Teil I
Unter Altertum versteht man den Zeitraum vom Beginn der
schriftlichen Aufzeichnungen im Alten Orient (um 3000 v. Chr.) bis zum
Ausgang der griechisch-römischen Antike. Als Ende bezeichnet man meist das
Jahr 476 n. Chr., also den Untergang des Weströmischen Reiches. Die Antike
(oder auch klassische Antike) umfasst das griechisch-römische
Altertum, das man mit der frühgriechischen Einwanderung in Hellas im 2.
Jahrtausend v. Chr. beginnen lässt. Das Ende wird unterschiedlich
markiert: 324 n. Chr. – in diesem Jahr begannen die Alleinherrschaft
Konstantins des Großen und der endgültige Siegeszug des Christentums; oder
395 – in diesem Jahr starb Kaiser Theodosius I., ebenfalls tituliert »der
Große«, und mit ihm die Einheit des Römischen Reiches; oder 476 mit dem
Untergang des Weströmischen Reiches. Andere Historiker lassen die Antike
aber noch länger andauern, die einen bis zum Tode Justinians, auch ein
»Großer«, im Jahre 565, andere bis zum Einbruch der Araber im 7.
Jahrhundert.
Wie dem auch sei: Wir sprechen hier vor diesem
uneinheitlichen Hintergrund zunächst von den »alten Zeiten« (Mesopotamien,
Babylonien, China, Ägypten, frühes Persien) und dann von der Antike, wenn
wir uns den griechischen und römischen »Großen« zuwenden.
1. Akkad
Der erste Große der Geschichte: Sargon der Große
Im Assyrischen hieß er Scharganischarri, was so viel heißt wie »der
rechtmäßige König«, aber heute ist er geläufig als Sargon. Er lebte in
grauer Vorzeit im heutigen Irak, in Mesopotamien. Natürlich hat sich von
daher seiner die Sage bemächtigt, und eine Zeit lang glaubte man sogar, es
habe ihn gar nicht gegeben. Seine Herkunft war nämlich alles andere als
königlich. Er stammte aus dem semitisch-nomadischen Milieu des mittleren
Euphrat. Sein Vater ist unbekannt, und seine Mutter war eine Tempeldirne,
die den Neugeborenen in ein mit Pech bestrichenes Korbboot legte und es
den Fluss hinunter treiben ließ. Ähnliches wird ja bekanntlich auch von
dem israelitischen Moses, dem indischen Krischna und dem griechischen
Perseus erzählt. Ein einfacher, armer Mann, vielleicht ein Gärtner,
vielleicht mit dem Namen Akki, vielleicht auch mit dem Namen Laipu, fand
den Säugling und zog das Kind auf. Der intelligente und aufgeweckte Junge,
dessen Führungseigenschaften bald auf ihn aufmerksam machten, gelangte an
den Hof des Königs Ur-Zababa in Kisch, wo er als Hofbeamter und
Mundschenk, vornehmer ausgedrückt: als Kelchträger des Königs fungierte.
Er stieg in dessen Gunst und kam immer mehr zu Einfluss. Durch die Gnade
seiner »Herrin«, der Göttin Istar, gelang es ihm, den König abzusetzen und
selbst den Thron zu besteigen. In der Überlieferung der Babylonier spielte
er eine überragende Rolle. Letzteres und der Mythos um seine Geburt ließen
Historiker an seiner Existenz zweifeln, aber inzwischen haben Zeugnisse
aus der damaligen Zeit »die fast als märchenhaft erscheinenden Großtaten
seiner Regierungszeit«, wie es ein Historiker formulierte, voll bestätigt.
Ein in Susa gefundener Monolith zeigt Sargon, dem der Stolz seiner Macht
und ein majestätischer Bart hohes Ansehen und die entsprechende Würde
verleihen.
Früher ordnete man Sargon zeitlich um 2700 v.
Chr. ein, sogar auf Grund assyrischer Quellen um 3800 v. Chr; inzwischen
geht man davon aus, dass er um 2335 geboren wurde und 2280 starb, nach
anderen Quellen regierte er von etwa 2350 bis 2295; auch die Daten 2371
bis 2316 werden genannt, aber auf die zuerst erwähnte Lebenspanne von etwa
2335 bis 2280 v. Chr. scheint man sich in etwa geeinigt zu haben. Er
gründete ein eigenes Reich, und zwar in Akkad mit der Hauptstadt Agade,
etwa 200 Meilen nordwestlich der sumerischen Stadtstaaten gelegen, und
regierte zunächst einen Streifen Mesopotamiens. Dann aber ging er auf
Eroberungs- und Beutezüge, unterstützt vor allem von seinem Sohn oder
Enkel Naram-sin, von dem auch eine Siegesstele erhalten ist – sie zeigt
ihn an der Spitze seiner Scharen am Fuße eines gewaltigen Berges und
bildet ebenfalls die Symbole des Sonnengottes sowie der Göttin Istar und
wohl auch die Mondsichel ab; sie wurde 1897 in Susa gefunden und ziert
heute den Louvre. Sargon und später noch Naram-sin eroberten die
sumerischen Stadtstaaten und dehnten die Herrschaft von Akkad über
Babylonien und Mesopotamien aus, über die westlichen Gebiete mit Syrien
und Palästina, aber auch über etliche östliche wie Elam, den Südwest-Iran
und das östliche Arabien (Magan), und unterwarfen die Völker in den
Bergländern des Zagros. Im symbolischen Triumph wusch Sargon seine Waffen
im Persischen Golf und nannte sich »König der weltweiten Herrschaft«. Ja,
sogar das Mittelmeer wurde befahren – auf Zypern fand man das Siegel eines
Beamten Naram-sins, aber die angeblichen Feldzüge nach Zentralanatolien
gehören in das Reich der Legende. Sargons Reich soll das erste Großreich
der Geschichte gewesen sein, auf jeden Fall war es das erste weit über die
Grenzen Babyloniens hinausgehende Großreich in Vorderasien, und Sargon und
Naram-sin zählen zu den ganz großen Persönlichkeiten der altorientalischen
Geschichte. Unter beiden nahm die Kunst einen gewaltigen Aufschwung, und
lange Zeit blühte das Reich und waren die Bewohner zufrieden. Aber am Ende
von Sargons Herrschaft brach Aufruhr aus – der Ursachen hat sich ebenfalls
der Mythos angenommen – und nach Naram-sins Tod (2255?) zerfiel das
Großreich – es konnte sich nicht halten. Aber auch wenn Sargon in den
Enzyklopädien nicht als der »Große« erscheint, gilt die Aussage von Will
Durant in seiner Kulturgeschichte der Menschheit: »Die
Historiker nennen ihn ›den Großen‹«. Er heißt auch Sargon I., und ein
assyrischer König, der von 721 bis 705 v. Chr. lebte, war dann Sargon II.
