B. die Eheschließung, den
Gottesdienst, die religiöse Betreuung des Volkes oder Gebräuche wie
die Blutrache betrafen, wurden neu geregelt; die Blutrache wurde
natürlich verboten. Die Errichtung von Waisenhäusern und Spitälern,
vor allem von Leprastationen, wurde ins Auge gefasst, Schulen
sollten gegründet werden, um das Analphabetentum zu bekämpfen, und
das Heidentum wurde verboten. Unter dem Einfluss von Basilius dem
Großen ließ es sich Nerses als große Aufgabe angelegen sein, das
Mönchtum zu fördern. Nerses mit seinen herausragenden Fähigkeiten
wurden von Arsakes II. (reg. 350–367), dem König von Großarmenien,
dem er in seiner Jugend als Kämmerer, Rat und Schwertträger gedient
hatte, zwangsläufig auch für diplomatische Missionen in Anspruch
genommen. So brachte er, der damals der zweite Mann im Staate war
und als ausgesprochener Römerfreund galt, ein Bündnis mit Rom gegen
Persien zustande. Aber die Erfolge, die Nerses im Volk so beliebt,
geachtet und berühmt machten, waren dem König ein Dorn im Auge.
Andere Faktoren kamen hinzu. Schließlich setzte der König Nerses ab
und verbannte ihn. Die Rückkehr ermöglichten ihm erst die Römer.
Aber der Zwist mit den Persern und deren Herrschern, den Sassaniden,
war nun voll entbrannt. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen und
Kämpfe wurde Arsakes II. von den Persern eingekerkert und beging
Selbstmord (367), Persien besetzte Armenien unter Verfolgung der
Christen, und Arsakes II.’ Sohn Pap, der neue armenische König, dem
Nerses einst zur Flucht auf römisches Gebiet verholfen und ihm damit
das Leben gerettet hatte, erwies sich als charakter- und morallos.
Nerses verbot ihm schließlich nach vielen Streitigkeiten den Zutritt
zur Kirche; im Zuge eines angeblichen Versöhnungsmahles ließ dann
Pap Nerses vergiften. Das geschah am 25. Juli 373. Nerses wurde
heilig gesprochen und erhielt den Beinamen »der Große«. Sein
einziger Sohn war Sahak, und er wurde ebenfalls Katholikos (oder
Patriarch), also Oberhaupt der armenischen Kirche, und das gerade zu
der Zeit, als Armenien eine seiner größten Krisen in den alten
Zeiten durchmachte. Damals, 387, wurde Armenien zwischen dem
Byzantinischen Reich und Persien aufgeteilt. Damit waren die
nationale Einheit, Sprache und Kultur Armeniens stark gefährdet.
Isaak musste es hinnehmen, dass ihn der Perserkönig 426 absetzte,
und stellte sich unter den Schutz des byzantinischen Kaisers. Später
durfte er zurückkehren; im hohen Alter zog er sich aus seinen Ämtern
zurück und starb am 7. September 439 in seiner Heimat – da war er
110 Jahre alt.
Die armenische Kirche war um 300 durch den Heiligen Bischof Gregor
den Erleuchter (ca. 257–332 oder 337), einem Vorfahr Isaaks – dieser
war sein Ururenkel –, gegründet worden. Isaak war der letzte Spross
aus dessen Geschlecht, den Gregoriden. Mit dem Verlust der
Unabhängigkeit und der Teilung Armeniens geriet auch die armenische
Kirche in Gefahr. Es war Isaaks großes Verdienst, hier entschieden
gegengesteuert zu haben. Er gilt auch als Begründer der armenischen
Literatur: durch seine vielfältigen Übersetzungen aus dem
Byzantinischen und Griechischen, u. a. der Bibel; durch seine
Entwicklung des 36 Buchstaben umfassenden, in Anlehnung an das
syrische und griechische Buchstabensystem gestalteten armenischen
Alphabets – beides zusammen mit dem königlichen Sekretär und
Gelehrten Mesrop (361–390), den Isaak für den kirchlichen Dienst
gewann und der heute bekannter ist als Isaak und dem diese
Leistungen nunmehr vorwiegend zugeschrieben werden; durch seine
Übertragung von wichtigen Werken in die Volkssprache und der
Verfassung eigener Werke und liturgischer Hymnen. Er richtete den
Gottesdienst stärker armenisch aus, glich aber auch die Ordnung der
armenischen Kirche der der byzantinischen an – und das nicht nur
beim Verbot der Heirat von Bischöfen, er übersetzte die syrische
Liturgie ins Armenische und baute viele Schulen für weiterführende
Studien und Ausbildungszweige. Er bezog sich auch auf die Liturgie
von Basilius dem Großen, der hier einen seiner bedeutenden Schüler
fand. Ebenso wichtig war – wie schon bei seinem Vater – sein Bemühen
um die Bildung des Volkes, die zu seiner Zeit in höherem Ansehen als
anderswo stand. Er ließ die von den Persern zerstörten Kirchen und
Klöster wieder errichten und baute neue dazu, dazu auch noch
Krankenhäuser. Hier folgte er den Reformen seines Vaters. Am Ende
seines Lebens übernahm er die Ergebnisse des 3. Ökumenischen Konzils
von Ephesus 431, in dem es wieder einmal um die Frage nach dem
Verhältnis von Gott und Christus, speziell um die Lehren des
Nestorius ging, an dem er aber selbst aus Altersgründen nicht mehr
teilnehmen konnte. Insgesamt hat er das Armeniertum über seine große
Krise hinüber gerettet, und als er starb, hatte er den Titel »der
Große« wohl verdient. »Mit dem Ende des armenischen Königtums der
Arsakiden 428 stellte Sahak das einzige verbliebene Symbol
nationaler Einheit der Armenier dar […]. Die persischen Versuche zur
Etablierung eines gefügigen Katholikats scheiterten«, so der
Kirchenhistoriker Martin Tamcke. Es gibt kaum einen zweiten Fall in
der Geschichte, dass ein Vater und sein Sohn den Titel »der Große«
zugesprochen bekamen; die Söhne von Pompeius dem Großen, die sich
selbst diesen Titel verliehen, zählen hier nicht, wohl aber Sancho
und Ferdinand von Kastilien, die uns später begegnen werden ...
