Ralf Harder

Die Grabstellen von Karl Mays Eltern
und seines Neffen Max Otto Selbmann auf dem ehemaligen Ernstthaler Friedhof

 

»Vater und Mutter hat man nur einmal. Sind sie gestorben, so hat der Mezarlyk [Kirchhof] den besten Theil des Kindes empfangen, und keine Seele auf Erden meint es mit ihm wieder so gut und treu, wie die Hingeschiedenen.«[1]


In Hohenstein-Ernstthal existiert eine wichtige Karl-May-Stätte, die bislang unbeachtet geblieben ist, da sie bereits jahrzehntelang als Kleingartenanlage genutzt wird. Dass sich dort einst die Erweiterung des alten Ernstthaler Friedhofs befand, seinerzeit als Gottesacker bezeichnet, dürfte zumindest der jüngeren Generation weitgehend unbekannt sein, obwohl täglich unzählige Autos am nördlichen Teil des Areals an der Dresdner Straße vorbeifahren, wo ein jüngst erneuerter Bretterzaun steht. Dahinter ruhen bis zur Hohen Straße nach wie vor zahlreiche Einwohner der Karl-May-Geburtsstadt.
  

Bretterzaun am alten Ernstthaler Friedhof an der Dresdner Straße

Unweit hinter diesem Bretterzaun an der Dresdner Straße in Hohenstein-Ernstthal wurden Karl Mays Eltern bestattet.

 
Der ursprüngliche alte Ernstthaler Friedhof entstand in den 1680er Jahren. Nachweislich fanden dort bereits 1687 Begräbnisse statt.[2] Das Gelände erstreckte sich von der Einmündung Dresdner Straße/Hohe Straße bis zur Bergstraße. Dieser Abschnitt wurde Anfang der 1990er Jahre mit Mietshäusern bebaut; mit dem Erdaushub für die Baumaßnahmen verschwanden die historischen Gräber, die als solche kaum noch erkennbar waren. Es ist nicht auszuschließen, dass sich in Randbereichen des vormaligen Friedhofs noch Überreste von Verstorbenen befinden.
  

Der alte Ernstthaler Gottesacker an der Dresdner Straße.

Der nicht mehr erhaltene westliche Teil des historischen Ernstthaler Friedhofs mit Blick zum Pfaffenberg.
Aufnahme Wolfgang Hallmann, März 1986, damals aufgelassene Gärtnerei Aurich, heute Wohnstandort, im Volksmund ›Schiffshebewerk‹ genannt.

  
In der heutigen östlich gelegenen Kleingartenanlage erfolgten – soweit bekannt – keine nennenswerten Tiefbauarbeiten, sodass die Toten weiterhin dort ruhen, wenn auch die Grabreihen verschwunden sind. Allerdings ist der Mittelweg des erweiterten Gottesackers dort noch vorhanden, der 1881 eingeweiht wurde. Die damals notwendige Friedhofserweiterung hatte man sorgfältig geplant. Es sind noch Entwurfszeichnungen im Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand vorhanden:
   

Entwurf für die Erweiterung des Ernstthaler Friedhofs

Entwurf für die Erweiterung des Ernstthaler Friedhofs

Entwurf für die Erweiterung des Ernstthaler Friedhofs

Mehrmals wurden die Entwürfe geändert. Sogar eine Verbindung zwischen der Hohen Straße und der Neuen Straße war angedacht. – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.


Lageplan der Friedhofserweiterung in Ernstthal

Die nicht maßstabsgetreue Lageskizze zeigt wie der östlich gelegene Teil des Friedhofs ab 1881 tatsächlich aussah, der 1889 noch einmal bis zu Neuen Straße[3] erweitert wurde. – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.


Es war Karl Mays Neffe Max Otto Selbmann, der als erstes Familienmitglied am 16. Mai 1882 auf dem neuen Friedhofsareal beerdigt wurde. Das nicht einmal fünfjährige Kind, geboren am 15. Juli 1877, einziger Sohn seiner Schwester Karoline Wilhelmine, starb an Scharlachfieber.
  

Totenbuch – Otto Selbmann

Eintrag im Totenbuch – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.