– er gründete die Dynastie der Sargoniden, die das neuassyrische Reich zur
größten Machtentfaltung brachten.
2. China
Halb Mythos, halb Mensch: Yu der Große
Der deutsche Philosoph Leibniz bescheinigte der chinesischen Kultur einen
hohen Rang und stellte sie, bei eigentümlichen Vorteilen und Schwächen,
der europäischen als gleichwertig gegenüber. »Durch eine einzigartige
Fügung des Schicksals …«, schrieb er, »ist es geschehen, daß die höchsten
Kulturgüter des menschlichen Geschlechts heute gewissermaßen an den beiden
äußersten Enden unseres Kontinents zusammengebracht sind, das heißt in
Europa und China, das gleichsam als östliches Europa den entgegengesetzten
Rand der Erde schmückt.« Tatsächlich war das »Reich der Mitte«, wie sich
China selbst bezeichnete, den Europäern Jahrhunderte lang mit wichtigen
Errungenschaften, vor allem technischer Art, voraus.
Reisanbau und befestigte Siedlungen sind in China schon im 3. und Anfang
des 2. Jahrtausends v.Chr. nachweisbar, aber die Wurzeln der Besiedlung
reichen noch viel weiter zurück, ins 6. bis 4. Jahrtausend. Die
Zivilisation des Landes und die Gründung des ersten Reiches gehen nach
chinesischer Tradition auf weise Urkaiser zurück. Der Mythos hat sich
ihrer schon früh angenommen, und einer von ihnen erhielt den Titel »der
Große«. Vor ihnen hatten schon Kulturheroen die wichtigsten Kulturgüter
gebracht: Feuer, Ackerbau, Jagd, Fischfang, Heilkräuter, Hochzeitsrituale
und das erste Saiteninstrument. Damals waren die Grenzen zwischen Himmel
und Erde noch verwischt, und die Kulturheroen wechselten zwischen beiden
Bereichen hin und her. Erst nach dem ›Gelben Kaiser‹, Huangdi, der neben
den gekochten Speisen die erste geordnete Regierung brachte, zusammen mit
Schrift, Rechenkunst, Kalender, musikalischen Noten und der Kunst des
Wahrsagens, unter Zhuan Xu, trennten sich Himmel und Erde. Nun folgten die
»Drei weisen Herrscher der Urzeit«: Yao, der den Palastbau brachte, Shun,
der die Keramik einführte, und Yu, der Erfinder des Wasserbaus, der die
Flüsse regulierte. Yao hatte nicht seinen eigenen Sohn zum Nachfolger
bestimmt, sondern den nicht mit ihm blutsverwandten Shun, weil er ihn für
den Fähigsten hielt, und so handelte auch Shun mit Yu. Später wurde dieser
Mythos in der chinesischen Philosophie immer wieder zum Vorbild für
Ermahnungen an den chinesischen Beamtenstaat herangezogen, dass nur die
Geeignetsten Beamte werden sollten, unabhängig von ihrer Herkunft. Die
Wirklichkeit sah natürlich wie überall anders aus …
Yu, der Große (Ma Lin – National Palace Museum, Taipei, Wikipedia)
Der ursprüngliche Mythos sah in Yu einen Drachen bzw. eine Gestalt halb
Drache, halb Mensch; sein Vater Gun war vom Himmel herab gesandt worden,
um eine sintflutartige Flut einzudämmen – also auch hier die Sage von der
Sintflut, wie sie sich bei vielen Völkern findet. Im Lauf der Zeit
verwandelte sich Yu im Mythos dann in einen Menschen, den Kaiser Shun mit
der Bändigung der Flut beauftragte. Damals, vor 2200 v. Chr., war Yu
Erster Minister des Kaisers. Mit unglaublichem Aufwand kämpfte er gegen
die Flut, 13 Jahre lang, baute Dämme und Befestigungen, durchbrach neun
Berge, bildete neun Seen und regulierte am Ende neun Flüsse, womit er das
von den Fluten hervorgerufene Chaos beendete. Mittels der Anlegung
künstlicher Kanäle gelang es ihm, die Flüsse ins Meer zu leiten. Der
Mythos sprach ihm übermenschliche Kräfte, Tapferkeit und Tugend zu. Am
Ende waren seine Füße schwielig, seine Haut schwarz von der Sonne, seine
Hände wund, und er magerte so stark ab, dass er »dünn wie ein Haken«
wurde. Aber er schaffte es, auch wenn sein Volk spottete, wenn es nach ihm
ginge, »müssten wir alle Fische sein«. Fünfzehn Jahre diente der
großartige Ingenieur als erster Diener Shuns; dieser setzte ihn
schließlich neben sich auf den Thron und dankte dann sogar ab, um damit
seine Leistungen zu würdigen, und Yu wurde sein Nachfolger. Er soll von
2205 bis 2197 v. Chr. regiert haben. Er teilte das Land in neun Regionen –
die Zahl neun spielte bei den von ihm überlieferten Taten die Hauptrolle –
und mit ihm und seinen zwei Vorgängern entstanden staatstheoretische
Ideen, die die Nachwelt entscheidend beeinflussten. Eine lustige Anekdote
erzählt man sich von Yu, der als der Gründer des Chinesischen Reiches
gilt: In seiner Zeit wurde in China der Reiswein entdeckt, und natürlich
brachte man ihn dem Kaiser dar. Dieser warf das Gefäß zu Boden und rief
aus: »Der Tag wird kommen, an dem daran ein Königreich zugrunde gehen
wird!« Er verbannte den Entdecker und verbot den Genuss des neuen
Getränkes. Die Folge war, dass die Chinesen den Reiswein zum nationalen
Getränke erhoben, natürlich nur zur Belehrung der Nachwelt. Yu hob das
Prinzip auf, dass nur der Geeignetste und Fähigste Nachfolger des Kaisers
werden sollte. Damit gründete er die erste kaiserliche Dynastie, die
legendäre Xia- oder Hsia-Dynastie, die sich angeblich bis 1766 v. Chr.