Ein bedeutender Kirchenlehrer, der wie Basilius oder Isaak diesen
Titel als Ehrentitel trug, war schließlich Gregor I. der Große,
einer der sogenannten vier lateinischen Kirchenlehrer. Er stammte
aus senatorischem Adel und wurde um 540 in Rom geboren. Von 572 bis
573 amtierte er als Richter, aber dann übermannte ihn der Schmerz
über die Welt, und nach dem Tode seines Vaters ließ er aus seinem
Vermögen sechs Klöster auf Sizilien errichten; sein eigenes Haus
baute er als Kloster »zum hl. Andreas« um und trat dort als Mönch
ein, wo er auch 585 Abt wurde. Viele Wunder- und Wohltaten von ihm
sprachen sich herum, und als Papst Pelagius II. (Pontifikat 579 –
590), in dessen Auftrag er schon nach Konstantinopel gereist und zu
dessen Berater er bestellt worden war, an der Pest starb, wählte man
ihn als neuen Papst. Gregor versuchte sich, der heiligen Pflicht zu
entziehen. Nicht nur, dass er an Kaiser Mauritius (reg. 582–602
(ermordet)) mit der Bitte schrieb, seine Einwilligung zu verweigern
– angeblich ließ er sich auch verkleidet in einem Fass aus der Stadt
bringen, um als Eremit zu leben, aber eine Lichtsäule, an der Engel
auf- und niederstiegen, verriet ihn, und 590 wurde er zum Papst
gewählt, mit des Kaisers Bestätigung. Gregor war der erste Mönch,
der zum Papst erkoren wurde, und neben Leo I. der einzige Papst, der
offiziell den Titel »der Große« erhielt, sieht man von dem gleich
weiter unten vorgestellten Papst Nikolaus dem Großen ab, der aber
nicht überall als solcher bezeichnet wird. Zum Zeitpunkt seiner Wahl
herrschte in Rom eine Hungersnot. Gregor organisierte Hilfsaktionen
und ordnete im Zuge dessen auch die Verwaltung der päpstlichen Güter
und Finanzen neu – er führte eine zentrale Verwaltung ein. In
Anbetracht der zu kleinen kaiserlichen Streitmacht in Rom ließ
Gregor die Verteidigungsanlagen instand setzen und warb Soldaten an
(der Kaiser war über diese Einmischung verärgert, wurde aber von
Gregor päpstlich gerügt); als die Langobarden 591 und 593 Rom
bedrohten, zahlte er ihnen ein Lösegeld, um sie vom Plündern
abzuhalten. Viele andere Probleme beschäftigten Gregor: in
Nordafrika trat er der Donatistenbewegung entgegen (ihre Anhänger
glaubten, dass im Grunde nur ihre eigenen Kleriker die Sakramente
spenden dürften; diese seien nur wirksam, wenn die sie spendenden
Priester über die göttliche Gnade verfügten, also »würdig« seien);
mit Konstantinopel schwelte Streit; eine Seuche brach in Rom aus.
Aber mit Spanien und Gallien pflegte Gregor gute Beziehungen, und
nach England sandte er den Prior seines eigenen Klosters, Augustinus
(gest. 605/609), um die Angelsachsen zu bekehren. Mag das alles in
seiner Amtsperiode bedeutend gewesen sein, seinen hervorragenden Ruf
begründete Gregor als Kirchenlehrer und Ordner bzw. Verwalter der
Kirche. Er legte die Regeln für die Wahl und das Verhalten von
Bischöfen fest und setzte auch Kleriker ab, die seinen hohen
moralischen Ansprüchen nicht genügten. Er lebte selbst weiter wie
ein asketischer Mönch und untergrub damit langfristig seine
Gesundheit. Auch bekräftigte er das Zölibat für Bischöfe, Priester,
Diakone und Subdiakone, das schon länger bestand, wie er ebenso die
Benediktinerregel stark förderte und mit seinen liturgischen
Reformen die Bewahrung des Überlieferten gewährleisten wollte, was
sich z. B. in den Gregorianischen Gesängen ausprägte. Als erster
Papst gebrauchte er zur Unterstützung seiner Anweisungen den Spruch
»Ex Cathedra«. Er schrieb Kommentare zu den Evangelien und
ausgewählten Büchern des Alten Testaments und erzählte in seinen
Dialogi das Leben und die Wunder von Heiligen. Sein bekanntestes
Werk, die Magna moralia, erschienen 595, stellte eine Sittenlehre,
eine umfassende Abhandlung moralischer Fragen, zum Buch Hiob dar,
und umfasste 35 Bände; es wurde allgemein bewundert und exzerpiert,
um es lesbarer zu machen. Vierzehn Bücher umfassen schließlich seine
gesammelten Briefe. Mit all dem beeinflusste Gregor der Große die
Geschichte der Kirche und der Christenheit auf Jahrhunderte hinaus.