May ist derart betroffen, dass er seine Reiseerzählung ›Die Todes-Karavane‹ (im Band ›Von Bagdad nach Stambul‹ enthalten) unterbrechen muss. Anfang Juni 1882 erscheint zunächst die letzte Fortsetzung in der Regensburger Zeitschrift ›Deutscher Hausschatz‹. Als weiteres Manuskript entsteht, schreibt er vielsagend:

»Dein Angesicht ist wie Scharlach. Zeige mir deine Zunge!«[4]

Ab 1884 verfasste Karl May seinen Kolportageroman ›Der verlorne Sohn oder Der Fürst des Elends‹. Dort verarbeitete er literarisch sehr konkret den Tod seines Neffen :

»›[…] Der Botenfrau ihr Kleiner ist am Scharlach gestorben; den bringen sie jetzt.‹
    ›Wird es lange dauern?‹
    ›O nein. Mit armer Leute Kind wird wenig Federlesen gemacht; das wißt Ihr ja.‹
    […]
Ein Mann brachte einen kleinen Sarg getragen. Hinter ihm kam die Leichenfrau und die Mutter des Kindes. Das war der ganze Begräbnißzug. Diese drei wurden vom Todtengräber empfangen und nach dem Grabe geführt. Man ließ den Sarg hinab und betete ein stilles Vaterunser. Damit war die Ceremonie zu Ende. Wenn ein Reicher, ein Vornehmer sich von seinem Kinde trennt, geschieht es mit größerem Pompe, und doch ist das Herz einer armen Mutter ebenso empfänglich für das Herzeleid wie dasjenige einer feinen Dame.
    […]
Auf dem kleinen Sarge lagen einige Feldblumen, welche die arme Mutter unterwegs gepflückt und dem Kinde in das Grab nachgeworfen hatte.«[5]

Auch die Lage des Friedhofs wird im Zusammenhang mit dem toten Kind im ›verlornen Sohn‹ beschrieben:

»Der Gottesacker lag nämlich oben auf der Höhe und stieß an den dichten Wald. Ein Weg führte hinab in das Dorf.«[6]

Zu Mays Zeit war die Dresdner Straße, damals Chemnitzer Straße, deutlich weniger ausgebaut. Dort, wo dicht hinter dem Bretterzaun Max Otto Selbmann im Quartier B, Reihe 2, Grab 5, bestattet ist, befindet sich heutzutage auf der anderen Straßenseite am Pfaffenberg ein Wohnhaus. Früher war dieser Bereich bewaldet. Und mit dem Weg, der in das Dorf führte, ist der Leichenweg gemeint, die heutige Bergstraße am Ernstthaler Neumarkt.
  

Register der Gräber – Otto Selbmann

Register der Gräber – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.

   
Als Karl May noch den ›verlornen Sohn‹ und zeitgleich parallel ›Die Liebe des Ulanen‹ zu Papier brachte, ereilte ihn ein weiterer Schicksalsschlag, der ihn völlig aus der Bahn warf. Dies kündigte sich schemenhaft in der Nr. 86 seines ›Ulanen‹-Romans an. Über ihr plötzliches Verschwinden legt er der Zofe von Marion de Sainte-Marie folgende Ausrede in den Mund:

 »Ich erhielt kurz nach meinem Erwachen die Nachricht, daß meine Mutter unwohl sei.«[7]

Und Marion berichtet später:

»Sie gab vor, bis nach fünf Uhr geschlafen zu haben. Dann hat sie die Nachricht erhalten, daß ihre Mutter, welche im nahen Dorfe wohnt, erkrankt sei. Dorthin sei sie gegangen.«[8]

May schrieb diese Romanzeilen in seiner Dresdner Wohnung ca. Anfang April 1885. Tatsächlich war seine Mutter erkrankt. Der 5. April war Ostersonntag. Möglicherweise nutzte er die Feiertage mit seiner Ehefrau Emma zu einem Krankenbesuch. Am darauffolgenden Samstag waren sie mit Sicherheit bei der Mutter am Ernstthaler Markt, denn sie beging dort ihren achtundsechzigsten Geburtstag, und von diesem Zeitpunkt an dürfte Karl May ständig bei seiner Mutter gewacht haben. Nur vier Tage später wird Christiane Wilhelmine May von ihrer Krankheit, eine »Geschwulst«, offenbar Krebs, erlöst.
  

Totenbuch – Christiane Wilhelmine May

Eintrag im Totenbuch – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.


Todesanzeige Christiane Wilhelmine May

Die vermutlich von Karl May verfasste oder angeregte Todesanzeige. – ›Anzeiger für Ernstthal, Hohenstein, Oberlungwitz, Gersdorf und Umgebung‹, Nr. 44, 16. April 1885.