hielt, aber archäologisch nicht bezeugt ist. Ihr folgte die
Shang-Dynastie, die auch noch im Nebelhaften der Sage verschwindet, aber
aus der schon archäologische und schriftliche Zeugnisse rühren. Yu verlieh
die Nachwelt den Titel »der Große«; er hat ihn ob seiner Leistungen für
sein Volk wahrhaftig verdient; begraben soll er in der Nähe des heutigen
Shaoxing in der Provinz Zhejiang sein. Jeder spätere chinesische Kaiser
galt als die Inkarnation des Drachen und saß auf dem Drachenthron, da Yu
ursprünglich ein Drache gewesen sein soll …
China war Europa über viele Jahrhunderte hinweg
weit voraus. Es brachte noch zahlreiche hervorragende Herrscher (und
ebenso viele Nieten) hervor, aber keiner erhielt mehr den Titel »der
Große«. Mit dem Auftreten der Europäer begann der Niedergang des
konservativ-verkrusteten Reiches, und alle Reformversuche scheiterten, bis
im 20. Jahrhundert die große Wende kam (Revolution 1912) und schließlich
die Kommunisten die Macht eroberten (1949). Heute schickt sich China an,
der europäischen Welt in Wirtschaft und Politik ernste Konkurrenz zu
werden, die Vereinigten Staaten sind bei dem Land verschuldet …
3. Ägypten
Die Ansiedlung von Menschen im Nil-Tal reicht bis 500 000 Jahre zurück;
aus dem Mittelpaläolithikum aus der Zeit von 50 000 bis 24 000 v. Chr. und
vor allem dem sich daran anschließenden Jungpaläolithikum sind zahlreiche
Funde verschiedener regionaler Kulturgruppen gemacht worden, die speziell
beim Bau des Assuan-Staudammes zu Tage gefördert wurden. Den Beginn der
geschichtlichen Zeit setzt man auf etwa das Jahr 3200 v. Chr.; auf die
damals noch vorherrschende Negade-III-Kultur mit ihren regionalen Königen
folgte die sogenannte 0. Dynastie um 3150; in dieser Zeit – bis etwa 3000
– einigte Narmer Ägypten zu einem Staatswesen; in späterer Zeit – um 2900
– wird der legendäre Herrscher Menes (Aha), der schon der 1. Dynastie (ca.
2950–2775) angehört, als Reichseiniger und Gründer von Memphis genannt und
manchmal mit Narmer gleichgesetzt. Mit der Zusammenschließung Ägyptens
entstand auch die Hieroglyphenschrift und begann sich die Kultur zu
entwickeln. Ohne den Nil mit seinen Fruchtbarkeit bringenden
Überschwemmungen, dessen Ufergebiete sich als grüne Oase inmitten der
Wüste durch Ägypten ziehen, wäre es niemals zur Hochblüte des ägyptischen
Reiches gekommen. Das Alte Reich (ca. 2650–2125 v. Chr.) begann mit der 3.
Dynastie, die bis etwa 2575 herrschte; ihr erster Pharao Djoser ließ
bereits die Stufenpyramide Sakkara errichten, den wohl ersten monumentalen
Steinbau der Welt, aber die große Zeit der ägyptischen Geschichte begann
mit der 4. Dynastie (ca. 2575–2450 v. Chr.) – die Pharaos Cheops, Chephren
und Mykerinos errichteten die drei bis heute erhaltenen Pyramiden von
Giseh. Damals war der Pharao schon unbeschränkter Herrscher eines straff
organisierten Beamtenstaates, bald der »Sohn« des Sonnengottes, und in der
5. Dynastie (ca. 2450–2325) wurden ihm große Sonnenheiligtümer errichtet.
Es folgten weitere Dynastien, die von Aufschwung und Niedergang
gekennzeichnet waren. Nach einer Ersten Zwischenzeit folgte von 2010 bis
1630 v. Chr. das Mittlere Reich und nach einer Zweiten Zwischenzeit von
etwa 1539 bis 1069 v. Chr. das Neue Reich. Hier stoßen wir nun auf
Hatschepsut die Große.