Aber wie auch anderen geschah es ihm, dass der Prophet in der
eigenen Heimat nichts gilt. »Der Osten betrachtete ihn als Heiligen,
Spanien als großen Schriftsteller, England als seinen Apostel. Nur
Rom ignorierte ihn mehr oder minder, ein Unrecht, das erst im 9.
Jahrhundert wieder gutgemacht wurde […] Er hinterließ ein reiches
Erbe: Wir verdanken ihm die Überlieferung exegetischer Schriften,
die Entwicklung volksnaher Predigten, die Förderung des Mönchtums im
Westen, eine effektivere päpstliche Verwaltung und den Erhalt einer
speziell römischen Sicht von Recht und Ordnung. Es verwundert nicht,
das sein Epitaph ihn als ›Konsul Gottes‹ bezeichnet. Gregor selbst
gab sich einen bescheideneren Titel: ›Diener der Diener Gottes‹«, so
Maxwell-Stuart in seiner Chronik der Päpste. Gregor der Große wurde
heilig gesprochen, sein Tag ist der 3. September (früher der 12.
März). Es gibt viele Darstellungen von ihm, Holzschnitte,
Altartafeln, Abbildungen in Handschriften, häufig mit den vier
Evangelisten. So zeigt ihn eine deutsche Elfenbeinarbeit aus dem 10.
Jahrhundert, die heute im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen
ist, bei der Arbeit, wobei ihm der Heilige Geist in Form einer Taube
auf der Schulter sitzt und ihm ins Ohr flüstert – sein ständiges
Symbol wird die Taube. Er starb am 12. März 604 in Rom, als dieses
wieder an einer Hungersnot litt und das Volk ihm die Schuld daran
gab. Unvergessen bleibt, dass Gregor die weltliche Macht des
Papsttums und den Kirchenstaat vorbereitete und heute als einer der
maßgeblichen Vermittler zwischen christlicher Antike und
abendländischem Mittelalter gilt.
3. Kirche im Wandel der Zeiten
Viele Stationen waren entscheidend für die Entwicklung des
Christentums und der Kirche im Mittelalter. Großen Einfluss hatte
die Taufe des Frankenherrschers Chlodwig 496 in Reims zum
katholischen Glauben, da sich nun die lateinische Form des antiken
Christentums unter den Germanen zu verbreiten begann. Bedeutsam war
auch die Tätigkeit des heiligen Benedikt von Nursia (ca.
480–547(?)), der 529 das Benediktinerkloster Montecassino gründete
und ein Jahr später die Benediktinerregeln verfasste. In Irland
entstand die iroschottische Kirche, eine keltisch-griechische
Mönchskirche; ihre Missionare gelangten nach England und bis nach
Oberitalien. So konkurrierten zeitweise eine
keltisch/griechisch-monastische und eine lateinisch-bischöfliche
Ausprägung des Christentums in Europa. Aber spätestens seit der
Taufe Chlodwigs und der Missionierung durch angelsächsische Mönche
(wie den »Apostel der Deutschen« Bonifatius (672/73–754), der 724
bei Geismar die Donar-Eiche fällte), die sich eng an Rom hielt (eine
Frucht der Aussendung von Missionaren nach England durch Gregor den
Großen), gewann in West-, Süd-, Nord- und Zentraleuropa sowie dessen
östlichen Teilen die katholische Kirche die Oberhand. Im Osten
lehnten sich die slawischen Völker bei ihrer Missionierung vom 9.
bis 11. Jahrhundert an Byzanz und das griechische Christentum an.
Eine große Herausforderung für die Christenheit brachten der Islam
und die Eroberung der iberischen Halbinsel seit 711. 787 wurde noch
einmal ein Ökumenisches Konzil abgehalten, das siebte und letzte,
aber schon 863 kam es zu einer Entzweiung des Papstes und des
Patriarchen von Konstantinopel über die Frage der Vorherrschaft, und
1054 zur endgültigen Trennung zwischen griechisch-orthodoxer
Ostkirche und römisch-katholischer Westkirche – der damals
ausgesprochene gegenseitige Kirchenbann wurde erst 1965 (!) formell
aufgehoben. Seit der Kaiserkrönung Karls des Großen 800 und der
Gründung des »Heiligen Römischen Reiches«, das erst seit etwa 1500
den Zusatz »deutscher Nation« bekam, im Zusammenhang mit der
Kaiserkrönung Ottos des Großen 962, erfolgte die Hinwendung im
»westlichen Teil« Europas, also Deutschlands, Frankreichs, Spaniens,
Englands usw. immer stärker nach Rom. Auch in dieser langen Zeit der
Ausbreitung des Christentums und der Erstarkung der Kirche, was sich
bald in den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Königs-/Kaisertum
und Papsttum zeigen sollte – der Investiturstreit und der Gang nach
Canossa 1077 sind dafür nur ein Zeichen – gab es Persönlichkeiten
mit dem Titel »der« oder »die Große«. Jene, die man dafür geeignet
halten würde, wie der große Kirchenlehrer Augustinus oder Benedikt
von Nursia, wurden damit allerdings nicht bedacht.
