Die Kegelbahn in der Karlstraße 57 dürfte in ihrer Architektur als
eigenständiges Fachwerkgebäude in Deutschland einzigartig sein. – Bis ins
18. Jahrhundert kegelte man ausnahmslos im Freien. 1786 veröffentliche
Johann Georg Krünitz in seinem Lexikon erstmals ›13 Regeln für das
Kegelspiel‹, die teilweise heute noch gelten. Die ersten
Spielgemeinschaften (Kegel-Klubs) wurden 1826 registriert. Als
wahrscheinlich älteste freistehende Kegelbahn galt viele Jahre die Anlage
in Marburg von 1873. Der Hohensteiner Kegelschub ist jedoch bereits um
1800 erbaut worden. Somit dürfte die sogenannte ›Karl-May-Kegelbahn‹ die
älteste ihrer Art in Deutschland sein.
Zur zeitlichen Dimension: Als die Brüder Grimm 1812 das Märchen ›Gut
Kegel- und Kartenspiel‹ (späterer Titel ›Märchen von einem, der auszog das
Fürchten zu lernen‹) veröffentlichten, existierte die Kegelbahn bereits
über ein Jahrzehnt; zu dieser Zeit litt Europa unter den Napoleonischen
Kriegen.
Durch Karl May erlangte die Kegelbahn große Berühmtheit. 1854 musste er
dort zwölfjährig als Kegelbub arbeiten, um den Privatunterricht, welchen
er erhielt, finanzieren zu können. Ohne diese Verdienstquelle wäre ihm
eine angemessene Bildung verschlossen geblieben. Den Schriftsteller Karl
May hätte es möglicherweise nie gegeben:
»Der Haupttag aber war der Montag, denn dieser war der Tag des
Wochenmarktes, an dem die Landbewohner zur Stadt kamen, um ihre
Erzeugnisse zu bringen, ihre Einkäufe zu machen und – last not least –
eine Partie Kegel zu schieben. Aus dieser einen aber wurden fünf, wurden
zehn, wurden zwanzig, und es kam an diesen Montagen vor, daß ich mich von
Mittags zwölf Uhr an bis nach Mitternacht zu schinden hatte, ohne auch nur
fünf Minuten ausruhen zu können. Zur Stärkung bekam ich des Nachmittages
und des Abends ein Butterbrod und ein Glas abgestandenes,
zusammengegossenes Bier. Es kam auch vor, daß ein mitleidiger Kegler,
welcher sah, daß ich kaum mehr konnte, mir ein Glas Schnaps herausbrachte,
um meine Lebensgeister anzuregen. Ich habe mich ob dieser übermäßigen
Anstrengungen daheim niemals beklagt, weil ich sah, wie notwendig man das,
was ich verdiente, brauchte. Der Betrag, den ich da wöchentlich
zusammenbrachte, war gar nicht unbedeutend. Ich bekam pro Stunde ein Fixum
und außerdem für jedes Honneur, welches geschoben wurde, einen
festbestimmten Satz. Wurde nicht gespielt, sondern frei gewettet oder gar
hasardiert, so bekam dieser Satz eine doppelte oder dreifache Höhe. Es hat
Montage gegeben, an denen ich über zwanzig Groschen nach Hause brachte,
dafür aber vor Müdigkeit die Treppe zu unserer Wohnung mehr hinaufstürzte
als hinaufstieg. […] Der langgestreckte, zugebaute Kegelschub wirkte wie
ein Höhrrohr. Jedes Wort, welches da vorn bei den Spielern gesprochen
wurde, klang deutlich heraus zu mir. Alles, was Großmutter und Mutter in
mir ausgebaut hatten, der Herr Kantor und der Herr Rektor auch, das
empörte sich gegen das, was ich hier zu hören bekam. Es war viel Schmutz
und auch viel Gift dabei. Es gab da nicht jene kräftige, kerngesunde
Fröhlichkeit wie z. B. bei einem oberbayrischen Kegelschieben, sondern es
handelte sich um Leute, welche aus der brusttötenden Atmosphäre ihres
Webstuhles direkt in die Schnapswirtschaft kamen, um sich für einige
Stunden ein Vergnügen vorzutäuschen, welches aber nichts weniger als ein
Vergnügen war, für mich jedenfalls eine Qual, körperlich sowohl als auch
seelisch.«[1]
Im Internetlexikon Wikipedia werden Karl Mays Lebenserinnerungen unter dem
Stichwort ›Kegeln‹ thematisiert:
»Bis in die 1980er-Jahre hinein stellten ›Kegeljungen‹ (oder Kegelbuben)
die Kegel auf und rollten die Kugel zurück. Nach Darstellung des
Schriftstellers Karl May sei er selbst 1854 Kegeljunge gewesen, und das
Kegeln habe am Sonntag gleich nach der Kirche begonnen und bis zur späten
Abendstunde gedauert, am Markttag auch bis Mitternacht. […] Beim Kegeln
will er auch die ersten Heimkehrer aus der Neuen Welt getroffen haben, die
ihm von den Vereinigten Staaten erzählten.«[2]
Viele Karl-May-Freunde aus dem In- und Ausland kommen regelmäßig nach
Hohenstein-Ernstthal, um die historischen May-Stätten zu besuchen. Die
Kegelbahn gehört dabei zum Pflichtprogramm. Das von privater Hand sanierte
Gebäude kann in der Regel jedoch nur von Außen besichtigt werden.
Anmerkungen
[1] Karl May: ›Mein Leben und Streben‹. Freiburg
[1910], S. 71f.
[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Kegeln