Stars der ägyptischen Geschichte: Hatschepsut, Ramses und Nitokris
die Großen
Offiziell wird die Pharaonin Hatschepsut nicht »die Große« betitelt, aber
Jacq nennt sie einen »der Stars der ägyptischen Geschichte«; sie selbst
trug u.a. die Namen »Gebieterin aller Länder« oder auch »Die Amun umfängt,
die erste der Ehrwürdigen«, eben Hatschepsut. Sie wurde mit der Göttin
Hathor der Großen, wie sie genannt wurde, gleichgesetzt, wodurch auch ihr
indirekt der Titel »die Große« gegeben wurde. Sicherlich wird sich die
Bezeichnung mit der Zeit durchsetzen. Schon 2003 erschien eine
Filmdokumentation der Regisseure Michael Gregor und Wolfram Giese »Die
Königinnen vom Nil – Teil I: Hatschepsut die Grosse«. Und so kann sie
getrost in diesem Rahmen mit behandelt werden.
Hatschepsut (Wikipedia)
Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts weiß man überhaupt von Hatschepsuts
Existenz, als die Ausgrabungen ihres Tempels bei Luxor Erstaunliches ans
Licht brachten. Inzwischen ist man über ihre Biografie recht gut
unterrichtet, wenn auch alle genannten Jahreszahlen je nach Quelle sehr
variieren. Sie war die Tochter von Thutmosis I. (reg. ca. 1504–1492 v.
Chr.) und wurde um 1498 v. Chr. geboren; ihr Vater konsolidierte die Macht
im Reich, ging auf Eroberungszüge, die u.a. Syrien tributpflichtig machten
und ihm großen Ruhm brachten, und machte sie zur Mitregentin. Nach seinem
Tod gelangte Thutmosis II., Sohn des Thutmosis I. und einer Nebengemahlin,
auf den Thron, aber nur deshalb, weil er seine Halbschwester Hatschepsut
heiratete. Er starb schon nach drei Jahren, und nun wurde Thutmosis III.
(1479–1425 v. Chr.), der ebenfalls von einer Nebenfrau seines Vaters
abstammte, Pharao – Hatschepsut hatte ihrem Gemahl »nur« eine Tochter,
Nefrure, geschenkt. Aber er war erst zwei oder drei Jahre alt, und so
übernahm Hatschepsut die Herrschaft für ihn. Allerdings – schon im 2. Jahr
ihrer Regentschaft genügte ihr diese Rolle nicht mehr, und als das Orakel
des Gottes Amun des Tempels von Luxor ihr »prophezeite«, dass sie in
Zukunft herrschen werde, war der Boden bereitet. Nun musste man noch eine
Biografie für sie ersinnen, da gemäß der heiligen Tradition jeder
ägyptische König ein Sohn des großen Gottes Amun war. Das war nicht
schwer: Amun besuchte demnach ihre Mutter Ah-mose in der Gestalt von
Thutmosis I. und zeugte mit ihr die damit halbgöttliche Hatschepsut. Im 7.
Jahr der Regentschaft von Thutmosis III., also erst 5 Jahre nach dem
Orakel, ließ sie sich dann zum Pharao krönen. Wie es ein Historiker
formulierte, erwies sie sich in allem, außer ihrem Geschlecht, als ein
König. Sie wurde eine der erfolgreichsten Pharaos in der Geschichte
Ägyptens. Sie sorgte für inneren und äußeren Frieden, ohne Tyrannei, und
zeigte sich dem Volk gegenüber sehr wohltätig, also tat alles, was den
Titel »die Große« verdiente. Ihre Regierungszeit gehörte trotz einiger
Strafexpeditionen, die sie teilweise selber anführte, zu den friedlichsten
Epochen der ägyptischen Geschichte. Berühmt war die von ihr ins legendäre
Weihrauchland Punt (wahrscheinlich an der somalischen Westküste) entsandte
Expedition aus fünf Schiffen, mit der sie ihrem Volk und ihren Priestern
sowie dem Hof zahlreiche Kostbarkeiten zuführte und ihren Kaufleuten neue
und große Absatzmärkte verschaffte. Auch als Baumeisterin zeichnete sie
sich aus. Der Tempel von Karnak wurde durch sie u. a. mit zwei Obelisken
verschönert. Berühmt und heute gern besichtigt ist ihr Totentempel im
Talkessel von Deir el-Bahari, den schon ihr Vater entworfen hatte und wo
vor ein paar Jahren Touristen von ägyptischen Terroristen überfallen und
großteils ermordet wurden. Überwiegend aus weißem Kalkstein gebaut, nahm
er drei breite Terrassenstufen ein, die zu einem zentralen Heiligtum
emporführten – ein unglaublicher Anblick, dessen Eindruck man sich auch
heute nicht entziehen kann – um wie vieles mehr muss es ihre Zeitgenossen
beeindruckt haben. Sicher war es nicht nur ein architektonisches
Meisterwerk, sondern auch eines der schönsten Bauwerke der antiken Welt.
Mehr als 200 Statuen der Königin fand man hier. Ihr Grab allerdings
richtete sie nicht hier ein, sondern im »Tal der Könige«, wie es später
genannt wurde. Ihre Nachfolger taten es ihr nach.
Hatschepsut ließ sich auf vielen Denkmälern als
bärtigen Krieger mit einer Männerbrust darstellen, und auch in der
Öffentlichkeit zeigte sie sich in männlicher Kleidung und mit einem Bart,
wahrscheinlich, um dem Zeremoniell korrekt zu entsprechen. Sie machte
Thutmosis III. zum Mitregenten und ließ ihn Zeremonien durchführen;
keinesfalls stimmt die Mär, sie habe ihn völlig ausgeschaltet. Ihre
Tochter, die sie wohl als Nachfolgerin auserkoren hatte und die eine sehr
sorgfältige Erziehung genoss, starb offenbar sehr früh. Nach 22 Jahren
Herrschaft schied Hatschepsut 1457 v. Chr. aus dem Leben. Ihr Nachfolger,
Thutmosis III., ließ erst am Ende seiner Regentschaft, nach 20 Jahren,
Spuren von ihr von den Denkmälern vertilgen – aus den offiziellen
Königslisten war sie schon früher gestrichen worden – aber auch längst
nicht alle, und dies geschah sicher nicht aus Hass oder Rache, sondern
wohl, um seine Regentschaft mit der Herrschaft von Thutmosis I. und II. zu
verbinden. Dabei war Hatschepsut keineswegs die einzige ägyptische
Pharaonin; vor und nach ihr gab es Königinnen, die letzte war Kleopatra,
aber Hatschepsut war die »große Herrscherin«, wie ein Historiker sie
bezeichnete. Manchmal wird sie für das Vorbild der legendären Königin von
Saba gehalten.