Einzelne bedeutende Christen im Mittelalter: Nikolaus, Hugo,
Wilhelm, Michael, Albert und Gertrud die Großen
Nicht in allen Werken trägt er den Titel »der Große«, aber man
findet ihn so zum Beispiel in der Encyclopedia Americana:
der eben erwähnte Papst Nikolaus I. Geboren wurde er wohl um 800
oder 820 in Rom als Sohn einer vornehmen Beamtenfamilie und genoss
eine gute Ausbildung. Den drei Päpsten vor ihm diente er als enger
Berater, womit er natürlich auch entsprechenden Einfluss ausübte.
858 wurde er zum Papst geweiht und – gekrönt und war damit der erste
gekrönte Papst überhaupt. Der König von Italien (seit 844) und
spätere Kaiser Ludwig II. (geb. ca. 822; reg. 855–875), der älteste
Sohn von Kaiser Lothar I. (geb. 795; reg. 840–855), war bei der
Krönung anwesend; Ludwig II. war 850 Mitkaiser seines Vaters und 855
dessen Nachfolger geworden und begünstigte Nikolaus.
Mit Nikolaus »bekam die Kirche einen Papst,
der nicht mit sich handeln ließ« (Maxwell-Stuart), und so waren auch
die Jahre seines Pontifikats voller Konflikte. Da sich der Patriarch
von Ravenna, Johannes, von Rom unabhängig machen wollte, geriet er
in Auseinadersetzungen mit ihm. Als der Bischof von Soissons,
Rothad, von dem Erzbischof Hinkmar von Reims wegen Unbotmäßigkeit
abgesetzt wurde, unterstützte Nikolaus Rothad, der sich an ihn
wandte, weil er das Recht eines Bischofs (und des Klerus überhaupt),
sich über die Autorität eines Vorgesetzten beim Papst zu beschweren,
für legitim hielt und er der Ansicht war, der Papst habe das letze
Wort. Nikolaus verteidigte die Rechte der Kirche gegen Prinzen und
weltlich ausgerichtete Bischöfe und förderte Recht und Ordnung in
ihr. Und so gab es noch andere Konflikte, so den um die Verweigerung
seiner Zustimmung zur Scheidung des Königs Lothar II. von Lothringen
(geb. 835; reg. 855–69), übrigens der Namensgeber für Lothringen, in
dessen Folge er die Erzbischöfe von Köln und Trier absetzte, die die
Scheidung anerkannt hatten – hier gab es dann sogar kriegerische
Auseinandersetzungen und einen Konflikt mit dem Kaiser. Am
schwersten aber war sein Konflikt mit der Ostkirche. Anlass bot die
Missionierung unter den Bulgaren, die Nikolaus ebenso wie die in
Dänemark förderte. Der Fürst von Bulgarien, Boris I. (reg. 852–889;
gest. 907 als Mönch), sandte ihm seine berühmten 106 Fragen zu den
Problemen bei der Konversion in seinem Land, und Nikolaus antwortete
darauf mit seinen ebenfalls bekannten Responsa Nicolai ad
consulta Bulgarorum. Boris trat dann 864 mit dem Adel zum
Christentum über und wurde der erste christliche Fürst der Bulgaren
und damit zum bulgarischen Nationalheiligen (Tag: 15. Mai). Der
rechtmäßig gewählte Patriarch von Konstantinopel, Photius (820–897),
heute einer der populärsten Heiligen der Ostkirche (Tag: 6.
Februar), wies aber diese päpstlichen Jurisdirektionsansprüche
zurück. Nicht nur hierbei, sondern auch in anderen Fällen wandte er
sich gegen Roms Primatsansprüche. Photius, eine umfassend gebildete
Persönlichkeit, unterstellte, dass man in Rom mit der Lehre, der
Heilige Geist habe seinen Ausgang im Vater und im Sohne und dies ins
Glaubensbekenntnis eingefügt habe, Häresie begangen habe. Er
betonte, dass Byzanz das Primat in Glaubensdingen gebühre, da der
ältere Bruder des Petrus, Andreas, von Jesus als Jünger zuerst
berufen worden sei. Umgekehrt bestritt man in Rom die Rechtmäßigkeit
der Wahl von Photius, da dieser illegalerweise Ignatius
ausgeschaltet habe, der aber der legitime Patriarch gewesen sei.
Daraufhin wurde Photius 863 von Nikolaus exkommuniziert und
abgesetzt. Photius, wutentbrannt, berief darob 867 eine Synode der
Kirchen ein, die die Streitpunkte klären sollte. Zu ihr erschien
Nikolaus erst gar nicht; daraufhin wurde er auf der Synode zum
Ketzer erklärt und nun seinerseits exkommuniziert und abgesetzt.
