Ich widme die Neuauflage meinem geliebten Enkelsohn Jannis.
Der deutschen Öffentlichkeit ist der Schauplatz ›Wilder Westen‹ von
Abenteuerbüchern oder -filmen her wohl vertraut. Die Jahr für Jahr
erscheinenden Wildwest-Romane haben ihren festen Leserkreis, und die
Steubenschen Tecumseh-Erzählungen, die Lederstrumpf-Geschichten oder die
Karl-May-Romane haben nach wie vor einen festen Platz im Bücherschrank.
Kein anderer Abschnitt der Weltgeschichte dürfte – und sei es oft auch nur
klischeehaft – so bekannt geworden sein wie die Eroberung des ›Wilden
Westens‹. Insbesondere üben die indianische Welt und Geschichte auf viele
Deutsche einen merkwürdigen Zauber aus. Die Europäer gingen gegen die
Ureinwohner anderer Erdteile nicht weniger grausam vor als gegen die
Indianer, aber doch erfreuen sich weder die Asiaten noch die Afrikaner
noch die Südsee-Insulaner einer so großen Anteilnahme wie der »Rote Mann«,
und es gibt wenig andere Völker, in denen dem Indianer mit derselben
Sympathie begegnet wird wie im deutschen Volk, eine Tatsache, zu der es
mittlerweile einige Hinweise und Erklärungsversuche gibt. Wohl mögen die
Sehnsucht nach Freiheit, Abwechslung und Abenteuer, Fernweh und der
Wunsch, das Leben nach eigenem Ermessen zu gestalten, eine Ursache für die
Faszination sein, die der romantisch verklärte ›Wilde Westen‹ auf viele
Deutsche ausgeübt hat und immer noch ausübt. Aber liefern solche
Sehnsüchte, die Schranken einer spießbürgerlichen Industriegesellschaft zu
durchbrechen, wirklich die ganze Erklärung? Oder könnte es nicht sein,
dass ein geheimer, unbewusster ›Seelenzipfel‹, der den Deutschen
vielleicht mehr gemein ist als anderen Völkern, gerade durch die
indianische Welt in besonderem Maße angesprochen wird? Und was, so muss
dann die Frage lauten, ist geschehen, als sich in Amerika deutsche und
indianische Welt begegneten? Traten die deutschen Einwanderer und ihre
Führer den Ureinwohnern anders gegenüber als die englischen oder
schottisch-irischen.
Bemerkenswerterweise ist die reichhaltige Geschichte der Begegnungen
zwischen Deutschen und Indianern auch in der Fachwelt nur wenig bekannt
geworden. In der einschlägigen Literatur füllt sie nicht einmal eine
Fußnote. Diese Lücke zu schließen, ist ein Anliegen des vorliegenden
Buches. Auf viele Begebenheiten der indianischen Geschichte wird dabei ein
bislang wenig bekanntes Licht geworfen. Von den Kolonialzeiten bis zur
Befriedung der Apachen war der Einfluss der Deutschen unvergleichlich
groß. So verdanken wir einzelnen Deutschen nicht nur die Darstellung der
Kultur mancher Stämme vor ihrem Untergang, sondern auch Verbesserungen der
Indianergesetzgebung oder die Rettung ganzer Völkerschaften vor der
Ausrottung, Fakten, die in der deutschen Öffentlichkeit bisher nahezu
unbekannt geblieben sind. Deutsche wurden in indianische Stämme adoptiert
oder wurden Schlüsselfiguren in den Auseinandersetzungen zwischen Weiß und
Rot. Kaum ein Weißer kannte die Irokesen so gut wie Johann C. Weiser; die
Cherokee fanden nie einen besseren Freund als Christian G. Priber; keiner
verstand besser mit den Apachen umzugehen als Al Sieber; und keiner nahm
sich mehr der Indianer im allgemeinen an als Carl Schurz. Unzertrennliche
Freundschaft hat es zwischen Weiser und dem Irokesen-Häuptling Shikellamy
gegeben. Der Missionar Cammerhoff wurde von den Irokesen als einer der
ihren angesehen. Während puritanische Geistliche dazu aufriefen, die
Indianer »auszumerzen«, schützten deutsche sie vor amerikanischem Pöbel,
und zu Kolonialzeiten – und auch noch später – wussten die Indianer
zwischen Deutschen und Engländern zu unterscheiden. Der Irokesenhäuptling
Hendrick und sein Volk hatten mit Pfälzer Flüchtlingen mehr Mitleid als
der englische Gouverneur und holländische Landspekulanten. Karl May hat
der deutsch-indianischen Freundschaft in der Freundschaft zwischen Old
Shatterhand und Winnetou ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt.