»Als seine Mutter in seinen Armen starb, hielt er sie vom Abend bis zum Morgen als Leiche in seinen Armen. Handelt so ein uns normal erscheinender Mensch? Das Grab der Mutter wurde doppelt tief gemacht. Er wollte bei ihr begraben werden.«[9]

Mays zweite Ehefrau Klara schrieb diese wichtige Aufzeichnung »in einem flüchtig skizzierten Aufsatz« nieder.[10] An den Wahrheitsgehalt ihrer Worte, die ersichtlich auf Mitteilungen ihres Gatten beruhen, ist nicht zu zweifeln. Der Tod seiner Mutter traf May wie ein fürchterlicher Schlag auf den Kopf.

»Ich war gestorben; ich besaß keinen Körper mehr; ich war nur Seele, nur Geist. Ich flog durch ein Feuer, dessen Gluth mich verzehren wollte, dann durch donnernde Wogen, deren Kälte mich erstarrte, durch unendliche Wolken- und Nebelschichten, hoch über der Erde, mit rasender, entsetzlicher Schnelligkeit. Dann fühlte ich nur, daß ich überhaupt flog, grad so, wie der Mond um die Erde wirbelt, ohne einen Gedanken, einen Willen zu haben. Es war eine unbeschreibliche Leere um mich und in mir. Nach und nach verminderte sich die Schnelligkeit. Ich fühlte nicht nur, sondern ich dachte auch. Aber was dachte ich? Unendlich dummes, ganz und gar unmögliches Zeug.«[11]

Eindringlicher konnte May seinen Seelenzustand gar nicht beschreiben. Noch heute kann man aus seinen Worten, im Sommer 1885 niedergeschrieben, die Ohnmacht und Verzweiflung spüren, die er empfand, als seine Mutter starb. Später beginnt er ihren Tod zu verdrängen; sie kann, nein sie darf nicht tot sein:

»[…] So oft ich vor diesem Grabe stehe, ist es mir, als ob mein Auge die Kraft habe, durch die Erde und durch die Wände des Sarges zu dringen, und da sehe ich ihn immer leer; […] Ist das Wahnsinn? Man behauptet ja, daß ich wahnsinnig sei! Das quält mich ungemein! Das hat mich schon seit Jahren gepeinigt und peinigt mich auch noch heut. Es packt mich oft so, daß ich kaum widerstehen kann. Jetzt in diesem Augenblick, […] ist es so stark und so deutlich, daß ich die Erde mit den Händen aufscharren möchte, um […] zu zeigen, daß der Sarg leer ist! […] Ich möchte scharren und scharren, […] aber diese That wäre so außerordentlich ungeheuerlich, daß ich über den Wahnwitz erschrecke, sie mir denken zu können. Auch frage ich, wo die Mutter denn sein sollte, wenn sie nicht hier wäre? Und ich hatte und habe sie ja noch viel, viel zu lieb, als daß ich die Sünde auf mich nehmen möchte, ihr Grab geöffnet und geschändet zu haben!«[12]

Diese Worte aus Karl Mays allegorischem Spätwerk ›Ardistan und Dchinnistan‹ zeigen die ganze Tragweite seines Denkens und Fühlens.
    

Mittelweg des ehemaligen Ernstthaler Friedhofs

Diesen Mittelweg des ehemaligen Ernstthaler Friedhofs ging Karl May mit seiner trauernden Familie, als seine Mutter am 18. April 1885 beerdigt wurde.


Register der Gräber – Christiane Wilhelmine May

Christiane Wilhelmine May fand ihre Ruhestätte im Quartier D/a, Reihe 12, Grab 12. Darauf folgte die 13. Grabreihe, die wieder mit 1 begann.
Register der Gräber – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.