Dies führte zu der oben erwähnten ersten Spaltung der West- und
Ostkirche, dem sogenannten Photianischen Schisma, das man im Westen
der Ostkirche anlastete, auch wenn sich diese in ihrer Lehre bzgl.
des Heiligen Geistes bei der nächsten Synode (870) vorübergehend
durchsetzte. Nikolaus erlebte das nicht mehr, erfuhr auch nichts von
seiner Absetzung durch die Ostkirche. Er starb am 13. November 867
in Rom. Wurde Nikolaus von Gerechtigkeitssinn geleitet, oder war es
Starrsinn, wie es ihm viele Kritiker vorhielten? War es
Ernsthaftigkeit und Willenskraft oder nur Engstirnigkeit und
Verbohrtheit, die ihn antrieben, oder gar der Einfluss des von ihm
eingesetzten Leiters der Vatikansbibliothek, des Gelehrten
Anastasius, wie manche behaupten? Er stützte sich auf die angeblich
von Christus verliehene Autorität der Päpste und trachtete sie auch
in Form einer allumfassenden Befehlsgewalt auszuüben. Er sah sich
wohl auch schon als päpstlicher »Beschützer des Reiches« in einer
Zeit, als das Frankenreich nach dem Tode Karls des Großen zerfiel.
Seine Standfestigkeit und Prinzipientreue, die ihn auch vor
Konflikten nicht zurückschrecken ließen, machten ihn in dem Augen
vieler zu einem der bedeutenderen Päpste, so dass er eben auch den
Titel »der Große« zugesprochen erhielt. Eine seiner größten
Leistungen bestand darin, dass er 866 die Anwendung der Folter als
unvereinbar mit der christlichen Lehre verbot. Dieses bei allen
Völkern und Kulturen in der Geschichte und gerade auch im römischen
Reich übliche Mittel zur »Wahrheitsfindung«, meist aber als Strafe
oder Züchtigung und nicht zuletzt als »reine Quälerei aus niederen
Motiven« verwendet, wie sie von Beestermöller und Brunkhorst
charakterisiert wird, war gerade auch während der
Christenverfolgungen gang und gäbe gewesen, wie nicht nur die
zahlreichen Märtyrerberichte erweisen, aber am Ende der Antike war
sie in den Hintergrund getreten. Diese Entwicklung setzte sich dank
der Abschaffung durch Nikolaus weiter fort. Erst im Hochmittelalter
griffen weltliche und geistliche Macht wieder immer mehr darauf
zurück, und 1252 ermächtigte Papst Innozenz IV. (Pontifikat
1243–1254) die weltliche Obrigkeit ausdrücklich, bei der Inquisition
die Folter zu verwenden, »ein Versagen der Kirche« (a. a. O) ohne
gleichen. Die Encyclopedia Americana bezeichnet Nikolaus
als herausragenden Papst des Mittelalters, fromm, gütig, fähig,
würdig, energisch und eloquent. Schließlich wurde er heilig
gesprochen – sein Gedenktag ist der 13. November.
Ein diplomatischerer Charakter war Hugo der Große. Auf weitere
Träger dieses Namens werden wir später treffen. Er war ein
Benediktiner und wurde 1024 in Semur-en-Auxois in Frankreich
geboren. Ab 1049 war er Abt des Kosters Cluny. Als Legat und Berater
der damaligen Päpste zählte er die Kaiser Heinrich III. (geb.1017;
reg. 1039–1056) und Heinrich IV. (geb. 1050; reg. 1056–1106,
zunächst unter Vormundschaft), der 1077 den berühmten Gang nach
Canossa antrat, zu seinen Freunden. Im Investiturstreit, der in
Canossa einen Höhepunkt erreichte, trat er als Vermittler des
Kaisers auf. Wie es heißt, kam unter Hugo die kluniazensische Reform
zu ihrer höchsten Blüte. Dazu muss man wissen, dass die Gründung der
Benediktinerabtei Cluny 910 mit dem Privileg der freien Abtwahl
verbunden war; d. h. weder weltliche noch kirchliche Macht hatten
darauf Einfluss, und das Kloster war allein dem Papst unterstellt.
So konnte sich in Cluny ein weitgehend unabhängiges Klosterleben im
Geist der »Freiheit der Kirche« entwickeln; weitere Klöster mit
dieser Gesinnung wurden unter der Beobachtung von Cluny gegründet.
Unter Hugo dem Großen existierten etwa zweihundert Abteien, Priorate
und klösterliche Eigenkirchen; es handelte sich um den größten
Klosterverbund seiner Zeit. Die einzelnen Klöster wurden von Prioren
geleitet, die dem Abt von Cluny unterstellt waren. Ziel der
Kluniazenser war eine grundlegende Erneuerung und geistige Reform
des Klosterwesens bzw. des Mönchtums; letztlich war, davon als
Keimzelle ausgehend, die Heiligung und Vervollkommnung der Welt das
eigentliche Ziel. Cluny und die davon ausstrahlende Bewegung haben
die Kirche stark vorangebracht und verloren erst im 12. Jahrhundert
an Bedeutung. Hugo der Große starb am 28. 4. 1109 in Cluny, auch er
sicher ein rechtmäßiger Träger des Titels, mit dem er offiziell
bedacht wurde.