Freilich hat es auch unter den Deutschen Ausnahmen gegeben, hartgesottene
Skalpjäger oder unfähige Offiziere, die die Indianer verfolgten; aber
viele deutsche Immigranten und eine Vielzahl hervorragender einzelner
Deutscher begegnete den amerikanischen Ureinwohnern mit Anteilnahme. So
konnte es geschehen, dass Deutsche zur Ansiedlung in Minnesota geworben
wurden, weil man davon ausging, dass sie sich mit den dort ansässigen
Chippewa-Indianern besser vertragen würden als Engländer und Iren.
Auch der Beitrag der deutschen Emigranten zur Erschließung Nordamerikas
ist bisher nur selten entsprechend gewürdigt worden. Dabei haben
verschiedene Leistungen der Deutschen in Amerika weltgeschichtliche
Bedeutung erlangt. Wernher von Braun, der große Raketenspezialist des 20.
Jahrhunderts, oder Baron von Steuben, der die amerikanische Armee im
Unabhängigkeitskrieg organisierte, stehen stellvertretend für viele
hervorragende deutsche Persönlichkeiten, die in der amerikanischen
Geschichte einen wichtigen Platz einnehmen. Aber die Geschichte der
Vereinigten Staaten war nicht zuletzt immer die Geschichte ihrer
Ausdehnung nach Westen. Auch hier haben deutsche Pioniere einen nicht zu
unterschätzenden Anteil. Die Deutschen in Pennsylvanien waren früher
Gegenstand allgemeiner Verachtung, so dass es kaum ein Historiker der Mühe
wert fand, ihre Kultur zu erforschen. Aber nur durch den Zugriff der
Deutschen wurde Pennsylvanien die reichste Kolonie in Amerika. Im
Mittelwesten verhinderten die Deutschen die Ausweitung der puritanischen
Lebensweise, und in den Präriegebieten waren sie als erfahrene Bauern
willkommen. Die Besiedlung der kanadischen Präriegebiete wurde erst durch
Deutsche begonnen. Deutsche Pioniere waren im Westen unterwegs. Der erste
zivile topographische Ingenieur und einige der erfolgreichsten Goldsucher
(wie der Entdecker der legendären Lost Dutchman Mine) in Arizona waren
Deutsche. Deutsche brachten mit als erste Kulturgüter nach Texas, und die
Entwicklung Kaliforniens ist ohne Deutsche überhaupt nicht zu denken.
Deutsche Wissenschaftler begleiteten amerikanische Expeditionen in den
Westen, ein Deutscher stand als einer der ersten am Fuß des Grand Canyon.
Und die wichtigsten Karten, die die Siedler als Führer nach Oregon oder
Kalifornien verwendeten, stammten von deutschen Kartographen. Über sie
alle findet man in den meisten der in Deutschland bekannten Fachbücher
kein Wort. So soll das vorliegende Buch nicht nur die Deutschen während
der indianischen Geschichte, sondern allgemein ihren Anteil an der
Erschließung der amerikanischen Grenzgebiete zum Inhalt haben. Außerdem
ist jedem Kapitel ein Vorspann beigefügt, in dem über andere Leistungen
der Deutschen in Amerika berichtet wird.
Dr. Eckehard Koch