Im Übrigen gab es in der Geschichte nur einen Staat, in dem die Frauen
tatsächlich gleichberechtigt waren, und das war Ägypten. Die Frauen
genossen völlige Freizügigkeit und Selbstständigkeit, die
Gleichberechtigung der Geschlechter war ein Grundwert der pharaonischen
Gesellschaft bis zum Untergang des Reiches. Nicht nur hiervon könnten wir
noch heute viel von Ägypten lernen.
Ein weiterer Star der ägyptischen Geschichte war Ramses II., aber ihm
ergeht es so wie Hatschepsut. Obwohl er in aller Munde als Ramses der
Große tituliert wird, findet man ihn unter dieser Bezeichnung in keiner
aktuellen Enzyklopädie, jedoch im Internet und in etlichen Fachbüchern –
Philipp Vandenberg oder jüngst Manfred Clauss bzw. Joachim Willeitner
haben ihre Werke so genannt. Und gemessen an seiner glänzenden
Regierungszeit hat er den Titel mehr als viele, die ihn später erhielten,
wahrhaft verdient.
Ramses II. gehörte der 19. Dynastie (ca.
1292–1190 v. Chr.) an. Er gilt als der letzte der großen Pharaonen, als
romantisch, schön, ja bezaubernd und mutig, ein großer Kriegsherr. Als er
1279 v. Chr. an die Macht kam, war er schon über 20 Jahre alt. Er
hinterließ gewaltige Spuren in der Geschichte, weniger wegen der großen
Anzahl Kinder, die er zeugte – es sollen hundert Söhne und fünfzig Töchter
gewesen sein, und seine Nachkommenschaft war so zahlreich, dass sie sogar
eine eigene Klasse in Ägypten bildete, aus der man immer wieder die
Herrscher wählte, und das angeblich über hundert Jahre lang – sondern vor
allem wegen der langen Friedenszeit, die er dem Reich bescherte, dem
Aufschwung von Kultur, Handel und Wirtschaft, und den vielen
Baudenkmälern, die noch in unserer Zeit zu bewundern sind. Er erweiterte
den Tempel von Luxor; unter seiner Regentschaft wurde die Haupthalle des
Tempels von Karnak fertig gestellt; auf der Westseite des Nils entstand
das mächtige Ramesseum, er vollendete den einzigartigen Tempel von Abu
Simbel, in unseren Zeiten ein beliebtes Ziel für Touristen, wenn man auch
nur in großen Fahrzeugkolonnen und unter Bewachung dahin gelangt. Überall
im Lande entstanden große Denkmäler und Kolosse, die ihn zeigten. Es
heißt, dass etwa die Hälfte aller Bauwerke, die wir heutzutage in Ägypten
bewundern können, aus seiner Zeit stammen. Unter ihm wurden die Priester
unermesslich reich; damit ebnete er allerdings der Einführung der
Theokratie den Weg, wie es am Ende der Dynastie geschah.
Ramses II. (Wikipedia)
Ohne in Kämpfe mit den Nachbarn verstrickt zu werden, konnte auch Ramses
nicht regieren. Zwar herrschte Ägypten über Libyen im Westen und
Phoinikien, Syrien und Palästina im Norden und Osten, aber nun gerieten
Assyrien, Babylonien und Persien in Bewegung. Und vor allem die Hethiter
waren eine ernste Bedrohung. Im 5. Jahr seiner Regierung plante Ramses,
die strategisch bedeutende Stadt Kadesch zurück zu gewinnen, die sein
Vater Sethos I. (reg. ca. 1290–1279 v. Chr.) erobert hatte, die aber
später wieder in die Hand der Hethiter geraten war. Mit 20.000 Mann in
vier Divisionen zog Ramses los. Ihm entgegen zog der Hethiterkönig
Muwatalli II. mit 40.000 Mann. Kaum eine Schlacht der Antike ist in den
einzelnen Abläufen so bekannt wie die Schlacht von Kadesch 1275 v. Chr.,
die in einer Niederlage für Ramses endete. Sie führte zur Empörung der
südlichen syrischen Städte gegen Ägypten, und Ramses musste erneut in den
Krieg ziehen, diesmal erfolgreich. Durch Thronwirren war das Hethiterreich
geschwächt. So vereinbarten beide Reiche nach langem Hin und Her, ihre
Feindseligkeiten zu beenden und in Zukunft auf friedlichem Wege
miteinander zu verkehren. Der Vertrag, der nun am 21. November 1259 v.
Chr. zustande kam – im Hethiterreich regierte schon ein neuer König,
Hattusili III. –, ist der erste uns bekannte Staatsvertrag zwischen zwei
Großmächten in der Geschichte überhaupt. Er war revolutionär und hatte bis
zum Ende des Hethiterreiches Bestand. Unter den vielen seiner Bestimmungen
ist diejenige hervorzuheben, nach der politische Flüchtlinge in ihr
Heimatland zurückkehren konnten, ohne dort Verfolgung befürchten zu müssen
– viele Asylanten würden sich heutzutage solch eine Regelung wünschen.
Ramses heiratete auch eine Tochter des Hethiterkönigs als »Große
königliche Gemahlin«, und eine weitere Prinzessin wurde eine seiner
Nebengemahlinnen.