Unterschiedlicher Ansicht darüber kann man
bei dem Heiligen Wilhelm von Maleval sein, der auch nur von seinen
Anhängern so genannt wurde. Woher er stammte, ist unbekannt;
vielleicht war er ein Franzose. So viel weiß man von ihm, dass er
als junger Mann ein eher stürmisches Leben führte und ein tapferer
Ritter war, sich aber dann, nachdem er sich ausgetobt hatte, Papst
Eugen III. (Pontifikat 1145–1153) fügte, der ihm als Buße eine Reise
ins Heilige Land auferlegte, und sich in eine unabnehmbare Rüstung
einschmieden ließ. In diesem Büßergewand pilgerte er 1145 nach Rom
und – man höre und staune – tatsächlich nach Jerusalem. Bei seiner
Rückkehr 1153 ließ er sich in Italien nieder, nach einigen anderen
Orten bei Siena in der unwirtlichen Einöde Maleval (»Wildenthal«,
wie der Ort und das dort erbaute Kloster noch heute heißen) und
lebte dort als Eremit zunächst in einer Erdhöhle, später in einer
Zelle, wo er seine strikten Bußübungen vollführte, bis zu seinem
Tode 1157. Papst Innozenz III. (geb. 1160/61; Pontifikat 1198–1216)
sprach ihn ob der Wunder, die sich an seinem Grab ereignet haben
sollen, 1202 heilig; sein Tag ist sein Todestag, der 10. Februar,
und seine Schüler stifteten den nach ihm benannten
Wilhelmiten-Orden, der seinen geistigen Vater als Wilhelm den Großen
verehren ließ; der Orden selbst verbreitete sich in etlichen Ländern
und auch in Südwestdeutschland. Zunächst lebten seine Mitglieder
sehr streng nach dem Vorbild ihres Meisters, aber Papst Gregor IX.
(geb. ca. 1155; Pontifikat 1227–1241) milderte ihre Regeln, indem er
ihnen die Benediktiner-Statuten gab. Wilhelm der Große lebte nicht
nur im Gedächtnis fort, sondern auch in vielen Bildern und
Darstellungen, so in Frankfurt (Städel), Freiburg
(Augustinermuseum), sogar in einem Glasfenster im Straßburger
Münster und im Dom in Münster, Westfalen, immer mit seiner festen
Rüstung, manchmal mit einem Mantel darüber, mit Pilgerstab,
Krückstock und Rosenkranz, zumeist auch unbeschuht, und einem
mächtigen Schild, das Lilien und Hörner aufweist, neben sich.
Im Zusammenhang mit den Kreuzzügen ragt noch ein weiterer »Großer«
hervor. Über die Anfänge der armenischen Kirche und ihre »Großen«
Nerses und Isaak ist bereits berichtet worden. Mit ihr erreichte 726
die syrisch-orthodoxe Kirche eine Union; die Entwicklung der
letzteren war allerdings nicht minder von Rückschlägen begleitet wie
die der armenischen. Schismen im 8. und 9. Jahrhundert
beeinträchtigten das kirchliche Leben, und im 10. kamen die
Verfolgungen durch Byzanz dazu. Immer wieder überwarfen sich die
armenische und die syrisch-orthodoxe Kirche. Aber schließlich kam es
im 12. Jahrhundert zu einer Aussöhnung. Sie war dem hervorragenden
Patriarchen der syrisch-orthodoxen Kirche Michael I. dem Großen zu
verdanken. Er wurde auch Michael der Syrer (Michael Syrus) genannt,
aber in die Fachbücher ging er vorzugsweise als Michael der Große
ein. Geboren wurde er 1126 in Melitene, dem heutigen Eski Malatya in
der Türkei. Mit vierzig Jahren wurde er Patriarch der
syrisch-orthodoxen Kirche in Antiochia. Zu den Kreuzfahrern
unterhielt er zwar gute Beziehungen, aber er war ja als Untertan
muslimischer Herrscher nicht völlig unabhängig, und doch gelang es
ihm, seine Kirche zu reformieren und dadurch auch in diesen rauen
Zeiten zu erhalten und weiter zu entwickeln. Wiederholt nahm er
Einladungen des byzantinischen Kaisers nicht an, sicher nicht nur
wegen seiner Zugehörigkeit zur muslimischen Oberhoheit, sondern auch
aus dogmatischen Gründen. Michael ist uns weniger als Autor von
Büchern zur Liturgie und Dogmatik noch heute bekannt, sondern vor
allem als Verfasser einer 21 bändigen Weltchronik, die bis 1194/95
reicht. Erst im 18. Jahrhundert in Europa bekannt und viel später,
zwischen 1899 und 1910, aus dem Syrischen ins Französische
übersetzt, ist diese Chronik von unvergleichlichem Wert u. a. für
die Kreuzfahrerzeit, und das nicht nur wegen ihrer historischen und
sozioökonomischen Informationen, sondern auch aufgrund ihrer
naturkundlichen Darstellungen. Michael der Große starb am 7.
November 1199.
Als Naturforscher und -kundler war ein weiterer »Großer« Pionier,
der aber der Nachwelt vor allem als Philosoph und Theologe
überliefert ist. Mit Recht trug sicher Albert der Große, Albertus
Magnus, diesen Titel. Er wird darüber hinaus auch zu den »echten«,
also vom Papst so betitelten Kirchenlehrern gerechnet. Um 1200 (oder
1193) als Sohn eines Ritters von Bollhardt bei Lauingen an der Donau
geboren, trat er 1223 (oder 1229) während seines Studiums in Padua
in den Dominikanerorden ein und übte später als Naturforscher,
Philosoph und Theologe einen enormen Einfluss aus. An verschiedenen
deutschen Ordensschulen lehrte er, er hielt sich auch kurzzeitig in
Hildesheim auf, worüber der spannende Historienroman von Peter
Hereld Das Geheimnis des Goldmachers (dieser ist eben
Albertus Magnus), wenn auch natürlich nicht verbürgt, erzählt; aber:
»Mit gewissen Vorbehalten bekennt er [Albert] sich zu der Theorie
der Alchimisten (heute der Kernphysiker) von der Umwandelbarkeit der
Elemente« (Will Durant). Albert verbrachte die Jahre 1245 bis 1248
an der Universität Paris, wo er seinen Doktorgrad erhielt, und ging
danach nach Köln als Verweser des neu errichteten Dominikanerhauses,
unterstützt von Thomas von Aquin, der in Paris sein Schüler gewesen
war. Schon damals bezeichnete man ihn ob seiner herausragenden
Bildung als »Doctor universalis«. Von 1254 bis 1257 war er
Provinzial der deutschen Ordensprovinz der Dominikaner, von 1260 bis
1262 Bischof von Regensburg; in den Jahren danach predigte er im
Auftrag des Papstes Urban IV. (geb. ca. 1200; Pontifikat 1261–1264)
in Deutschland und Böhmen den Kreuzzug, und seit etwa 1270 lebte er
schließlich als Gelehrter und Lehrer in Köln.