 
Es gab in Ernstthal fünf Begräbnisklassen. Die Trauerzeremonie für Christiane Wilhelmine May erfolgte gemäß der III. Klasse. Es war nach den damaligen Gepflogenheiten ein gutes Begräbnis: »Rede am Grabe oder in der Begräbnishalle. Geläute Tags zuvor Vormittags zwischen 9–10 Uhr und während des Leichenbegräbnisses, sowie Chorgesang unterwegs oder Abends zuvor vor dem Trauerhause. (Gebühr: 20 Mark)«. Die erste Klasse hätte zum Vergleich 30 Mark, die vierte Klasse 10 Mark gekostet.[13]

Nach der Beisetzung am 18. April 1885 schrieb Karl May zunächst am ›verlornen Sohn‹ weiter. Noch unter dem Einfluss der Trauer erreichte ihn die nächste Hiobsbotschaft – sein Vater Heinrich August May hatte einen Schlaganfall erlitten! Diese traurigen Ereignisse in Folge wirbelten Mays Manuskripte durcheinander. Er ist zunächst völlig am Schreiben verhindert, muss vorübergehend seine beiden Romane ›Der verlorne Sohn‹ und ›Die Liebe des Ulanen‹ vernachlässigen.[14] Während er sich bald wieder einigermaßen von seinem Schicksalsschlag erholt, bleibt sein Vater ein Pflegefall.

Einige Monate später teilt Karl May als Kara Ben Nemsi in ›Der letzte Ritt‹ (im Band ›In den Schluchten des Balkan‹ enthalten) mit:

›Die Mutter lebte noch, als ich nach Mekka pilgerte. Sie starb, und kurze Zeit später traf den Vater der Schlag. Jetzt kann er kein Glied bewegen und auch nicht sprechen, sondern nur lallen; dennoch betet er ohne Unterlaß, daß Allah ihn erlösen möge, damit er mir nicht länger zur Last falle. Ich aber bete heimlich zu der großen Muhabbet ilahi (Göttlichen Liebe), ihn mir noch lange, lange zu erhalten.‹[15]

Heinrich August May starb am 6. September 1888 an »Altersschwäche« und wurde am 9. September, an einem Sonntag, in ›Stille‹ beigesetzt.[16] Karl May, der seinen Vater finanziell unterstützt hatte, war mit seiner Ehefrau Emma gewiss anwesend.
    

Totenbuch – Heinrich August May

Eintrag im Totenbuch – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.


Register der Gräber – Heinrich August May

Heinrich August May fand seine Ruhestätte im Quartier D/b, Reihe 9, Grab 4.
Register der Gräber – Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.

 

Von besonderem Interesse ist die Beantwortung der Frage über den Verbleib der sterblichen Überreste von Karl Mays Eltern. Was war damals in der Ernstthaler Pfarrgemeinde üblich?

»Es gab in dem kleinen Städtchen kein Sargmagazin, also keine fertigen Särge zu kaufen. Starb Jemand, so wurde der Sarg beim Tischler bestellt, und dieser hatte sich zu sputen, um ihn bis zur Stunde des Begräbnisses fertig zu bringen.«[17]

Die reguläre Grabnutzung/Liegezeit betrug für Erwachsene mindestens 25 Jahre. Die Grabhügel wurden 0,5 Meter hoch angelegt. »Die Gräber sind zur Ersparung des Raumes so nahe als möglich bei einander zu legen, jedoch darf der Zwischenraum zwischen denselben nicht weniger als 28,32 Zentimeter betragen. […] Bei erwachsenen Leichen müssen die Gräber eine Tiefe von wenigstens 1,7 Meter, bei Kindern von 2 bis 14 Jahren eine Tiefe von 1,42 Metern, bei Kindern bis zu 2 Jahren eine Tiefe von 1,14 Metern haben. Die Gräber müssen bei Erwachsenen 2,12 Meter lang, 1 Meter breit bei Kindern vom erfüllten 2. bis zum erfüllten 14. Jahre 1,56 Meter lang und 80 Zentimeter breit bei Kindern bis zum 2. Jahre 1,14 Meter lang und 57 Zentimeter breit sein.«[18]

27 Jahre nach der Einweihung der Friedhofserweiterung im Jahre 1881 begann man Ende April 1908 mit der Neubelegung des Quartiers ›D/a‹, die laut dem Gräber-Register in der 3. Reihe beim Grab 5 endete. Insbesondere bei Lehmböden, wie sie in Ernstthal zu finden sind, ist der Verwesungs- bzw. Zersetzungsprozess verlangsamt; er tritt in Einzelfällen gar nicht ein[19], was die Ursache sein kann, dass es in jener Zeit keine weiteren Neubestattungen auf den vorhandenen Gräbern in den Quartieren ›D/a‹ und ›D/b‹ mehr gab. Offensichtlich erfolgten fortan die Neubelegungen alter Grabstellen bis 1913 auf dem westlichen historischen Areal des Gottesackers, der heute bebaut ist; mit den ›D/a‹ und ›D/b‹-Quartieren geschah nichts. Bis mindestens 1910 durfte das Grab von Christiane Wilhelmine May (D/a, Reihe 12, Grab 12) ohnehin nicht geöffnet werden, desgleichen gilt für Heinrich August May (D/b, Reihe 9, Grab 4) bis 1913.