Viele weitere große Leistungen von Ramses dem
Großen wären zu erwähnen, wie der Bau der wichtigen Stadt Piramesse, die
später Residenzstadt wurde, im östlichen Delta, fast an der Nordost-Grenze
des Reiches. Der Vertrag mit den Hethitern, der noch heute Bewunderung
findet, und seine glanzvollen Bauwerke machen ihn unsterblich. Er starb im
August 1213 schwer krank, nach über 66 Jahren Regierungszeit, fast
neunzigjährig. »Mit seinem Tod endete eine glanzvolle und friedliche
Epoche Ägyptens. Kein Pharao vorher oder nachher hat sein Zeitalter so
geprägt wie er«, urteilte der Historiker Schlögl. Die Behauptung, er sei
der Pharao, unter dem der Auszug der Israaeliten aus Ägypten erfolgte,
gehört schon lange ins Reich der Legende.
In der 26., sogenannten saïtischen Dynastie (664 – 525 v. Chr.), also
schon in der Spätzeit – das ägyptische Reich war schon lange nicht mehr
das, was es dereinst gewesen war – erhielt noch einmal ein »Star der
ägyptischen Geschichte« den Titel »die Große«, eine sogenannte
»Gottesanbeterin«. Sie war keine Königin, aber hatte doch eine wichtige
Funktion inne. Von etwa 1000 bis 525 v. Chr., also bis die Perser in
Ägypten einfielen, regierten Priesterinnen die heilige Kultstadt Theben in
Oberägypten in geistiger und weltlicher Hinsicht. Sie waren vom Pharao
dazu ausdrücklich ermächtigt. Eingeweiht in die Mysterien des Amun, wurden
sie »Gottesanbeterinnen« genannt.
Nitokris I., »genannt ›die Große‹« (Jacq), war
die Tochter des Pharao Psammetich I. (reg. 664–610 v. Chr.); sie verließ
655 Saïs im Delta und brach nach Theben auf. Die Saïten orientierten sich
am Alten Reich und versuchten, die alten Wertvorstellungen eines
vermeintlichen Goldenen Zeitalters wieder einzuführen. Das ist vielleicht
der Grund, warum die Tochter des Pharao den Namen einer früheren Pharaonin
annahm: Diese Nitokris lebte in der 6. Dynastie (ca. 2325–2175 v. Chr.)
und ist offiziell als erste Pharaonin der ägyptischen Geschichte
anerkannt. Sie regierte von 2184 ab rund zwei Jahre; andere Forscher
nehmen zwischen sechs und zwölf Jahren Regierungszeit an. Von ihr gibt es
leider kein archäologisches Dokument, aber ihr Name findet sich in einer
offiziellen, von Ägyptern verfassten Königsliste. Unsere Nitokris
erreichte nach 16 Tagen Theben und erhielt von ihrer Vorgängerin in einer
formellen Geste alles, was diese besaß. Nach Zeiten der Wirren
versinnbildlichte ihr Amtsantritt die Vereinigung von Ober- und
Unter-Ägypten und damit ein neues starkes Reich. Sie war die zehnte
Gottesanbeterin und ließ den Palast der Gottesanbeterinnen restaurieren,
vor allem die Altäre, die Fußböden und die Küche. Zu ihrer Domäne gehörten
900 ha, die in vier Gauen Unter- und neun Gauen Ober-Ägyptens lagen.
Überliefert ist, dass sie und ihre Leute täglich mit 190 Kilo Brot, 6
Litern Wein, dazu mit Milch, Gemüse, Kuchen, Korn und Kräutern versorgt
wurden; pro Monat erhielten sie drei Ochsen, fünf Gänse, zwanzig Krug Bier
und andere Nahrungsmittel. Nikrotis die Große ist auf einer knapp einen
Meter hohen Statue der Göttin Thoëris mit abgebildet und verschmilzt dabei
mit der Göttin quasi zu einer untrennbaren Einheit. 594 adoptierte sie
ihre künftige Nachfolgerin als Tochter, regierte mit ihr noch neun Jahre
und starb nach einem reichen Lebenswerk 585 v. Chr. Sechzig Jahre später
eroberten die Perser Ägypten.
4. Persien
Humane Eroberer: Kyros und Dareios die Großen
Nun treffen wir eine königliche Gestalt, die immer noch vom Mythos
verschleiert, aber dennoch schon greifbar ist, und sie trägt auch in den
aktuellen Nachschlagewerken den Titel »der Große«. Im 2. Jahrtausend v.
Chr. wanderten indogermanische Stämme in den heutigen Iran ein. Dieser
Name tauchte allerdings erst im 3. Jahrhundert n. Chr. auf: In der
mittelpersischen Sprache Eran-schahr: Land der Arier. In der Antike
verstand man dagegen alle Landschaften darunter, in denen die Iranier
siedelten, also nicht nur das moderne Staatsgebiet Iran. Von den
iranischen Völkern bewohnten die Meder seit dem späten 9. vorchristlichen
Jahrhundert das Zagros-Gebiet und die angrenzenden Landschaften. Im 7.
Jahrhundert sind die Perser in dem offenbar nach ihnen benannten Gebiet
Parsa (eigentliches Persien, heute Fars) nachgewiesen. Weitere iranische
Stämme lebten im gesamten heutigen Gebiet des Iran und den nördlich
angrenzenden Räumen, aber auch im jetzigen Afghanistan; im Norden finden
wir seit dem ersten Jahrhundert v.Chr. vor allem die Saken und Sarmaten
und im Osten die Parther, Bakterer und Sogdier.