Der Hauptverdienst Alberts des Großen
bestand darin, dass er, der von einer unglaublichen, allumfassenden
Wissbegier beseelt war, dem christlichen Mittelalter die Werke des
Aristoteles zugänglich machte und arabische und jüdische
Wissenschaft nach Europa vermittelte. Er schrieb über viele
unterschiedliche Gebiete, entwickelte aber kein einheitliches und in
sich homogenes philosophisches System. Er unterschied klar zwischen
Theologie und Philosophie und versuchte, aus den Lehren des
Aristoteles und des Neuplatonismus eine Synthese zu erstellen. Auch
führte er als neuen Weg des Denkens ein, Philosophie und sonstige
Studien unabhängig von der Theologie zu betreiben; dass er bezüglich
Astrologie und Wahrsagerei ein Kind seiner Zeit war und Seemannsgarn
oder Jägerlatein allzu leicht auf den Leim ging, gehört ebenso zu
dem Bild, das die Nachwelt von ihm gewann, wie, dass er für
mythische Geschöpfe wie Harpyien oder den Vogel Greif allenfalls ein
müdes Lächeln übrig hatte (Will Durant). Unter anderem betonte er
auch die Geistigkeit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Vor
allem auf dem Gebiet der Zoologie und Botanik galt er als einer der
bedeutendsten Naturforscher seiner Zeit. Nicht nur Bergwerke und
Laboratorien besuchte er und studierte die verschiedenen Metalle,
sondern er untersuchte konkret die Pflanzen- und Tierwelt seiner
Heimat und nahm auch selbst Experimente vor, wenn er sich auch sonst
meist an Aristoteles hielt. Da er die »Natur« sehr genau in
Augenschein nahm, konnte er im sogenannten Universalienstreit eine
mittlere und vermittelnde Position einnehmen. In dieser
Auseinandersetzung ging es um die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt
der Allgemeinbegriffe (Universalien) im Verhältnis zur Realität der
Einzelobjekte. Im Gegensatz zu dem extremen Begriffsrealismus eines
Anselm von Canterbury oder Wilhelm von Champeaux (ca. 1070–1122),
nach dem die Allgemeinbegriffe eine von der des Einzelobjekts
verschiedene Realität in den Ideen haben, aber auch im Gegensatz zu
dem Nominalismus, dem gemäß die Allgemeinbegriffe nur Einzelbegriffe
zusammenfassen und keine eigene Wirklichkeit haben, wie ihn z. B.
Roscelin von Compiègne (ca. 1045 – nach 1120) vertrat, lehrte
Albertus Magnus (und mit ihm in unterschiedlichen Akzentuierungen
sein Schüler Thomas von Aquin sowie Pierre Abälard (1079–1142)),
dass zwar die Allgemeinbegriffe keine eigene Realität, aber eine
Verankerung in der Welt der existierenden Dinge haben. Gott müsse
man in den Naturursachen suchen, er wirke durch sie, aber die
Naturerscheinungen seien nicht gleich dem »Gotteswillen«.So eine
Haltung konnte man einnehmen, wenn man die Realität erforschte.
Albert wurde zum Pionier der Entwicklung der experimentellen
Wissenschaften.
Albertus Magnus starb am 15. November 1280
in Köln; dieser Tag ist auch sein Gedenktag als Heiliger (die
Heiligsprechung erfolgte erst 1622). Seine Gebeine wurden in der
Kirche St. Andreas in Köln beigesetzt, aber 1954 aus einem gotischen
Holzschrein in einen römischen Sarkophag umgebettet. Von ihm gibt es
etliche Darstellungen als einfachen Dominikaner, aber auch als
Bischof mit Stab, Buch und Mitra, dazu auch oft noch mit
Schreibfeder. Vor der Universität Köln wurde ihm 1956 ein
überlebensgroßes Bronzedenkmal aufgestellt. Als im Zusammenhang mit
dem Grundlagenstreit der modernen Mathematik und Logik der alte
Universalienstreit des Mittelalters eine Neubelebung erfuhr, kam
auch Albertus Magnus noch einmal zu neuen Ehren. Allein schon der
Umfang seines Riesenwerkes brachte ihm den Titel »der Große« ein.