Da eine nochmalige Erweiterung des ›Gottesackers‹ an der Dresdner Straße nicht mehr möglich war, wurde im November 1913 ein völlig neuer Friedhof an der Lindenstraße, südöstlich vom Karl-May-Geburtshaus gelegen, in Betrieb genommen, der auch aktuell nach wie vor genutzt wird. Aus diesem Grund gab es auch später keine weiteren Graböffnungen mehr in den Quartieren ›D/a‹ (15 Grabreihen) und ›D/b‹ (26 Grabreihen bis 1896), wo Mays Eltern 1885 und 1888 bestattet wurden. Es ist daher davon auszugehen, dass sie in der heutigen Kleingartenanlage noch unberührt ruhen. Im Übrigen wurde Mays Mutter laut Klara May, wie bereits erwähnt, tiefer bestattet als das festgelegte Mindestmaß von 1,70 Meter.

Ein detaillierter Plan mit den jeweiligen Grabreihen konnte nicht gefunden werden. Man weiß aber, dass die Reihen senkrecht (Nord/Süd-Richtung) zum erhaltenen Mittelweg verliefen. Die Särge waren damit – wie auch gegenwärtig nicht nur in Ernstthal allgemein üblich – von Westen (Kopfseite des Sargs) nach Osten ausgerichtet. Wo sich die einzelnen Flügel bzw. Quartiere des Friedhofs befanden, ist anhand der erhaltenen – allerdings nicht maßstabsgetreuen – Lageskizze bekannt, ebenso laut ›Gottesacker-Ordnung‹ die Grababstände. Die Zählung der Grabreihen begann vom ursprünglichen Friedhof kommend auf der Westseite der heutigen Kleingartenanlage, die Zählung der Gräber vom zentralen Mittelweg aus. Mit diesen Informationen lässt sich recht zuverlässig errechnen, wo die jeweiligen Grabstellen zu finden sind. Es ist aus rechtlichen Gründen problematisch, eine Luftbildaufnahme von Google Maps oder Earth mit den markierten Grabstellen zu veröffentlichen. Begnügen wir uns deshalb mit der Information, dass sich die Gräber von Mays Eltern zwischen dem Mittelweg und dem Bretterzaun an der Dresdner Straße befinden – ungefähr auf einer Höhe mit den gegenüberliegenden Häusern 91c/d und 91e.

Zum Schluss lassen wir Karl May selbst zu Wort kommen:


    Auf dem Friedhofe.
 

    Komm her; komm her, du fremder Wandersmann;
      Geh nicht vorbei an unbekanntem Grabe.
    Hör mich, ja auch um deinetwillen, an,
      Und glaube, was ich dir zu sagen habe!

    Ein jeder Mensch, der nach dem Himmel strebt,
      Soll hier ein liebes, gutes Wörtlein sagen;
    Es wird der Seele, die da oben lebt,
      Auf Händen des Gebets emporgetragen.

    Dort nimmt sie es mit Freuden in Empfang
      Und lächelt dankbar auf den Spender nieder,
    Und dieses Lächeln strahlt ihm lebenslang
      Das, was er gab, mit tausend Zinsen wieder.[20]



Diesen Forschungsbeitrag widme ich Frau Gabriele Berger (1954–2021), die mit ihrem Artikel ›Karl May und die Sankt-Trinitatis-Kirche zu Hohenstein-Ernstthal‹ für die Archivarbeit der Kirchgemeinde neue Maßstäbe gesetzt hat.

  Ich danke der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand für die Archiveinsicht.
Namentlich danke ich herzlich Frau Ellen Jeschke sowie den Herren Hans-Reinhard Berger, Thomas Jäkel-Lorenz und Wolfgang Hallmann – aus Hohenstein-Ernstthal – für die hilfreiche Unterstützung.

  


 

Anmerkungen
 

[1] Karl May: ›Der letzte Ritt‹. In: Deutscher Hausschatz in Wort und Bild, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 12. Jg. 1885/86, Nr. 3, S. 40.