Schon im 4. vorchristlichen Jahrtausend war im
heutigen Khusistan eine Hochkultur entstanden; sie war bereits städtisch
und in den folgenden zwei Jahrtausenden stark von der mesopotamischen
Kultur geprägt (Elam). Ende des 7. Jahrhunderts wurde ein medisches
Großreich mit dem Mittelpunkt Ekbatana, dem heutigen Hamadan, gegründet,
das sich infolge der Vernichtung des Assyrerreiches durch die Meder noch
vergrößerte. Aber auch die Mederherrschaft wurde zerstört: durch Kyros den
Großen, der früher auch unter dem Namen Kurusch bekannt war. Er entstammte
dem Geschlecht der Teispiden und war schon der zweite König mit diesem
Namen. Geboren wurde er wohl um 600 v. Chr., gekrönt 559, damals
vielleicht noch ein Lehnsmann des Mederherrschers Astyages (der wohl sein
Großvater war; Meder und Perser waren eng mit einander verwandt) – ihn
stürzte er 550 mit Hilfe der Perser und medischen Verschwörern sowie den
Babyloniern als Bundesgenossen. Aber er unterjochte die Meder nicht,
sondern fügte sein Volk mit dem der Meder zu einer Einheit zusammen;
persischer und medischer Adel blieben gleich berechtigt; aus dem medischen
und persischen Kriegsvolk schmiedete er eine Armee, die unbesiegbar wurde.
Mit ihr eroberte er, nachdem er sich bereits einige kleinasiatische Reiche
unterworfen hatte, Lydien mit seinem berühmten Herrscher Krösus (546), der
seit ca. 560 an der Macht war und die ersten Goldmünzen in der Geschichte
prägen ließ (sein Reichtum ist noch heute sprichwörtlich), dem er aber
nicht nur das Leben rettete, sondern den er auch zu seinem Ratgeber
machte. Im selben Jahr fielen auch Sardes und später Babylonien. Nun
gehörten außer Assyrien und Babylon auch Lydien und das gesamte Kleinasien
zu seinem Reich, das im Westen bis zur Ägäis reichte. Im Osten erweiterte
er es bis zum Süden und Norden des Hindukusch (545 bis 540), bis zu den
Gebieten der dort lebenden Nomaden, die er befriedete. Er begründete die
Dynastie der Achaimeniden, die in den Generationen nach ihm noch sehr
bedeutend wurde. Seine Hauptstädte wurden Schuschan (Susa) und Ekbatana,
aber am liebsten hielt er sich in Pasargadae in seiner Heimat Persien auf,
wo er herrliche Paläste inmitten großartiger Parkanlagen erbauen ließ. Das
persische Weltreich wurde von Historikern als die größte politische
Organisation des vorrömischen Altertums und eines der best regierten
Reiche der Geschichte überhaupt angesehen.
Und was war Kyros für ein Mensch? Der
amerikanische Dichter Ralph Waldo Emerson (1803–1882) sagte von ihm, er
sei einer jener Herrscher von Geburt, bei deren Krönung sich alle Menschen
freuten. Er war ein Eroberer, aber auch befähigt zu weiser Verwaltung,
»königlich in Geist und Handeln«, gegenüber den Besiegten milde und
großmütig und selbst bei seinen Feinden beliebt und geachtet – diese
kämpften gegen ihn weniger verzweifelt, weil sie wussten, dass er sie
edelmütig behandeln würde. Er achtete auch ihre Kulte und Religionen,
gewährte ihnen vollständige Glaubens- und Religionsfreiheit und trug zur
Erhaltung der Andersgläubigen bei – keine Stadt und kein Tempel wurde
eingeäschert, und er brachte den fremden Gottheiten Opfer dar, was ihn
selbst mit den Babyloniern aussöhnte. Die Griechen betrachteten ihn als
größten Helden vor Alexander dem Großen, aber schmückten sein Leben mit so
vielen Geschichten aus, dass von ihm selbst, abgesehen von den objektiv
nachweisbaren Taten, nur eine Sagengestalt geblieben ist – und die
Tatsache, dass er von den Persern in ihrer Kunst als Vorbild für
Körperschönheit genommen wurde. Auf der Höhe seines Ruhmes fiel er 530 v.
Chr. in einem Kampf gegen die Massageten, die am Südufer des Kaspischen
Meeres wohnten und Einfälle in das Persische Reich gewagt hatten – ein im
Grunde unbedeutender Stamm, der einem so großen Herrscher das Ende
bereitete. – Kyros wird auch noch aus einem anderen Grund die Geschichte
überdauern: er befreite die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft
(539) und ließ sie in ihre Heimat zurückkehren, mitsamt ihrem Gold und
Silber aus Salomos Tempel, sowie Jerusalem wieder aufbauen, aus heutiger
Sicht eine seiner größten Taten …
Noch ein zweiter persischer Herrscher erhielt den Titel »der Große«. Nur
Experten würden allerdings heute noch Dareios I. den Großen kennen, wenn
er nicht die berühmte Schlacht von Marathon gegen die Griechen verloren
hätte.
Dareios I. war ein Perser und mit der Tochter
Atossa von Kyros dem Großen verheiratet. Zu seiner Zeit war die
griechische Welt schon recht ausgedehnt, aber davon später …
Dareios I. gilt Historikern als größter und
bedeutendster Herrscher des Persischen Reiches.