Gertrud die Große
(Wikipedia)
Unser Streifzug durch
die »Großen« in der Geschichte des Christentums endet mit einer Frau,
einer Mystikerin, über die man aber in weiter verbreiteten
Darstellungen nicht viel findet. Hier steht immer Hildegard von Bingen
(1098–1179) im Vordergrund, wahrscheinlich zu Recht, weil diese nicht
nur als Visionärin, sondern auch auf anderen Gebieten wie der
Naturwissenschaft und der Heilkunde oder auch durch ihre Kontakte zu
Papst und Kaiser einen hohen Ruf gewann. Aber ihr hat man den Titel
»die Große« nicht verliehen. Gertrud die Große wurde 1256
wahrscheinlich in Thüringen geboren. Schon mit fünf Jahren kam sie ins
Zisterzienserinnenkloster Helfta im heutigen Sachsen-Anhalt, wo sie
von der gebildeten und feinsinnigen Äbtissin Gertrud von Hackeborn
erzogen wurde, die 1251 schon mit 18 Leiterin des Klosters geworden
war und ihm bis zu ihrem Tode 1291 vorstand – sie erhob das Kloster zu
einer der einflussreichsten Stätten der Bildung und des geistlichen
Lebens im damaligen Sachsen bzw. Thüringen, wo viele Töchter des
thüringischen Adels eine Heimat fanden. Die Suche nach der religiösen
Gewissheit führte zum Aufkeimen mystischen Gedankengutes in dem
Kloster. Die Begine Mechthild von Magdeburg (ca. 1207–1282) verbrachte
hier die letzten zwölf Jahre ihres Lebens und verfasste das »fließende
Licht der Gottheit«; Mechthild von Hackeborn (1241–1299), die jüngere
Schwester der Äbtissin, ließ ihre Visionen von anderen Schwestern
niederschreiben; ihre Schriften verbreiteten sich und regten viele
andere zu ähnlichem Leben an. Hier war auch der richtige Ort für die
Entfaltung der Mystik Gertruds, die am 27. Januar 1281 die für sie
entscheidende Heilandsvision erlebte. Erst acht Jahre später begann
sie mit der (lateinischen) Niederschrift ihrer Offenbarungen. Seit
ihrer ersten Vision fühlte sie sich mit Christus in inniger mystischer
Verbundenheit vereinigt; ihre Schriften, die auf die Mystik und
Erbauungsliteratur einen großen Einfluss ausübten, geben einen
geheimnisvollen Einblick in ihr Leben mit dem Heiland; ihre
»Jesusminne« ebnete der liturgischen »Verehrung des Herzens Jesu« den
Weg. Im Zentrum ihrer persönlichen Frömmigkeit stand die Eucharistie
und die Verehrung des Herzens Jesu. Sie starb, genannt Gertrud die
Große, am 13. November 1302 in Helfta, das heute zu Eisleben gehört.
Erst 1678 wurde sie in das römische Heiligenverzeichnis aufgenommen
(ihr Gedenktag ist der 17. November), und daher gibt es Darstellungen
von ihr erst ab dem 17. Jahrhundert: u. a. einen Kupferstich, ein
Altargemälde und eine Statue aus dem Jahr 1759 in Engelszell in
Oberösterreich. Meist wurde sie mit Buch und Kruzifix in ekstatischer
Haltung gezeigt. In Zwiefalten steht eine Altarstatue von 1750; hier
wird sie in Nonnenkleidung mit Abtstab dargestellt, und sie zeigt auf
ihr geöffnetes Herz, in dem ein kleines Jesuskind erscheint. Auf dem
Spruchband in ihrer Hand kann man lesen: »In corde Gertrudis
invenietis me.« Heute ist Gertrud die Große nur noch Eingeweihten
bekannt; in populären deutschen Literaturgeschichten wie die von
Frenzel findet sich zwar Mechthild von Magdeburg, aber nicht Gertrud,
und auch unter den 30 Beispielen für Mystik im Christentum, die Werner
Thiede neuerdings beschrieben hat, ist sie nicht aufgenommen. Zu ihrer
Zeit und in den folgenden Jahrhunderten hat sie aber große Bedeutung
erlangt, und sie gilt heute dank ihrer Schriften als eine der größten
deutschen Mystikerinnen. In der Kathedrale von Palma de Mallorca ist
eine Statue von ihr zu bewundern. Was aber kaum jemandem bekannt oder
bewusst ist: Die Begeisterung für Gertrud war zu Ende des 16. und zu
Beginn des 17. Jahrhunderts in ganz Europa verbreitet und griff auch
auf die neue Welt über. Schon 1609, drei Jahre nach den Nonnen des hl.
Johannes des Evangelisten in der Stadt Lecce in Süditalien, erhielt
die Ordensgemeinschaft von der Unbefleckten Empfängnis der seligen
Jungfrau Maria im Vizekönigreich Mexiko ein Offizium nach Art des
römischen Breviers für St. Gertrud. Auf Bitten des Königs von Spanien
wurde Gertrud die Große zur Patronin von West-Indien, also der Neuen
Welt, erhoben, eine unglaubliche Ehre. Das Volk stimmte voll Freude zu
und feierte in Peru ihre Ernennung mit einem großen Fest. Gertruds
Spuren finden sich noch heute in vielen Kirchen in Lateinamerika, in
Brasilien (Sao Paulo, Rio de Janeiro), Peru, Chile, Mexiko und Kuba.
Deutschland spielte bei der Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier
und Portugiesen kaum eine Rolle, und doch ist es die deutsche
Mystikerin, die die Patronin der katholischen Neuen Welt geworden ist!