[2] Vgl. Bernd Günther: ›Zur Ernstthaler Friedhofsgeschichte‹. In: Mitteilungen des Hohenstein-Ernstthaler Geschichtsvereins, Heft 2/2005, S. 58.

[3] Ebd., S. 62f.

[4] Karl May: ›Die Todes-Karavane‹. In: Deutscher Hausschatz in Wort und Bild, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 9. Jg. 1882/83, Nr. 7, S. 107.

[5] Karl May: ›Der verlorne Sohn oder Der Fürst des Elends‹, Dresden 1884–86, Lieferung 4, S. 73.

[6] Ebd., Lieferung 3, S. 70.

[7] Karl May: ›Die Liebe des Ulanen‹. In: Deutscher Wanderer, 8. Band, Dresden 1883–85, Lieferung 86, S. 1362.

[8] Ebd., S. 1363.

[9] Aus einem 4 Seiten Manuskript Klara Mays von 1932 (Original im KM-Archiv Bamberg); zitiert nach Hans Wollschläger: ›Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt‹. Materialien zu einer Charakteranalyse Mays. In: Jb-KMG 1972/73, Hamburg 1973, S. 50 u. 89.

[10] Die Ereignisse werden in der Karl-May-Bibliographie, Zeitraum April bis Juni 1885, anschaulich dargestellt.

[11] Karl May: ›Der letzte Ritt‹, wie Anm. 1, Nr. 7, S. 108.

[12] Karl May: ›Ardistan und Dschinnistan‹, Erster Band, Manuskriptfassung, herausgegeben von Hans Wollschläger unter Mitarbeit von Franziska Schmitt, Bamberg · Radebeul 2005, S. 302. – Vgl. Ralf Harder: Karl May und seine Münchmeyer-Romane. Spiegel einer geschundenen Seele. Eine Analyse zu Autorschaft und Datierung (Internetfassung 2025), V. Werkgeschichte, 3. Der Tod aller Mütter oder Ulane und Zouave.

[13] Vgl. Handgeschriebene ›Gottesacker-Ordnung‹ (1882), II Regulativ, Paragraph 5, Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.

[14] Ebd., S. 503.

[15] Karl May: ›Der letzte Ritt‹, wie Anm. 1, S. 40.

[16] Das bisher in der Sekundärliteratur genannte Beerdigungsdatum ›10. September an einem Montag‹ ist nicht korrekt. Vgl. Dieter Sudhoff/Hans-Dieter Steinmetz: ›Karl-May-Chronik‹, Bd. 1, Bamberg/Radebeul 2005, S. 353. – Im Totenbuch und auch im Gräber-Register ist der 9. September 1888, ein Sonntag, als Beerdigungstag genannt. Damals waren Bestattungen an »Sonn- und Festtagen« erlaubt. Vgl. das Königreich Sachsen betreffende ›Lexicon des Kirchenrechts und der Pfarramtsführung‹, bearbeitet von Wilhelm Haan, Leipzig 1860, S. 49. – Wenige Tage nach der Beisetzung von Heinrich August May wurde am 16. September 1888 Max Otto Selbmann, Sohn »der ledigen Näherin Minna Selbmann« (Grabregister: Quartier E/b, Reihe 18, Grab 13), bestattet. Es handelt sich folglich nicht um ein Kind von Mays Schwester Karoline Wilhelmine Selbmann.

[17] Karl May: ›Der verlorne Sohn oder Der Fürst des Elends‹, wie Anm. 5, Lieferung 26, S. 611.

[18] Handgeschriebene ›Gottesacker-Ordnung‹ (1882), B. Von den einzelnen Grabstellen, Paragraph 18, Archiv der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Ernstthal-Wüstenbrand.

[19] Auf dem seit 1913 genutzten Ernstthaler Friedhof dürfen inzwischen die Verstorbenen nicht mehr in einem Eichensarg beigesetzt werden, da der Lehmboden die Verwesung erschwert. Aus der aktuellen Friedhofsordnung: »Wenn beim Ausheben eines Grabes zur Wiederbelegung Sargteile, Gebeine oder Urnenreste gefunden werden, sind diese unter der Sohle des neu aufgeworfenen Grabes zu versenken. Werden noch nicht verweste Leichenteile vorgefunden, so ist das Grab sofort wieder zu schließen und als Bestattungsstätte für Leichname für die erforderliche Zeit zu sperren.«

[20] Karl May: ›Himmelsgedanken‹, Freiburg [1900], S. 96.

 


 
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