Geboren wurde er um 550 v. Chr. als Sohn des
Hystapes, des Satrapen von Parthien. Als der Sohn des Kyros, Kambyses, als
neuer Herrscher Persiens auszog, Ägypten zu erobern, war Dareios mit
dabei, doch er kehrte schnell zurück, als Kambyses, ein übler Kerl, der
keine der Tugenden seines Vaters geerbt hatte, im Angesicht einer Revolte
gegen ihn Selbstmord beging. Ein Usurpator namens Gautama, der sich für
Smerdis, den Bruder des Kambyses ausgab – Kambyses hatte den echten
Smerdis, also seinen Bruder, ermorden lassen – setzte sich auf den Thron,
aber er war nicht besser als Kambyses und wurde bald von sieben Adligen
gestürzt, die dann Dareios, der einer von ihnen gewesen war, auf den Thron
setzten. Das alles geschah im Jahr 522 v. Chr., aber in dieser Phase der
Unsicherheit nutzten viele Völker die Gunst der Stunde, um zu rebellieren
und sich gegen die fremde Herrschaft zu erheben. Nicht nur Ägypten und
Lydien, sondern auch u. a. Babylon, Susiana, Assyrien und Armenien, und
selbst Medien und Parsa verweigerten Dareios die Gefolgschaft. Dareios
schlug in zwei Jahren alle Aufstände mit großer Härte nieder, Ägypten
eroberte er ebenfalls zurück – wir kennen die Zeit seines Durchzuges durch
Palästina 518 bis 519 aus der Bibel, die große Zeit der Propheten Haggai
und Sacharja. Babylon musste er lange belagern, und nach seinem
schließlichen Sieg ließ er 3000 führende Bürger zu Abschreckung kreuzigen.
Doch er merkte nun, dass so ein riesiges Reich jederzeit für Krisen
anfällig sein würde und zu zerfallen drohte, dass sein Zusammenhalt und
Erhalt nur über eine tüchtige Verwaltung möglich sein würden, und so wurde
er mit den Worten eines Historikers »einer der einsichtsvollsten
Reichsverwalter der Geschichte«. Bis zum Ende des Römischen Reiches war
der von ihm geschaffene Staatsaufbau für andere Reiche beispielhaft. Er
teilte das Land in 20 (später 28) Satrapien, also Statthalterschaften, ein
und gab auf der Grundlage des Gesetzbuches des babylonischen Königs
Hammurabi (reg. 1792–1750 oder 1728–1686 v. Chr. je nach »mittlerer« oder
»kurzer« babylonischer Chronologie) ein eigenes heraus, das ihm den Titel
»Großer Gesetzgeber« einbrachte und noch von Plato gelobt wurde. Die
Anwendung wurde so stringent vorgenommen, dass selbst die Juden
anerkannten, dass dieses Gesetz unwandelbar und unabänderlich war. Für
mehr als zwei Jahrhunderte regierten Dareios’ Nachfolger gemäß diesem
Kodex, und Dareios sicherte seinem Reich damit für längere Zeit Ordnung
und Gedeihen.
Dareios hatte im Jahr 513 das Reich bis zum Indus
im Osten und nach Thrakien und Mazedonien im Westen ausgedehnt. Im Norden
drangen seine Truppen nach Süd-Russland und über den Bosporos und die
Donau bis zur Wolga vor, um die marodierenden Skythen zu befrieden, eine
Expedition, die fast in einem Debakel geendet hätte. In Ägypten eröffnete
er den Kanal neu, der den Nil und das Rote Meer verband, womit er die
Möglichkeit eines Schiffsverkehrs zwischen Ionien und Parsa ermöglichte.
Er war auch als Baumeister bedeutend und ließ neue Stadtstrukturen und
Gebäude in Susa, Ekbatana und Babylon schaffen; seine neue Hauptstadt
wurde Persepolis in Parsa, wo bewundernswerte Paläste entstanden.
Ernst wurde es während seiner Regierungszeit
wieder, als sich im Jahr 500 ionische Städte gegen ihn erhoben. Zwar wurde
der Aufstand schon drei Jahre später niedergeschlagen, doch Dareios
beschloss, eine Strafexpedition gegen Athen zu unternehmen, weil die Stadt
gewagt hatte, die ionische Sache tatkräftig zu unterstützen. Aber
vielleicht war das nur die halbe Wahrheit, vielleicht ging es ihm vor
allem um eine weitere Ausdehnung der Macht und ganz sicher nicht um die
Unterstützung der Demokratie, die in Athen Fuß gefasst hatte, wie er zum
Erstaunen der griechischen Historiker verkünden ließ. Was nun geschah, ist
bekannt: Die Hälfte der riesigen persischen Flotte und 20.000 Mann wurden
am Berg Athos vernichtet (492), und die Truppen, die über Land zogen,
wurden abgeschnitten und waren so spät dran, dass sie umkehren mussten.
Erst der zweite Vorstoß der Perser 490 begann erfolgreich; die Stadt
Eretria auf der Insel Euböa wurde erobert und zerstört, was ganz im
Widerspruch zur bisherigen persischen Politik stand. Aber dadurch war der
Verteidigungswille der Athener so entflammt, dass sie die persische Armee
bei Marathon besiegten und zum Rückzug zwangen – der Marathon-Lauf
erinnert noch heute an die Überbringung der Siegesnachricht vom
Schlachtfeld nach Athen, obwohl der ursprüngliche wohl nicht historisch
ist. Griechenland und damit das Abendland waren gerettet. Darios bereitete
zwar sorgfältig einen Rachefeldzug gegen die Griechen vor, aber inmitten
der Planungen starb er an einem Schwächeanfall 486 v. Chr. Sein Sohn
Xerxes verlor die Schlacht von Salamis 480 v. Chr. gegen die Griechen;
Marathon und dann endgültig die Schlacht von Salamis haben den Weg in die
westliche Gesellschaft ermöglicht. »Unter der Führung des ungebärdigen
athenischen demos bildete sich ein neuer, dynamischer, aufregender und in
mancher Hinsicht auch rücksichtsloser Westen heraus […] Was Aristoteles
zufolge ein unseliger ›Zufall‹ war, lenkte die westliche Zivilisation ein
für allemal in Richtung egalitärer Demokratie und kapitalistischer
Wirtschaft« (Hanson). Wie wäre die Entwicklung nach einem persischen Sieg
verlaufen? Dennoch bleiben die Verdienste von Dareios dem Großen
unvergessen.